Rede von
Dr. h.c.
Wolfgang
Thierse
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Das Wort hat die Bundesministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der
neuen Koalitionsvereinbarung haben wir mit dem Leitbild
der globalen Gerechtigkeit den Gedanken einer umfassen-
den Verantwortung für nachhaltige weltweite Entwicklung
vertieft und bekräftigt. Dem tragen wir in diesem Bundes-
haushalt Rechnung. Entwicklungspolitik ist heute weit
mehr als die Maßnahmen, die über den Einzelplan 23 fi-
nanziert werden, so wichtig dieser Einzelplan 23 ist.
Wenn wir in der Entwicklungspolitik mehr Verantwor-
tung für die Gestaltung globaler Strukturen übernehmen,
dann müssen wir auch die Auswirkungen der Entschul-
dung der ärmsten Entwicklungsländer, die im Gesamt-
haushalt zu Buche schlagen, sowie Initiativen und
Beiträge anderer Ressorts einbeziehen. Das ist globale
Verantwortung. Bei manchen ist das aber vielleicht noch
nicht so deutlich angekommen.
Das bedeutet – das sage ich gleich zu Beginn dieser De-
batte –: Der weltweit festgelegte Maßstab für erfolgte ent-
wicklungspolitische Leistungen ist – so hat es die OECD
festgelegt – die Official Development Assistance. Sie ist
seit dem Regierungswechsel vor vier Jahren um rund eine
halbe Milliarde Euro gestiegen, von 5,02 Milliarden Euro
im Jahre 1998 auf 5,57 Milliarden Euro im Jahre 2001.
Das bedeutet – trotz Haushaltskonsolidierung – eine Stei-
gerung um 11 Prozent.
Thomas Kossendey
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Das ist eine Leistung, die sehr deutlich anerkannt werden
muss. In den letzten vier Jahren der konservativen Regie-
rung Kohl sind die Leistungen der ODA um 11 Prozent
gesunken und im Übrigen von 1982, zu Beginn der Re-
gierung Kohl, bis 1998 von 0,48 Prozent auf 0,26 Prozent
reduziert worden. Das wollte ich zu Beginn noch einmal
sagen.
Ich möchte aber auch mit Stolz sagen, dass selbst der
Einzelplan 23 um 2,3 Prozent gestiegen ist, und das vor
dem Hintergrund eines um 1,8 Prozent gesunkenen Haus-
haltsplanes. Damit setzen wir ein deutliches Signal zu-
gunsten der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist bei
diesen Haushaltsberatungen ein ganz wichtiges Signal.
Vor allen Dingen haben wir unseren zukünftigen Hand-
lungsspielraum durch Ausweitung der Verpflichtungs-
ermächtigungen um 8 Prozent ausgeweitet. Es wird zu un-
seren Zielen gehören, die Entwicklungspolitik in dieser
Legislaturperiode noch wirkungsvoller zu machen, indem
wir die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit
noch mehr koordinieren und verzahnen, als wir das bisher
getan haben, um auch mehr Effizienz zu erreichen.
Lassen Sie mich anhand der Leitlinien unserer Ent-
wicklungspolitik, nämlich „Frieden sichern, Armut be-
kämpfen, Globalisierung gestalten“, wichtige Schwer-
punkte im Folgenden nennen.
In der kommenden Woche, am 10. Dezember, erhält
Jimmy Carter in Oslo den Friedensnobelpreis. Ich möchte
ihm an dieser Stelle – ich denke, in Ihrer aller Namen –
herzlich gratulieren zu diesem Preis, den er wahrlich ver-
dient hat.
Er hat formuliert:
Als Mitmenschen ist es unsere Pflicht, zu handeln
und dabei zu helfen, die Konflikte beizulegen, die
das Leben der Betroffenen zerstören.
Mit Jimmy Carter möchte ich hier betonen, dass es das
vorrangige Ziel sein muss – das sage ich aus dieser ent-
wicklungspolitischen Verantwortung –, kriegerische Aus-
einandersetzungen zu verhindern und zivile Konflikt-
lösungen zu suchen. Krieg darf nie wieder zur Fortsetzung
der Politik oder der Ökonomie mit anderen Mitteln werden.
Das ist eine wichtige entwicklungspolitische Entschei-
dung.
Ich möchte, dass diejenigen, die eine andere Position
haben, diese hier auch vertreten. Im Übrigen will ich
meine aus entwicklungspolitischen Gründen fundierte
Kritik an der so genannten Preemptive-Strike-Strategie
anmelden. Diese Strategie ignoriert die Notwendigkeit ei-
ner zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Be-
ziehungen unter Einbindung aller Mächte in verbindlich
handelnde multilaterale Institutionen. Beides sind aber
unerlässliche Voraussetzungen, die global notwendig
sind, um der privatisierten Gewalt entgegenwirken und
ihr das Handwerk legen zu können. Das ist doch der tie-
fere Grund, warum es hier anzusprechen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen in
diesem Haushalt unsere Verpflichtung zur Hilfe zum
Wiederaufbau in Afghanistan deutlich. Neben all dem,
was wir schon in anderen Debatten ausgeführt haben, will
ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Wir werden
7,1 Millionen Euro zusätzlich für ein Notprogramm zur
Verfügung stellen, das dazu beitragen soll, den Menschen
in Afghanistan bei der Bewältigung der Belastungen, die
der Winter bringen wird, zu helfen. Das gehört zu unserer
Verpflichtung, die ich aus Anlass dieser Haushaltsdebatte
noch einmal ansprechen wollte.
Zur Erinnerung: Wir werden über die Friedenseinsätze
der Bundeswehr in Afghanistan und in Mazedonien ent-
scheiden. Das sind essenzielle Beiträge zur Stabilisierung
in diesen Regionen. Aber es muss uns auch klar sein:
Ohne den entwicklungspolitischen Wiederaufbau, ohne
das Handeln der Geber nach dem Konflikt wird eine lang-
fristige Friedenssicherung nicht möglich sein. Deshalb
gehören dieser militärische Einsatz und das entwick-
lungspolitische Stabilisieren untrennbar zusammen. Das
ist das Konzept der Bundesregierung.
Ich möchte den besonderen Schwerpunkt, den wir bei
der Armutsbekämpfung in Afrika setzen, deutlich ma-
chen. Wir werden 800 Millionen Euro bei der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit für Afrika aufbringen, da-
bei aber besonders die neue Partnerschaft für Afrika – die
NeEPAD, die Initiative der Länder, die sich von Korrup-
tion abwenden und einer verantwortlichen Regierung zu-
wenden wollen – entsprechend unterstützen. Wir beharren
darauf, dass diese Länder korruptive Strukturen bekämp-
fen und beseitigen; denn Korruption heißt, von den Armen
stehlen. Wenn wir wollen, dass Armut bekämpft wird,
müssen wir auch der Korruption in diesen Ländern entge-
genwirken.
Zu den Initiativen für Afrika gehört der Kampf gegen
HIV/Aids.Allein in Subsahara-Afrika leben 30Millionen
infizierte Menschen. Wir finanzieren nicht nur den globa-
len Anti-Aids-Fonds und das Aidsbekämpfungspro-
gramm der Weltbank, sondern wir engagieren uns auch in
der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Weltweit
geben wir jährlich rund 300 Millionen Euro für die Aids-
bekämpfung aus. Ein Großteil dieser Mittel geht nach
Afrika, weil dort die Probleme der Bevölkerung so dra-
matisch sind.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ansprechen, dass
unser Augenmerk auch der Bekämpfung der aktuellen
Hunger- und Ernährungskrise in Afrika gilt. Wir haben für
Nothilfemaßnahmen und Nahrungsmittelhilfen in diesem
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 967
Jahr 10,7 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Bis-
lang haben wir für die Region 55 Millionen Euro neben
den Ausgaben für die reguläre Entwicklungszusam-
menarbeit aufgebracht.
Unterschiedliche Länder sind davon betroffen. Ich will
in Übereinstimmung mit Karl-Heinz Böhm, mit dem ich
in diesem Bereich in engem Kontakt stehe, sagen, dass die
äthiopische Regierung versucht hat, durch Landreformen
Konsequenzen aus den Hungerkatastrophen früherer
Jahre zu ziehen. Trotzdem ist Äthiopien von einer drama-
tischen Dürrekatastrophe betroffen. Die Regierung in
Simbabwe hingegen lässt die Menschen verhungern und
trägt dazu bei, dass die Katastrophe im Land noch wächst.
Da gibt es also Unterschiede.
Wir unterstützen die Regierungen, die sich besonders
bemühen. Aber wir leisten über das Welternährungspro-
gramm natürlich auch Hilfe für die hungernde Bevölke-
rung in Ländern, in denen die Regierung schrecklich ist,
wo wir die Menschen aber nicht dafür bestrafen dürfen,
dass sie – wie in Simbabwe – eine grauenhafte Regierung
haben. Auch das ist für uns eine klare Orientierung.
Ich habe die heutige Debatte sehr genau verfolgt; wir
haben schon über den Terroranschlag in Kenia gespro-
chen. Wenn wir Armut, Hunger und Ausgrenzung in
Afrika bekämpfen – das ist ein langfristiger Prozess –,
dann können wir hoffentlich dazu beitragen, zu verhin-
dern, dass der afrikanische Kontinent von terroristischen
Gruppen als Basis für ihre widerwärtigen Anschläge be-
nutzt wird. Das langfristige Denken – auch dies betone
ich – ist hierbei wichtig.
Wir setzen den Konsens der Konferenz von Monter-
rey um, bei der es um die finanziellen Steigerungen der
offiziellen Entwicklungszusammenarbeit geht. Mit dem
Einzelplan 23 und diesem Haushaltsplan insgesamt leis-
ten wir unseren Beitrag, der ein Einstieg in diese Finan-
zierung ist. Zugleich haben wir aber auch in der mittel-
fristigen Finanzplanung bis 2006 Vorsorge dafür
getroffen, dass wir das Zwischenziel zu 0,7 Prozent, näm-
lich 0,33 Prozent, erreichen. Wir sind die erste Bundesre-
gierung, die sich auf ein solches Zwischenziel verpflich-
tet hat. Alle anderen haben zwar das hehre Ziel vertreten,
aber ohne ein Datum zu nennen. Wir werden das Ziel er-
reichen. Das sind wir den Entwicklungsländern und den
Menschen, die ihre Hoffnung auf uns setzen, schuldig.
Ich bedanke mich sehr herzlich.