Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme
die letzte Äußerung des Verteidigungsministers gern auf.
Er appellierte an die größtmögliche Unterstützung der
Bundeswehr. Ich möchte an die Situation vor der Bundes-
tagswahl erinnern. Herr Minister, ich gehe davon aus,
dass die Sozialdemokratisierung der Führung der Bun-
deswehr aufhört. Ich gehe davon aus, dass Appelle nach
dem Motto „Sozialdemokraten für Schröder“, das Aussu-
chen des Personals nach Parteizugehörigkeit und ande-
res ein Ende haben.
Wir sollten uns miteinander bemühen, gemeinsam Politik
zu machen.
Sie haben gesagt, die Bundeswehr müsse ihren Beitrag
zur Konsolidierung des Haushalts leisten. Sie haben dann
aufgezählt, was aus Ihrer Sicht zurzeit verteidigungspoli-
tisch zu finanzieren ist. Sie wollen morgen eine Presse-
konferenz geben, auf der Sie das vorstellen, wovon Sie
glauben, dass es sich die Bundeswehr leisten kann. Ich
hoffe, dass da nichts anderes, nicht mehr als hier gesagt
wird; sonst müsste ich das als Affront gegen das Parla-
ment betrachten, das dann wieder einmal nicht vollstän-
dig unterrichtet worden wäre.
Wenn man sich die finanzielle Situation der Bundes-
wehr anschaut, dann kann es eigentlich nicht überra-
schend sein, was Sie morgen sagen. Ich will das Chaos an
der Spitze der Bundeswehr in den letzten vier Jahren – es
war insbesondere mit einem Namen verbunden – gar nicht
ins Gedächtnis rufen. Ich möchte vielmehr einfach nur an
die Tatsache erinnern, dass man seit Jahren sagt: Der Ver-
teidigungsetat ist ein Not- oder Übergangsetat. Es fehlt an
allen Ecken und Enden, um das zu tun, was erforderlich
ist.
Herr Minister, in Ihrer heutigen Rede hat mir ein Hin-
weis darauf gefehlt, dass wir nach dem 11. September
– man kann es gar nicht oft genug zitieren – eine andere
Bedrohungslage haben. Wir nennen das asymmetrische
Bedrohung. Das bedingt eine asymmetrische Kampf-
führung. Das bedeutet natürlich, dass es in bestimmten
Fähigkeitsbereichen – personelle Struktur, Führungs-
fähigkeit, Transport und Logistik, Reaktionszeit, aber
auch Schutz der Heimat – Veränderungen in der Bundes-
wehr gibt. Das heißt, wir brauchen eine Reform der Re-
form aus dem Jahre 2001, die noch von Scharping in Gang
gesetzt worden ist, eine Reform, die die neuen Bedingun-
gen berücksichtigt.
Dass Sie schon im Jahr 2001 nicht in der Lage waren,
im Haushalt befindliche Rüstungsprojekte zeitgerecht zu
realisieren, macht deutlich, dass es noch schwerer wird,
neue Aufgaben zu übernehmen, wenn man nicht bereit ist,
bei den alten Aufgaben eindeutig zu sagen, welche weg-
fallen sollen.
Ein Trauerspiel ist in diesem Zusammenhang das
Thema A400M.Wenn über Verteidigungspolitik gespro-
chen wird, wird weniger über den mutigen, tapferen Ein-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 949
satz der Soldaten, über ihre Motivation und Ähnliches ge-
sprochen, sondern über dieses oder jenes herausragende
Rüstungsprojekt. Wie war das beim A400M? Seit andert-
halb Jahren wird darüber diskutiert. Bevor der Etat nicht
rechtskräftig ist – das wird im Mai nächsten Jahres der
Fall sein –, können keine vertraglichen Bedingungen ge-
schaffen werden, die aber ausschlaggebend dafür sind, ob
1 Flugzeug, 40, 60 oder 73 Flugzeuge gekauft werden.
Das heißt, die ganze Hängepartie allein bei diesem Pro-
jekt hat sich dann über zwei Jahre hingezogen.
Auch bei anderen Projekten ist noch keine Entscheidung
gefallen. Wir bekommen heute von Ihnen einen Finanzsta-
tus vorgelegt, der im Grunde genommen Folgendes aussagt:
Wir haben bis einschließlich 2006 keinen Spielraum für ir-
gendein neues Projekt. Mittel dafür müssten an anderer
Stelle gestrichen werden, das heißt, wir müssten strecken,
kürzen oder bereits abgeschlossene Verträge ändern. Das
mag in manchen Fällen sinnvoll sein, insbesondere bei dem
einen oder anderen Projekt, das immer noch nicht abge-
schlossen wird. Was macht es eigentlich für einen Sinn, für
die Entwicklung von TornadosGeld auszugeben, wenn der
Eurofighter offensichtlich nicht in Gang kommt? Es wird
mehr Geld für die Entwicklung von Tornados als für die Fer-
tigstellung des Eurofighters ausgegeben.
Auch bei anderen Projekten muss man sich fragen, ob
eigentlich eine Kontrolle hinsichtlich der Realisierung der
Projekte stattfindet. Ich könnte als Beispiele die Drohne
Taifun und die Drohne KZO nennen, ich habe das
Thema A400M angesprochen, der Eurofighter flattert;
auch bei dem Unterstützungshubschrauber Tiger gibt
es offensichtlich Probleme bei der Fertigstellung. Aber es
sollen ständig neue Aufgaben angegangen werden.
Die Frage nach der neuen Struktur angesichts der ver-
änderten Sicherheitslage ist in Ihrer Rede meines Erach-
tens nur unzureichend beantwortet; das Gleiche gilt für die
Finanzierung der Reform.Der Gesamtetat, der heute auf
dem Papier 24,4 Milliarden Euro ausmacht, wird im Ver-
lauf der nächsten Jahre durch Gehaltssteigerungen, durch
die Inflationsrate, durch andere Anforderungen und vor al-
len Dingen durch eine neue globale Minderausgabe des Fi-
nanzministers reduziert werden. Im Haushalt steht eine
globale Minderausgabe von 1,5 Milliarden Euro. Davon
sind 200Millionen Euro – der Finanzminister mag das be-
streiten, aber in internen Papieren heißt das so – Kürzung
des Weihnachtsgelds – das betrifft auch die Berufssolda-
ten – und 1,3 Milliarden Euro weitere Kürzungen.
Das Finanzministerium hat vor, Ihnen eine weitere
Kürzung von 360 Millionen Euro aufzuerlegen. Diese
weitere Kürzung soll dadurch erbracht werden, dass die
Zahl der Wehrpflichtigen im nächsten Jahr um 30 000 re-
duziert wird. Da aber für das erste halbe Jahr inzwischen
alle einberufen sind, heißt das, sie müsste um 60 000
reduziert werden, um den Beitrag von 360Millionen Euro
zu erbringen. Das ist ganz eindeutig nicht zu schaffen.
Der Verteidigungsetat schrumpft dann unter 24 Milliar-
den Euro, und das offensichtlich auf nicht absehbare Zeit.
Nein, mit dem vorgelegten Regierungsentwurf und
dem, was zwischen den Zeilen steht, werden Sie Ihre Auf-
gaben nicht erledigen können.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der heute
immer wieder eine Rolle gespielt hat. Die Auftragslage,
die für die Bundeswehr von Bedeutung ist, spiegelt sich
bei den wehrtechnischen Betrieben wider. Wenn keine
Aufträge erteilt werden, haben sie keine Arbeit. Nun kom-
men viele von den Betrieben zu uns und sagen: Wenn ihr
wenigstens die Exportrichtlinien so harmonisieren wür-
det, dass wir den Franzosen, Engländern und anderen
Staaten innerhalb Europas gleichgestellt wären!
Das erinnert mich an das Thema Türkei, das wir heute
Morgen hier angesprochen haben. Die Grünen haben sich
ja wegen der Menschenrechte dagegen gewendet, dass
man den Leo II in die Türkei liefert.
Wenn Sie jetzt die Türkei in die EU aufnehmen, wird es
keine Gründe mehr geben, so etwas zu sagen. Sie verwei-
gern ja heute bereits die Lieferung von Nachtsichtgeräten
und Ersatzteilen für alles Mögliche, was bisher geliefert
worden ist. Überlegen Sie sich also, ob Ihre Position in
Bezug auf die Türkei wirklich in Ordnung ist.
Ich will als weiteren Punkt das Thema Privatisie-
rungserlöse ansprechen. Unter Scharping wurde unter
der Überschrift GEBB ein gewaltiger Popanz aufgebaut.
Das waren Luftblasen, Täuschungsmanöver.
Die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und
Betrieb hat bisher nur Geld gekostet – 65 Milliarden DM
oder rund 35 Milliarden Euro –, ohne dass etwas daraus
geworden ist.
– Bisher ist daraus nichts geworden. Die GEBB hat bisher
nur Geld gekostet.
Was macht denn die Informationstechnologie
„Herkules“?Die liegt doch neben der Spur. Da haben Sie
Geld verbrannt. Bis heute ist nichts passiert. Für die In-
formationstechnik der Bundeswehr sind Notansätze er-
forderlich.
Was ist denn aus dem Bekleidungsmanagement ge-
worden? Was ist denn aus dem Liegenschaftsmanage-
ment geworden? Was ist denn aus den anderen Geschich-
ten geworden? Wenn man sich überlegt, dass diese
Instrumente nur eingesetzt worden sind, um zusätzliches
Geld für die Beschaffung hereinzuspielen, das heute fehlt,
dann muss man sich die Frage stellen: Wie soll die Bun-
deswehr mit dem Etat überhaupt zurechtkommen?