Rede von
Angelika
Graf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Kollege Rudolf Bindig hat, wie ich meine, die In-
tentionen des Antrags „Menschenrechte als Leitlinie der
deutschen Politik“ sehr gut vorgestellt. Ich möchte mich
mit einem Teilaspekt dieses Antrags befassen und von den
Opfern von Menschenrechtsverletzungen sprechen.
Wir finden sie insbesondere bei den gesellschaftlich
Schwachen, die überall auf dieser Welt oft durch die Ma-
schen der sozialen Netze fallen. Es sind Behinderte, alte
Menschen, Kinder, Jugendliche und meistens auch
Frauen. In den letzten drei Tagen hat im Haus der Gesell-
schaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ, in Berlin
eine sehr interessante internationale Konferenz mit dem
Titel stattgefunden: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen
beenden – Menschenrechte stärken“. An ihr nahmen
178 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus einer Unzahl
von Ländern – genauer gesagt: 38 – teil. Sie kamen auch
aus den Niederlanden, dem Jemen, Jordanien und Kirgi-
sien. Diese Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.
Was verdeutlicht uns das? Die Menschenrechtsver-
letzungen an Frauen sind ein weltweites Problem. Man
findet sie in vielfältigen Formen in jedem Land, in jeder
kulturellen Umgebung, bei Arm und Reich, bei Analpha-
beten und bei Hochgebildeten. Sie sind leider ein Quer-
schnittsthema, welches in viele politische Themenberei-
che hineinreicht. Die Misshandlung von Frauen und ihre
systematische Vergewaltigung wird oft als Kriegsmittel
eingesetzt. Man geht davon aus, dass 80 Prozent aller
Flüchtlinge weltweit Frauen sind. Zwischen 20 und
50 Prozent aller Frauen sind Opfer häuslicher Gewalt.
Millionen von ihnen tragen ernste psychische und phy-
sische Schäden davon.
Darüber gibt es eine sehr interessante Untersuchung
der Inter-American Development Bank, die den daraus
entstehenden weltweiten sozioökonomischen Schaden zu
beziffern versucht. Ich meine, dass dies ein ganz be-
sonders interessanter Aspekt ist.
Besonders augenfällig wurden die schlimmen Men-
schenrechtsverletzungen an Frauen in der Diskussion
über Afghanistan im vergangenen Jahr. Ich freue mich,
dass die Bundesregierung auch weiterhin der wichtigen
Frage der Teilhabe der afghanischen Frauen in allen Be-
reichen des Lebens dadurch gerecht wird, dass seit einem
Jahr eine weibliche Diplomatin speziell für die Umset-
zung frauenpolitischer Belange nach Kabul entsandt wird.
Das ist auch dringend notwendig.
Ich habe am vergangenen Sonntag an der NGO-Be-
gleitkonferenz auf dem Petersberg teilgenommen. Dort
wurde allzu deutlich, dass die Afghaninnen eine starke
Lobby brauchen, um die Verankerung ihrer Rechte in der
neuen Verfassung zu gewährleisten. Frau Nickels hat das
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 945
auch schon angesprochen. Ich bin sicher, dass die Bun-
desregierung hierauf entsprechend Einfluss nehmen wird.
Afghanistan ist aber nur ein Punkt. Der Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat in den vergan-
genen vier Jahren viele Menschenrechtsverletzungen an
Frauen in den Blickwinkel der Öffentlichkeit gerückt.
Einige Schwerpunkte der Arbeit sind in dem Antrag bereits
angesprochen worden. Er ist insofern nicht so unkonkret,
wie Sie es dargestellt haben, Herr Kollege Eppelmann.
Dennoch möchte ich zwei dieser Schwerpunkte vertiefen.
Ich erinnere zum Beispiel an die Debatten, die wir in
den beiden vorigen Legislaturperioden zum Thema Geni-
talverstümmelung geführt haben. 130 Millionen Frauen
– interessanterweise aus nahezu allen Religionsgemein-
schaften – sind, vorwiegend in Afrika, davon betroffen.
Jährlich sind 2 Millionen Mädchen zwischen dem Klein-
kindalter und einem Alter von 20 bis 30 Jahren von der Ge-
nitalverstümmelung bedroht. Zum einen muss – das ge-
schieht auch relativ konkret – über den Haushalt des
Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Hilfe
und Aufklärung geleistet werden. Zum anderen muss ge-
währleistet sein, dass eine Migrantin, die sich dagegen
wehrt oder ihre Tochter vor diesem Schicksal bewahren
und deshalb nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren will
und kann, bei uns Schutz findet.
Ebenfalls unseres Schutzes und unserer Hilfe bedürfen
Frauen, die von skrupellosen Menschenhändlern vorwie-
gend zum Zweck der sexuellen Ausbeutung verschleppt
werden. Schätzungen sprechen von circa 500 000 Frauen
jährlich, die aus diesem Grund vorwiegend aus den ver-
armten und politisch instabilen Ländern des ehemaligen
Ostblocks nach Westeuropa verbracht werden. Mit dem
Grenzübertritt nehmen ihnen die Schlepper die Pässe ab
und machen sie damit rechtlos. In diesem Geschäft wird
in Europa mehr Geld verdient als im Drogenhandel.
La Strada, eine unter anderem in Polen tätige Hilfsor-
ganisation, berichtet, dass die jungen Frauen in Auktionen
regelrecht verkauft werden. Deutschland ist Ziel und
Transitland dieses Handels. Insbesondere vor dem Hin-
tergrund der Osterweiterung der EU ist es sehr be-
grüßenswert, dass die EU ein einheitliches Vorgehen der
EU-Länder gegenüber den Opfern und Tätern anstrebt.
Ich begrüße es – auch das sage ich an Herrn Eppelmann
gerichtet –, dass es mit finanzieller Unterstützung des Mi-
nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in
Deutschland seit einigen Jahren den bundesweiten Koor-
dinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an
Frauen im Migrationsprozess gibt, der die Legislative aus
Bund und Ländern, die Exekutive und die NGOs an einen
Tisch bringt, um wirksame Strategien gegen diese mo-
derne Form der Sklaverei zu entwickeln.
Der 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte.
Es ist schon mehrfach betont worden, dass wir uns sehr
darüber freuen, dass diese Debatte nicht wie früher ir-
gendwann in der Nacht stattfindet und dass wir die Mög-
lichkeit haben, im Verlauf der Diskussion über den Ein-
zelplan des Auswärtigen Amtes diese wichtigen Punkte
vorzutragen. Ich halte dies für sehr wichtig und richtig.
Denn wir machen damit deutlich, dass die Bundesregie-
rung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen den Men-
schenrechten einen politischen Schwerpunkt widmen.
Herr Außenminister Fischer hat dies bei der Vorstellung
des Einzelplans meiner Meinung nach sehr eindrucksvoll
unterstrichen.
Denn die beste Politik gegen Menschenrechtsverletzun-
gen ist die, die sozusagen präventiv darauf drängt, dass
wir in den Ländern, die unsere Partner sind oder es wer-
den wollen, in Bildung und Ausbildung, in freie Mei-
nungsäußerung und Teilhabe an politischen Entschei-
dungsfindungen investieren.
Wir müssen außerdem daran arbeiten – auch dies ist
nach meiner Meinung ein wichtiger Punkt –, dass nie-
mand, der Menschenrechtsverletzungen begeht, straffrei
ausgeht.
Bei all diesen Punkten erwarten wir Ihre Unterstüt-
zung, sehr verehrte Damen und Herren von der Opposi-
tion. Ich hoffe, dass wir uns darauf verlassen können.