Rede von
Rainer
Eppelmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Geschätzter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Auch wir finden es – gerade angesichts der zeit-
lichen Nähe zum Tag der Menschenrechte – gut, dass im
Rahmen der Haushaltsberatungen erstmals eine Men-
schenrechtsdebatte möglich ist. Das zeigt, dass die Men-
schenrechtspolitik bei uns eigentlich mitten in der Politik
steht. Dafür ein Dankeschön uns allen.
Dennoch besteht kein Anlass zur Selbstzufriedenheit.
Gerade in der Menschenrechtspolitik ist Glaubwürdig-
keit entscheidend. Ich gebe ehrlich zu: Mich beschleicht
immer wieder der Verdacht, dass das Thema Menschen-
rechte bei uns immer dann in die zweite Reihe gestellt
wird, sobald sich lukrative oder attraktive wirtschaftliche
Projekte abzeichnen oder sobald es übergeordnete politi-
sche Interessen gibt. Um an dieser Stelle nicht falsch ver-
standen zu werden, ist es mir wichtig, ausdrücklich zu sa-
gen: Das geht nicht in Richtung einer Partei, sondern aller
Parteien.
Nur ein Beispiel – es gäbe so manche Beispiele –: Kri-
tik an der katastrophalen Situation der Menschenrechte in
der Volksrepublik China wird nur in wohlfeilen Worten
geäußert. Der viel beschworene Rechtsstaatsdialog als
solcher hat nach meiner Kenntnis noch keine richtigen
Früchte getragen. Hier ist endlich Klartext geboten. Im-
merhin hat Amnesty International für das Jahr 2001 min-
destens 4 015 Todesurteile und 2 468 Hinrichtungen fest-
gestellt. Die Administrativhaft, das heißt Inhaftierung bis
zu drei Jahren ohne Gerichtsverfahren, wird beispiels-
weise im 6. Menschenrechtsbericht der Bundesrepublik
nicht einmal erwähnt.
An politischer Glaubwürdigkeit mangelt es auch im
Fall des Bürgerkriegs in Tschetschenien. An demselben
Tag, an dem der Ausschuss für Menschenrechte und hu-
manitäre Hilfe festgestellt hat, dass Abschiebungen von
Tschetschenen nach Russland aufgrund der dortigen Si-
tuation nicht möglich und verantwortbar sind, machte der
Bundeskanzler dem russischen Präsidenten Komplimente
für dessen Tschetschenienpolitik.
Die nach den Worten des Kanzlers guten Ansätze in der
russischen Tschetschenienpolitik kommentierte Oleg
Orlow von der russischen Menschenrechtsorganisation
Memorial mit den Worten – ich zitiere –:
Entweder ist Schröder ein Zyniker oder er zeichnet
sich durch Inkompetenz aus.
Selbstverständlich hat die Russische Föderation das
Recht, Terrorismus mit rechtsstaatlichen Mitteln zu
bekämpfen, und auch einen Anspruch auf unsere Solida-
rität nach der verbrecherischen Geiselnahme Ende Okto-
ber. Dennoch muss meiner Meinung nach alles vermieden
werden, was von Russland nur allzu gern als Blan-
koscheck für das militärische Vorgehen in der Kaukasus-
republik verstanden wird.
Noch immer gehören zum russischen Vorgehen in
Tschetschenien – es ist vorhin schon erwähnt worden –
942
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 943
Morde, Folter, Erpressung, Vergewaltigung und eine
plündernde Soldateska. Dies ist völlig unakzeptabel und
verlangt unser aller klaren Widerspruch;
denn der Weg von der Leisetreterei zur Komplizenschaft
ist nicht weit.
Erst am vergangenen Wochenende wurde die Leiterin ei-
ner örtlichen Verwaltung, die Menschenrechtsverletzun-
gen durch russische Streitkräfte kritisiert hatte, in ihrem
Haus überfallen und erschossen. Schon lange ist bekannt,
dass maskierte Sondereinsatztruppen nachts in Häuser
eindringen und Männer, Frauen und Kinder verprügeln.
Junge Männer werden verschleppt und kurze Zeit später
mit Foltermalen tot aufgefunden.
Damit mich keiner falsch versteht: Auch die tschet-
schenischen Rebellen sind für schwere Menschen-
rechtsverletzungen verantwortlich. Eine Talibanisierung
Tschetscheniens, für die es bereits nach dem ersten Tschet-
schenienkrieg zahlreiche Anzeichen gab, dient aber nicht
der Freiheit und der Selbstbestimmung des tschetscheni-
schen Volkes. Islamische Terroristen können keine poli-
tischen Partner sein. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob
angesichts der derzeitigen Zuspitzung des Konfliktes eine
politische Lösung ohne internationale Hilfe überhaupt
möglich ist. Auch Deutschland, Herr Außenminister,
sollte Russland sehr dazu drängen, Hilfe vonseiten des
Europarates, der OSZE und der Vereinten Nationen zu ak-
zeptieren.
Der Antrag der FDP beschreibt die Lage in dem Bür-
gerkriegsgebiet sehr anschaulich. Der Antrag, der heute
an die Ausschüsse überwiesen wird, findet daher unsere
volle Unterstützung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren verfol-
gen wir die Situation bei den Menschenrechten in Kuba
mit großer Besorgnis. Grundlegende Bürger- und Men-
schenrechte wie Versammlungs-, Meinungs- und Presse-
freiheit werden durch das Regime Fidel Castros massiv
unterdrückt. In den kubanischen Gefängnissen herrschen
katastrophale Zustände. Vor allem politische Gefangene
haben unter diesen Verhältnissen sehr zu leiden. Dem
blinden Bürgerrechtler Juan Carlos Gonzalez Leyva, Prä-
sident der kubanischen Menschenrechtsstiftung, droht
eine mehrjährige Haftstrafe. Anderen Berichten zufolge
soll er über das beantragte Strafmaß der Staatsanwalt-
schaft hinaus bereits zu neun Jahren Haft verurteilt wor-
den sein. Im Gefängnis wurde er von einem Beamten der
Staatssicherheit mit dem Tode bedroht.
Einem anderen politischen Gefangenen, Leonardo
Bruzon Avila, Vorsitzender der Bewegung 24. Februar,
geht es nach einem inzwischen zweimonatigen Hunger-
streik im Gefängnis äußerst schlecht. Es kursierten sogar
Gerüchte, er sei an den Folgen inzwischen gestorben. Er
beteiligte sich an dem Hungerstreik, um gegen seine an-
dauernde Verhaftung ohne Gerichtsverfahren zu protes-
tieren.
Doch vor den Unterdrückungsmaßnahmen des Re-
gimes werden im Ausland, leider auch immer wieder bei
uns, die Augen vielfach verschlossen. Ich verstehe das
nicht. Das intellektuelle Verhätscheln des Maximo Lider
hat offensichtlich Vorrang.
Heute hat meine Fraktion auch einen Antrag zur Tür-
kei eingebracht. Einiges ist dazu bereits gesagt worden.
Ich möchte jedoch vor allem noch anfügen, dass die Ein-
haltung der Menschen- und Minderheitenrechte in der
Türkei auch weiterhin eingefordert werden muss. Der
neue türkische Ministerpräsident Gül hat Mitte November
angekündigt, Ankara werde die Europäer in nächster Zeit
mit mutigen Reformschritten schocken. Einen solchen
Schock, vermute ich, erleiden wir gerne, wenn darunter
zum Beispiel folgende Sachverhalte fallen: dass die Tür-
kei das Zusatzprotokoll Nr. 6 der Europäischen Konven-
tion zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
über die Abschaffung der Todesstrafe unterschreibt; dass
die türkische Regierung dafür sorgt, dass christliche und
andere religiöse Minderheiten nicht länger diskriminiert
und schikaniert werden, was einschließt, dass ihnen ihr
Eigentum zurückgegeben wird; dass Ankara der Verleum-
dungskampagne gegen die deutschen politischen Stiftun-
gen, die seit August 2001 anhält, Einhalt gebietet und das
Verfahren des Staatssicherheitsgerichtes eingestellt wird.
Die Vorwürfe der Spionage und Geheimbündelei sowie
der Untergrabung des türkischen Nationalstaates gegen
die Vertreter der Stiftungen sind absurd und entbehren
jeglicher Grundlage.
Aus Veranstaltungen zu kurdischen Minderheitenrechten
den Vorwurf separatistischer Umtriebe zu konstruieren ist
grotesk. Die Anklage enthält keine Beweise. Die türkische
Regierung ist aufgerufen, die Ankündigung Erdogans von
der Nulltoleranz gegenüber Folter tatsächlich auch umzu-
setzen und das Problem der Straflosigkeit zu beseitigen.
Wir hätten uns sehr viel eindeutigere Bekenntnisse zur
Menschenrechtspolitik der neuen Bundesregierung ge-
wünscht. Die Aussagen des Koalitionsvertrages geben je-
denfalls in dieser Hinsicht außer einigen Allgemeinplät-
zen wenig her.
Wer sein politisches Programm so defensiv beschreibt,
von dem ist eigentlich kein prägnantes Handeln zu erwar-
ten. Die Forderung, den Europäischen Gerichtshof zu
Rainer Eppelmann
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Rainer Eppelmann
stärken und hierfür laut dem heute eingebrachten Antrag
der Koalitionsfraktionen „Menschenrechte als Leitlinie
der deutschen Politik“ die Finanzmittel zu erhöhen, deckt
sich keineswegs mit dem Haushaltsplan,
in dem der freiwillige Beitrag im Rahmen des Pflichtbei-
trages eben nicht erhöht, sondern auf dem Stand der
Jahre 2001 und 2002 belassen wird.
Als Zielsetzung zu formulieren – ich zitiere –, ein „be-
sonderes Augenmerk auf die Durchsetzung von Frauen-
rechten“ zu legen, ist ebenso vage wie die Ankündigung,
auf die „ausstehende Ratifizierung von menschenrecht-
lich relevanten Konventionen und Zusatzprotokollen so-
wie die Rücknahme von Vorbehalten in diesem Bereich
hinzuwirken“.