Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich nehme es zur Kenntnis und füge gleich hinzu:
Wenn es auf diese Weise klargestellt ist, bin ich froh.
– Das ist doch der Sinn. Ich habe ein Zitat vorliegen, das
ich aber nicht mit ans Rednerpult genommen habe.
Herr Kollege Struck, ich nehme das zur Kenntnis und
bin froh, wenn Sie klarstellen, dass Sie wie ich der Mei-
nung sind, dass die Verwendung dieses Begriffs im Zu-
sammenhang mit der NATO-Response-Force falsch ist.
Wenn Sie sagen, Sie haben ihn nicht verwendet, sondern
zurückgewiesen, ist das in Ordnung.
– Er hat mich aber gefragt, ob ich es zur Kenntnis nehme.
Ob ich es begrüße, ist nicht der entscheidende Punkt.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Art, in der Sie in
der Diskussion über die Irak-Politik die Vereinigten Staa-
ten von Amerika zum eigentlichen Risiko für eine friedli-
che Entwicklung machen, in Wahrheit dazu führen wird
– das kann ich Ihnen lange und ausführlich erläutern –,
dass wir eine echte Bedrohungsanalyse in Deutschland
nicht vornehmen. Als Folge davon treffen wir nicht hin-
reichend Vorsorge.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn eines Tages in unserem
Land wirklich eine Katastrophe ausbrechen würde, wäre
unsere Bevölkerung weniger vorbereitet als die Bevölke-
rung in anderen Ländern. Die panikartige Reaktion wäre
dadurch größer. Wer rechtzeitig eine realistische Bedro-
hungsanalyse vornimmt und Vorsorge leistet – hundert-
prozentige Sicherheit kann nie gewährleistet werden –,
wirkt der Panik eher entgegen und wird seiner Verant-
wortung gerecht. Darum geht es. Das ist der entschei-
dende Punkt. Davon lenken Sie ab.
Sie machen ein Zweites. Der britische Außenminister
Straw hat dieser Tage von einer Zwillingsbedrohung ge-
sprochen. Wir haben eben nicht nur den internationalen
Terrorismus, von dem der Außenminister immer gerne re-
det, sondern wir haben genauso die Gefahr, die aus der
Dr. Wolfgang Schäuble
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Wolfgang Schäuble
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen resultiert.
Die Verbindung beider Risiken, internationaler Terroris-
mus und Massenvernichtungswaffen, ist die eigentliche
Bedrohung im Jahre 2002 und vermutlich in absehbarer
Zukunft. Sie erfordert unseren Einsatz und unsere Betei-
ligung. Um diesen Punkt geht es.
Dazu müssen wir die entsprechenden Fähigkeiten
entwickeln. Die Bundeswehr bzw. die Bundesrepublik
Deutschland muss auch in der Lage sein, sich an Maßnah-
men zu beteiligen. Darum geht es. Das ist der entschei-
dende Punkt. Von dem lenken Sie ab; dem weichen Sie aus.
Hinzu kommt das andere. Natürlich versuchen Sie in-
zwischen nahezu verzweifelt, gegenüber Ihren Partnern in
Europa, bei den Vereinten Nationen und bei der NATO
aus der Isolierung, in die Sie nach Auffassung aller gera-
ten sind und in die Sie Deutschland selbst hineingeführt
haben, herauszukommen. Dieser Weg wird für uns teuer.
Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele.
Dolmetscher hin oder her: Der schnelle deutsch-fran-
zösische Agrarkompromiss war in Wahrheit kein Kom-
promiss, sondern die Übernahme der französischen Posi-
tion in dieser Frage. Als das bekannt geworden ist, war der
Dolmetscher schuld, obwohl es der Bundeskanzler war,
der es nicht begriffen hat. Der Grund, aus dem Sie es ge-
macht haben, ist völlig einsichtig: Sie wollten wenigstens
in einer anderen Frage aus der Isolierung herauskommen.
Zu der Panzerpanne im Zusammenhang mit der israe-
lischen Anfrage haben Sie in Ihrer Rede eben auch kein
Wort gesagt. Es ist doch kein Zufall, dass man – weil man
nun gar nicht genug Anfragen positiv bescheinigen kann,
um zu zeigen, dass man gar nicht so unzuverlässig ist, wie
man den Eindruck erweckt hat – aufgrund eines Fax, von
dem es hinterher hieß, es sei nicht einmal leserlich gewe-
sen, in der Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden und
in der Pressekonferenz gesagt hat, die Anfrage sei positiv
beschieden und den ABC-Spürpanzer „Fuchs“ liefere
man auch nach Israel. Hinterher hat man festgestellt, dass
die Israelis gar keine ABC-Spürpanzer, sondern Trans-
portpanzer haben wollen. Die Entscheidungen über Waf-
fen- und Rüstungsgüterexporte werden von der Bundes-
regierung normalerweise etwas sorgfältiger vorbereitet,
und man verkündet nicht aufgrund von Faxen, von denen
man hinterher sagt, sie seien nicht einmal leserlich gewe-
sen, eine positive Entscheidung .
Jetzt wird die Sache aber noch schlimmer.
– Wir überhaupt nicht. Ich sage Ihnen gleich unsere Posi-
tion dazu. Sie haben kein Wort dazu gesagt, obwohl Sie
als Außenminister eine Grundsatzerklärung zur Außenpo-
litik hätten abgeben sollen.
Unsere Position ist völlig klar. Wir haben eine beson-
dere Verantwortung für Israel. Darin haben wir die Politik
der Bundesregierung immer unterstützt. Wir haben ein be-
sonderes Interesse daran, Frieden und Stabilität im Nahen
Osten wie und wo immer möglich zu fördern. Wir haben
die Politik der Bundesregierung unterstützt, in der Quar-
tettlösung – Europäische Union, Vereinte Nationen, Ame-
rika und Russland – gemeinsam dafür zu wirken, dass Frie-
den und Stabilität zwischen den Konfliktparteien Israel
und Palästina eintreten.
Ich sage Ihnen: Die Frage des Exports von Transport-
panzern nach Israel kann man nicht losgelöst von den po-
litischen Bemühungen um die Stabilität im Raum Israel
und Palästina beantworten. Deswegen ist es verantwor-
tungslos, dass Sie uns in Deutschland durch eine wirklich
abenteuerlich oberflächliche Politik eine solche Debatte
eingebracht haben, anstatt als Außenminister zu sagen,
die Politik der Europäischen Union und die Politik der
Bundesregierung in Bezug auf Israel und Palästina ist so
und so und in diesen Rahmen fügt sich die Entscheidung
für die Lieferung von Transportpanzern „Fuchs“ an Israel
ein. Das wäre eine verantwortliche Politik. Das andere ist
Larifari und wird dem Ernst der Lage nicht gerecht. Das
ist der Unterschied.
Wie ich schon sagte, haben Sie zu Afghanistan kein
Wort gesagt.
– Entschuldigung, die eigentlich anstehende Frage ist:
Was ist mit der Ausdehnung der Sicherheitspräsenz in Re-
gionen außerhalb Kabuls?
– Gut. Über das andere haben Sie nicht gesprochen.
Herr Kollege Fischer, es ist ja ein bemerkenswertes
Eingeständnis, dass man dem Außenminister vorher die
Fragen sagen muss, auf die er, wenn er eine Grundsatzer-
klärung zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutsch-
land abgibt, antworten will. Ich finde es sehr bemerkens-
wert, dass Sie dazu nichts gesagt haben; denn das sind die
Fragen, die anstehen. Ich frage noch einmal: Welches
wird die Haltung der Bundesregierung nach dem 8. De-
zember sein, wenn der Bericht des Irak an die Vereinten
Nationen über die Massenvernichtungswaffen, die er hat
aber nicht haben darf – wie vollständig und wahrheits-
gemäß er auch immer sein mag – vorliegt?
Sie haben – daran besteht doch überhaupt kein Zwei-
fel – Ihre Position in der Türkeifrage, was den europä-
ischen Gipfel betrifft, auf amerikanisches Drängen als
Folge dieser unseligen Entwicklung in den letzten Mona-
ten verändert bzw. weiterentwickelt. Sie haben unseren
Antrag offensichtlich gar nicht gelesen.
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Sie haben ihn abgelehnt, ohne ihn gelesen zu haben.
Unsere Meinung ist völlig klar. Ich glaube, sie ist auch die
richtige. Ich hatte die Hoffnung, auch die Bundesregie-
rung könnte diesen Weg gehen.
Es geht um die Frage, ob die Türkei bei dem, was wir
uns als Ziel unter der EU vorstellen, Vollmitglied der Eu-
ropäischen Union werden soll. Gelegentlich haben Sie
Reden über die Finalität der Europäischen Union gehal-
ten. Das alles ist gerade in Fluss. Es nützt gar nichts, da-
rauf hinzuweisen – das habe ich selber schon gesagt –,
dass seit den 60er-Jahren die Europäer der Türkei die Per-
spektive einer Vollmitgliedschaft angeboten haben.
Dieser Prozess darf auch nicht einseitig sein. Das alles
ist wahr. Die Frage ist: Welche politische Identität soll die
Europäische Union – daran arbeitet gerade der Europä-
ische Konvent – haben? Passt das überhaupt zu einer
vollen Mitgliedschaft der Türkei? Passt dazu überhaupt
die Mitgliedschaft von Ländern, die teilweise zu Europa
gehören, teilweise aber auch nicht, zum Beispiel Länder
wie Russland? Wäre es nicht klüger, für solche Länder
eine eigene Form institutioneller Zugehörigkeit zu
Europa zu entwickeln? Das sind doch nicht Fragen, die
man zu Wahlkampfzwecken entwickelt. Es geht um die
Grundfrage, ob die Europäische Union überhaupt eine po-
litische Union mit einer eigenen politischen Identität wer-
den kann oder ob dieser Prozess scheitert. Diese Frage
stellen viele – bis hin zum Präsidenten der Europäischen
Kommission.
Im Übrigen habe ich hier ein Zitat über Herrn Verheugen,
dem für die Erweiterungsverhandlungen zuständigen Kom-
missar, der sich auf einer Konferenz übereinstimmendmit
dem von Ihnen so geschätzten Herrn Koch geäußert hat:
Herr Verheugen schlug die Begründung eines beson-
deren Nachbarschaftsverhältnisses zu den Türken
vor, einen Vertrag, der auch für andere Nachbarn der
EU bedeutsam werden könnte, beispielsweise die
Ukraine und Russland.
Das genau ist unsere Position, wobei wir in unserem
Antrag, den sie gerade abgelehnt haben, sagen: Lasst uns
dies doch mit der Türkei offen und freundschaftlich bere-
den. Wir haben jedes Interesse an einer positiven Ent-
wicklung der Türkei. Das ist überhaupt keine Frage, wir
unterstützen das. Lasst uns gemeinsam darüber reden!
Lasst uns deswegen beim Europäischen Rat – jetzt in
Kopenhagen, später oder wann immer ein neuer Schritt ge-
genüber der Türkei getan wird – diesen Schritt nicht auf die
Perspektive der vollen Mitgliedschaft in der EU beschrän-
ken! Man könnte alternativ auch eine privilegierte Part-
nerschaft oder einen Nachbarschaftsvertrag mit der Türkei
einvernehmlich verhandeln, damit wir jetzt nicht Ent-
scheidungen treffen, die wir in der Europäischen Union
wie in der Türkei besser erst dann treffen, wenn wir wis-
sen, wohin die Reise auch im Europäischen Konvent geht.
Es ist übrigens in Europa hoch spannend: In der euro-
päischen Debatte sind alle diejenigen für eine uneinge-
schränkte Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen
Union, die gegen ein politisch integriertes Europa sind.
Diejenigen, die für ein starkes, politisch integriertes
Europa sind, haben in fast allen Ländern Bedenken gegen
eine grenzenlose Europäische Union. Das eine und das
andere vertragen sich nicht miteinander. Eine verantwort-
liche Politik würde uns nicht weiter auf dem Weg in die
Isolierung, in eine Falle führen und Erwartungen schüren,
die man hinterher nicht erfüllen kann. Das ist keine ehr-
liche Politik. Darum geht es.
Deswegen noch die eine Bemerkung zu den institutio-
nellen Debatten. Das ist nicht das Thema von Kopenha-
gen. Wir haben gestern im Europaausschuss kurz darüber
gesprochen. Herr Bundesaußenminister, ich rate Ihnen
sehr, auch in den Gesprächen heute Abend mit dem fran-
zösischen Staatspräsidenten und dem Außenminister ne-
ben all den anderen Punkten, um die es am Rande von Ko-
penhagen und im Europäischen Konvent geht, in der
institutionellen Frage den Vorschlag, den wir in der Euro-
päischen Volkspartei entwickelt haben, sehr intensiv zu
beraten. Es geht darum, dass wir für den Kommissions-
präsidenten und den Ratspräsidenten – wenn es denn einen
Ratspräsidenten mit einer längerfristigen Amtszeit geben
soll – eine gemeinsame Lösung entwickeln. Dieser ge-
meinsame Präsident – in der Sprache der Diplomaten wird
der Begriff „Doppelhut“ verwandt – wird von Parlament
und Rat gemeinsam gewählt. Genauer: Der Rat schlägt vor
und das Parlament muss ihn wählen. Jedenfalls müssen
beide bei der Wahl des Präsidenten mitwirken.
Wir hätten so – bei Schaffung des Amtes eines ständi-
gen Präsidenten – nicht nur eine Schwächung der Kom-
mission vermieden, sondern wir hätten auch institutionell
eine stärkere Verknüpfung der beiden Bereiche geschaf-
fen, aus denen europäische Politik noch lange besteht,
nämlich der Zusammenarbeit von Regierungen, der so ge-
nannten intergouvernementalen Zusammenarbeit, und der
kommunitären Zusammenarbeit in den institutionellen
Bereichen von Parlament, Kommission und Rat.
Deswegen werbe ich dafür, dass man diesen Vorschlag
macht und dass man sich dafür einsetzt. Man darf es nicht
auf diesen Showdown hinauslaufen lassen, der dann fol-
gendermaßen aussieht: Im Konvent gibt es eine Mehrheit
für einen Kommissionspräsidenten. Im Rat gibt es am
Ende eine Mehrheit für einen Ratspräsidenten. Am
Schluss schließt man den Kompromiss, dass man das eine
und das andere macht, und wir bekommen wieder keine
klare institutionelle Entscheidung. Das eine hängt mit
dem anderen – auch mit der Türkei-Debatte – entschei-
dend zusammen.
Letzten Endes geht es darum: Wenn wir in diesem Jahr-
hundert voller Chancen, aber auch voller Veränderungen
und Gefahren, unserer außen- und sicherheitspolitischen
Verantwortung gerecht werden wollen, brauchen wir ein
starkes, handlungsfähiges, politisch einiges Europa, ein
von den Menschen getragenes Europa. Deswegen ist es
so entscheidend, dass sich die Menschen diesem Europa
zugehörig fühlen und dass sie eine europäische Identität
haben.
Wenn wir ein starkes und politisch handlungsfähiges
Europa wollen, brauchen wir ein verlässliches Deutsch-
land. Ohne ein verlässliches und berechenbares Deutsch-
land geht es nicht. Wir brauchen kein Deutschland, das eine
Politik betreibt wie in den letzten Monaten, wodurch
Europa gelähmt wird. Sie haben mit diesem Wahlkampf
nicht nur das deutsch-amerikanische Verhältnis geschädigt,
Dr. Wolfgang Schäuble
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Wolfgang Schäuble
sondern Sie haben Europa in zentralen Fragen der Welt-
politik handlungsunfähig gemacht.
Ein verlässliches Deutschland braucht eine Regierung,
die einen klaren Kurs fährt
und die wieder zu Wahrheit und Klarheit zurückfindet.
Herzlichen Dank.