Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin gern bereit, in Zukunft hinzuzufügen: Es war ei-
nes der Stoiber-üblichen Versehen. Wenn Sie das wollen,
mache ich das gern. Ich nehme aber an, er wusste wieder
einmal nicht, wovon er gesprochen hat. Das wird es wahr-
scheinlich gewesen sein.
Sie lachen.
Sie sehen das ja genauso. Das ist ja noch viel schlimmer.
Er wusste nicht, wovon er redet, und deswegen hat Herr
Spreng, der für den Wahlkampf zuständig war, das wieder
Bundesminister Joseph Fischer
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Bundesminister Joseph Fischer
eingesammelt. Und dieser Herr Stoiber wollte Bundes-
kanzler werden. Wie gut, dass er bayrischer Ministerprä-
sident geblieben ist. Es ist doch einfach abwegig.
Wir haben in der Irak-Frage eine andere Auffassung
– bis heute konnten Sie mir nicht erklären, was wirklich
Ihre Position ist – als Teile der amerikanischen Regierung
und des amerikanischen Kongresses. Ich habe Ihnen die
Begründung dafür schon oft genannt. Entscheidend ist die
Frage: Sind die USA wirklich zu Militäraktionen gegen
Saddam Hussein bereit? Unsere Position ist eindeutig. Wir
haben vor den Wahlen gesagt: Wir werden uns an einer
Militäraktion nicht beteiligen, wir werden uns nicht mit
Soldaten beteiligen. – Wir sagen das auch nach den Wah-
len. Die Gründe haben sich für mich nicht geändert – das
habe ich sowohl in Washington als auch amerikanischen
Besuchern hier in Berlin immer wieder gesagt –, weil für
mich das regionale Risiko das entscheidende Problem ist
und bleibt. Die entscheidende Frage ist, ob eine solche Ak-
tion uns tatsächlich im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus – den sehe ich als die Hauptherausforderung
und als die Hauptgefahr an – stärken oder schwächen wird.
Unsere große Sorge ist, dass sie uns schwächt, und das
macht unsere Ablehnung aus. Mir muss einmal einer sa-
gen, was daran antiamerikanisch ist.
Das ist auch vor dem Hintergrund unserer Entscheidun-
gen zum Kampf gegen den Terrorismus nach dem 11. Sep-
tember zu sehen, wo wir nichts, aber auch wirklich nichts
zurückzunehmen haben, wo wir aufgrund unserer Leis-
tungen auf dem Balkan voll in der Solidarität und zu un-
serer Verpflichtung stehen.
Nein, wir haben offensichtlich eine andere Vorstellung
von Bündnis, so wie das gestern auch schon Jean-Claude
Juncker in einer Diskussion in Brüssel gesagt hat. Ein
Bündnis bedeutet nicht, dass man immer Ja und Amen
sagt, sondern wenn man unterschiedlicher Meinung ist,
muss man diese unterschiedliche Meinung unter Demo-
kraten und Demokratien offen austragen,
auch wenn das bisweilen unbequemer ist, als immer Ja
und Amen zu sagen. Aber ich unterstelle Ihnen nicht ein-
mal, dass Sie das wirklich meinen, sondern Sie versuchen,
wider besseres Wissen mit „Antiamerikanismus“ einen
innenpolitischen Kampfbegriff zu setzen. Das ist doch die
eigentliche Intention.
Dazu sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: bedauer-
licherweise.
Nehmen Sie das Beispiel Türkei.Es ist doch nicht wahr,
dass wir hier Entscheidungen treffen, um irgendjemandem
einen Gefallen zu tun. Herr Glos hat sich heute Morgen
aufgeregt, als ich angeblich wieder arrogant gelacht habe,
weil er sagte, die Amerikaner würden mit uns nicht spre-
chen. Gestern Nacht habe ich noch mit Colin Powell über
diese Frage gesprochen. Ich habe ihm noch einmal gesagt:
Zur Türkei wird es keine Entscheidung geben, die nicht
unserer Interessenlage und der Interessenlage der europä-
ischen Integration entspricht. Ich habe das in den USAge-
nauso gesagt. Es wird keine Entscheidung geben unter
dem Gesichtspunkt: Beim Irak sind wir euch auf die Füße
getreten, deswegen wollen wir wieder schönes Wetter
machen. Nein, das wird es mit uns nicht geben. Ich kann
Ihnen als überzeugter Europäer auch sagen, warum: Weil
das nicht tragen würde. Eine Entscheidung über ein Zu-
sammengehen in der Union lässt sich nicht mit einem Ge-
fallen gegenüber einem Dritten begründen, sondern eine
solche Entscheidung muss aus sich selbst heraus begrün-
det werden.
Allerdings sage ich Ihnen: Seit dem 11. September ist
die Frage der Ostgrenze der Europäischen Union anders zu
betrachten als vorher – das müssen wir doch realisieren –
und die strategische Bedrohung unserer Sicherheit wird im
Wesentlichen aus diesem Raum kommen. Das heißt aber
auch: Wir Europäer werden uns dort in einem ganz anderen
Maße zu engagieren haben, und zwar nicht vor allen Din-
gen militärisch, denn diese Gefahren sind nicht vornehm-
lich mit militärischen Mitteln zu bekämpfen. Die entschei-
dende Frage wird sein, Kollege Schäuble: Gibt es ein
großes islamisches Land, das den Weg zu einer erfolgrei-
chen Modernisierung unter rechtsstaatlichen und markt-
wirtschaftlichen Bedingungen gehen kann, ja oder nein?
Wenn das der Türkei gelingt, wird das der wichtigste Er-
folg im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
sein, wichtiger als das, was wir im Zusammenhang mit
dem Militäretat und mit anderen Dingen diskutieren.
Ich kann Ihnen heute nicht sagen, ob die Türkei jemals
diesen Weg erfolgreich zu Ende geht. Ich kann Ihnen aber
sagen: Wenn wir Ihren Antrag heute beschließen würden,
wäre dies ein Beitrag zu einer weiteren Stärkung der Un-
sicherheit, weil das hieße, der Türkei die Tür, die Sie auf-
gemacht haben – ich meine nicht Sie persönlich, sondern
den politischen Hintergrund –, vor der Nase zuzuschlagen.
In internen Gesprächen fragen türkische Gesprächspart-
ner immer eines: Wenn wir nicht zu Europa gehören, wo-
hin gehören wir denn dann? Sie wissen doch so gut wie
ich, dass die Nationalisten und die radikalen Islamisten
mit einer ablehnenden Haltung rechnen. Damit ich nicht
missverstanden werde, weise ich darauf hin, dass all das
keine zureichenden Gründe für eine Vollmitgliedschaft
sind. Deswegen müssen wir auf der Grundlage der Konti-
nuität eine vernünftige Politik machen.
Als Sie noch in der Regierung waren, waren auch Sie für
Kontinuität. Damit komme ich auf den Untersuchungs-
ausschuss zu sprechen. Er wird ein weites Feld zu bear-
beiten haben und jahrelang tagen müssen. Mit der Wahrheit
in der Politik und der Union ist es wie mit dem Hund und
der Wurst; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
Herr Koch ist doch die Fleisch gewordene Glaubwürdig-
keit dieser Politik.
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Es gibt das Beispiel von Pinocchio, dessen Nase
wächst, wenn er lügt. Manch einem von uns, insbesondere
Ihnen, Herr Glos, wäre die Nase da schon sehr lang ge-
worden. Herr Koch würde aber aussehen wie Laokoon; so
lang wäre seine Nase mittlerweile.
Das wissen auch Sie. Ich bedaure, dass ich als Außen-
minister nicht in diesen Ausschuss kann. Er verspricht
nämlich sehr viel Heiterkeit, ist dem Ernst der Lage aller-
dings nicht angemessen.
Als Sie die Regierung gestellt haben, waren Ihre Äuße-
rungen überaus vernünftig: Wir müssen die Tür für die
Türkei offen halten. Wenn die Türkei die Kopenhagener
Kriterien erfüllt – das wollen wir erreichen, weil das Mo-
dernisierung, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen-
rechte und Europäisierung hieße –, haben wir einen
großen Schritt nach vorne gemacht. Der Prozess kann
jetzt nicht abgebrochen werden. Ich hoffe, dass wir hier
eine richtige und weise Entscheidung treffen werden.
Auf dem Gipfel von Kopenhagen stehen wir vor einer
historischen Entscheidung, nämlich der Entscheidung, dass
sich die Europäische Union von einer westeuropäischen
Union zu einer gesamteuropäischen Union entwickelt. Das
werden wir nur leisten können, wenn wir die Verfassung zu
einer wirklichen Grundlage für ein politisches Europa wei-
terentwickeln. Diesem Ziel fühlt sich die Bundesregierung
verpflichtet. Wir arbeiten aufs Engste mit unseren französi-
schen und anderen Partnern in der Europäischen Union und
im transatlantischen Verhältnis zusammen.
Herr Schäuble, ich kann Ihnen nur sagen: Ein Besuch
in Kabul kann zu neuen Erkenntnissen führen, obwohl
wir noch gar nicht die Lead Nation sind. Aber zu meinen,
wir wären isoliert und würden unseren Beitrag nicht leis-
ten – unsere Soldaten leisten dort eine hervorragende, ri-
sikoreiche und gefahrvolle Arbeit –, ist falsch.
Ich hoffe, dass wir alle den Soldaten bei der Verlänge-
rung des ISAF-Mandats den Rücken stärken. Ich kann nur
darauf hinweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland
zum Gelingen ganz entscheidend beiträgt. Vieles ruht be-
reits auf unseren Schultern. Hier von Isolierung oder Anti-
amerikanismus zu sprechen ist Wahlkampf in Hessen und
Niedersachsen, hat mit der Sache aber nichts zu tun.