Rede von
Bernhard
Kaster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zu Beginn der Abschlussrede in der Haushaltsdebatte
zum Kanzleretat möchte ich eine kleine Vorbemerkung
machen. Es ist erst wenige Wochen her, da oblag es mir
als Bürgermeister, selber einen Haushaltsplanentwurf ein-
zubringen und zu beraten. Nach Sichtung des heute vor-
liegenden Zahlenwerkes des Haushaltsplanentwurfes
2003 des Bundes – ich beziehe das aber auch auf den
Nachtragshaushalt 2002 – und nachdem ich die finanz-
und wirtschaftspolitischen Debatten der letzten Wochen
erlebt habe, stelle ich ernüchtert fest, dass ein solch unse-
riöser, geschönter und im Hinblick auf die Investitions-
quote und die Nettoneuverschuldung gesetzwidriger
Haushalt auf einer kommunalen Ebene unmöglich wäre.
Meine Damen und Herren, ein solches Zahlenwerk und
vor allem die Vorgehensweise würde man keinem Bür-
germeister, auch keinem sozialdemokratischen Bürger-
meister, im Lande durchgehen lassen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein paar sti-
listische Dinge verweisen, die ich in den letzten Wochen
hier erlebt habe. Am 13. November trat der Bundesfinanz-
minister vor die Presse und leistete dort mit der Erklärung
über das gestörte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht
im Prinzip den finanzpolitischen Offenbarungseid für un-
ser Land.
Und womit mussten wir uns zur gleichen Zeit im Haus-
haltsausschuss auseinander setzen? – Mit zusätzlichen
Staatssekretärsstellen. Auch das sollte einmal gesagt wer-
den. Es steht ja auch schon im Internet.
Angesichts der gesamten Haushaltsdiskussion fand ich
das unglaublich. Lassen Sie mich Folgendes noch bemer-
ken: Eine Staatssekretärsstelle wurde mit der Begründung
„Ganztagsschule“ eingebracht. Die Ganztagsschule muss
in der Diskussion inzwischen wirklich für alles herhalten.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch auf ein paar
Formulierungskünste im Finanzbericht eingehen, die sich
auf den Nachtragshaushalt 2002 und den Haushaltsplan
2003 beziehen. Dass wir am Rande einer Rezession stehen,
formulieren Sie mit den Worten „konjunkturelle Schwäche-
phase“. Meine Damen und Herren, ich kenne aus meinem
Wahlkreisbüro viele Arbeitnehmer, die von den 40000 Plei-
ten, die wir in diesem Jahr haben, betroffen sind. Die For-
mulierung „konjunkturelle Schwächephase“ müssen diese
Menschen als eine Verhöhnung verstehen.
Eine weitere Formulierung betrifft die Ausgangslage
des Bundeshaushaltes 2003, und zwar die Aussage, dass
erwartet wird, dass die Binnennachfrage an Dynamik ge-
winnt. So gut, so schön. Das wünschen wir uns ja. An-
schließend folgt der begründende Satz:
918
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 919
Vor allem dürfte sich der Privatverbrauch auf Grund
der im Vergleich zu den Vorjahren etwas höheren
Lohnsteigerungen wieder verstärken.
Meine Damen und Herren, wo bleibt hier die Serio-
sität? Wie viele Tarifrunden sind eigentlich notwendig,
um die zusätzlichen Belastungen der Arbeitnehmer durch
erhöhte Steuern und Abgaben zu kompensieren, damit sie
mehr Mittel in ihren Händen haben, um auch mehr zu
konsumieren?
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um
Schwarzmalerei oder, wie Sie uns immer vorwerfen, um
Miesmacherei, nein, es geht darum, dass wir wieder über
die Lebenswirklichkeit in unserem Land sprechen müssen.
In den vergangenen Wochen waren die meisten von uns
in ihren Wahlkreisen. Mancher Debattenbeitrag heute
und auch gestern aus den Reihen der Regierungskoalition
lässt mich allerdings daran zweifeln. Sprechen Sie bitte
nicht nur mit Konzernmanagern und Gewerkschaftsvor-
sitzenden, sprechen Sie bitte auch mit den Einzelhändlern
in Ihrer Stadt, mit den Bauhandwerkern in Ihrer Ge-
meinde, sprechen Sie mit den Arbeitnehmern und den Be-
triebsräten vor Ort, sprechen Sie mit den Familien, spre-
chen Sie mit Landwirten und Winzern. Fragen muss man
dann, wie zum Beispiel die Konsumbereitschaft bei über
40 Steuererhöhungen noch gefördert werden soll. Spre-
chen Sie mit dem Einzelhändler, der jetzt zwingend auf
ein gutes Weihnachtsgeschäft angewiesen ist, um über-
haupt noch zu überleben. Fragen Sie in Handwerksbetrie-
ben oder auch Ingenieurbüros und Architekten, was sie
von der Kürzung der Eigenheimzulage halten.
Ich habe einen mittelständischen Unternehmer mit
etwa 500 Beschäftigten gefragt, was er sich am meisten
von der Politik wünscht. Seine Antwort war schlicht:
„Lasst mich bitte in Ruhe. Lasst mich Unternehmer sein.
Lasst nicht zu, dass immer weitere bürokratische Stran-
gulierungen und steuerliche Erschwernisse hinzukom-
men.“
Die Antwort der Regierungskoalition kennen wir. Die
neueste besteht in dem so genannten Steuervergünsti-
gungsabbaugesetz, ein Sammelsurium steuerlicher Mehr-
belastungen, von den anderen Regelungen, die bereits in
den vergangenen Wochen beschlossen worden sind, ganz
zu schweigen.
Lebenswirklichkeit vor Ort – darüber muss gerade in
der Generaldebatte über den Etat des Bundeskanzlers ge-
sprochen werden –, das ist das Leben der Menschen in un-
seren Städten und Gemeinden. Wir können den Bundes-
haushalt nicht isoliert als eine eigene Ebene betrachten.
Wir müssen die Auswirkungen auf allen Ebenen in Be-
tracht ziehen.
Die rot-grüne Finanz- und Haushaltspolitik hat unsere
Städte und Gemeinden in die schlimmste Finanzkrise
seit Bestehen der Bundesrepublik geführt. Das ist so nach
den Aussagen aller kommunalen Spitzenverbände. Das ist
nicht nur eine Aussage der Opposition.
Der Arbeitskreis „Steuerschätzung“ musste für das ver-
gangene Jahr bereits ein Minus von 5,4 Milliarden Euro
bei den kommunalen Steuereinnahmen verzeichnen. In
diesem Jahr kamen weitere 4,1 Milliarden Euro Steuer-
mindereinnahmen hinzu. Das heißt, die wahren Verlierer
der Steuereinbrüche sind unsere Gemeinden.
Damit trifft es auch die Bürger unmittelbar. Wir spre-
chen sehr oft über die Betroffenheit der Bürger durch man-
ches Gesetz und manche Abgabe aufgrund der Beschlüsse
in den letzten Wochen. Auch diese Seiten muss man bei
den Auswirkungen vor Ort sehen. Besonders dramatisch
ist dabei die Situation in unseren Städten. Das ist von Mün-
chen bis Flensburg und von Trier bis Chemnitz so.
Das spüren die Menschen unmittelbar. Berührt sind
unsere Schulen, unsere Kindergärten, Kultur- und Bil-
dungseinrichtungen, Sport-, Vereins- und Ehrenamtsför-
derung, die Feuerwehren, freiwillige Jugendpolitik und
Seniorenarbeit. Das werden Ihnen alle, die in der kom-
munalen Politik vor Ort tätig sind, bestätigen können.
Diese Auswirkungen haben sehr wohl etwas mit Bundes-
politik zu tun.
Sie haben sich, um ein Beispiel zu nennen, durch die
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage um 10 Prozent auf
jetzt fast 30 Prozent zugunsten von Bund und Ländern zu
Unrecht bei den Kommunen bedient. Sie haben uns heute
und gestern oft nach den Alternativen gefragt. Wir haben
eine Alternative angeboten. Bitte folgen Sie unserer Ge-
setzesinitiative und machen Sie diesen unsinnigen Schritt
rückgängig. Dann würden den Kommunen wieder
2,3 Milliarden Euro für Investitionstätigkeit, die dringend
notwendig ist, zur Verfügung stehen.
Wir brauchen eine Gemeindefinanzreform, die diesen
Namen wirklich verdient. Dass die mehrfach angekün-
digte Gemeindefinanzreform im Bundesfinanzministe-
rium gestrickt werden soll, muss von den Kommunen
wirklich als Bedrohung empfunden werden. Dass Bun-
desminister Eichel gestern in diesem Haus gesagt hat, es
dürfe in keinem Fall zu Verschiebungen bei den Lasten
kommen, bestätigt diese Befürchtung.
Lassen Sie mich als Haushälter noch ganz kurz einen
Blick auf den Etat des Bundeskanzlers werfen.