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ID1501301800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 871 A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003 (Haushaltsgesetz 2003) (Drucksache 15/150) . . . . . . . . . . . . . . 871 B b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 (Nach- tragshaushaltsgesetz 2002) (Drucksache 15/149) . . . . . . . . . . . . . . 871 B c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Fi- nanzwirtschaft des Bundes (Drucksache 15/151) . . . . . . . . . . . . . . 871 B Einzelplan 04 in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag des Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble und der Fraktion der CDU/CSU: Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei (Drucksache 15/126) . . . . . . . . . . . . . . . . 871 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 871 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 876 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . 886 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . 889 D Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 A Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 896 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 905 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . 908 D Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 910 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 913 A Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 913 D Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915 B Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 916 B Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . 917 C Bernhard Kaster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 918 B Einzelplan 05 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 3: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Menschenrechte als Leitlinie der deutschen Politik (Drucksache 15/136) . . . . . . . . . . . . . . 920 B Plenarprotokoll 15/13 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 13. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 I n h a l t : b) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nicht vergessen (Drucksache 15/64) . . . . . . . . . . . . . . . 920 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 920 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 921 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 923 B Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 924 D Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928 A Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . 928 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 929 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 930 B Dr. Christoph Zöpel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 932 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 934 A Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935 D Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . 936 C Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 D Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 939 D Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940 D Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 941 B Rainer Eppelmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 942 B Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 944 B Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . 944 C Einzelplan 14 Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 945 D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 948 C Verena Wohlleben SPD . . . . . . . . . . . . . . 949 D Alexander Bonde BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952 B Rainer Arnold SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 C Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . 954 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . 954 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 957 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 D Helga Daub FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961 A Dr. Hans-Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . 962 A Thomas Kossendey CDU/CSU . . . . . . . . . . . 963 C Einzelplan 23 Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 967 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . 969 D Thilo Hoppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 970 C Markus Löning FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 B Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973 B Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 974 D Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 A Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . . . . 975 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 975 C Detlef Dzembritzki SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 977 B Einzelplan 06 Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 979 A Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 981 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . . . 982 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 983 A Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984 D Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988 A Dagmar Freitag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989 B Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 990 A Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 C Stephan Mayer (Altötting) CDU/CSU . . . . . 993 A Einzelplan 07 Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 994 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 996 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 D Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 B Otto Fricke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 C Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1005 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 1009 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 871 13. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Norbert Barthle Berichtigung 12. Sitzung, Seite 744 (B), der letzte Absatz ist wie folgt zu lesen: Wir haben eine Menge getan, um die Eigenkapitalbildung des Mit- telstandes zu erleichtern. Aufgrund unserer Steuerreform ist inzwi- schen die obere Grenzbelastung – 1998 lag sie bei 69 Prozent – auf 51 Prozent gesenkt worden. So etwas haben sie in Ihrer Regierungs- zeit nie zuwege gebracht. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 1009 (C)(A) Adam, Ulrich CDU/CSU 04.12.2002* Borchert, Jochen CDU/CSU 04.12.2002 Bury, Hans Martin SPD 04.12.2002 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 04.12.2002 Hartmut Caesar, Cajus CDU/CSU 04.12.2002 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 04.12.2002 Herta Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 04.12.2002 Gradistanac, Renate SPD 04.12.2002 Großmann, Achim SPD 04.12.2002 Hörster, Joachim CDU/CSU 04.12.2002* Hofbauer, Klaus CDU/CSU 04.12.2002 Kubicki, Wolfgang FDP 04.12.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 04.12.2002* Dr. Lötzsch, Gesine fraktionslos 04.12.2002 Dr. Lucyga, Christine SPD 04.12.2002* Möllemann, Jürgen W. FDP 04.12.2002 Dr. Pinkwart, Andreas FDP 04.12.2002 Rauber, Helmut CDU/CSU 04.12.2002** Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 04.12.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des OSZE entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tagelang

    war Berlin angesichts der für heute erwarteten Rede in
    eine größere Aufregung versetzt.


    (Franz Müntefering [SPD]: Niemand hat auf Ihre Rede gewartet! Was glauben Sie denn!)


    Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe
    für die Menschen im Lande gehofft, dass die für heute an-
    gekündigte große Rede auch wirklich eine große Rede
    werden würde,


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    eine Rede, bei der die Menschen bei allem Streit, den wir ha-
    ben müssen, eine Linie und ein wenig Licht am Ende des
    Tunnels hätten erkennen können. Was Sie uns dann aber ge-
    boten haben – besonders beeindruckend in den Passagen,
    bei denen Sie geradezu gebrüllt haben –, war im Grunde der
    Eindruck, dass da ein Mann mit dem Rücken an der Wand
    steht und nichts weiter kann, als die Opposition zu verdäch-
    tigen, zu verleumden und in ein schlechtes Licht zu rücken.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deutschland hat in diesen Tagen eine Sehnsucht nach

    Führung, nach Verlässlichkeit und vor allem – das wäre


    (A)



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    (C)



    (D)


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    (A)



    (B)



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    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 897

    erst einmal ein Beginn – nach Wahrnehmung der realen
    Situation, wie sie in unserem Lande besteht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wer führt denn bei Ihnen? Herr Koch oder Sie?)


    Bei Ihnen haben die heute verkündeten Arbeitslosen-
    zahlen überhaupt keine Rolle gespielt. Ich weiß nicht, ob
    die 4 Millionen Menschen Sie interessieren. Ich weiß
    nicht, was in Ihnen vorgeht – das muss ich Sie ganz ehr-
    lich fragen –, wenn es heute über 200 000 mehr sind als vor
    einem Jahr. Ich weiß nicht, ob Sie sich innerlich damit aus-
    einander setzen, dass der Anstieg gegenüber Oktober drei-
    mal so hoch war wie sonst im Durchschnitt der letzten
    zehn oder 20 Jahre. Das interessiert aber die Menschen.

    Damit hier nun nicht wieder gesagt wird, wir würden
    das Land schlechtreden,


    (Zurufe von der SPD: Genau!)

    darf ich einmal zitieren. Sie haben ja langsam einen Tun-
    nelblick in Bezug auf das, was die Realität in diesem
    Lande ausmacht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie haben einen KochBlick!)


    Herr Schrempp, immerhin einer Ihrer geschätzten Ge-
    sprächspartner – ich habe nichts dagegen, der Mann hat
    für viele Arbeitsplätze in diesem Land gesorgt –, ist ange-
    sichts der Lage sprachlos. Herr Scholl von Merck, einem
    Unternehmen im MDax, kann sich nicht erinnern – und
    das sind nicht meine Worte –, dass es je „eine solche Per-
    version von Wahlversprechen“ gegeben habe. Herr Haupt
    von Tengelmann sagt, Deutschland sei führungslos.


    (Anhaltende Zurufe von der SPD)

    – Hören Sie genau zu; Sie müssen sich schon mit der Rea-
    lität in diesem Land auseinander setzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Vorstandsvorsitzende von Merck sagt: Wir sind be-
    straft, dass wir so lange am Standort Deutschland festge-
    halten haben. – Der Chef von Infineon sagt: Wir werden uns
    schwer tun, in Deutschland noch zu investieren. – Tausende
    und Abertausende andere sagen gar nichts mehr, sie han-
    deln einfach und lassen ihr Kapital außer Landes wandern.
    Das ist die Wahrheit über Deutschland in diesen Tagen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, hinter dem steht, was in den letz-

    ten Jahren passiert ist:

    (Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommen Ihre Vorschläge! – Weitere Zurufe von der SPD: Vorschläge!)


    Die Menschen haben Sie inzwischen durchschaut. Sie
    glauben Ihnen nicht mehr, weil sie wissen, dass alles, was
    Sie einmal sagen, kaum berechenbare Halbwertzeiten hat,
    dass dies manchmal nicht einmal die Dauer einer Unter-
    richtung überlebt – ich erinnere nur an die Sache mit dem
    Fuchs: Spürpanzer oder Transportpanzer? –, dass sich die
    Autoren Ihrer Vorschläge schneller von allem verabschie-
    det haben, als Sie gucken können, weil sie sehen, dass Sie

    das alles nicht richtig umsetzen. Ihre eigene Glaubwürdig-
    keit ist verloren gegangen. Das ist für die Führung eines
    Landes einer der größten Verluste, die passieren können.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun gibt es in dieser ganzen Sache eine neue Platte, die

    da heißt: „Zerstörung meiner sozialen Integrität“. Diese
    Platte spielen Sie dann gleich als Ehepaar; ich möchte
    mich dazu nicht weiter äußern.


    (Zurufe von der SPD: Oh!)

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, können Sie sich ei-
    gentlich noch erinnern, was Sie den Menschen in diesem
    Lande schon alles zugemutet haben? Von 1998 bis 2000
    waren Sie stolz, „Genosse der Bosse“ genannt zu werden.
    Danach hatten wir einen Sommer der „ruhigen Hand“. Im
    Wahlkampf dann haben Sie begonnen, die Wirtschaft in
    diesem Lande zu beschimpfen, und sie als „fünfte Ko-
    lonne der Opposition“ bezeichnet. Diejenigen, welche die
    Arbeitsplätze in diesem Lande schaffen, sind in den Au-
    gen des Herrn Bundeskanzlers die „fünfte Kolonne der
    Opposition“; Sie haben in diesem Zusammenhang auch
    noch von „Kettenhunden“ und „Helfershelfern“ gespro-
    chen. Und, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, als Sie ge-
    rade etwas Oberwasser im Wahlkampf hatten,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Hochwasser hatte er!)


    waren Sie es, der – ich hätte mir eine solche Aussage
    zweimal überlegt – dem Wettbewerber im Wahlkampf die
    Führungsfähigkeit für dieses Land abgesprochen hat.


    (Joachim Poß [SPD]: Er hat nur das gesagt, was Ihre Meinung ist!)


    Sie haben damit eine Schärfe in die Debatte gebracht, die
    es bisher im Wahlkampf nicht gegeben hat. Deshalb: Be-
    klagen Sie sich bitte nicht über die Zerstörung Ihrer so-
    zialen Integrität. Sie haben die Stimmung angeheizt.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Schon nach der Wahlniederlage in Sachsen-Anhalt
    sind Sie zu unser aller großem Erstaunen aus einer Präsi-
    diumssitzung der SPD gekommen mit den Worten: „Er
    oder ich!“ – Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht: Sie
    oder wir, Stillstand oder Fortschritt,


    (Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Koch oder Sie?)


    Staat oder Freiheit, Belastung oder Entlastung, Täu-
    schung oder Verlässlichkeit, das sind die Alternativen in
    diesem Lande.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Joachim Poß [SPD]: Merkel oder Koch? – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist die größte Lachnummer, die ich je gehört habe!)


    Um diese Alternativen geht es.

    (Waltraud Lehn [SPD]: Sagen Sie mal was zum Fortschritt! – Weitere Zurufe von der SPD – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ruhe! – Lachen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder)


    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel
    –Wissen Sie, was die Leute besonders gut leiden können?
    Das ist Ihr dauerndes Grinsen und Lachen auf der Regie-
    rungsbank.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Kommen Sie doch mal zur Sache! – Weitere Zurufe von der SPD)


    Natürlich leben wir in einer Zeit, in der sich alles ver-
    ändert. Ich glaube, in einem sind wir uns einig: Diese Ver-
    änderung beschreiben wir gemeinsam mit Globalisierung.
    Nur bezüglich der Frage, was wir denn angesichts dieser
    Globalisierung machen, gibt es einen grundsätzlichen
    Unterschied.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Untersuchungsausschüsse! – Joachim Poß [SPD]: Was machen Sie denn?)


    Für Sie ist das so etwas wie höhere Gewalt. Für Sie ist
    das die Grundlage für Ausreden nach dem Motto, dass es
    nicht anders sein kann. Für uns ist es eine Chance, eine
    Hoffnung auf die richtigen Veränderungen mit den richti-
    gen Wirkungen für die Menschen im Lande.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie spüren, dass die Menschen Ihnen das mit der höhe-

    ren Gewalt und der Globalisierung nicht abnehmen, weil
    sie sehen, dass sich die Dinge in anderen Ländern besser
    entwickeln. Herr Bundeskanzler, wann hat es das eigent-
    lich gegeben, dass man in einem Nachbarland von
    Deutschland eine Wahl deutlich gewinnt, weil man sagt:
    So wie in Deutschland soll es bei uns nicht werden? Das
    ist doch nun wirklich Ausdruck der Tatsache, dass andere
    Länder wissen, sie können es anders machen als Deutsch-
    land. Dies ist der Unterschied zwischen uns und den an-
    deren: Dort weiß man um die Gestaltungsmöglichkeiten
    und handelt. Sie gestalten Politik eben nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, nun haben Sie in den letzten Tagen

    viele Interviews gegeben und sich mit dem Gemeinwohl
    befasst. Sie haben einen Gegensatz zwischen den Partiku-
    larinteressen, den Einzelinteressen und dem Gemeinwohl
    beschrieben. Sie haben gesagt: Ich muss mir den Freiraum
    dafür erkämpfen, dass ich das Gemeinwohl gegen die Ein-
    zelinteressen durchsetzen kann.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jawohl! – Hubertus Heil [SPD]: Genau!)


    Ich möchte Sie als Erstes bitten, dass Sie von dieser
    Pauschaldiffamierung aller Verbände in diesem Land ein
    Stück Abstand nehmen. Es gibt viel ehrenamtliches En-
    gagement, ohne das wir in diesem Land nicht auskommen
    würden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Welches sind die Alternativen?)


    Ich frage Sie: Was tritt denn eigentlich an die Stelle der
    von Ihnen so verfemten Verbände? Wer soll denn, bitte
    schön, das Gemeinwohl definieren?


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Deutsche Gewerkschaftsbund!)


    Ich gewinne hier den Eindruck, dass an die Stelle aller
    Verbände nur noch einer tritt, der die Definitionshoheit,
    also sozusagen den Alleinvertretungsanspruch hinsicht-
    lich des Gemeinwohls hat, und das ist der Bundeskanzler
    der Bundesrepublik Deutschland. Das hielte ich nun wirk-
    lich für fatal. Hierbei machen wir mit Sicherheit nicht mit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Müntefering leitet ein: Weniger für den privaten

    Konsum ausgeben und dem Staat das Geld geben, damit
    die Kasse stimmt! – Herr Gabriel in Niedersachsen tönt
    dazu: Die Menschen verballern immer noch Millionen zu
    Silvester. Auch dies könnte dem Staat zufließen. – Ich
    werde jetzt meine überschüssigen Wunderkerzen abge-
    ben, die ich noch zu Hause in der Schublade habe. Viel-
    leicht hilft es ja.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Ministerpräsident Beck möchte natürlich auch dabei sein.
    Zitat: „Beinahe würde ich mit Asterix sagen: Die spinnen –
    nicht die Römer, sondern in dem Fall die Deutschen.“

    Wir sind ganz kurz davor, dass wir mit Bertolt Brecht
    fragen müssen:

    Wäre es nicht einfacher, die Regierung löste das Volk
    auf und wählte ein anderes?

    Das sind Ihre Maxime und wohl Ihre Hoffnung, Herr Bun-
    deskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun weiß auch ich, dass wir uns natürlich um das Ge-

    meinwohl kümmern müssen.

    (Lothar Mark [SPD]: Das ist aber neu!)


    Die Definition des Gemeinwohls steht im Übrigen – das
    sage ich auch – keiner Person zu,


    (Hubertus Heil [SPD]: Plattitüde!)

    sondern das Gemeinwohl entsteht in einer Demokratie,
    wenn Parteien in einem fairen Wettstreit um die beste po-
    litische Lösung ringen.


    (Beifall bei der SPD)

    Genau an diesem fairen Wettstreit werden wir uns betei-
    ligen.


    (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hören wir zu! – Waltraud Lehn [SPD]: Das wäre einmal was!)


    Deshalb müssen wir einmal überlegen: Was sind ei-
    gentlich unsere Maßstäbe dafür, wie wir vorgehen wol-
    len? Herr Bundeskanzler, ich habe mir viel Mühe gege-
    ben, vor dieser Rede einmal zu überlegen: Was könnte
    denn ein Maßstab oder eine verlässliche Grundlage sein,
    auf der wir hier miteinander darum ringen können: Tun
    wir das Richtige? Tun wir das Falsche? Wie sind unsere
    Ideen zu bewerten?

    Ich habe gedacht, ein Fundament könnte doch sein:
    Wenn sich eine Bundesregierung einen Sachverstän-
    digenrat beruft – das tut sie selbst und gibt eine Menge
    Geld dafür aus –,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: 20 Punkte!)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    898


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 899

    dann könnten wir uns in diesem Haus doch einfach ein-
    mal über die Ratschläge der Sachverständigen unterhalten


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

    und fragen: Wie steht welche Partei zu dem Ratschlag der
    Sachverständigen?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Guter Vorschlag! Machen wir mit!)


    Nun bin ich gestern Abend natürlich wieder in leichte
    Depression verfallen;


    (Zurufe von der SPD: Oh!)

    denn der Herr Stiegler, der heute gar nicht mehr richtig auf
    Deck darf,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Die haben den versteckt!)


    hat uns gesagt, dass alles das, was von Leuten mit Profes-
    sorentitel kommt, irgendwie Geschwätz ist. Sie haben
    sich diese Meinung nicht zu Eigen gemacht, Sie haben das
    aber auch nicht zurückgenommen. Ich vertraue weiterhin
    darauf, dass die von Ihnen berufenen Sachverständigen-
    räte hinreichend Neutralität haben – drei der Professoren
    sind übrigens in der SPD –, sodass wir uns darüber unter-
    halten können.

    Der Sachverständigenrat setzt sich gleich im ersten
    Punkt damit auseinander, wie es weitergehen muss, und
    mit der Frage, warum wir eine Wachstumskrise haben. Ich
    unterstelle jetzt einmal den Fall: Wir können uns noch da-
    rauf verständigen – da bin ich mir bei den Grünen leider
    nicht so sicher –, dass Wachstum ein Schlüssel für eine
    gute Entwicklung dieser Gesellschaft ist. Dazu sagt der
    Sachverständigenrat, dass nur ein konsequenter Steuer-
    senkungskurs die Not in diesem Land wenden kann.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Punkt eins! Sehr richtig!)


    Dieser Steuersenkungskurs müsse sicherlich mit einer
    Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, aber gleichzei-
    tig auch


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Steuersenkung!)


    mit einer Senkung der Steuersätze verbunden sein. Sie
    verbreitern die Bemessungsgrundlage, aber Sie erhöhen
    die Steuern, statt sie zu senken – glatte Fehlentscheidung
    gegenüber der Empfehlung des Sachverständigenrats!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    All die Steuererhöhungen, die Sie vorhaben, er-

    schließen sich ohnehin kaum noch – für Hundefutter
    bleibt die Mehrwertsteuer bei 7 Prozent; kriegt die Kuh
    Futter, gilt ein höherer Mehrwertsteuersatz –; ich weiß
    nicht, ob Sie das alles besser verstehen. Ich bin Physike-
    rin; mir ist das zu hoch. Es scheint aber auch in den Rei-
    hen der SPD schwer verständlich zu sein; denn unsere
    schleswig-holsteinischen CDU-Kollegen haben einen fle-
    henden Brief der Landwirtschaftsministerin aus Schles-
    wig-Holstein bekommen, nach dem sie sich doch dafür
    einsetzen möchten, dass die Erhöhung der Besteuerung

    von Baumschulen in Schleswig-Holstein verhindert wird.
    Die Opposition sozusagen als tatkräftiger Helfer gegen-
    über dem Unsinn der Regierung – diese Rolle nehmen wir
    gern an, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Nun kommen wir mal zu der im Augenblick ja in aller
    Munde befindlichen Vermögensteuer.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?)


    Unbeschadet dessen, dass eine Kompensation dafür, dass
    die Vermögensteuer nicht mehr erhoben wird, bereits er-
    folgt ist, gibt es jetzt den Vorschlag, die Vermögensteuer
    wieder einzuführen.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt einen Vorschlag?)


    Ganz vornweg sind dabei Herr Gabriel und Herr Bökel,
    die ja unter besonderem Druck stehen.

    Jetzt sage ich Ihnen ganz einfach: Das können wir tun.
    Wir werden das so machen, dass wir Gesetzentwürfe mit
    dem Ziel der Außerkraftsetzung des Torsos der bundes-
    weiten Grundlage zur Erhebung der Vermögensteuer ein-
    bringen – das werden wir im Bundesrat tun, damit sich
    Herr Gabriel auch gleich dazu äußern kann –, und darin
    werden wir ausdrücklich regeln, dass der Bund auf seine
    Kompetenz, diese Steuer zu erheben, verzichtet. Dann
    können die Länder zuschlagen, wo immer sie wollen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dann können wir die Finanzämter lahm legen!)


    Herr Bundeskanzler, als Herr Gabriel, der Ministerprä-
    sident in Niedersachsen, davon gehört hat, hat er gleich
    gesagt, so gehe das nicht;


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Alles korrekt! – Zuruf von der FDP: Natürlich geht das!)


    denn wenn das gemacht werde und Niedersachsen die
    Steuer erhöbe, führte das dazu, dass sich das Kapital aus
    Niedersachsen in andere Bundesländer verflüchtige, was
    er nicht wolle.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hat er das erkannt? Ist er dem auf die Schliche gekommen?)


    Herr Bundeskanzler, was für das Verhältnis von Nie-
    dersachsen zu Nordrhein-Westfalen oder Bayern gilt, das
    gilt auch für das Verhältnis von Deutschland zu Österreich
    und Holland. Bei der Globalisierung geht so etwas eben
    nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist abenteuerlicher Unsinn, eine Steuer zur Finan-

    zierung der Bildung erheben zu wollen. Ich sage Ihnen:
    Die niedersächsischen Schüler hätten mehr davon, wenn
    Sie die Tausenden von Beamten, die Sie zur Erhebung der
    Vermögensteuer brauchen, als Lehrer in Niedersachsen
    anstellen würden. Dann hätten sie in den nächsten zwei
    Jahren wenigstens vollen Unterricht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel

    Das eigentlich Gravierende, das an all Ihren Maßnah-
    men deutlich wird, ist, dass Sie nicht an Wachstum glau-
    ben. Sie glauben nicht daran, dass man auch auf anderem
    Weg mehr Geld in die Kasse bekommen kann als dadurch,
    unentwegt an der Steuerschraube zu drehen. Und das tun
    Sie auch noch in einer Art und Weise, die all diejenigen
    bestraft, die versuchen, für die Risiken ihres Lebens Vor-
    sorge zu tragen. Es kommt derjenige gut durch, der auf
    den Bahamas alles verjubelt hat oder der sein Geld jeden
    Abend in der Kneipe verprasst.


    (Waltraud Lehn [SPD]: Oh nein! Himmel! Das ist ja entsetzlich!)


    Schlecht weg kommen hingegen diejenigen, die Anteile
    kaufen, die in Fonds anlegen, die Aktien kaufen oder Le-
    bensversicherungen abschließen. Sie alle werden ge-
    schröpft. Das ist der falsche Weg, wenn Sie, wie Frau
    Göring-Eckardt beteuert, mehr Eigenverantwortung wol-
    len.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie spielen jetzt Herrn Glos! Das ist das Niveau von Glos!)


    Ich hätte erwartet, von Ihnen heute wenigstens eine
    mittelfristige Vision dazu zu hören, wie man aus diesem
    Steuerkuddelmuddel wieder herauskommt.
    Es gibt in unserer Gesellschaft vielerlei Versuche, zum
    Beispiel von Herrn Professor Kirchhof, mit einer durch-
    schlagenden Steuerreform die Akzeptanz der Bürger für
    das, was in Deutschland passiert, zu erhöhen. Wir haben
    uns davon nicht verabschiedet. Wir werden dranbleiben
    und werden eine Steuerreform ausarbeiten, die einfach,
    transparent und für die Bürger verständlich ist. Wenn Sie
    nicht mitmachen, dann legen wir alleine einen Vorschlag
    dazu vor.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ein weiterer großer Komplex über den Sie heute ge-
    sprochen haben und der auch im Sachverständigengut-
    achten behandelt wird, ist der Arbeitsmarkt.


    (Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommen die Alternativen!)


    Deutschland hat nicht nur weniger Wachstum als die
    meisten Länder um uns herum, unser Land braucht auch
    ein besonders hohes Wachstum, bevor hier neue Arbeits-
    plätze entstehen. Es wäre ein ganz ehrenwertes Ziel, wir
    würden es schaffen, dass wie in anderen Ländern auch be-
    reits bei einem Wachstum von 1,5 Prozent neue Arbeits-
    plätze entstehen und nicht erst bei einem Wachstum von
    2,5 Prozent.


    (Franz Müntefering [SPD]: Das machen wir mit Hartz! – Lothar Mark [SPD]: Das glaubt sie selbst nicht mehr!)


    Wie ist das zu schaffen? Sie versuchen das mit dem
    Hartz-Konzept.


    (Franz Müntefering [SPD]: Ja, sicher!)

    Wenn Sie den Vorschlag von Hartz wenigstens eins zu
    eins umsetzen würden! Aber Sie müssen ja sogar aufpas-

    sen, dass Ihnen Herr Hartz nicht das Gebrauchsrecht für
    den Namen entzieht, weil er selber so unzufrieden ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage Ihnen:


    (Walter Schöler [SPD]: Jetzt kommt’s!)

    Wir müssen die Selbstständigkeit fördern.


    (Hubertus Heil [SPD]: Oh, Frau Glos, tolle Idee! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Dummkopf!)


    Dazu reicht es aber nicht aus, durch die Zusammenlegung
    von zwei schon bestehenden Banken eine neue Bank zu
    gründen. Dazu müssen vor allen Dingen die Sparkassen
    beitragen, von denen ich, wie Sie, der Meinung bin, dass
    sie ihre Arbeit machen müssen. Man braucht auch nicht
    die Ausrede Basel II heranzuziehen. Aber da die konjunk-
    turelle Lage in unserem Land im Moment so ist, dass es
    40 000 Insolvenzen gibt, ist offentsichtlich auch die Be-
    rechenbarkeit für die Vergabe von Krediten für die deut-
    schen Bankinstitute schlechter geworden. Sorgen Sie des-
    halb dafür, dass es nicht so viele Insolvenzen gibt; dann
    können die Banken auch wieder bessere Kredite verge-
    ben. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Sie werden mit der verquasten Ich-AG keine neuen
    Arbeitsplätze und keine Deregulierung auf dem Arbeits-
    markt schaffen. Das deutsche Handwerk ist froh, dass
    seine Berufe endlich aus der Definition herausgenommen
    wurden, und der Bundesfinanzminister ist bis heute noch
    nicht in der Lage, einen Steuersatz dafür festzulegen. Was
    soll das also für eine Institution sein? Deshalb fordern wir
    – auch Friedrich Merz hat das gestern gesagt –: Wir brau-
    chen eine richtige Förderung aller Selbstständigen durch
    weniger Bürokratie und durch die Abschaffung des
    Scheinselbstständigkeitsgesetzes.


    (Lothar Mark [SPD]: Wollen Sie nun, dass wir das Hartz-Konzept umsetzen oder nicht?)


    Das wäre heute ein offenes Wort von Ihnen wert gewesen.
    Unsere Zustimmung wäre Ihnen sicher.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Darauf reduziert sich das: nichts Konkretes! Nichts, nichts, nichts!)


    – Hören Sie zu, Herr Poß, bevor Sie wieder schreien:
    Nichts, nichts, nichts!

    Ich komme auf die Entlastung im Dienstleistungsbe-
    reich in Zeiten der Globalisierung zu sprechen. Sie schla-
    gen uns Folgendes vor: Wenn Sie die Tür von innen wi-
    schen, gibt es 500 Euro. Das ist die eine Sorte der
    Beschäftigung.


    (Lothar Mark [SPD]: Das haben wir schon gehört!)


    Eine andere Sorte von Beschäftigung ist: Wenn Sie die Tür
    von außen streichen, wird nach dem alten 630-DM-Gesetz
    bezahlt. Eine dritte Sorte von Beschäftigung ist: Wenn Sie
    das Schloss an der Tür durch jemanden von der Personal-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    900


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 901

    Service-Agentur reparieren lassen, wird nach Verdi-Tarif
    und möglichst noch nach BATbezahlt. – Das ist die Wahr-
    heit Ihrer Entbürokratisierung. Dazu haben wir wirklich
    bessere Vorschläge.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wagen Sie doch den mutigen Sprung im Bundesrat!

    Die Türen sind doch gar nicht verschlossen; ich weiß gar
    nicht, wovon Sie da die ganze Zeit geredet haben. Im Bun-
    desrat ist alles an den Vermittlungsausschuss überwiesen
    worden.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das haben die nicht mitbekommen!)


    Nichts ist blockiert oder abgelehnt worden. Morgen findet
    die Sitzung statt. Dann überlegen wir einmal, was gut für
    Deutschland ist.

    Herr Bundeskanzler, Sie legen sich ja derzeit mit jedem
    in Deutschland an, aber in der „Zeit“ haben Sie als Erstes
    erklärt, dass dies mit den Gewerkschaften nicht nötig ist.
    Nun haben Sie uns heute umfänglich das Konzept bei der
    Leih- und Zeitarbeit erläutert: ein Riesenpaket von Ta-
    rifverhandlungen mit allen möglichen Abstufungen nach
    oben und unten. Können Sie mir einmal erklären, warum
    es in Deutschland nicht möglich ist, für eine begrenzte
    Zeit, maximal zwölf Monate, einfach den Betrieben, den
    Entleihern und den Leihern zuzutrauen, sich ohne ein rie-
    siges Paket von abgestuften Tarifverträgen und Regelun-
    gen einigen zu können? Das muss doch in diesem Land
    möglich sein.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    All diese umständlichen Regelungen, die uns jetzt

    beim Kampf zwischen den Branchengewerkschaften wie-
    der ereilen werden, ob hier Verdi, die IG Chemie oder die
    IG Metall tätig werden darf, beschließen Sie doch nicht,
    weil Sie sie für richtig halten. Das wissen wir doch: Nicht
    einmal Herr Clement hält sie für richtig; bei den anderen
    weiß ich das nicht. – Das ist schlicht Ihr Dankeschön für
    die Unterstützung der Gewerkschaften, die von ihrer Par-
    teiunabhängigkeit abgewichen sind und die Sozialdemo-
    kraten in diesem Wahlkampf unterstützt haben. Das ist die
    reine Wahrheit. Es geht nicht um die Menschen, sondern
    um ein einfaches Dankeschön.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Jetzt kommt wieder unsere Alternative. Globalisierung

    bedeutet, dass die betriebliche Realität viel vielfältiger
    wird, als das in der Industriegesellschaft der Fall war.


    (Joachim Poß [SPD]: Ach, das ist Ihre Alternative? – Lothar Mark [SPD]: Tolle Alternative!)


    Weil das so ist, sagen wir: Wenn es um die Sicherung von
    Beschäftigung geht,


    (Johannes Kahrs [SPD]: Keine Inhalte!)

    dann sollten wir im Betriebsverfassungsgesetz den Be-
    triebsräten die Möglichkeit eröffnen, mit den Arbeitge-
    bern betriebliche Bündnisse für Arbeit zu schließen,


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    gegen die die Tarifpartner bei einem begründeten Wider-
    spruch Einspruch erheben können.

    Ich frage Sie: Warum trauen Sie das den Menschen
    nicht zu? Sie haben es im Übrigen dort, wo Sie als Helfer
    tätig waren, nämlich bei Holzmann, durchgedrückt. Aber
    wenn es der normale kleine Mittelständler haben will,


    (Joachim Poß [SPD]: Der keinen Betriebsrat hat!)


    dann sperren Sie sich, weil Sie eben nicht bereit sind,
    Flexibilisierung zuzulassen und Vertrauen in die Men-
    schen vor Ort zu setzen. Das ist die Wahrheit: Regulierung
    durch den Staat ist auf alles Ihre Antwort.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dies ist übrigens ein Vorschlag des Sachverständigen-

    rates, den Sie nicht umsetzen. Genauso fordert der Sach-
    verständigenrat: Wir müssen schnellstens dahin kommen,
    dass sich Arbeit lohnt. Wer arbeitet, muss mehr bekom-
    men, als wenn er nicht arbeitet. Dazu brauchen wir fle-
    xible Regelungen. Die hessische Landesregierung hat
    dazu eine entsprechende Initiative in Form des OFFEN-
    SIV-Gesetzes im Bundesrat eingebracht. Damit könnte
    experimentiert werden. Sie haben es aufgehalten, weil Sie
    im Bundestag dagegen gestimmt haben, sonst wäre
    Deutschland weiter.


    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Ach Gott!)

    Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie diesem Gesetz
    zu! Dann kann es morgen in Kraft treten und wir gewin-
    nen endlich Spielräume in Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Darüber hinaus hat sich der Sachverständigenrat rich-
    tigerweise mit den sozialen Sicherungssystemen ausei-
    nander gesetzt, insbesondere mit dem Gesundheitssys-
    tem.Die grundsätzlichen Empfehlungen, die auch ich nicht
    alle im Detail teile – das sage ich ganz ausdrücklich –, ge-
    hen in eine Richtung: mehr Wettbewerb.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir machen das schon!)


    Was Sie in der Bundesregierung machen, hat mit Wettbe-
    werb im Allgemeinen wirklich nichts zu tun.

    Sie haben über die Apotheken gesprochen. Sagen Sie
    doch bitte einmal die Wahrheit darüber, was Sie bei den
    Apotheken vorhaben! Haben Sie mit dem Apothekerver-
    band gesprochen und sich das aktuelle Verfahren erklären
    lassen? Dass sie den Krankenkassen einen Rabatt ge-
    währen müssen, sind die Apotheker bereits gewöhnt. Da-
    rüber hinaus sind aber auch Rabatte für den Großhandel
    und den Arzneimittelhersteller vorgesehen.


    (Walter Schöler [SPD]: Umsatz gleich Gewinn!)


    Abgesehen davon, dass Sie gegenüber der pharmazeuti-
    schen Industrie wortbrüchig geworden sind,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch nichts Neues!)


    bleibt es jetzt dem Apotheker überlassen, die unterschiedli-
    chen Rabatte vom Hersteller bis zum Großhändler wieder

    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel
    einzutreiben. Das heißt, Sie schaffen mehr Bürokratie,
    statt sie abzubauen. Deshalb sind wir dagegen, Herr Bun-
    deskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich weiß nicht, was das Gerede der Frau Bundesge-

    sundheitsministerin über die Vielzahl von Krankenkas-
    sen soll. Schließlich hat sich der Markt in diesem Bereich
    schon ein Stück weit entwickelt. Statt der einst 600 Kran-
    kenkassen gibt es nur noch etwas mehr als 300.


    (Walter Schöler [SPD]: Immer noch viel zu viel!)


    Das ewige Gerede über die große Zahl der Krankenkas-
    sen mit dem Hintergedanken, die AOK werde am besten
    zu einer Allgemeinen Zentralen Krankenkasse umgestal-
    tet, werden wir nicht mittragen, weil der Wettbewerb zwi-
    schen den Krankenkassen ein Element des Wettbewerbs
    im Gesundheitswesen darstellen wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit all unseren Vorstellungen, ob Gesundheit, Arbeits-

    markt oder Steuern, stehen wir – das kann ich sicherlich
    weitgehend unwidersprochen feststellen –


    (Joachim Poß [SPD]: Haben Sie Herrn Koch gefragt?)


    dem von Ihnen einberufenen Sachverständigenrat wohl
    näher als Sie. Ich wundere mich schon darüber, dass Sie
    in einem solchen Umfang Steuermittel einsetzen, ohne
    sich auch nur einmal auf Ihren eigenen Sachverständi-
    genrat zu berufen. Sie könnten zumindest erläutern,
    warum Sie die Ratschläge nicht annehmen. So aber kann
    es nicht weitergehen. Dann berufen Sie lieber keine Sach-
    verständigenräte mehr ein, sondern sagen gleich, dass Sie
    sich selbst genug sind. Das wäre schließlich auch eine Er-
    kenntnis für das deutsche Volk.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zum Thema Rente. Auch wir haben – das gebe ich

    wieder ehrlich zu –

    (Joachim Poß [SPD]: Ach, der Rest war nicht ehrlich?)

    zu lange gesagt, die Rente sei sicher. Wir haben dann aber
    1998 als ersten wichtigen Schritt den demographischen
    Faktor eingeführt. Wir haben heute bereits über den poli-
    tischen Umgang miteinander gesprochen. Lassen Sie
    mich in diesem Zusammenhang feststellen: Seinerzeit
    war das Verhetzungspotenzial gegen die Einführung des
    demographischen Faktors wider besseres Wissen so groß,
    dass Sie sich, als Sie die Wahl gewonnen hatten, selbst
    nicht mehr getraut haben, den demographischen Faktor
    beizubehalten. Anschließend mussten Sie sogar Herrn
    Riester entlassen, weil er den blümschen demographi-
    schen Faktor nicht erhalten durfte und deshalb so viel
    Murks machen musste. Das ist die Wahrheit!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Als wir seinerzeit den demographischen Faktor einge-

    führt haben, haben wir darauf hingewiesen, dass dies nur
    ein erster Schritt sein kann. Deshalb war es vom Grund-
    satz her richtig, dass Sie eine freiwillige private kapital-

    gedeckte Vorsorge eingeführt haben. Jetzt wollen Sie sie
    zu einer zweiten Säule der Rentenversicherung weiterent-
    wickeln. Eine zweite Säule der Rentenversicherung haben
    Sie bereits, nämlich die Zapfsäule. Die funktioniert gut.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr gut!)


    Aber wenn die private kapitalgedeckte Vorsorge wirk-
    lich zu einer zweiten Säule weiterentwickelt werden soll,
    darf man nicht, wie Sie es heute ausgeführt haben – ich
    habe es genau mitgeschrieben –, sagen: „Vereinfachung,
    wo notwendig!“. Sie regieren schließlich jetzt und stellen
    nicht irgendwelche Vorhaben für die Zeit in zehn Jahren
    vor. Schmeißen Sie doch den gesamten bürokratischen
    Schrott heraus und beschränken Sie sie auf wenige Krite-
    rien; dann wird die private Vorsorge auch wirklich eine
    zweite Säule! Wir beteiligen uns, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe im Interesse der Menschen, vor allem der äl-

    teren Menschen, eine Bitte. Ich halte das, was die Grünen
    erreicht haben, zwar für richtig, nämlich dass eine Kom-
    mission zur Weiterentwicklung der sozialen Siche-
    rungssysteme eingesetzt wird. Als beschwerlich emp-
    finde ich es aber, dass Sie den Chef dieser Kommission
    nicht davon abhalten können, jedes Wochenende irgend-
    ein Interview abzusondern. Noch schlimmer erscheint
    mir, dass sich nun auch noch jemand aus Ihren Reihen
    über das „Professorengeschwätz“ und Sonstiges be-
    schwert. Ich möchte mich dazu an dieser Stelle nicht wei-
    ter äußern.

    Sie müssen schon zum Ausdruck bringen, was Sie wol-
    len, Herr Bundeskanzler. Hat diese Kommission Ihre Un-
    terstützung oder ist sie nur eine Beruhigungspille für die
    Grünen? Ist es Ihnen eigentlich völlig egal, was bei dieser
    Kommission herauskommt? Soll in den nächsten zehn
    Jahren überhaupt etwas passieren oder wollen Sie weiter-
    hin von Tag zu Tag abwarten? Auf diese Fragen haben Sie
    heute keine Antwort gegeben. Sie haben nichts, aber auch
    gar nichts dazu gesagt.


    (Walter Schöler [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört!)


    Wir werden Vorschläge auch für eine langfristige Siche-
    rung der Sozialsysteme vorlegen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Wahrheit ist: Sachverstand in Deutschland liegt

    vor. Der von Ihnen eingesetzte Sachverstand ist von mir
    zitiert worden. Ich sage Ihnen aber: Mit der jetzigen Ko-
    alition und insbesondere mit der jetzigen SPD-Truppe
    können Sie, Herr Bundeskanzler, die notwendigen Refor-
    men in Deutschland nicht auf den Weg bringen. Deshalb
    sind Sie führungsschwach und den Aufgaben, die heute in
    Deutschland zur Erledigung anstehen, nicht gewachsen.
    Das ist die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch heute auf der ei-

    nen Seite wirtschaftliche Effizienz – darüber, dass diese
    mit Ihnen nicht zustande kommt, habe ich eben gespro-
    chen – und auf der anderen Seite moralische Qualität. Da-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    902


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 903

    mit komme ich auf gesellschaftspolitische Fragen zu spre-
    chen. Ich möchte ganz klar sagen: Wo immer Frauen und
    Männer, Väter und Mütter erwerbstätig sein wollen, wer-
    den wir sie unterstützen und die Grundlagen für die Ver-
    einbarkeit von Beruf und Familie verbessern; das ist
    keine Frage. Aber wir wollen eine Politik, die die Kom-
    munen vor Ort – um deren Zustimmung müssen auch Sie
    jetzt buhlen – finanziell in die Lage versetzt, die entspre-
    chenden Aufgaben durchzuführen. Deshalb fordere ich
    Sie auf: Machen Sie eine ordentliche Steuerreform und
    beteiligen Sie die Kommunen angemessen am Steuerauf-
    kommen! Dann wird sich auch das Kinderbetreuungsan-
    gebot verbessern. Machen Sie nicht den Umweg über die
    Ganztagsbetreuung von oben! Das ist Reichszentralismus
    und entspricht nicht dem, was wir unter Subsidiarität in
    Deutschland verstehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben einen neuen Generalsekretär, der auch uns ab

    und an überrascht. Er hat für die Sozialdemokratie weg-
    weisende Äußerungen – diesen ist bis heute nicht wider-
    sprochen worden – über die Notwendigkeit einer kultu-
    rellen Revolution gemacht und will die Lufthoheit über
    den Kinderbetten erobern. Glauben Sie – ich frage das vor
    allen Dingen die Grünen – eigentlich ernsthaft, dass deut-
    sche Eltern sehnlichst darauf warten, dass der Generalse-
    kretär Olaf Scholz als Vertreter der deutschen Avant-
    garde an ihrer Haustür klingelt, das Kind aus dem
    Laufställchen reißt, der Mutter am besten noch ein rotes
    Stirnband von Che Guevara umbindet und anschließend
    erklärt, dass es eine Besuchserlaubnis für die Eltern nur
    noch jeden letzten Montag im Monat gebe, aber auch nur
    dann, wenn sie vorher auf das Ehegattensplitting verzich-
    teten und nach 20 Uhr aus dem Büro kämen?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Solange die Union in Deutschland etwas zu sagen hat,
    werden wir dafür sorgen, dass sich über deutsche Kinder-
    betten die deutschen Eltern und sonst niemand beugt. Das
    ist unser Ansinnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Lehn [SPD]: Das ist wirklich peinlich! – Gerhard Rübenkönig [SPD]: Stellen Sie sich vor, das hören die Leute auch!)


    In Zeiten der Globalisierung ist es wichtig und notwen-
    dig, dass ein Land nicht nur im Innern erfolgreich ist, son-
    dern auch Verlässlichkeit nach außen ausstrahlt. Es ist
    schon relativ absurd – das ist noch freundlich formuliert –,
    dass Sie, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
    land, der in schamloser Weise Wahlkampf mit der Kriegs-
    angst der Menschen gemacht hat,


    (Walter Riester [SPD]: Was Sie sagen, ist absurd!)


    es wagen, uns vorzuwerfen, die Diskussion über die Mit-
    gliedschaft der Türkei in der EU werde deshalb geführt,
    weil wir Wahlkämpfe gewinnen wollten. Das ist absurd
    und fern der Realität, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ich finde es bemerkenswert, dass Sie heute nur aufgrund
    unseres Antrages zu diesem wichtigen Thema etwas
    sagen.


    (Lachen bei der SPD)

    Der Rat in Helsinki – ich habe es mir inzwischen von
    Leuten erzählen lassen, die dabei waren – hat in einer Art
    Überfallaktion und in wenigen Minuten darüber befun-
    den, dass man der Türkei eine Vollmitgliedschaft in Aus-
    sicht stellen will. Es gab keine Debatte dort über den jet-
    zigen Zustand, es gab keine Debatte in der Bevölkerung
    und in diesem Parlament. Heute heißt es: Weil es Helsinki
    gab, müssen wir natürlich in Kopenhagen weitermachen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Bravo!)


    Herr Bundeskanzler, das Thema ist in jeder Hinsicht – ich
    hoffe, Frau Roth ist noch anwesend, damit sie nachher
    nicht wieder falsches Zeug erzählt – zu ernst. Die Türkei
    ist in einem komplizierten außenpolitischen und innenpo-
    litischen Prozess. Es darf nicht sein, dass ein großes Land
    wie Deutschland und die Europäische Union Signale aus-
    senden, die für die Türkei innenpolitisch so verstanden
    werden können, dass wir sie zurückweisen und ihnen
    falsche Versprechungen machen. Deshalb sage ich Ihnen:
    Es war ein Fehler, dass in Europa über Jahre zu wenig
    Ehrlichkeit in der Frage der Türkei geherrscht hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Was sagen Sie zum KohlZitat?)


    – Auf das Kohl-Zitat komme ich gleich zu sprechen. Ich
    wünschte mir, Helmut Kohl wäre immer so oft Ihr Kron-
    zeuge, wie er es heute ist. Dann wären wir in Deutschland
    weiter, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Die Türkei ist in einem ausgesprochen schwierigen
    Prozess. Der Internationale Währungsfonds hat massiv
    stützen müssen, damit die wirtschaftlichen Daten so sind,
    wie sie sind. Die Türkei hat heute 60 Millionen Einwoh-
    ner – sie wird in zehn Jahren vielleicht mehr Einwohner
    haben als wir –, ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von
    22 Prozent des europäischen Durchschnitts, in diesem
    Jahr eine Inflationsrate von 40 Prozent und ein Staatsde-
    fizit von 15 Prozent,


    (Joachim Poß [SPD]: Wenn die Kriterien nicht erfüllt sind, gibt es auch keine Aufnahme!)


    sodass alleine schon die ökonomischen Grundlagen dafür
    sprechen, dass man außerordentlich vorsichtig sein muss.


    (Joachim Poß [SPD]: Das wissen wir!)

    Derzeit – das wissen auch die Grünen – gibt es in der

    Türkei ein Strafverfahren gegen die Mitarbeiter der po-
    litischen Stiftungen. Der Bundespräsident hat sich dan-
    kenswerterweise der Sache angenommen.


    (Joachim Poß [SPD]: Solange die Kriterien so sind, wie sie sind, wird sie nicht aufgenommen!)


    Gegen die Mitarbeiter unserer Stiftungen gibt es massive
    Gefängnisandrohungen für ganz normale politische

    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel
    Betätigungen. Glauben Sie wirklich, dass jetzt der rich-
    tige Zeitpunkt ist, der Türkei zu sagen, ab 2004 können
    wir vielleicht Beitrittsverhandlungen führen?


    (Lothar Mark [SPD]: Sie müssen doch erst die Kriterien erfüllen!)


    Sie begeben sich doch in einen unglaublichen Beschleuni-
    gungsprozess. Sie stehen doch am Ende unter einem
    großen Druck. Mit der Begründung, wenn wir es jetzt nicht
    machen, dann geht in der Türkei die Entwicklung nicht
    richtig voran, begeben Sie sich in eine Zwangslage, die ich
    mir für die Europäische Union niemals vorstellen konnte
    und die ich nicht für richtig halte, meine Damen und Her-
    ren. Darüber muss in diesem Hause gesprochen werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie sind in einer KochZwangslage! Das ist die einzige Zwangslage!)


    Herr Bundeskanzler, 1963 ging es um eine Zollunion.
    1997 hatten sich die Dinge weiterentwickelt. Die Per-
    spektiven, die Helmut Kohl damals genannt hat, halte ich
    persönlich immer noch für optimistisch. Damals schienen
    sie jedoch erreichbarer als heute. Heute sprechen wir je-
    doch nicht über Mittelfristigkeit, über irgendwann und ir-
    gendwo, sondern beim Rat in Kopenhagen – wir sind ge-
    spannt, was Sie heute Abend mit Jacques Chirac
    besprechen – wahrscheinlich über den 1. Januar 2004. Die
    Türken werden natürlich Erwartungen mit diesem Tag
    verbinden. Wenn man so meilenweit in der politischen
    Struktur von dem entfernt ist, was man in Europa – auch
    im Verfassungskonvent – unter dem politischen gemein-
    samen Europa versteht, dann darf und kann man solche
    Angebote nicht machen. Ich halte das für unverantwort-
    lich. Das hat mit Wahlkampf überhaupt nichts zu tun.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Über die Grünen wundere ich mich wirklich. Sehen Sie
    sich das doch einmal an. Bauen Sie doch einmal eine Kir-
    che in der Türkei. Sehen Sie sich einmal den Umgang mit
    Minderheiten und das Frauenbild an.


    (Zuruf von der SPD: Darum geht es doch gar nicht!)


    Glauben Sie, in den nächsten zwölf Monaten wird sich dort
    etwas verändern? Meine Damen und Herren, wir nehmen
    gerade zehn neue Länder in die Europäische Union auf.
    Die Menschen müssen der Politik folgen können. Es hilft
    der Türkei nicht, wenn wir sagen: Nur weil ihr nicht das
    richtige Angebot bekommt, haben wir Verständnis dafür,
    wenn euer politischer Prozess nicht vernünftig läuft.


    (Zuruf von der SPD: Hässliche Demagogie!)

    Es kann nicht zum Prinzip der Europäischen Union

    werden – das sage ich noch einmal in allem Ernst –, dass
    ein Land, wenn man ihm einen Gefallen nicht tut, sich
    falsch entwickelt.


    (Lothar Mark [SPD]: Jetzt zeigen Sie Ihr wahres Gesicht!)


    Ein Land muss seinen Demokratisierungsprozess einzig
    und allein aus sich selbst heraus schaffen. Ansonsten ist
    das Fundament auf Sand gebaut. Davon bin ich zutiefst
    überzeugt, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Die außenpolitischen Probleme mit Amerika sind
    natürlich überhaupt nicht geglättet.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Auch gar nicht angesprochen!)


    Sie schmücken sich jetzt mit der UN-Resolution, Sie
    schmücken sich mit Kofi Annan. Kofi Annan war beim
    amerikanischen Präsidenten und hat das Vorgehen be-
    sprochen. Es wäre kein einziger Inspekteur heute im Irak,
    wenn man nach deutschem Gusto verfahren wäre. Diese
    Entwicklung ist Amerika zu verdanken und sonst nie-
    mandem.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Was die Verlässlichkeit im Verhältnis zu Amerika an-

    geht, gibt es erhebliche Zweifel. Alle spannenden Fragen
    sind offen. Ich hoffe genauso wie Sie, dass es im Irak zu
    keinem Krieg kommt. Aber wenn es dazu kommt, ist doch
    überhaupt nicht klar, wie in der Bundesregierung bei den
    einzelnen Fragen vorgegangen wird. Wie wird es denn mit
    den Spürpanzern werden – Anruf in Deutschland, War-
    nung über Amerika: biologischer Alarm oder chemischer
    Alarm? Was macht dann der deutsche Spürpanzer? Darf
    der Soldat darin seinem amerikanischen Kameraden hel-
    fen oder darf er es nicht? Wen muss er fragen? Wer ent-
    scheidet?

    Sagen Sie uns beizeiten, wie Sie sich das alles vorstel-
    len. Es besteht ein großes Wirrwarr, weil Sie Ihre falschen
    Wahlversprechungen aufrechterhalten wollen und falsche
    Brandmauern ziehen. Zumindest die Meinung der Union
    ist: Wir werden amerikanischen Soldaten immer helfen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Ist das Ihre Alternative?)


    Überlegen Sie sich einmal, wie es sich mit der Verläss-
    lichkeit bei einem ganz einfachen, aber entscheidenden
    Projekt verhält. Wenn wir möchten, dass Europa im Ver-
    hältnis zu Amerika auch eigene Interessen vertreten kann,
    dann brauchen wir in Europa eine eigenständige militäri-
    sche Rüstungsentwicklung.

    Jetzt sehen Sie sich einmal die Geschichte – fast hätte
    ich gesagt: die Skandalgeschichte – zur Beschaffung des
    Transportflugzeuges A400M an, geschmückt mit unse-
    ren Gängen zum Bundesverfassungsgericht. Ganz Europa
    wird danken, wenn sich endlich nach Monaten die deut-
    sche Regierung dazu durchringt, eine abschließende Zahl
    für diese Transportflugzeuge zu nennen. Wir haben die
    Nerven und die Bereitschaft der europäischen Rüstungs-
    industrie bei diesem einen öffentlich bekannt gewordenen
    Punkt bis aufs Äußerste gespannt. Ich will nicht wissen,
    bei wie vielen Projekten wir europäische Initiativen ver-
    säumen, weil Deutschland eben keine Steigerung beim
    Verteidigungsetat hat. Eine solche Steigerung muss es in
    Deutschland geben, damit dieses Land in Europa und in
    der Welt mitspielen kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb ist Verlässlichkeit innenpolitisch und außen-

    politisch so wichtig.
    Roman Herzog hat nicht ohne Bedacht gesagt, wir

    hätten in Deutschland eine handfeste Vertrauenskrise.


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    904


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 905

    Wir haben nicht nur Politikverdrossenheit, sondern wir
    haben eine Krise des Vertrauens in Deutschland.


    (Joachim Poß [SPD]: Die haben Sie mit herbeigeführt!)


    – Hören Sie zu und schreien Sie nicht immer so viel, Herr
    Poß.

    Ohne das Vertrauen der Bürger werden Sie keinen ein-
    zigen Bürger davon überzeugen, dass Veränderungen in
    unserem Land notwendig sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn Sie wirklich ein einsichtiger und großer Bundes-

    kanzler hätten werden wollen, dann hätten Sie sich heute
    hier hingestellt, hätten sich bei den Deutschen für Ihren
    Wahlbetrug entschuldigt und hätten gesagt, Sie beriefen
    sich auf den Sachverstand und Sie seien bereit, mit der
    Opposition jedes Jahr einmal zu messen, wie weit
    Deutschland vorangekommen sei. Dann hätten wir es
    nicht nötig gehabt, noch einmal das auf die Tagesordnung
    zu bringen, was wir im Untersuchungsausschuss auf die
    Tagesordnung bringen müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD: Stoiber!)


    Ich sage ganz klar: Wir kämpfen mit diesem Untersu-
    chungsausschuss dafür,


    (Joachim Poß [SPD]: Dass Herrn Koch geholfen wird! Das ist das Ziel!)


    dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einen
    Wahlkampf, wie sie ihn zuletzt erlebt haben, und solche
    Momente gespielter Überraschung am Tag nach der Wahl
    nicht wieder erleben müssen. Das ist unser Ansinnen. Wir
    müssen Ihnen mit diesem Untersuchungsausschuss auf den
    Zahn fühlen und herausbekommen, was Sie gewusst haben,
    ob Sie gelogen, betrogen oder Wahrheiten verschwiegen
    haben.


    (Joachim Poß [SPD]: Sie haben gelogen!)

    Wir werden dort ohne Schaum vorm Mund, ganz sachlich
    und auf die Zukunft ausgerichtet reden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Lassen Sie mich mit einem Zitat von Gerhard Schröder
    enden. Er hat in einer bemerkenswerten Rede gesagt:

    Demokratie ... braucht starke Charaktere, starke Per-
    sönlichkeiten. Nicht Stärke, sondern Schwäche
    kommt zum Vorschein, wenn Politiker dem Bürger,
    dem Wähler nicht zutrauen, dass er die Wahrheit ver-
    trägt. ... Ein derartiges Verhalten greift die Wurzeln
    der Demokratie an,


    (Nina Hauer [SPD]: Sie greifen sie an!)

    es ruiniert Glaubwürdigkeit und Vertrauen, ohne die
    die Demokratie nicht leben und funktionieren kann.


    (Walter Schöler [SPD]: Recht hat er!)

    Ich hätte mir gewünscht, Gerhard Schröder wäre wie die-
    ser Gerhard Schröder. Aber leider sagte dies der von der

    CDU gestellte Außenminister Gerhard Schröder ver-
    gangener Jahre. Dem heutigen Bundeskanzler Gerhard
    Schröder kämen solche Aussagen nicht über die Lippen.
    Er ist heute nicht jener Gerhard Schröder, sondern der
    Bundeskanzler, der von einer ziemlich unfähigen Fraktion
    getragen wird.

    Herzlichen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Müntefering von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Franz Müntefering


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

    ren! Diese Debatte gilt als die Stunde der Opposition. In
    dieser Debatte kann sich die Opposition nämlich mit der
    Politik der Bundesregierung insgesamt auseinander set-
    zen. Dass das geschieht, haben wir erwartet. Aber Frau
    Merkel, die die Oppositionsführerin sein will, hat heute
    Morgen gekniffen und den Gassenhauer Glos vorge-
    schickt. Das zum Thema „Führung der Opposition“, sehr
    geehrte Frau Merkel.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Gestern erlebten wir einen schwächelnden Merz – er
    verhedderte sich im Zahlengestrüpp – und heute einen pö-
    belnden Glos. Im Vergleich zu der Art und Weise, wie sich
    Frau Merkel soeben ausdrückte, ist – da haben einige
    schon Recht –, die Sprache der „Bild“-Zeitung Literatur.


    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Ausreißer, die Sie sich leisten, gehen über das hinaus,
    was in der Demokratie und insbesondere in diesem Parla-
    ment üblich sein sollte.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Sie hat nur Stiegler zitiert!)


    Von Verantwortung gegenüber diesem Land und ge-
    genüber diesem Staat war wenig zu hören. In Ihrer Rede
    haben Sie vor allen Dingen viel agitiert und diffamiert. Sie
    haben versucht, Menschen persönlich anzugreifen. Frau
    Merkel, ich sage Ihnen: Es ist Zeit, dass wir uns in diesem
    Land besinnen. Es ist Zeit, dass Sie endlich verstehen: Mit
    der Art, wie Sie Opposition machen, muss Schluss sein.
    Das, was Sie machen, hat wenig mit Opposition zu tun.
    Sie versuchen, jenseits der demokratischen Regeln Men-
    schen in diesem Lande und auch die Bundesregierung zu
    diffamieren. Hören Sie damit auf und besinnen Sie sich!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lothar Mark [SPD]: Das ist reine Destruktion, was sie macht!)


    Sie haben angekündigt, im Vermittlungsausschuss
    morgen Abend solle alles offen sein. Das ist eine

    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Franz Müntefering
    interessante Mitteilung. Ich bin sehr gespannt, ob Herr
    Koch das gewusst hat. Bei dem, was Sie dann gesagt ha-
    ben, habe ich allerdings Zweifel bekommen, dass Sie es
    wirklich ernst meinen. Sie haben die Hartz-Vorschläge
    angesprochen und die Regelung, die wir im Gesetz veran-
    kern wollen, als etwas herunterzureden versucht, was nicht
    funktionsfähig sein könne.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sagt Hartz selber!)


    Wir beschließen, dass es für gleiche Arbeit gleichen
    Lohn gibt. Vielleicht können wir uns auch in diesem Par-
    lament darauf einigen, dass das in dieser Republik das
    Normale sein sollte.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir beschließen darüber hinaus, dass in Tarifverträ-
    gen vereinbart werden kann, dass es davon Ausnahmen
    gibt. Herr Sommer vom DGB und andere, auch Arbeitge-
    ber, haben in der Anhörung des Deutschen Bundestages
    deutlich gemacht: Sie sind damit einverstanden, dass an
    dieser Stelle sehr flexibel dafür gesorgt wird, dass dieses
    Instrument funktioniert. Mein Eindruck war, Frau Merkel,
    dass Sie das entweder nicht verstehen wollen oder es nicht
    verstanden haben. Meine Bitte an Sie ist: Wenn Sie in den
    Vermittlungsausschuss gehen, lesen Sie sich das vorher
    noch einmal durch, damit Sie wissen, worüber Sie reden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das, was wir vorschlagen und was Wolfgang Clement er-
    kämpft hat, ist eine vernünftige Regelung, die dazu bei-
    tragen wird, dass im Bereich der Leiharbeit unter geord-
    neten Bedingungen mehr Menschen in Arbeit kommen als
    bisher. Dafür werden wir sorgen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Aber es geht eigentlich um etwas ganz anderes. Es geht
    darum, dass Sie es schon schlimm finden, dass es in
    Deutschland überhaupt noch Gewerkschaften gibt. So-
    zialdemokraten werden dafür beschimpft, dass sie in der
    Gewerkschaft sind. Ich finde das verwunderlich, aber das
    kommt in Ihren Worten zum Ausdruck.

    Das kommt auch zum Ausdruck, wenn Sie über das
    Bündnis fürArbeit im Betrieb sprechen. Auch in diesem
    Bereich wissen Sie nicht Bescheid. Es gibt Bündnisse für
    Arbeit im Betrieb, die mit den Gewerkschaften vereinbart
    worden sind. Aber darum geht es Ihnen ja gar nicht. Sie
    wollen, dass es Bündnisse für Arbeit im Betrieb gibt, aber
    keine Flächentarifverträge mehr, in denen so etwas ver-
    einbart werden kann. Sie wollen den Gewerkschaften das
    Kreuz brechen. Das ist Ihre Politik und das werden wir
    Sozialdemokraten nicht mitmachen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das wäre im Übrigen auch leichtfertig. Die großen Or-
    ganisationen, die wir in diesem Lande haben, Arbeitneh-
    mer und Arbeitgeber, Gewerkschaften, Zentralverband
    des Deutschen Handwerks und BDA, bilden eine der
    Grundlagen dafür, dass wir in Deutschland wohlstands-

    fähig geworden sind. Da sitzen Leute miteinander am
    Tisch, die verhandeln und etwas durchsetzen können. Die
    haben nämlich etwas im Kreuz. Die Ideologie der totalen
    Privatisierung der Lebensrisiken, die Sie vertreten, führt in
    die Irre. Das werden wir nicht mitmachen. Zum Sozialstaat
    gehört, dass die großen Interessen gebündelt und geschlos-
    sen vertreten werden können. Das ist unsere Position.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dann haben Sie etwas zur Riester-Rente gesagt. Auch
    da muss ich Ihnen sagen, verehrte Frau Oppositionsfüh-
    rerin: Sie haben nicht verstanden, um was es da geht. Sie
    haben kritisiert, dass die Riester-Rente angeblich büro-
    kratisch sei. Wenn man einen Vertrag zur Riester-Rente
    abschließen will, muss man zwei Dinge tun: erstens ein
    Formular ausfüllen, auf dem der Name, das Geburtsda-
    tum, der Familienstand und das Einkommen stehen, und
    zweitens seinem Arbeitgeber sagen, dass man diesen Ver-
    trag abschließen will. Das hat mit Bürokratie wenig zu
    tun. Dass es diese Koalition – und nicht Sie – in der ver-
    gangenen Legislaturperiode hinbekommen hat, diese zu-
    sätzliche private, kapitalgedeckte Vorsorge einzuführen,
    ist eine große, historische Leistung. Darauf werden wir
    aufbauen bei allem, was wir in Zukunft im Sinne der Al-
    terssicherung tun werden. Das funktioniert, keine Sorge.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Jetzt ist es 1 Prozent, im Jahre 2008 sind es dann 4 Prozent.
    Herr Rürup wird mit seiner Kommission im Verlauf

    dieses Jahres und des nächsten Jahres ein Konzept für die
    nachhaltige Finanzierung der Systeme der sozialen Si-
    cherung insgesamt entwickeln. Sie werden dabei die de-
    mographische Entwicklung in diesem Lande beachten.
    Auf dieser Grundlage werden sie uns Vorschläge machen.
    Mit dem Blick auf die lange Linie der Alterssicherung
    wird das ein wichtiges Ergebnis sein, mit dem wir uns aus-
    einander zu setzen haben. Wir alle werden es im Bundes-
    tag wiederfinden. Beim Thema Alterssicherung geht es
    nicht nur um die nächsten fünf oder zehn Jahre, sondern
    es muss bis in die nächsten Generationen hinein geplant
    werden. Auch die, die heute 20, 25 und 30 Jahre alt sind,
    wollen von uns wissen, wie das eigentlich in Zukunft
    läuft. Deshalb sagen wir: Die Riester-Rente, die gut und
    richtig ist, wird über eine ganze Reihe von Jahren tragen,
    aber wir wissen angesichts unserer demographischen Ent-
    wicklung, dass wir auch darüber hinaus denken müssen.
    Das werden wir tun und deshalb wird die Kommission,
    die Herr Rürup leitet, uns wichtige Erkenntnisse an die
    Hand geben.

    Unabhängig davon werden wir schon im Verlauf des
    kommenden Jahres im Rahmen der Gesundheitsreform
    viele Dinge mit der Zielsetzung auf den Weg bringen,
    nicht zusätzliches Geld ins System zu holen, sondern den
    Wettbewerb im System zu verbessern. Wir werden dafür
    sorgen, dass wir mit dem vielen Geld, das im System vor-
    handen ist, die Qualität der medizinischen Versorgung ge-
    genüber heute verbessern.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    906


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 907

    Sie haben den EU-Beitritt der Türkei angesprochen.
    Ich hatte den Eindruck, dass Sie von den Zitaten ziemlich
    kalt erwischt worden sind. Ich konnte Ihre Begeisterung
    sehen, so wie sie Ihnen auch jetzt gerade wieder ins Ge-
    sicht geschrieben steht.


    (Lachen bei der SPD – Zurufe von der SPD: Wie immer!)


    Auf dem CSU-Parteitag gab es dazu eine Diskussion. Wir
    sehen natürlich die begleitenden Dinge, wenn solche Sa-
    chen im Bundestag auftauchen. Ich frage Sie, ob es falsch
    ist, dass Herr Beckstein den Auftrag hat, bei seinen Auf-
    tritten im hessischen Wahlkampf primär über die EU-Er-
    weiterung um die Türkei zu sprechen. Ich frage Sie, ob der
    Antrag, den Sie heute hier vorlegen und der nicht ein Ver-
    such der differenzierten Auseinandersetzung mit dem
    Thema ist, nicht die eindeutige Linie verfolgt, die Türkei
    definitiv von einem Beitritt zur EU auszuschließen. Dazu
    sage ich Ihnen: Das, was Sie machen, kann man nur tun,
    wenn man so tief in der Opposition ist, wie Sie es sind. Sie
    können keine Hoffnung haben, jemals wieder in der Re-
    gierung zu sein. Wenn Sie heute da säßen, würden Sie ei-
    nen solchen Antrag nicht stellen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich sage Ihnen: Es ist zu vermeiden, dass die Türkei in ih-
    rer strategischen Bedeutung an den Rand und zurück in
    die islamische Region gedrückt wird. Es muss mit ihr über
    die Bedingungen gesprochen werden, unter denen sie
    Mitglied der EU werden kann. Das muss jede verantwor-
    tungsvolle Regierung der Bundesrepublik Deutschland
    tun. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    In Ihrer Rede, Frau Merkel, sind die wichtigsten Dinge,
    um die es in diesem Lande geht, Erneuerung und Ge-
    rechtigkeit und Nachhaltigkeit, nicht vorgekommen.


    (Joachim Poß [SPD]: Geschwafel!)

    Wir haben die Riester-Rente in der letzten Legislaturpe-
    riode durchgesetzt, wir haben erneuerbare Energien vo-
    rangebracht, wir haben die LKW-Maut eingeführt,


    (Lachen des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])


    wir haben gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften
    ermöglicht,


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine epochale Aufgabe! Die Leute sind arbeitslos!)


    wir haben die Mitbestimmung erweitert und wir haben die
    Haushaltskonsolidierung vorangebracht. Und wir haben
    Hartz auf den Weg gebracht. Diese Linie der Erneuerung
    werden wir auch in dieser Legislaturperiode weiter ver-
    folgen. Wir werden das mit dem sozialdemokratischen
    Anspruch und dem Anspruch dieser Koalition tun, eine
    Politik der Gerechtigkeit zu machen.


    (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dafür habt ihr die letzten vier Jahre Zeit gehabt!)


    Nur ganz Starke können sich einen schwachen Staat
    leisten. Wir stehen auf der Seite der Menschen, die auf

    die Solidarität der Gemeinschaft angewiesen sind.
    Gemeinwohl ist kein Spruch, Gemeinwohl ist uns wich-
    tig. Das bleibt auch so. Man kann auch auf Gemein-
    wohldenken verzichten, aber ich sage Ihnen ganz klar:
    Wir wollen so nicht sein. Gemeinwohl und Solidarität
    sollen auch in Zukunft in dieser Gesellschaft eine Rolle
    spielen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn Herr Westerwelle oder Herr Merz mir entgegen-
    halten, eine solche Haltung sei altmodisch,


    (Zuruf von der CDU/CSU: Sozialistisch!)

    das sei Beton, sage ich: Sei’s drum. Beton ist ein dankba-
    rer Stoff, mit dem man viel machen kann. Mir ist davor
    nicht bange. Ich sage Ihnen: Gemeinwohldenken, Solida-
    rität in dieser Gesellschaft und auch Sozialstaat sind mo-
    derner, als Sie es sich überhaupt vorstellen können. Wir
    werden in dieser Gesellschaft nicht darauf verzichten
    können und wollen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben genug Probleme in diesem Land, die zu be-
    wältigen sind, das ist unbestritten, leider auch durch eine
    Opposition, die vor allen Dingen destruktiv ist. Wir lassen
    uns auf das Niveau nicht ein, Frau Merkel. Ich will Ihnen
    noch sagen: Wir werden auch die Tinte nicht saufen, in die
    Sie uns hineinzuziehen versuchen.


    (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Kakao!)

    Die Heuchelei im Zusammenhang mit dem Wahlkampf

    und dem Verhalten der Regierung in dieser Zeit ist schon
    außerordentlich. Im August dieses Jahres, als der Bundes-
    finanzminister eine Haushaltssperre verhängte – wir alle
    wissen, was das bedeutet –, hat der Kanzlerkandidat der
    CDU/CSU, Herr Stoiber, ein 100-Tage-Programm ver-
    abschiedet und zusammen mit Frau Merkel und Herrn
    Merz und natürlich mit Herrn Glos verkündet. Nach
    diesem 100-Tage-Programm sollten im nächsten Jahr
    22 Milliarden Euro ausgegeben werden. Was ist das denn
    für eine Heuchelei? Wie kann jemand den Menschen im
    August – der Bundesfinanzminister hat eine Haushalts-
    sperre verhängt – 22 Milliarden für das kommende Jahr
    versprechen, obwohl er, weil er die Verantwortung in ei-
    ner Landesregierung trägt, über die Situation mindestens
    so gut Bescheid weiß wie die Bundesregierung? Das ist
    der eigentliche Skandal in diesem Wahlkampf gewesen.
    Sie können ganz sicher sein, dass das auf den Tisch kom-
    men wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Weil es sich um einen kochschen Diffamierungsaus-
    schuss handelt, sage ich auch ein Wort zu Herrn Koch. Er
    übertrifft in seinem Haushalt alles. Ursprünglich hat er
    650 Millionen Euro Nettoneuverschuldung vorgesehen;
    dann hat er sie auf 818 Millionen Euro erhöht und jetzt
    sind es 2 Milliarden Euro in Hessen.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sauber!)


    Franz Müntefering

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Franz Müntefering
    Auf Bundesebene überschreiten wir das, was wir uns vor-
    genommen haben, um 65 Prozent.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

    Herr Koch überschreitet das, was er sich in Hessen vor-
    genommen hat, um 140 Prozent.


    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    So viel zum Können und zur Wahrheit dieses Herrn Koch.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)


    Frau Merkel, mit Ihrer Sprache und Ihren Anwürfen
    verlassen Sie den Boden demokratischer Argumentation.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, komm jetzt!)


    Es lohnt sich, die Äußerungen der letzten Wochen zu ver-
    folgen. Laut Laurenz Meyer – ich sehe ihn gerade vor mir –
    taumelt Deutschland in eine Katastrophe. Aber auch an-
    dere können zitiert werden: „Lügenausschuss“ und
    „Flächenbombardement an Steuern“. Frau Merkel lacht
    noch wohlwollend dazu. Wenn ich Flächenbombarde-
    ment höre, ist mir immer ein wenig gruselig zu Mute.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Eichel hat gesagt, es wird zurückgeschossen!)


    Es wäre gut, wenn Sie Ihre Äußerungen ein wenig kon-
    trollieren würden. Das gilt übrigens auch für „Steuer-
    terror“ und andere Begriffe kriegerischer Art, die Sie ge-
    brauchen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der „Barrikadenkampf“ wird verkündet, der „Ab-
    grund“ wird aufgetan, es wird vom „Sanierungsfall“ und
    von der „Katastrophe“ gesprochen. Sie sind der schweren
    Hysterie offensichtlich in hohem Maße verfallen. Bei uns
    zu Hause – Herr Merz ist nicht anwesend – sagt man: Ge-
    hen Sie einmal zum Klapsdoktor. Bei Ihnen ist inzwischen
    ein Stadium erreicht, bei dem man dringend etwas tun
    müsste. Ich sage Ihnen: Das geht so nicht weiter.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Zur Opposition gehört aber auch die FDP. Insbeson-
    dere nach dem Auftritt, den Herr Westerwelle hier eben
    hingelegt hat, will ich sie gerne ansprechen.


    (Dirk Niebel [FDP]: Bei dem Niveau haben wir das nicht anders erwartet!)


    Herr Westerwelle, als ich das Stichwort Möllemann da-
    zwischengerufen habe, haben Sie in Ihrer Reaktion auf die
    finanzielle Dimension dieser Veranstaltung hingewiesen.
    Ich habe diesbezüglich nachgefragt. Ich frage Sie noch
    einmal: Haben Sie die Kasse Ihrer Partei nur in Nord-
    rhein-Westfalen oder auch in den anderen Bundesländern
    auf die Frage hin geprüft, ob Herr Möllemann auch in
    diesen Bundesländern unterwegs war und vielleicht ge-
    gen Sie – das kann ja sein – Truppen gesammelt hat?


    (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Haben Sie Ihre Kasse außerhalb von Köln geprüft?)


    Das eigentlich Schlimme an dieser Situation ist aber,
    dass Sie das Geld und nicht das eigentlich Wichtige an-
    sprechen. Am 5. Juni dieses Jahres fand vor der FDP-Zen-
    trale in der Reinhardtstraße in Berlin eine Demonstration
    von FDP-Mitgliedern und jüdischen Mitbürgern gegen
    die antisemitischen Aktionen von Herrn Möllemann und
    seinen Freunden statt. Hunderte aufgebrachte Bürgerin-
    nen und Bürger nahmen an dieser Demonstration teil. Der
    Parteivorsitzende Guido Westerwelle hat sie beruhigt und
    gesagt: Das hat mit der FDP und meinem Vize nichts zu
    tun.


    (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Da war ich doch gar nicht!)


    Herr Westerwelle, zu diesem Punkt müssen Sie sich noch
    bekennen.


    (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Der war doch gar nicht da! Herr Kinkel war da!)


    Die Sache Möllemann hat aufgrund des Verstoßes ge-
    gen das Parteiengesetz eine finanzpolitische Dimension.
    Das Schlimme an dieser Sache ist aber, dass Sie monate-
    lang zugelassen und akzeptiert haben, dass in Deutsch-
    land in einer ungeheuerlichen Weise, hart am Rande anti-
    semitischer Vorbehalte, Wahlkampf gemacht worden ist.
    Dazu werden Sie sich als Parteivorsitzender der FDPnoch
    äußern müssen.