Ich beantworte Ihre Frage damit: Wie weit sind Sie mit
Ihrem Gespräch mit Frau Wettig-Danielmeier?
Lassen Sie doch solche Mätzchen!
Wir haben alle unsere Probleme zu schultern, das ist wohl
wahr.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier geht es
um die Frage, wie dieses Land vorangebracht werden soll.
Daran merkt man übrigens auch, wie die Situation ist.
Wenn Sie bei einer Debatte über die Zukunft unseres Lan-
des mir als Gegner aus der Opposition nichts anderes ent-
gegenzubringen haben als die innerparteilichen Klärungs-
prozesse, die wir in der Tat zu bewältigen haben, dann
zeigt das, dass Sie nichts mehr im Köcher haben, was die-
ses Land voranbringen könnte. 0,0 ist bei Ihnen an Sub-
stanz zu hören.
Dr. Guido Westerwelle
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Guido Westerwelle
Ich möchte noch einmal auf den entscheidenden Punkt,
die sozialen Sicherungssysteme, eingehen. Wir werden
erleben, dass mit der Rürup-Kommission genau das-
selbe wie mit der Hartz-Kommission passiert. Es wird das
Richtige gedacht, es wird mit Sicherheit auch Hervorra-
gendes aufgeschrieben, aber wie bei Hartz wird nichts da-
von übrig bleiben.
Der Generalsekretär der Sozialdemokraten sagt mitt-
lerweile, bei der Rente müsse gar nichts passieren, es
könne alles so bleiben.
Die Worte „die Rente ist sicher“ sind bekannt. Diese Aus-
sage ist demjenigen, der sie gemacht hat, oft genug bitter
aufgestoßen.
Die Herausforderung unserer Zeit besteht aber darin,
die Themen Beitragsstabilität, Rentensicherheit und Ge-
nerationengerechtigkeit anzugehen. Keines dieser Ziele
erreichen Sie mit Ihrer Politik, weil Sie sich bis heute vor
wesentlichen Strukturfragen drücken. Das gilt zum Bei-
spiel für die Frage der Lebensarbeitszeit. In Wahrheit
geht es doch nicht um die Frage des gesetzlichen Ren-
teneintrittsalters, sondern um die Frage des durch-
schnittlichen beruflichen Eintrittsalters. Wenn wir es
schafften, die junge Generation, die bei uns im Schnitt
vier bis fünf Jahre später als in vielen unserer europä-
ischen Nachbarländer in den Beruf kommt, ein Jahr
früher in den Beruf zu bringen, wären wir in der Lage,
die Beiträge um 1 Prozent zu senken. Dazu hören wir
von Ihnen kein Wort.
Sie reden hier zwar über die Zukunft unseres Landes,
aber Sie nennen keine Rezepte, wie man Arbeitslosigkeit
bekämpft. Sie sagen auch nichts zur Bildungspolitik als
der wichtigsten Zukunftsfrage unseres Landes. Sie gehen
nicht auf die Strukturreform bei der Rente oder bei den so-
zialen Sicherungssystemen insgesamt ein. Sie eröffnen
dazu nur ein paar Nebenkriegsschauplätze. Was uns die
Regierung bietet, das ist konzeptionslos. Diese Konzepti-
onslosigkeit muss beendet werden. Sie werden in den
nächsten Wochen eine noch größere Ablehnung Ihrer Po-
litik in der Bevölkerung erleben. In Wahrheit fürchten Sie
sich vor einer Revanche am 2. Februar 2003.
Ein gegen Sie gerichteter Untersuchungsausschuss
ist notwendig, damit die Wähler vor den Landtagswahlen
sehen können, dass Sie vor einer Wahl abermals die Un-
wahrheit sagen – das ist der entscheidende Punkt –; denn
die Mehrwertsteuererhöhung haben Sie längst beschlos-
sen. Genauso waren die jetzt stattfindenden Steuererhö-
hungen vor der Bundestagswahl längst beschlossen.
Ich komme auf die Außenpolitik zu sprechen. Was das
ausländische Engagement unserer Bundeswehr angeht,
versuchen Sie, eine überparteiliche Politik zu betreiben.
Das ist richtig und soll an dieser Stelle in gar keiner Weise
geschmälert werden, ganz im Gegenteil. In dieser Hin-
sicht haben Sie auch im letzten Jahr eine richtige Politik
betrieben, Herr Bundeskanzler. Ich darf allerdings daran
erinnern, dass Sie für diese richtige Politik stets mehr Un-
terstützung durch die Opposition in diesem Hause als
durch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen erfahren
haben.
Es ist eben nicht so, dass dieser Wahlkampf an unseren
außenpolitischen Beziehungen spurlos vorbeigegangen
ist. Zu den peinlichsten Momenten in der Außenpolitik
zählte der Moment, als Sie beim NATO-Gipfel in Prag
geradezu flehentlich um ein Lächeln und um einen
freundlichen Händedruck von Herrn Bush vor den Kame-
ras gebeten haben.
Das wurde von Ihren Sprechern schon als Durchbruch zu
gesunden deutsch-amerikanischen Beziehungen gefeiert.
Wenn man einen mit einem Lächeln verbundenen Hände-
druck schon als Ausdruck der Funktionsfähigkeit der
deutsch-amerikanischen Verhältnisse hochstilisiert, dann
ist es um die Beziehungen zwischen der US-amerikani-
schen und der deutschen Regierung ganz schön schlecht
bestellt.
Auf diesem Feld ist eine andere Politik notwendig. Die
Außen- und auch die Innenpolitik müssen mehr Linie ha-
ben.
Ich glaube, dass viele Menschen erkennen können,
dass Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
land gemeinsam mit Ihrem Finanzminister vor der Wahl
bewusst die Unwahrheit gesagt haben und dass Sie dabei
sind – das bestätigen immer wieder sämtliche Ausrutscher
aus Ihren eigenen Reihen –, vor den Landtagswahlen Sel-
biges noch einmal zu tun.
Die „Financial Times“ schreibt zur Wahrhaftigkeit in
der Politik heute Folgendes:
Als Helmut Kohl seinerzeit „blühende Landschaf-
ten“ versprach, hat er sich geirrt; aber er hat nicht ge-
logen. Als Gerhard Schröder sich im Sommer dieses
Jahres kategorisch gegen Steuererhöhungen aus-
sprach, hat er sich nicht geirrt, er hat gelogen.
Damit ist der Unterschied auf den Punkt gebracht. Man
kann vor einer Wahl unterschiedliche Einschätzungen
über die Entwicklung nach einer Wahl haben. Aber wenn
man amtlich weiß, dass man zum Beispiel die Defizitkri-
terien nicht erfüllen wird, dann darf man vor der Wahl
nicht amtlich die Unwahrheit sagen. Dass Sie das dennoch
getan haben, kann nicht ohne Folgen bleiben. Dabei mit-
zuhelfen ist auch ein Beitrag zur demokratischen parla-
mentarischen Kultur.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.