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ID1501300600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 871 A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003 (Haushaltsgesetz 2003) (Drucksache 15/150) . . . . . . . . . . . . . . 871 B b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 (Nach- tragshaushaltsgesetz 2002) (Drucksache 15/149) . . . . . . . . . . . . . . 871 B c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Fi- nanzwirtschaft des Bundes (Drucksache 15/151) . . . . . . . . . . . . . . 871 B Einzelplan 04 in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag des Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble und der Fraktion der CDU/CSU: Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei (Drucksache 15/126) . . . . . . . . . . . . . . . . 871 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 871 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 876 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . 886 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . 889 D Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 A Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 896 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 905 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . 908 D Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 910 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 913 A Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 913 D Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915 B Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 916 B Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . 917 C Bernhard Kaster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 918 B Einzelplan 05 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 3: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Menschenrechte als Leitlinie der deutschen Politik (Drucksache 15/136) . . . . . . . . . . . . . . 920 B Plenarprotokoll 15/13 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 13. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 I n h a l t : b) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nicht vergessen (Drucksache 15/64) . . . . . . . . . . . . . . . 920 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 920 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 921 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 923 B Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 924 D Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928 A Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . 928 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 929 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 930 B Dr. Christoph Zöpel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 932 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 934 A Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935 D Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . 936 C Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 D Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 939 D Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940 D Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 941 B Rainer Eppelmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 942 B Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 944 B Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . 944 C Einzelplan 14 Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 945 D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 948 C Verena Wohlleben SPD . . . . . . . . . . . . . . 949 D Alexander Bonde BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952 B Rainer Arnold SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 C Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . 954 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . 954 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 957 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 D Helga Daub FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961 A Dr. Hans-Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . 962 A Thomas Kossendey CDU/CSU . . . . . . . . . . . 963 C Einzelplan 23 Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 967 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . 969 D Thilo Hoppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 970 C Markus Löning FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 B Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973 B Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 974 D Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 A Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . . . . 975 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 975 C Detlef Dzembritzki SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 977 B Einzelplan 06 Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 979 A Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 981 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . . . 982 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 983 A Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984 D Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988 A Dagmar Freitag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989 B Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 990 A Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 C Stephan Mayer (Altötting) CDU/CSU . . . . . 993 A Einzelplan 07 Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 994 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 996 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 D Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 B Otto Fricke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 C Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1005 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 1009 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 871 13. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Norbert Barthle Berichtigung 12. Sitzung, Seite 744 (B), der letzte Absatz ist wie folgt zu lesen: Wir haben eine Menge getan, um die Eigenkapitalbildung des Mit- telstandes zu erleichtern. Aufgrund unserer Steuerreform ist inzwi- schen die obere Grenzbelastung – 1998 lag sie bei 69 Prozent – auf 51 Prozent gesenkt worden. So etwas haben sie in Ihrer Regierungs- zeit nie zuwege gebracht. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 1009 (C)(A) Adam, Ulrich CDU/CSU 04.12.2002* Borchert, Jochen CDU/CSU 04.12.2002 Bury, Hans Martin SPD 04.12.2002 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 04.12.2002 Hartmut Caesar, Cajus CDU/CSU 04.12.2002 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 04.12.2002 Herta Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 04.12.2002 Gradistanac, Renate SPD 04.12.2002 Großmann, Achim SPD 04.12.2002 Hörster, Joachim CDU/CSU 04.12.2002* Hofbauer, Klaus CDU/CSU 04.12.2002 Kubicki, Wolfgang FDP 04.12.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 04.12.2002* Dr. Lötzsch, Gesine fraktionslos 04.12.2002 Dr. Lucyga, Christine SPD 04.12.2002* Möllemann, Jürgen W. FDP 04.12.2002 Dr. Pinkwart, Andreas FDP 04.12.2002 Rauber, Helmut CDU/CSU 04.12.2002** Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 04.12.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des OSZE entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Ich werde meine Rede zu Ende bringen.

    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Drückeberger! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Feigling!)


    – Das ist das Einzige, was Sie können: rumbrüllen und
    stören, ohne einen einzigen sachlichen Vorschlag zu ma-
    chen. Das ist die Opposition, wie sie sich heute darstellt!
    Nichts anderes!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Aber glauben Sie nur nicht, dass Sie mit dieser Art, Er-
    satzpolitik zu betreiben – denn zu Politik sind Sie nicht
    fähig –, bei den Menschen auf Dauer ankommen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sind nur zwei Wochen angekommen und das waren zwei Wochen zu viel!)


    Kurzfristig mag Ihnen das helfen, mittel- und langfristig
    werden Sie mit dieser Art von Politik dort bleiben, wo Sie
    hingehören, nämlich in der Opposition.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das entscheiden Sie noch lange nicht mit Ihrer Kakophonie!)


    Ich denke, angesichts dessen, was wir an lösbaren Pro-
    blemen haben – viele unserer Nachbarn und viele Länder
    in der Welt würden uns um die Dimension der Probleme,
    mit denen wir es zu tun haben, nun wahrlich beneiden, ob-
    wohl ich diese Probleme keineswegs leicht nehmen will –,

    seit Wochen ein Zerrbild dieses Landes zu zeichnen, egal
    mit wessen Unterstützung, und diese Republik allen
    Ernstes mit der Situation von Weimar zu vergleichen, wie
    das immer wieder getan worden ist und getan wird, ist
    falsch.


    (Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wer war das denn mit Weimar? – Michael Glos [CDU/ CSU]: Lafontaine!)


    – Sie haben sich doch an diese Form von Verzeichnung
    angehängt. Nichts anderes haben Sie getan. Lassen Sie
    mich ein Wort dazu sagen: Gleichgültig, wer das macht,
    gleichgültig, wer den Eindruck zu erwecken sucht, in die-
    ser Republik hätten wir eine Situation, die auch nur
    annähernd mit dem, was wir in Weimar leider erleben
    mussten, vergleichbar ist, der handelt geschichtslos und
    neben der Sache. Das gilt für alle, ob sie nun Glos oder
    Lafontaine heißen.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich füge hinzu: Wer wie Sie und andere, die Ihnen hel-
    fen, den demokratischen politischen Prozess als eine Art
    Auseinandersetzung nicht zwischen Gegnern, sondern zwi-
    schen Feinden betrachtet, wer dabei ist, statt öffentlicher
    und offener, auch harter Auseinandersetzung innerstaatli-
    che Feinderklärungen zu formulieren, der arbeitet gegen
    einen dauerhaften politischen Prozess und nicht für ihn.
    Das ist das Problem, in dem Sie gegenwärtig gefangen sind,


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    mit dem Sie sich auseinander setzen müssen, weil es in
    der Republik sonst schief geht.

    Niemand kritisiert harte und härteste Opposition, die
    gelegentlich auch nicht vor persönlicher Herannahme
    Halt machen kann; das weiß ich sehr wohl.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    Aber was wir in den letzten Wochen erleben, meine Da-
    men und Herren, ist ein Zerrbild unseres Landes, ge-
    zeichnet aus politischem Opportunismus. Das ist Ihr Pro-
    blem.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich sagte: Es besteht kein Zweifel, dass wir ökono-
    mische und als Folge dessen auch politische Probleme
    haben.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Umgekehrt! Wir haben ökonomische Probleme, weil wir politische Probleme haben!)


    Es besteht aber auch kein Zweifel, dass dieses Land auf
    der anderen Seite nach wie vor Wachstum hat und sich
    nach wie vor in Europa sehen lassen kann. Sie sollten ein-
    mal mithelfen, in Europa klar zu machen, was uns in
    Deutschland von allen anderen europäischen Ländern,
    auch was die ökonomische Situation, die ökonomischen
    Probleme angeht, unterscheidet. Sie sollten mit uns zu-
    sammen darauf hinweisen, dass wir allein durch Überka-
    pazitäten in der Bauwirtschaft, deren Abbau notwendig


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    878


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 879

    ist, jährlich 0,6 Prozent Wachstum real verlieren. Mit die-
    ser Situation, meine Damen und Herren, hat kein anderes
    Land in Europa und in der Welt fertig zu werden. Es ist
    ein Zeichen für die Kraft und die Stärke der deutschen
    Volkswirtschaft, dass das trotz allem in einer achtbaren
    Weise gelingt. Auch das gehört in eine solche Debatte.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ein Zweites. Der Finanzminister hat gestern zu Recht
    darauf hingewiesen, was die Tatsache, dass wir die Ein-
    heit ökonomisch zu bewältigen haben – politisch haben
    wir sie ja Gott sei Dank bewältigt –, für die sozialen Si-
    cherungssysteme und für die Ökonomie insgesamt be-
    deutet. Der Finanzminister hat zu Recht darauf hingewie-
    sen, dass die Lohnnebenkosten, die Ausgaben für die
    sozialen Sicherungssysteme, etwa bei der Rente, um rund
    2 Prozent niedriger sein könnten, wenn wir nicht als ein-
    zige Nation der Welt diese gewaltige, aber natürlich auch
    wunderbare Aufgabe zu schultern hätten, die wir mit dem
    Glück der Einheit bekommen haben. Auch das gehört
    doch in eine seriöse ökonomische Debatte.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


    Ich denke, vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass
    deutlich wird, wie die Abfolge dessen ist, was wir kurz-
    fristig und was wir mittel- und langfristig zu tun haben.

    Worum geht es dabei? Es geht zunächst einmal darum,

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Um eine neue Regierung!)

    dass der Haushalt, den wir heute samt Nachtragshaushalt
    beraten, so betrachtet und beschlossen wird, wie es den
    Notwendigkeiten des Landes entspricht. Wir haben deut-
    lich zu machen, dass wir aufgrund ja nicht nur in Deutsch-
    land bestehender Wachstumsschwäche, ja nicht nur in
    Deutschland zurückgehender Steuereinnahmen für 2002
    einen Fehlbetrag von rund 14 Milliarden Euro ausglei-
    chen müssen und dass wir für 2003 mit einem solchen von
    18,5 Milliarden Euro fertig werden müssen. Das ist die
    Aufgabe, über die hier zu reden ist, über die bislang ja
    nicht geredet worden ist.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch von Herrn Eichel nicht!)


    Die Defizite, die sich da aufgetan haben, haben doch
    nichts zu tun mit der Politik des einen oder anderen, son-
    dern haben etwas zu tun mit einer europäischen, mit einer
    weltweiten Wachstumsschwäche,


    (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Immer neue Ausreden!)


    die natürlich Auswirkungen auf die Steuereinnahmen hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, wir sind darangegangen

    und haben gefragt: Wie wird man mit dieser Situation fer-
    tig? Der Finanzminister hat das gestern deutlich gemacht.


    (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Höhere Steuern!)


    Es wäre bezogen auf den Haushalt 2002 doch falsch ge-
    wesen, den Fehlbetrag, der aufgrund der Wachstums-
    schwäche deutlich geworden ist, allein durch Streichun-
    gen, wo auch immer, auszugleichen. In dieser Situation
    im Jahr 2002 hätte man, wenn man es nur über Streichun-
    gen versucht hätte, nirgendwo anders streichen können als
    bei den Investitionen. Dass das aber konjunkturell das
    Verkehrteste gewesen wäre, was wir hätten tun können,
    liegt, denke ich, doch auf der Hand.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Also ging es für den Haushalt 2002 zunächst einmal da-
    rum, kurzfristig und auf Zeit ein Defizit von über 3 Prozent
    hinaus in Kauf zu nehmen, um nicht dort kürzen zu müs-
    sen, wo es konjunkturschädlich geworden wäre. Ich denke,
    das entspricht auch der Auffassung aller hier im Hohen
    Hause. Das ist der Grund dafür, dass wir es in Kauf ge-
    nommen haben, auch in dieser Situation die automatischen
    Stabilisatoren wirken zu lassen und ein Defizit zwischen
    3,7 und 3,8 Prozent in Kauf zu nehmen und dies auch ge-
    genüber der Europäischen Kommission zu vertreten.

    Bezogen auf den Haushalt 2003 haben wir durch die
    Maßnahmen, die Ihnen bekannt sind, dafür gesorgt, dass
    das Defizitziel, das wir in Europa vereinbart haben, wie-
    der eingehalten werden kann. Ich bin ja sehr gespannt da-
    rauf, welche Alternativen, bezogen auf dieses Problem, es
    von der Union gibt,


    (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Keine Steuererhöhungen!)


    wie Sie mit den Problemen fertig werden wollen, die auf-
    grund der Wachstumsschwäche für den Finanzminister
    und für die Regierung aufgetreten sind. Ich glaube nicht,
    dass es zu dieser Politik eine vernünftige, eine konjunk-
    turgerechte Alternative gibt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das merkt man!)


    Die Wachstumsschwäche, mit der wir es zu tun haben
    – sie wurde übrigens von keinem wissenschaftlichen In-
    stitut und keiner internationalen Institution prognosti-
    ziert –, hat natürlich auch Auswirkungen auf die sozialen
    Sicherungssysteme. Das ist doch gar keine Frage. Wir
    haben das analysiert und haben gehandelt. Das ist der
    Grund, warum wir gefragt haben: Was machen wir denn
    zur Stabilisierung des Rentensystems, das durch die Kon-
    junkturschwäche natürlich in Unordnung gebracht wor-
    den war?


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was denn?)

    Wir haben gesagt – das ist Gegenstand unserer Gesetzge-
    bung –: Wir können es verantworten, die Schwankungs-
    reserve zu reduzieren, und wir können es verantworten,


    (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Die Beitragssätze hoch zu setzen!)


    die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, weil wir nur
    auf diese Weise sicherstellen konnten, die Möglichkeit zu
    gewinnen, durchgreifende Veränderungen auf den Weg zu
    bringen.

    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Es geht bei den Maßnahmen, die jetzt auf den Weg ge-
    bracht worden sind, um die Stabilisierung des Systems;
    nicht, um es so zu lassen, wie es ist, sondern um die
    Chance zu haben, ohne Verunsicherung der Betroffenen
    – das sind sehr, sehr viele – die notwendigen Reformmaß-
    nahmen einzuleiten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Bezogen auf all diejenigen, die über die Beiträge dis-
    kutieren, will ich nur sagen: Ohne die Maßnahmen, die Ih-
    nen jetzt vorliegen und über die zu diskutieren ist, müsste
    zum Beispiel der Rentenbeitrag auf knapp unter 20 Pro-
    zent, auf exakt 19,9 Prozent, steigen. Mit diesen Maßnah-
    men muss er das nicht. Das sage ich nur ganz nebenbei.

    Ich weiß noch um die Zeit, in der wir über Renten-
    beiträge von über 21 Prozent – jetzt reden Sie von zu ho-
    hen Lohnnebenkosten; die müssen runter, keine Frage –
    reden mussten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir konnten sie nur senken, weil wir unsere Mehrheit im
    Bundesrat seinerzeit nicht zur Blockade von Maßnahmen
    benutzt, sondern der Mehrwertsteuererhöhung zuge-
    stimmt haben. Das war doch der Tatbestand.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das Gleiche gilt für die Gesundheitssicherungssys-
    teme. Auch dabei geht es angesichts der Einnahmeaus-
    fälle, die mit der konjunkturellen Entwicklung zu tun ha-
    ben, zunächst einmal darum, dafür zu sorgen, dass die
    weiter gehenden Reformmaßnahmen – sie müssen weiter
    gehen – auf einer gesicherten Basis, die den Menschen
    Vertrauen gibt, stattfinden können. Mit dem Paket, das
    jetzt auf den Weg gebracht ist, wird der Grund bereitet.
    Das ist die kurzfristige Aufgabe, vor der wir stehen und
    die wir miteinander lösen werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es geht – darauf kommt es mir an – bei diesen Geset-
    zen, die wir in aller Schnelle, in hohem Tempo, auf den
    Weg bringen mussten, um die Stabilisierung der sozialen
    Sicherungssysteme, nicht mit dem Ziel, alles so zu lassen,
    wie es ist, sondern mit dem Ziel, eine Basis für weiter
    führende Reformen zu gewinnen. Ich werde darauf noch
    zurückkommen.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wann denn?)

    – Nun warten Sie es doch einmal ab. Sie können es ja
    kaum erwarten. Sie sind nun wirklich einer der größten
    Schreihälse, die in dieses Parlament Einzug gehalten ha-
    ben, Herr Kauder.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mein Gott!)


    Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass die Gesetze,
    die wir jetzt im Gesundheitswesen, bei der Rente und bei
    der Konsolidierung des Haushalts auf den Weg bringen,
    die Basis dafür bilden, die strukturellen Schwierigkeiten,
    die sich in der konjunkturellen Krise besonders offenbart

    haben, in Angriff zu nehmen. Ich beginne einmal bei dem,
    was wir bei der Rente wollen und wollen müssen.

    Ich erinnere noch die Zeit, in der hier über die Sicher-
    heit der Renten geredet worden ist: Die einen hatten Un-
    tertunnelungsvorschläge, die anderen sprachen von de-
    mographischen Faktoren. Niemand in der damaligen Zeit
    hat das eigentlich Notwendige getan – außer uns.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


    – Sie hatten doch 16 Jahre Zeit, um neben der umlagefi-
    nanzierten Rente das Prinzip der Kapitaldeckung aufzu-
    bauen. Sie haben das doch nie in Angriff genommen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Sie wollen uns jetzt Belehrungen erteilen.

    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch alles zurückgenommen!)

    Ich habe noch im Ohr, was Nobbi Blüm immer zur Rente
    gesagt hat – und das zu einem Zeitpunkt, als absehbar war,
    dass eine Umlagefinanzierung allein nicht reichen würde.
    Wir sind es doch gewesen, die neben die Säule Umlagefi-
    nanzierung die Säule Kapitaldeckung gesetzt haben. Das
    sind doch nicht Sie gewesen. Wollen Sie das alles verges-
    sen machen?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Nur um deutlich zu machen, was mit diesem Reform-
    schritt geleistet worden ist: Mit diesem Reformschritt ist
    geleistet worden, dass zum Beispiel über die betriebliche
    Altersversorgung inzwischen 18 Millionen Beschäftigte
    zusammen mit ihren Tarifpartnern von dieser Möglichkeit
    Gebrauch gemacht haben.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist falsch, was Sie da sagen! Das stimmt nicht!)


    18 Millionen Beschäftigte haben über diesen Weg ein zu-
    sätzliches Alterseinkommen zu erwarten. Das ist ein Rie-
    senerfolg, der zu Ihrer Zeit nie möglich gewesen ist. Un-
    sere Mehrheit hat diesen Schritt gemacht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Deswegen wurde Riester abgelöst?)


    Die Versicherungswirtschaft sagt uns, in der zweiten
    Säule seien bislang zwischen 2,5 und 3 Millionen Indivi-
    dualverträge abgeschlossen worden. Man geht davon aus,
    dass es bis Ende dieses Jahres 4 Millionen werden. Ange-
    sichts der Tatsache, dass diese zweite Säule seit zwei Jah-
    ren existiert, und angesichts der Tatsache, dass in 18 Mil-
    lionen Fällen auf betrieblicher Ebene davon Gebrauch
    gemacht worden ist und bis zum Jahresende nach den Er-
    wartungen der Versicherer in 4 Millionen Fällen indivi-
    duell davon Gebrauch gemacht wird, wird deutlich, dass
    das ein wirklich stabilisierendes Element ist. Das ist eine
    Erfolgsstory und nicht das Gegenteil dessen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist denn der Herr Riester? Warum haben Sie den abgelöst?)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    880


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 881

    Ich rate nun wirklich dazu, sich das in Ruhe anzu-
    schauen und die Entwicklung abzuwarten. Sie können
    doch nicht erwarten, dass ein die umlagefinanzierte Rente
    ergänzendes System schon in zwei Jahren seine volle
    Wirksamkeit erlangt. Das können Sie doch nicht in zwei
    Jahren erwarten. Angesichts dessen ist das, was erreicht
    wurde, ein großartiger Fortschritt, der aufgrund eines ver-
    änderten Altersaufbaus in unserer Gesellschaft dazu bei-
    tragen wird, Alterssicherung wirklich zu machen und
    nicht nur darüber zu reden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Natürlich wird es Aufgabe der Kommission von Herrn
    Rürup und anderen sein,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stiegler!)

    zu schauen: Wo muss man nachjustieren, was muss sowohl
    bei der kapitalgedeckten als auch bei der umlagefinanzier-
    ten Seite der Rente verändert werden?


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Davon verstehen Ihre Sozialpolitiker nichts? Für was haben Sie eigentlich Sozialpolitiker in der SPD?)


    Es ist doch keine Frage, dass das sein muss. Dafür gibt es
    diese Kommission.

    Vor einem aber will ich warnen – das sage ich auch an
    den einen oder anderen in den eigenen Reihen gerichtet –:


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das war Ihr Fraktionsvorsitzender! Das war nicht irgendwer!)


    Es ist manchmal sinnvoll, sich mit den Zahlen auseinander
    zu setzen. Die Hälfte der Rentenempfänger, insbesondere
    die Rentnerinnen, leben von einer Rente, die aus der ge-
    setzlichen Versicherung folgt. Die Zahlbeträge, also das,
    was cash auf den Tisch kommt, liegen bei Männern im
    Durchschnitt bei etwas weniger als 1 000 Euro und bei
    Frauen bei etwas mehr als 500 Euro.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie Nachhilfe für Ihre Fraktion?)


    Folgendes sage ich an alle, die es angeht: Bezogen auf
    diese Zahlbeträge und diese Gruppe, die Hälfte der 17 bzw.
    18 Millionen Rentnerinnen und Rentner, unter dem Stich-
    wort „Generationengerechtigkeit“ darüber zu sprechen,
    dass man hier noch kürzen müsste, das – das sage ich ganz
    ehrlich – sollte man sich dreimal überlegen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Natürlich wird die Kommission über Veränderungs-
    notwendigkeiten in den übrigen Bereichen nachdenken
    müssen – gar keine Frage. Aber ich bitte sehr darum, bei
    allen Debatten darauf zu achten, dass dieser Kreis der Be-
    troffenen ernst genommen wird. Es sind nämlich nicht
    diejenigen, die mit dem goldenen Löffel im Mund gebo-
    ren sind. Sie haben sich auch keinen erwerben können.
    Die Gründe dafür liegen nicht in ihrem individuellen
    Schicksal. Das gilt es zu berücksichtigen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Brioni tragen die nicht! Das ist richtig!)


    Wir sollten uns daher darauf verständigen – und zwar
    sowohl bei der Kapitaldeckung als auch bei der Umlage-
    finanzierung –, das besser zu machen, was verbessert wer-
    den muss. Ich nenne einen konkreten Punkt: Einige Un-
    ternehmen kritisieren, dass die Leute mit knapp über
    55 Jahren in Rente gehen. Sie sagen, das ginge nicht mehr.
    Das stimmt auch, meine Damen und Herren.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sagen Sie was zum Brückengeld!)


    Aber diejenigen, die zum Beispiel schon mit 60 Jahren in
    Rente gehen – wenn man die Invalidenrenten einbezieht,
    ist das das reale Renteneintrittsalter –, haben, genau ge-
    rechnet, bis zu 30 Prozent an Abschlägen hinzunehmen.
    Über die Frage, ob man hier wirklich noch mehr, zum Bei-
    spiel über die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters,
    machen kann, muss man sehr sorgfältig und ernsthaft dis-
    kutieren.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Eines muss aber klar sein: Mit den Betrieben, die ihre
    Personalprobleme über die Frühverrentung gelöst haben
    und sich jetzt über das System beklagen und es als falsch
    apostrophieren, muss man ein ernsthaftes Wort reden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Im Bereich der Rente brauchen wir kurzfristig eine Sta-
    bilisierung des Systems, damit wir auf der Basis des Ver-
    trauens in das System – das betrifft die Kapitaldeckung –
    weitermachen können. Wo es nötig ist, müssen wir büro-
    kratischen Aufwand beseitigen. Wenn nötig, müssen wir
    im Bereich der Umlagefinanzierung das auf den Weg brin-
    gen, was uns von der Rürup-Kommission im Herbst des
    nächsten Jahres vorgelegt wird. Diese Debatte in der Sa-
    che zu führen ist vernünftig; die Menschen im Voraus zu
    verunsichern ist unvernünftig, egal, wen es angeht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Stiegler verunsichert!)


    Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Strukturen
    auf dem Arbeitsmarkt aufbrechen müssen. Wir alle haben
    viel zu lange damit gewartet; das ist keine Frage. Das will
    ich durchaus selbstkritisch eingestehen. Aber die Umset-
    zung des Hartz-Konzeptes gibt uns die einmalige Chance,
    eine Regelung auf dem Arbeitsmarkt zu finden, die den
    sozialen Sicherungsbedürfnissen auf der einen Seite und
    den Erfordernissen einer globalisierten Wirtschaft auf der
    anderen Seite Rechnung trägt.

    Meine Damen und Herren, ich will ein paar Punkte he-
    rausgreifen, die deutlich machen, worum es dabei geht.
    Kernaufgabe ist es, Flexibilität bei der Zeit- und Leih-
    arbeit zu erreichen. Wenn es richtig ist – es ist richtig –,
    dass die niedrigere Arbeitslosigkeit in anderen Ländern,
    etwa in den Niederlanden, aber auch in Großbritannien,
    nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass dieses In-
    strument dort sehr viel besser als bei uns genutzt wird,
    dann ist folgerichtig, dass wir es besser nutzen müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Bundeskanzler Gerhard Schröder
    Es stellt sich also nicht die Frage, ob wir es besser nutzen
    müssen, sondern wie wir es nutzen.

    Ich bin der Auffassung, dass das, was mit der Umset-
    zung des Hartz-Konzeptes eingeleitet worden ist, richtig
    ist. Wir sollten darauf vertrauen, aber auch drängen, dass
    die Tarifparteien, die Zeitarbeitsverbände – es gibt einige,
    die zusammengefasst werden – und die Gewerkschaften,
    die sich bereits als Tarifgemeinschaft konstituiert haben,
    wie vorgesehen am 18. Dezember beginnen –, vernünftige
    tarifliche Regelungen, die flexibel sein müssen, für diesen
    Bereich auszuarbeiten.

    Ich lege wirklich Wert darauf, dass erkannt wird, dass
    zum Beispiel die Gewerkschaften bereit sind, insbeson-
    dere für die Problemgruppen am Arbeitsmarkt – die Lang-
    zeitarbeitslosen, die Älteren und die geringer Qualifizier-
    ten – Tarife auszuhandeln, die deutlich unter den
    normalen Flächentarifen liegen und auch liegen müssen.
    Lassen Sie uns doch diese Chance ergreifen! Lassen Sie
    uns Druck ausüben, damit das geschieht! Die Betroffenen
    sind dazu bereit.

    Die Gewerkschaften wissen auch, dass wir bei den Ta-
    rifverträgen – abhängig davon, wie lang die Leihzeit ist
    und wie speziell die Aufgaben sind – auch über eine Ein-
    arbeitungszeit über sechs Wochen hinaus reden müssen.
    Ich hoffe, das wissen die Unternehmen auf der anderen
    Seite auch.

    Ich habe nicht nur die Hoffnung, sondern ich glaube, es
    kann klappen, dass wir auf diese Weise einen Anteil an Zeit-
    und Leiharbeit wie in anderen europäischen Ländern errei-
    chen. Er liegt bei uns unter 1 Prozent, in den Niederlanden
    bei mehr als 4 Prozent. Ich denke, dass wir alle miteinan-
    der ein Interesse daran haben müssten, diese Chance nicht
    verstreichen zu lassen, sondern sie offensiv zu nutzen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was ins-
    besondere den Mittelstand drückt. Darüber ist im Wahl-
    kampf viel gestritten worden. Wir haben schon in dieser
    Auseinandersetzung deutlich gemacht, was wir steuerpo-
    litisch auf den Weg gebracht haben. Die faktische Ab-
    schaffung der Gewerbeertragsteuer durch ihre Anre-
    chenbarkeit auf die von den Personengesellschaften zu
    zahlende Einkommensteuer hat sich der Mittelstand im-
    mer gewünscht. Seine Verbände haben dies jedoch nie ge-
    würdigt, obwohl es wirklich zu einer Besserstellung des
    Mittelstands im System geführt hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich finde, dass die Politik einen Fehler macht, wenn sie
    sich das, was sie auf den Weg gebracht hat und was
    Deutschlands Wirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht hat,
    immer klein reden oder auch klein schreiben lässt.

    Darüber hinaus ist klar: Es gibt ein zentrales Problem
    des deutschen Mittelstands, der so wichtig ist für unser
    Land. Das ist die Refinanzierung seiner wirtschaftlichen
    Aufgaben in den Unternehmen.


    (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Deswegen erhöht ihr die Steuern!)


    Wir haben in diesem Zusammenhang eine lange Debatte
    über Basel II geführt. All diejenigen in den Banken und
    Sparkassen, die mit Hinweis auf Basel II eine restriktive
    Kreditvergabe ausüben, täuschen. Sie täuschen in der Tat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer sich die Ergebnisse von Basel II im Einzelnen an-
    schaut, der wird finden, dass, bezogen auf die Refinanzie-
    rung des deutschen Mittelstands, Basel II hilfreicher ist als
    Basel I. Denn der deutsche Mittelstand refinanziert sich im
    Unterschied zu dem in angelsächsischen Ländern nicht in
    erster Linie über Eigenkapital, sondern über langfristige
    Kredite –, das ist eine Besonderheit des deutschen Mittel-
    stands. Darüber lässt sich ernsthaft nicht streiten. Das ist so.

    Im Übrigen kann die aktuelle Krise im Mittelstand und
    dessen Finanzierung gar nichts mit Basel II zu tun haben;
    denn diese Neuregelung tritt erst 2006 in Kraft.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch an dieser Stelle erweist sich, dass Politik gelegent-
    lich benutzt wird, um falsche Geschäftspolitik zu ka-
    schieren. Das sollten wir auch deutlich sagen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Was werden wir tun? Ich denke, zunächst einmal sind
    die steuerlichen Maßnahmen, insbesondere die, die wir
    im Zusammenhang mit der Anrechenbarkeit der Ge-
    werbesteuer und mit der Wiedereinführung der Investiti-
    onszulage durchgeführt haben, auf der Habenseite zu bu-
    chen. Dort werden sie von denen, die fair mit dem, was
    geleistet worden ist, umgehen, auch gebucht.

    Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Wir müssen mitei-
    nander deutlich machen, dass sowohl die großen Geschäfts-
    banken als auch die für diesen Zweck ehemals gegründeten
    Sparkassen und sonstigen Selbsthilfeorganisationen des
    Mittelstands ihre Geschäftspolitik so ändern müssen, dass
    der Mittelstand ausreichend mit Kapital versorgt werden
    kann. Dies zu verdeutlichen ist eine Aufgabe, die wir mit-
    einander haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das muss in erster Linie die Aufgabe der beteiligten
    Banken und anderen Kapitalsammelstellen bleiben, ins-
    besondere und nicht zuletzt der Sparkassen, die zu diesem
    Zweck gegründet worden sind und mit diesem Zweck im
    Übrigen auch massiv Werbung betreiben. Um das zu un-
    terstützen, werden wir noch in diesem Jahr die Kredit-
    anstalt für Wiederaufbau mit der Ausgleichsbank
    zusammenlegen, um auf diese Weise für die Mittelstands-
    finanzierung ein Rückgrat zu schaffen, das ebenso effi-
    zient wie zureichend mit Kapital ausgestattet ist. Ich halte
    das für notwendig.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Aber ich sage hier genauso klar: Das ist nicht der Er-
    satz für die Aufgaben, die den Banken und den Sparkas-
    sen gestellt werden, nämlich auch in Zukunft Geld auszu-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    882


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 883

    leihen, damit wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet werden
    kann. Das ist die Aufgabe, die die Verantwortlichen in den
    Sparkassen und Banken haben und die nicht auf die Poli-
    tik abgewälzt werden darf.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das dritte große Thema, das wir behandeln müssen, be-
    trifft die Entwicklung des Gesundheitssystems. Dazu
    möchte ich einige wenige Bemerkungen machen. Ich
    glaube, dass das, was wir zum Beispiel mit der Regelung
    der Fallpauschalen in den Krankenhäusern begonnen ha-
    ben, mehr Effizienz und mehr sorgsamen Umgang mit
    dem zur Verfügung gestellten Geld bedeutet. Ich glaube,
    dass das, was auf den Weg gebracht worden ist, nämlich
    die Leistungserbringer zur sinnvollen Finanzierung und
    zum sinnvollen Umgang mit den Ressourcen im System
    anzuhalten, richtig ist und Unterstützung verdient.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich glaube, dass wir in Zukunft miteinander dafür sorgen
    müssen, dass in dieses System mehr Markt einkehrt und
    dass sich diejenigen, die sonst so sehr für mehr Markt sind,
    als Leistungserbringer nicht hinter Institutionen verschan-
    zen dürfen, wenn es zum Beispiel darum geht, dass auch
    Krankenkassen Verträge mit denen aushandeln können und
    sollen, die es besser und preiswerter machen als andere.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer hat denn etwas dagegen, wenn über Patienten-
    quittungen transparent wird, was geleistet wurde und ab-
    gerechnet wird, was mehr und was weniger nötig ist?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wo steht eigentlich geschrieben, dass es in Deutschland
    ehernes Gesetz sein muss, dass es Wettbewerb, wie es ihn
    in den Drogerien gibt, bei den Apotheken mit Vorteilen für
    die Konsumenten nicht geben darf? Nach meiner Kennt-
    nis steht es geschrieben, aber nicht für die Ewigkeit. Des-
    wegen kann und muss es geändert werden. Wir sind auf
    dem Weg dorthin.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ein Gesundheitssystem mit mehr Transparenz, mit
    mehr Markt zu schaffen, auch dann, wenn die Leistungs-
    erbringer nicht alles an Vorteilen wie bisher realisieren
    können und deswegen ganz lautstark schreien, ist not-
    wendig. Wir werden das tun. Seien Sie dessen sicher.

    Eines ist klar: Wir werden auch auf der Seite derer, die
    die Leistungen bekommen, das, was möglich ist, auf das
    medizinisch Notwendige – aber dann für alle und nicht
    nur für Teile der Gesellschaft – reduzieren müssen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Auch das werden wir in Angriff nehmen. Machen Sie sich
    darüber keine Sorgen.

    Ich meine, es wird deutlich, dass wir kurzfristig für die
    Stabilisierung der Systeme mithilfe der Gesetzgebungs-

    maßnahmen sorgen müssen, die wir auf den Weg gebracht
    haben und von denen wir hoffen, dass sie nicht aus par-
    teipolitischen Egoismen heraus von der jeweiligen Mehr-
    heit im Bundesrat angehalten werden. Das wäre fatal für
    unser Land.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich hoffe, es ist allen deutlich geworden – nicht zuletzt
    denen, die uns zuschauen –, dass das die Basis für weiter-
    führendes Handeln und nicht der Ersatz für weitergehende
    Reformen ist. So herum wird die Abfolge vernünftig: Erst
    muss man die Grundlage dafür schaffen, dass man Refor-
    men und Veränderungen ohne Angst für die Betroffenen
    durchführen kann. Das ist die Abfolge, die in den Geset-
    zen auf der einen Seite und den Strukturmaßnahmen auf
    der anderen Seite sichtbar werden sollte. Vielleicht ist es
    noch nicht ausreichend deutlich geworden. Das will ich
    gern zugeben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    In dieser Auseinandersetzung hier und heute soll auch
    nicht in Vergessenheit geraten, was wir über die Neu-
    justierung von Haushalt und sozialen Sicherungssys-
    temen hinaus in dieser Legislaturperiode auf den Weg
    bringen wollen, angefangen mit diesem Haushalt. Es ist
    nämlich die zentrale Aufgabe, unser Bildungssystem so
    einzurichten, dass es internationalen Anforderungen wie-
    der gerechter wird, als das gegenwärtig der Fall ist.

    Ich weiß sehr wohl um die Zuständigkeiten. Niemand
    von uns will sie über Gebühr strapazieren. Dies ginge
    auch nicht; das wissen wir. Aber es muss doch klar sein,
    dass das, was wir gegenwärtig anbieten, nämlich in Zu-
    sammenarbeit mit den Ländern für ein massives Auswei-
    ten der Ganztagsbetreuung von Kindern zu sorgen – nach
    unserer Vorstellung zunächst in Schulen, aber dann auch
    in den Krippen und Horten –, ein vernünftiger Weg ist,
    und zwar einer, der darüber hinaus die Defizite im Bil-
    dungssystem beseitigen kann. Es gibt doch die Korrela-
    tion zwischen mangelnder Betreuung insbesondere der
    Kinder aus sozial schwachen Schichten einerseits und
    Bildungsversagen andererseits.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Was wir machen, ist bildungspolitisch vernünftig. Unter
    dem Gesichtspunkt der Teilhabe von Frauen am gesell-
    schaftlichen Leben sowie an der Erwerbsarbeit ebenso
    wie an der Nichterwerbsarbeit ist es allemal vernünftig.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen möchte ich, dass dieses Projekt in fairer Zu-
    sammenarbeit mit den Ländern, die die Zuständigkeit be-
    sitzen, so umgesetzt wird, dass sichtbar bleibt, dass hier
    nicht Geld vom Bund für den Haushaltsausgleich gegeben
    wird, sondern für die zentrale gesellschaftliche Aufgabe
    dieses Jahrzehnts, die notwendigen Betreuungseinrich-
    tungen zu schaffen, dass auch Frauen die Chance haben,
    sich auf dem Arbeitsmarkt oder in anderen Bereichen
    betätigen zu können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem
    Thema machen, das vorhin angesprochen worden ist und
    auch Gegenstand des eingebrachten Antrages ist. Es geht
    um das, was wir in Kopenhagen zu beschließen haben
    werden. Ich denke, es besteht Einigkeit in diesem Hohen
    Hause darüber, dass gerade wir Deutschen die Aufgabe
    haben, in Kopenhagen dafür zu sorgen – zu erträglichen
    materiellen Bedingungen, das ist keine Frage –, dass ein
    historischer Beschluss über die Erweiterung der Euro-
    päischen Union nach Osten zustande kommt. Dies ist un-
    ser fester Wille. Dafür werden wir hart arbeiten, dessen
    können Sie sicher sein. Ich denke, darüber besteht in die-
    sem Hohen Hause auch kein Streit.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Über die Bedingungen im Einzelnen wird noch zu reden
    sein. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die dänische
    Präsidentschaft – wenn auch noch nicht in allen Punkten –
    generell auf einem richtigen Weg ist und wir in Kopenha-
    gen einen Erweiterungsbeschluss fassen können, der ers-
    tens der historischen Bedeutung dieser Aufgabe gerecht
    wird und zweitens die materiellen Ressourcen eines Netto-
    zahlers wie Deutschland nicht über Gebühr beansprucht.

    Zum Nulltarif – ich denke, das wissen wir alle – wird
    dies nicht zu haben sein. Das muss auch nicht sein; denn
    wir, die Deutschen, werden diejenigen sein, die in erster
    Linie sowohl politisch als auch ökonomisch davon profi-
    tieren werden. Wenn Sie sich die Präsenz deutscher Unter-
    nehmen auf den Märkten, um die es dabei geht, ansehen,
    stellen Sie fest, dass wir überall die Nummer eins oder die
    Nummer zwei sind. Diese Situation wird nicht schlechter,
    sondern besser werden, wenn die Integration dieser Län-
    der in die Europäische Union fortgeschrittener ist.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen sage ich den Beschäftigten, auch denjenigen
    jenseits der Grenzen, die Angst haben: Es ist nicht nötig,
    Angst zu haben, weil in der Erweiterung der Europäischen
    Union sowohl ökonomisch als auch für die Menschen auf
    den Arbeitsmärkten mehr Chancen als Risiken liegen. Wir
    werden die Chancen maximieren und die Risiken mini-
    mieren. Das begreifen wir als unsere Aufgabe.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist wahr: Wir werden in Kopenhagen auch über die
    Frage der Aufnahme der Türkei reden müssen. Dies ist
    hier angeklungen und wurde auch in dem Antrag, der ein-
    gebracht worden ist, thematisiert. Meine sehr verehrten
    Damen und Herren, ich rate dringend, dieses Problem nicht
    als ein Problem zu betrachten, mit dem man einem Kolle-
    gen in einem Bundesland – in diesem Fall in Hessen – ein
    billiges Wahlkampfthema gibt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist wieder eine Flegelei! Er ist der Flegel! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)


    – Sie kriegen es gleich. Warten Sie einmal ab!
    Ich bin gefragt worden, wie die deutsche Bundesregie-

    rung in Kopenhagen mit diesem Problem umgehen wird.

    Natürlich haben Sie Anspruch darauf, das zu erfahren.
    Deswegen sage ich Ihnen das auch gern. Zwei Punkte sind
    zu nennen:

    Erstens. Natürlich werden wir in Kopenhagen eine sehr
    eng abgestimmte Haltung, möglichst eine gemeinsame
    Position mit Frankreich, vertreten. Ich habe das Vergnü-
    gen, heute Abend den französischen Staatspräsidenten in
    Berlin zu Gast zu haben. Ich habe viel mit Jacques Chirac
    darüber geredet. Wir sind uns eigentlich einig darüber,
    dass es Sinn macht, in Kopenhagen eine gemeinsame
    französisch-deutsche Position zu vertreten. Ich will
    nichts vorwegnehmen, was heute Abend mit dem Gast zu
    besprechen sein wird. Aber ich denke schon, es gibt in die-
    sem Haus keinen Streit darüber, dass es Sinn macht, in
    dieser so wichtigen Frage eine gemeinsame Position von
    Frankreich und Deutschland zu erarbeiten.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Nein!)


    – Auch nicht? Na gut, dann schauen wir mal weiter. Herr
    Glos meint, keine gemeinsame Position von Deutschland
    und Frankreich.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Nicht um jeden Preis! Es geht darum: nicht um jeden Preis, Herr Bundeskanzler!)


    – Es wird jetzt langsam klar, was Sie eigentlich wollen.
    Sie wollen nämlich nicht ein Problem lösen, sondern – das
    scheint mir wirklich so zu sein, Herr Glos; das wird im-
    mer deutlicher – ein Feuerchen anmachen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich will die anderen Außenpolitiker über die Haltung
    der deutschen Bundesregierung wenigstens informieren.
    Ich bleibe dabei: Es macht Sinn, – die CDU/CSU-Frak-
    tion kann das durch Frau Merkel nachher richtig stellen –,
    eine abgestimmte Position zwischen Frankreich und
    Deutschland zu erarbeiten. Herr Glos meint: nein; ich
    meine: ja. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Nicht um jeden Preis!)


    – Ich habe das verstanden. Sie können sich noch dazu
    äußern.


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Nein, Sie haben es nicht verstanden!)


    Zweitens. Es sollte Einigkeit darüber bestehen, dass
    wir ein großes, ein gemeinsames – ich sage: ein nationa-
    les – deutsches Interesse daran haben, dass in der Türkei
    die Kräfte unterstützt werden, die eine säkularisierte Tür-
    kei im Sinne ihres Staatsgründers Atatürk wollen und
    dafür auch einstehen, und dass diese Türkei nicht in den
    islamischen Fundamentalismus abdriftet.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es gibt auch keinen Streit darüber, dass wir ein nationales
    Interesse daran haben, dass die Türkei eine immer enger
    werdende Bindung an den Westen erfährt


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


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    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 885

    und dass wir vor diesem Hintergrund auch ein gemeinsa-
    mes Interesse daran haben, in der Politik gegenüber der
    Türkei Kontinuität zu wahren. Dementsprechend werde
    ich in Kopenhagen handeln.

    Jetzt lese ich Ihnen einmal vor, auf welcher Basis ich
    das tun werde. Ich zitiere – ich sage Ihnen gleich, wen –:

    Ich habe in der Debatte auf zweierlei hingewiesen,
    nämlich erstens darauf, dass wir, die Bundesrepublik
    Deutschland, sehr damit einverstanden sind, dass die
    Türkei in der Perspektive der Zukunft eine Chance
    hat, der Europäischen Union beizutreten.

    So Helmut Kohl in einer Pressekonferenz nach der Son-
    dertagung des Europäischen Rats vom 20. und 21. No-
    vember – nicht 1963, sondern 1997.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das ist die Kontinuität, um die es geht. Die werde ich
    wahren. Sie können sie verletzen, wenn Sie wollen.


    (Zuruf von der SPD: Jetzt hat es euch erwischt! – Zuruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


    – Herr Glos, derjenige, der das gesagt hat, war ein großer
    Europäer. Er hat wohl gewusst, worüber er redet.

    Jetzt zitiere ich einen nicht ganz so großen Europäer:
    Bei der derzeit überaus lebhaften Debatte über die
    Türkei sollten zwei Punkte nicht übersehen werden.
    Erstens: Das Land strebt unverändert nach Vollmit-
    gliedschaft in der Europäischen Union ... Was aber
    soll uns Deutsche veranlassen, die Türkei auf diesem
    Weg an vorderster Stelle zu unterstützen? Vieles
    spricht dafür, nur wenig dagegen.

    So Michael Glos am 23. Oktober 1997 in der „Welt“.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall bei Abgeordneten der FDP)


    Das war damals in der „Welt“. Herr Glos, mir scheint, Sie
    sind jetzt aus der Welt. Das ist das Problem, das Sie ha-
    ben.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Damit wir sehen, auf welch löchrigem Boden Sie sich
    mit Ihrem Antrag bewegen, zitiere ich einen noch „größe-
    ren“ Außenpolitiker aus der CSU:

    Es geht nicht an, dass ein wichtiges Brückenland
    zwischen Europa und dem Nahen Osten und Zen-
    tralasien an den Rand gedrückt und wie ein Aussät-
    ziger behandelt wird.

    Das ist noch Communis Opinio. Weiter heißt es:
    Im EG-Assoziierungsabkommen vor nunmehr
    30 Jahren war der Türkei bereits die volle EG-Mit-
    gliedschaft in Aussicht gestellt worden. Diese zu-
    mindest moralische, wenn nicht eigentlich sogar
    rechtliche Verpflichtung sollten die Kollegen des Eu-
    ropäischen Parlaments ... in ihrem Abstimmungsver-
    halten im Auge behalten.

    Diese Ausführungen in einer Presseerklärung der CSU-Lan-
    desgruppe vom 17. März 1995 stammen von Christian
    Schmidt, einem der großen Außenpolitiker Ihrer Fraktion.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, ich rate Ihnen dringend,
    diesen Antrag, mit dem Sie die Bundesregierung auffor-
    dern, etwas anderes zu tun, als Sie immer getan haben,
    sang- und klanglos zurückzuziehen. Ich möchte Ihnen die
    Blamage gerne ersparen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wenn Sie das nicht tun, besteht nicht mehr nur der Ver-
    dacht, sondern die Gewissheit, dass Sie die Kontinuität in
    der Außenpolitik nicht mehr wollen und dass Sie das Ver-
    hältnis zur Türkei benutzen wollen, um Herrn Koch ein
    billiges Wahlkampfmanöver zu erlauben. Sie müssen ver-
    antworten, ob Sie sich auch dieses Mal wieder zwingen
    lassen wollen wie damals mit dem Ausschuss unseligen
    Angedenkens.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Darüber müssen Sie Auskunft geben. Es wird Ihnen,
    meine Damen und Herren von der Opposition, nicht leicht
    gemacht werden, mir nichts, dir nichts die Politik einfach
    wegzuschieben, die nicht in Ihr Wahlkampfmanöver
    passt. So leicht nicht, meine Damen und Herren von der
    Opposition!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU)


    – So ist das, wenn man mit den Tatsachen allzu unhisto-
    risch umgeht.

    Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen.
    Deutschland hat – das habe ich schon mehrfach deutlich
    gemacht – hinsichtlich der Bekämpfung des internationa-
    len Terrorismus und der Maßnahmen, die damit zusam-
    menhängen, nun wirklich nicht den geringsten Grund, sein
    Licht in irgendeiner Weise unter den Scheffel zu stellen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der Außenminister und ich haben auf dem Petersberg
    deutlich gemacht, dass wir alleine in diesem Jahr für den
    Einsatz in Afghanistan und den Wiederaufbau dieses Lan-
    des 650 Millionen Euro ausgeben. Ich kenne nicht viele
    Länder, die sich in ähnlicher Weise engagieren. Deswegen
    hat Deutschland keinen Grund, sich Vorwürfe machen zu
    lassen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
    sollten nicht die Stichworte liefern, dass uns Vorwürfe ge-
    macht werden können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir sind auf dem Balkan präsent. Sie haben zu Recht
    darauf hingewiesen, dass das unser gemeinsamer Wille
    war. Ich betone: Sie haben Enduring Freedom nicht zuge-
    stimmt, aber aus anderen Gründen als dem Inhalt. Da-
    rüber besteht kein Streit. Diesen Willen haben Sie, wie ich

    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Bundeskanzler Gerhard Schröder
    denke, dadurch bewiesen, dass Sie, als es um die Verlän-
    gerung ging, mit an Bord waren.

    Was wir auf dem Balkan und in Afghanistan im Rah-
    men von Enduring Freedom tun, kostet uns im Jahr
    2 Milliarden Euro. Das ist mehr, als jede andere Bundes-
    regierung bisher aufwenden musste und aufgewendet hat.
    Niemand in der internationalen Politik, mit Ausnahme der
    Opposition im deutschen Parlament, macht Deutschland
    den Vorwurf mangelnden Engagements bei der Wahrneh-
    mung seiner internationalen Pflichten. Sie sollten das sein
    lassen. Sie zerstören auf diese Weise den wohl verdienten
    Ruf dieses Landes.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Irak-Reso-
    lution 1441 etwas anders interpretieren als Sie, nämlich
    als die Chance, durch die Inspektoren zu erfahren, was in
    dem Land wirklich ist. Daraus werden wir die Konse-
    quenzen ziehen, und zwar friedlich und ohne Krieg.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das steht im Mittelpunkt unserer Politik. Darauf wollen
    wir hinarbeiten.

    Es gibt unterschiedliche Einschätzungen darüber, was
    jetzt im Irak vor sich geht, welche Bewegungsmöglich-
    keiten die Inspektoren haben und welche nicht. Wir soll-
    ten es in dieser Frage mit Kofi Annan halten, der als Ers-
    ter informiert wird und die Informationen an diejenigen,
    die sie angehen, weitergibt. Gegenwärtig jedenfalls – ich
    äußere mich sehr zurückhaltend – sieht es Gott sei Dank
    so aus, als könnte es gelingen, das Ziel einer Entwaffnung
    und der Vernichtung von Massenvernichtungswaffen – das
    sage ich ganz bewusst – friedlich zu erreichen. Das hoffe
    ich jedenfalls sehr. Ich führe keine theoretischen Debatten
    darüber, was passiert, wenn dies nicht der Fall sein wird;
    denn vor Self-fulfilling Prophecy habe ich doch aus-
    drücklich zu warnen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben deutlich gemacht, wo wir stehen und was wir
    zu leisten imstande und bereit sind. Das habe ich den Frak-
    tionsvorsitzenden und auch öffentlich gesagt. Das habe ich
    hier in aller Deutlichkeit zu unterstreichen. Dabei bleibt es;
    dem ist nichts hinzuzufügen. Dass wir im Einklang mit un-
    seren Gesetzen und unseren materiellen Möglichkeiten al-
    les tun, um die Sicherheit des Staates Israel und seiner
    Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, gehört im Übri-
    gen zu den guten Kontinuitäten deutscher Außenpolitik.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass wir schnell han-
    deln mussten, um zur Stabilisierung des Haushalts – dazu
    hat der Finanzminister gestern Richtiges und Wichtiges
    gesagt – und der sozialen Sicherungssysteme beizutragen,
    nicht mit dem Ziel, alles so zu lassen, wie es ist, sondern
    mit dem Ziel, auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitswe-
    sen und bei der Rente dort einzugreifen, wo es nötig ist,

    aber mit der gebotenen Vorsicht und der sozialen Sensibi-
    lität, weil es um Menschen geht, die eine Lebensleistung
    erbracht haben. Sie darf man nicht ungestraft irgendwel-
    chen Debatten aussetzen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Bei diesen Gesetzen geht es um die kurzfristige Stabi-
    lisierung mit dem Ziel, mittel- und langfristig jene struk-
    turellen Probleme zu lösen, die nicht nur mit der Kon-
    junktur zu tun haben, sondern auch mit der damals nicht
    von allen kritisierten Finanzierung der deutschen Ein-
    heit über die sozialen Sicherungssysteme. In der Krise
    und bei Veränderungen im Altersaufbau unserer Gesell-
    schaft werden diese strukturellen Mängel besonders deut-
    lich. Sie müssen nun angegangen werden, und zwar auf
    einer Basis, die den Menschen keine Angst macht, son-
    dern ihnen Hoffnung gibt. Wir werden diese Aufgabe be-
    wältigen. Seien Sie dessen sicher!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Weil wir sehr genau die Tatsache kennen, dass wir in der
    zweiten Kammer, im Bundesrat, auf die Zusammenarbeit
    mit der Opposition angewiesen sind, möchten wir die Op-
    position auffordern, in den Punkten, in denen es keinen po-
    litischen Streit gibt oder wo man ihn überwinden kann, im
    Interesse des Landes und im Sinne einer Koalition der Ver-
    nünftigen sachlich und fair mitzuarbeiten. Wir erwarten
    nicht, dass nun harte Kritik von der Tagesordnung ver-
    schwindet, bitten aber darum, dass jede Form der persön-
    lichen Diffamierung in den Hintergrund tritt. Im Übrigen
    glauben wir daran, dass wir unsere Aufgabe, die uns am
    22. September 2002 übertragen wurde, mit aller Kraft aus-
    füllen werden, dass aber ebenso die Opposition nicht nur
    die Pflicht zur Kritik, sondern auch die Pflicht zur Verant-
    wortung hat. Auch diese haben Sie wahrzunehmen.

    Vielen Dank, meine Damen und Herren.

    (Lang anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abgeordnete der SPD erheben sich)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Ich erteile dem Kollegen Guido Westerwelle das Wort.


(Beifall bei der FDP)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Guido Westerwelle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

    ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein bemer-
    kenswerter Schlussapplaus. Vier Abgeordnete der SPD
    sind sogar aufgestanden. Die müssen Sie sich merken!

    Es ist schon bemerkenswert: Normalerweise kann man
    an der Länge des Beifalls die Qualität einer Rede ablesen.
    Ist der Beifall lang, war die Rede gut. Bei Ihnen ist es aber
    genau umgekehrt. Seit Monaten ist zu beobachten: Je
    schlechter Ihre Reden sind, desto länger applaudieren Ihre
    Genossen,


    (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


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    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 887

    so, als wollten sie Ihnen ein bisschen Mut machen. Denn
    nachdem der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
    land etwas mehr als eine Stunde gesprochen hat, ist fest-
    zuhalten, dass Sie, Herr Bundeskanzler, zwei Drittel Ihrer
    Redezeit darauf verwandt haben, sich mit der Opposition
    auseinander zu setzen und sie zu beschimpfen. In der ver-
    bleibenden Zeit haben Sie nichts anderes gebracht als ein
    paar Allgemeinplätze. In Wahrheit ist diese Rede, die
    doch von Ihren Emissären als historische Rede angekün-
    digt worden ist, sogar noch hinter Ihrer Regierungserklä-
    rung zurückgeblieben, die Sie hier vor wenigen Wochen
    abgegeben haben.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie haben eine Sammelsuriumrede gehalten. Ihre Rede
    zeigt, dass Sie ausgebrannt sind und dass es Ihnen an Saft
    und Kraft fehlt.


    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Zuhören!)


    Sie haben am Anfang mit einer Heftigkeit auf die Op-
    position eingeprügelt, die mich prompt an ein Zitat von
    Johann Wolfgang von Goethe erinnert hat:

    Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an
    Wahrheit und an Kräften fehlt.

    Das, was Sie heute gebracht haben, war sehr heftig, Herr
    Bundeskanzler.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Was die Wahrheit angeht, möchte ich Sie darauf auf-

    merksam machen, dass uns während Ihrer Rede eine Mel-
    dung der Nachrichtenagentur dpa von 9.51 Uhr erreichte:

    Die Zahl der Arbeitslosen ist im November wieder
    über die Vier-Millionen-Marke gestiegen. Nach
    Angaben der Bundesanstalt für Arbeit waren
    4 025 800Menschen ohne Arbeit, 96 100mehr als im
    Oktober und 236 900 mehr als vor einem Jahr.

    Von einem Bundeskanzler der Bundesrepublik
    Deutschland erwarte ich, dass er hier eine Konzeption
    vorträgt und uns mitteilt, wie das Ziel der Bekämpfung
    der Arbeitslosigkeit durch Strukturreformen vorange-
    bracht werden kann. Dazu sagen Sie aber nichts, Herr
    Bundeskanzler.


    (Zuruf von der SPD: Aber Sie, ja?)

    Sie reden sich mit der Weltwirtschaft heraus.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Diese Regierung hat keinen Faden; sie hat noch nicht

    einmal einen roten Faden. Das Problem ist, dass Sie keine
    Struktur und keine Konzeption haben. Sie erzählen uns et-
    was über Ihre Sicht zu Drogerien und Apotheken. Das ist
    zwar außerordentlich wichtig, aber das kann doch nicht
    allen Ernstes Ihre Antwort darauf sein, wie die demokra-
    tiegefährdende Massenarbeitslosigkeit wieder reduziert
    werden kann. Sie reden an den Menschen vorbei. Ihr Pro-
    blem ist, Herr Bundeskanzler, dass Sie jetzt von Ihren Zi-
    taten eingeholt werden. Sie haben zur Erheiterung des
    Hauses fünf Jahre alte Zitate von Herrn Glos vorgetragen.

    Bei Ihnen reicht es, fünf Wochen alte Zitate vorzutragen,
    um Sie in der Wirtschaftspolitik als Umfaller zu entlarven.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Was haben Sie nicht alles versprochen! Sie wollten – mit

    dieser Aussage sind Sie in den Wahlkampf gegangen – die
    Steuern und die Schulden nicht erhöhen und die Abga-
    benbelastung auf einem stabilen Niveau halten. Nichts da-
    von ist erfüllt worden. Es ist ja bemerkenswert, mit wel-
    cher Wortakrobatik Sie uns mittlerweile die Erhöhung der
    Abgaben schmackhaft machen wollen, ausgerechnet Sie,
    der noch im Sommer dieses Jahres gesagt hat, dass eine
    solche Politik in der jetzigen konjunkturellen Situation
    ökonomisch unsinnig sei und deshalb nicht in Betracht
    gezogen werde. Nein, Sie können sich mit dem Hinweis
    auf die Lage der Weltwirtschaft nicht beliebig herausre-
    den. Das Problem in Deutschland ist nicht irgendeine kon-
    junkturelle Krise. Sie hoffen und vertrauen darauf – das ist
    in Wahrheit das Problem der Regierung –, dass die Welt-
    konjunktur anspringt, indem die Vereinigten Staaten von
    Amerika strukturelle Maßnahmen beschließen und durch-
    führen, die Sie in Deutschland ausdrücklich verweigern.
    Das ist Ihr großes Problem, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie hoffen darauf, dass die Weltwirtschaft durch Wachs-
    tum in den USA in die Gänge kommt. Aber Sie sind nicht
    bereit, Ihren Beitrag zu leisten und auf die strukturellen
    Prozesse in Deutschland entsprechend zu reagieren.

    Wir haben in Deutschland nicht irgendeine Konjunk-
    turkrise, sondern eine Krise der Strukturen. Wenn diese
    Wahrheit nicht von Ihnen und von der Regierung ange-
    nommen wird, dann wird es in diesem Winter 4,5 Millio-
    nen Arbeitslose geben. Arbeitslosigkeit ist ein schlimmes
    Schicksal für die Betroffenen und deren Familien. Dazu
    sagen Sie aber nichts. Sie sprechen stattdessen stunden-
    lang über Herrn Glos und seine Zwischenrufe. Sie gehen
    auf das Problem der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
    nicht ein.


    (Walter Schöler [SPD]: Sie machen doch nichts anderes!)


    Sie sind angeschlagen und ausgebrannt. So war auch Ihre
    Rede. Sie haben keine Ziele formuliert. Das ist das Pro-
    blem Deutschlands.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn an der schlechten Situation in Deutschland allein

    die Weltwirtschaft bzw. die Weltkonjunktur schuld wäre,
    dann wäre es schlechterdings nicht erklärbar, warum
    Deutschland unter Ihrer Regierung – das war früher nicht
    der Fall – bei nahezu allen ökonomischen Daten zum
    Schlusslicht in Europa geworden ist. Das wird auch in
    diesem Jahr wieder so sein: Nach den Prognosen wird das
    Wirtschaftswachstum in Deutschland bei 0,4 Prozent, in
    Frankreich bei 1,1 Prozent, in Großbritannien bei 1,4 Pro-
    zent, in Griechenland bei 2,5 Prozent und in Irland bei
    3,5 Prozent liegen. Das heißt, Deutschland ist das Schluss-
    licht beim Wachstum in Europa. Wenn an der schlechten
    Situation in Deutschland nur die Weltwirtschaft bzw. die
    Weltkonjunktur oder die „böse“ Globalisierung schuld
    wäre, dann müssten doch die anderen europäischen Län-
    der zumindest in vergleichbaren Schwierigkeiten stecken.

    Dr. Guido Westerwelle

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Guido Westerwelle
    Aber in Wahrheit machen diese, ausdrücklich auch die so-
    zialdemokratisch regierten, eine andere Politik. Ich möch-
    te aus der Rede zitieren, die der britische Schatzkanzler
    am 5. November 2002 – das ist also nur wenige Wochen
    her – gehalten hat:

    Heute erläutere ich die radikalen Maßnahmen für
    mehr Wettbewerb, für weniger Bürokratie und für die
    Senkung der Unternehmensteuern zur Förderung
    von Entrepreneurship, um die Unternehmenskultur
    in der britischen Wirtschaft zu erweitern und zu ver-
    tiefen.

    Sozialdemokratische Führer in Europa gehen also den
    Weg der ordnungspolitischen und marktwirtschaftlichen
    Erneuerung. Sie gehen dagegen den Weg der bürokrati-
    schen Staatswirtschaft. Das ist das Grundproblem unserer
    Republik.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Mit was kommen Sie jetzt an? Sie kommen mit einer

    Steuererhöhung nach der anderen an.

    (Johannes Kahrs [SPD]: Kümmern Sie sich doch erst einmal um die FDP!)

    Es ist ja bemerkenswert, für welche Sprachverwirrung Sie
    in der laufenden Debatte sorgen. Das, was Sie vorgelegt
    haben, nennt sich Sparpaket. Seit wann handelt es sich
    um ein Sparpaket, wenn die Steuern, die Abgaben und die
    Schulden erhöht werden? Die Einzigen, die nach Ihren
    Vorstellungen sparen müssen, sind die Bürger.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Herr Kollege Müntefering, Sie haben wörtlich gesagt – das
    ist eigentlich eine freudsche Fehlleistung, die Ihre wahre
    Geisteshaltung ausdrückt –:

    Weniger für den privaten Konsum – und dem Staat
    Geld geben, damit Bund, Länder und Gemeinden
    ihre Aufgaben erfüllen können.

    Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Ihrer und
    unserer Politik: Sie wollen Volkseigentum, wir wollen ein
    Volk von Eigentümern.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie führen den Klassenkampf fort. Sie können nicht

    einmal mehr kaschieren, wie sehr Sie sich den Reformen
    entziehen, wie strukturunfähig die Koalition aus Sozial-
    demokraten und Grünen ist. Das kann man den jüngsten
    Äußerungen von Herrn Stiegler, die uns gestern wieder
    beglückt haben, entnehmen. Ich bin mir gar nicht sicher,
    ob ich so etwas zitieren darf.


    (Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der FDP: Klar!)


    Darf ich das zitieren, Herr Präsident?