Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe diese Debatte den ganzen Tag lang
verfolgt. Es ist außerordentlich auffällig, dass es vonsei-
ten der FDP und der CDU/CSU keinen einzigen Vor-
schlag zur Lösung unserer Probleme und zur Beantwor-
tung der Zukunftsfragen gibt. Es gibt mal Klamauk, mal
irgendwelche merkwürdigen Fragestellungen, aber kei-
nen einzigen konstruktiven Beitrag Ihrerseits.
Ich frage mich langsam, warum das so ist. Es ist wohl so,
dass unser Zirkusdirektor Koch vor der Wahl in Hessen
nicht deutlicher werden möchte.
Ich habe eine Anregung dazu: Vielleicht könnte der Auf-
trag des Untersuchungsausschusses um das Wahlver-
schweigen des Herrn Koch vor der Landtagswahl in Hes-
sen erweitert werden. Denn auf einmal ist von tiefen
Einschnitten in das Sozialsystem und Ähnlichem oder
von der schonungslosen Aufklärung hinsichtlich der Fi-
nanzmisere der CDU oder gar der FDP nichts mehr zu
hören.
– Jawohl: brutalst möglich. Tatsächlich besteht das
Hauptproblem neben der schlechten weltweiten Konjunk-
tur in dem Reformstau der früheren Kohl-Regierung und
der falsch, nämlich aus den Sozialkassen, finanzierten
deutschen Einheit. Deswegen ist – obwohl wir viel ge-
schafft haben – der Reformdruck so groß.
Die gleiche Politik des Aussitzens vonseiten der
CDU/CSU und der FDP findet sich auch in der Landwirt-
schafts- und Verbraucherpolitik. Auch hier müssen die
Bemühungen des Finanzministers unterstützt werden und
die Ziele der Haushaltskonsolidierung durch eine neue
Wirtschafts- und Arbeitsmarktstrategie sowie die Umset-
zung des Hartz-Konzepts auch im Agrarbereich Anwen-
dung finden. Das bedeutet Einsparungen bei den Ausga-
ben und Erhöhung der Einnahmen, aber auch Abbau von
verzichtbaren Steuersubventionen. Wie haben während
des Wahlkampfes doch Herr Brüderle und Herr Hörster
im Bundestag nach Subventionsabbau geschrien! Heute
sitzen sie wieder unter den Tischen, wenn es um den Ab-
bau von Subventionen und gleichzeitig um die zukünftige
Sicherung der Ausgaben für Familien, Kinderbetreuung,
Bildung, Forschung und – das hat die Kollegin gerade be-
tont – Verbraucherschutzaufgaben sowie um die Unter-
stützung einer nachhaltigen Landwirtschaft geht.
Jede Reform, angefangen beim ökologischen Landbau,
wird von Ihnen als ideologisch gegeißelt. Die klamm-
heimliche Freude, die der agrarpolitische Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion, Herr Carstensen, beim Nitrofen-
Skandal geäußert hat, ist mir noch genauso gut in Erin-
nerung wie der Versuch, diesen Skandal den Biobauern
anzuhängen.
Dabei – damit komme ich auf den entscheidenden Punkt
zu sprechen – ergab doch eine gerade durchgeführte re-
präsentative Befragung der Wirtschaft, die Frau Künast in
Auftrag gegeben hatte, dass es nach Einführung des Bio-
siegels eine Umsatzerhöhung von 25 Prozent im ökologi-
schen Landbau gab. 77 Prozent der Befragten beurteilten
die Zukunft der Bioprodukte positiv. CDU/CSU und FDP
bekämpfen dieses Marktpotenzial geradezu. Das ist ideo-
logisch.
Wir halten an unserem Ziel fest, in zehn Jahren den An-
teil des ökologischen Landbaus auf 20 Prozent zu er-
höhen. Um das zu erreichen, ist die Absatzförderung not-
wendig. „Deutschland braucht seine Bauern.“
So ist ein ziemlich altbackenes Positionspapier der
CDU/CSU-Fraktion zur Agrarpolitik überschrieben. Aber
die Bauern brauchen die CDU/CSU nicht, die gemeinsam
mit der FDP sie 40 Jahre lang zum Dienstleister der Indus-
trieinteressen gemacht hat
und die nun scheinheilig die Übermacht der Ernährungs-
konzerne und den Preisdruck beklagt. Wir haben hier ver-
dammt noch einmal eine Aufgabe zu erledigen.
Geradezu fahrlässig ist aber das Aussitzen im Bereich
der EU-Agrarpolitik. Wenn es nach der CDU/CSU geht,
sollen erst nach 2006 wirkliche Reformen umgesetzt wer-
den. Sie jagt damit – das wissen Sie ganz genau – die Be-
triebe in einen Verteilungskampf hinein, den letztendlich
nur die stärkeren Unternehmen gewinnen können. Gleich-
zeitig droht mit der Umsetzung der heutigen Agrarpolitik,
die einigen viel, aber den kleinen Betrieben und den länd-
lichen Räumen viel zu wenig an Förderung zukommen
lässt, eine soziale Schieflage in den neuen Beitrittsstaa-
ten zu entstehen. Daher unterstützen wir mit Nachdruck
Ursula Heinen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Ulrike Höfken
die sich in Vorbereitung befindende inhaltliche Reform
der EU-Agrarpolitik auf der Grundlage der Vorschläge
von EU-Kommissar Fischler. Damit machen wir unsere
Landwirtschaft auch WTO-kompatibel. Frau Hasselfeldt,
Sie sollten sich dieses Themas annehmen.
Unsere Entwürfe eines Haushaltsgesetzes 2003 und ei-
nes Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und
Ausnahmeregelungen sehen eine moderate Beteiligung
der Landwirtschaft an der Haushaltskonsolidierung vor
und unterstützen gleichzeitig die Neuausrichtung der
Agrarpolitik. Selbstverständlich überprüfen wir in Ein-
zelpunkten die Vorschläge der Bundesregierung. Das ist
vollkommen normal. Herr Goldmann, man muss ja den
Eindruck gewinnen, dass Sie sich wünschen, dass wir ir-
gendwelche kleinen Kritikpunkte finden, damit Sie den
Finger in die Wunde legen können. Sie sollten uns
stattdessen unterstützen und uns dabei helfen, eine höhere
Zielgenauigkeit zu erreichen.
Erstens. Wir stärken den Verbraucherschutz sowohl
gesundheitlich als auch wirtschaftlich. Frau Ministerin
Künast hat inzwischen das Initiativrecht für diesen Be-
reich. Wir haben für einen wirklichen Paradigmenwech-
sel gesorgt. Verbraucherpolitik steht im Mittelpunkt der
Regierungspolitik. Dazu gehören die ordnungspolitischen
Maßnahmen wie das Produktsicherheitsgesetz. Vor allem
werden aber auch neue strukturelle Grundlagen durch die
Finanzierung der neuen Bundesbehörden, des Bundesam-
tes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und
des Bundesamtes für Risikoforschung, geschaffen.
Zweitens. Transparenz und Information sind ein
wichtiger Bestandteil unserer Politik. Gerade die Diskus-
sion über Acrylamid hat gezeigt, dass ein Verbraucherin-
formationsgesetz notwendig ist. NRW ist hier – darauf
haben Sie, Frau Heinen, schon hingewiesen – mit leuch-
tendem Beispiel vorangegangen. Ich meine, ein kleines
Lob wäre schon fällig.
Wir wollen das, was NRW erreicht hat, auch auf Bundes-
ebene umsetzen. Sie werden dann Farbe bekennen müs-
sen. Wir haben – das ist ein wichtiger Punkt – den Ansatz
für eine unabhängige Verbraucherberatung um 8 Milli-
onen Euro erhöht. Im Gegensatz zu früher bedeutet das
auch eine Erhöhung der Mittel für die Stiftung Waren-
test. Die Unabhängigkeit dieser Stiftung ist ohnehin ge-
geben. Ob es sich dabei um eine Stiftung oder um eine an-
dere Rechtsform handelt, ist in diesem Zusammenhang
relativ uninteressant. Angesichts knapper Kassen muss
man eben Prioritäten setzen.
Aber – um auch das noch zu sagen – dass die Länder,
zum Beispiel das Land Sachsen, die Verbraucherschutz-
zentralen nicht angemessen unterstützen, bedauern wir in
hohem Maße. Nach der Verfassung ist das aber nun einmal
der Auftrag der Länder. Wir machen auf der Bundesebene
das, was wir können, und zwar sehr konsequent und gut.
Unsere große Zielsetzung und die Herausforderung, die
wir annehmen, ist, die umwelt- und tiergerechte Produk-
tion wettbewerbsfähig zu machen.
Deswegen führen wir die Gemeinschaftsaufgabe auf ho-
hem Niveau weiter. Dazu brauchen wir auch die Modu-
lationsgelder. Sie jammern, dass 100 Millionen Euro bei
der Gemeinschaftsaufgabe gestrichen wurden, aber wol-
len den Landwirten die Gelder aus der Modulation vor-
enthalten. Mit dieser Rosstäuschung und mit diesem
Schwachsinn sollte man wirklich Schluss machen.
Wir sichern die Sozialpolitik, unterstützen den Ökoland-
bau, setzen auf nachwachsende Rohstoffe und legen das
Bundesprogramm „Tiergerechte Haltung“ auf, um damit
Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen und der Industrie, den
Pullmanns, Ei für Ei ein Stück dieser Produktion abzuja-
gen, und zwar auch mit solchen Werbe- und Absatzförde-
rungsmethoden.
Ganz zum Schluss sage ich – –