Rede von
Thomas
Dörflinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr veehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde etwas
sonderbar, wenn bei einer Debatte zu einem Einzelplan
des Bundeshaushaltes von den Rednerinnen und Rednern
der Koalition und der Bundesregierung kaum eine Zahl
fällt.
Dann muss etwas faul sein. Deswegen will ich ein paar
Zahlen nennen.
– Im Gegensatz zu Ihnen schon. Das werde ich Ihnen
gleich beweisen.
Es zeigt sich im Einzelplan 17 wie im Übrigen auch in
anderen Einzelplänen, dass die Prinzipien von Haushalts-
wahrheit und Haushaltsklarheit – nicht erst bei diesem
Haushaltsplan zum ersten Mal – nicht als oberstes Prinzip
angesehen wurden.
Da findet sich bei näherem Durchlesen – darauf wurde
dankenswerterweise schon hingewiesen – eine globale
Minderausgabe in Höhe von immerhin 91 Millionen
Euro beim Bundesamt für den Zivildienst. Es wäre ei-
gentlich Sinn und Zweck dieser Debatte gewesen, wenn
wenigstens ein Hinweis darauf gegeben worden wäre, wie
das Ministerium gedenkt, diese globale Minderausgabe
zu erwirtschaften.
Frau Ministerin, Sie haben wenigstens gesagt, dass
die Privatfrau Renate Schmidt für die Abschaffung der
Wehrpflicht und damit auch für die Abschaffung des
Zivildienstes ist. Damit sind wir einen Schritt weiter.
Diese Erkenntnis hatten wir gestern noch nicht.
Aber es hätte uns schon interessiert, wie innerhalb des
Bundesamtes für Zivildienst diese 91 Millionen Euro ge-
neriert werden sollen, und zwar ohne dass wir dann
schlussendlich bei dem Punkt sind, uns generell über die
Abschaffung der Wehrpflicht unterhalten zu müssen.
Ich finde es auch bemerkenswert – das nur am Rande –,
dass immerhin 10 Prozent des Ausgabevolumens dieses
Einzelplanes durch Verpflichtungsermächtigungen ge-
deckt sind. Das heißt, sie ziehen einen Wechsel auf die
Haushalte 2004 fortfolgende. Das hat nach meiner Über-
zeugung auch nicht unbedingt sehr viel mit seriöserer Fi-
nanzpolitik zu tun.
Ich greife noch den Gedanken von Klaus Haupt auf,
der etwas über das Personal im Ministerium gesagt hat.
Im Stellenplan findet sich der Vermerk, dass 14 neue Be-
amtinnen und Beamte im Ministerium eingestellt werden.
Ich will mich jetzt nicht darüber verbreiten, was zu die-
ser Finanzmisere geführt hat; das war das Thema der De-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 845
batte heute Morgen. Wir sind uns aber wohl alle darüber
einig, dass das Geld knapp ist. Wie das Ministerium dann
auf die Idee kommt, 14 neue Planstellen allein im Beam-
tenbereich zu schaffen, ist mir völlig rätselhaft.
Frau Rupprecht, ich sage Ihnen, weil Sie das auch bei
Herrn Haupt schon kritisiert haben, Folgendes: Die Mehr-
ausgaben personeller Natur im Zuständigkeitsbereich Mi-
gration von Frau Beck belaufen sich auf 380 000 Euro.
Wenn Sie das einmal durch die 14 neuen Stellen und dann
noch einmal durch die 13 Monatsgehälter eines Beamten
teilen, dann kommen Sie zu einem Monatsgehalt inklu-
sive der Lohnnebenkosten von 1 900 Euro. Das wäre das
Niveau eines Beamten in der Besoldungsgruppe A 9 mit
fünf Dienstjahren. Das kann nicht stimmen.
Deswegen hat Herr Haupt Recht und Sie haben Unrecht,
meine Damen und Herren.
Schauen Sie sich den Haushaltsvermerk auf Seite 35 des
Einzelplans 17 an! Ich freue mich auf Ihre Begründung,
die Sie in den Ausschussberatungen dafür geben, dass der
derzeitige Stelleninhaber aufgrund einer besonderen Ver-
wendung nach der Besoldungsgruppe B 5 bezahlt wird,
obwohl er in der Besoldungsgruppe B 3 angestellt ist. Ich
freue mich, zu erfahren, welche besondere Vereinbarung
dieser Regelung zugrunde liegt. Wenn wir kein Geld ha-
ben, insbesondere für Familien, dann sollte sich das auch
bei den Ausgaben für den Personalbereich des Ministe-
riums zeigen.
Anstatt die finanzielle Situation dort deutlich zu ma-
chen, tun Sie genau das Gegenteil: In drei der vier Kapi-
tel des Einzelplans 17 des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2003 ist ein Rückgang der Mittel verzeich-
net. Allein im Kapitel „Bundesministerium“ ist ein Auf-
wuchs enthalten. Das lässt tief blicken.
Die Familienpolitik ist natürlich eine Querschnitts-
aufgabe; deswegen sind die Familien auch davon betrof-
fen, wie die anderen Einzelpläne des von der Bundesre-
gierung aufgestellten Bundeshaushaltsplans aussehen.
Lassen Sie mich dazu ein paar Punkte sagen.
Erstens: Kinderbetreuung. Wir sind uns einig, dass
auf diesem Gebiet ein Nachholbedarf herrscht. Frau
Humme, wenn wir zukünftig als Maxime ausgeben, dass
wir uns gegenseitig nicht die Versäumnisse vorhalten,
dann findet das meine Zustimmung. Wenn Sie allerdings
darauf hinweisen, dass der Bund einen Einstieg in die Fi-
nanzierung der Kinderbetreuung vollzogen hat, dann ist
das nur die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte der
Wahrheit ist, dass sich der Bund an der Folgefinanzierung
nicht beteiligt und dass die Kosten an den eigentlich Zu-
ständigen hängen bleiben, beispielsweise an den Kom-
munen.
Schauen Sie sich einmal die Gemeinderäte und die
Kreistage an! Schauen Sie sich einmal an, wie die dorti-
gen Mitarbeiter mit rauchenden Köpfen versuchen, ihre
Etats irgendwie auf die Reihe zu bringen, was teilweise
mit massiven Belastungen für die Bürgerinnen und Bür-
ger verbunden ist! Die Konzentration auf die kommuna-
len Finanzen führt am Ende dazu, dass die Familien, de-
nen Sie eigentlich etwas Gutes tun wollen, schlussendlich
ihre Betreuung selbst bezahlen. Das kann nicht Sinn und
Zweck der Übung sein.
Zweitens – die Kollegin Tillmann hat schon darauf hin-
gewiesen –: Eigenheimzulage. Sie wurde ursprünglich
wirklich einmal als ein Instrument der Familienförderung
konzipiert. Jetzt soll ihre Zahlung auf Familien konzen-
triert werden. Interessant finde ich – da greife ich den Ge-
danken von Herrn Fricke auf –, dass einem kinderlosen
Ehepaar zukünftig vorgeschrieben wird, wann es Kinder
in die Welt zu setzen hat, damit es anschließend in den Ge-
nuss einer staatlichen Förderung kommt.
So weit sind wir mittlerweile gekommen. Ich lasse mir als
Bürger dieses Landes wirklich viel vorschreiben; ich bin
da sehr geduldig. Aber man möge mir bitte nicht auch
noch vorschreiben, wann meine Frau Kinder zu bekom-
men hat. Das geht zu weit.
Bringen Sie bitte das, was Sie im Zusammenhang mit
der Änderung der Eigenheimzulage tun, in einen Zusam-
menhang mit dem, was Sie sonst noch mit diesem merk-
würdigen Steuervergünstigungsabbaugesetz vorsehen.
Ich erinnere beispielsweise an § 21 des Einkommensteu-
ergesetzes, in dem es um die Anrechnung der Werbungs-
kosten bei nicht selbst genutztem, vermietetem Wohn-
eigentum und um die degressive Gebäude-AfA geht.
Lassen Sie einmal von Fachleuten durchrechnen, welchen
Einfluss diese Änderungen auf das Mietniveau in den
Städten und Gemeinden hat! Die Mieten werden nicht von
Generaldirektoren und Millionenerben bezahlt, sondern
von den Familien mit Kindern in diesem Lande. Auch in
diesem Fall sind die Familien die Zahlmeister der Nation.
– Ich werde am Freitag in Baden-Württemberg sein und
ich kenne die Situation dort sehr gut. Wenn Sie den Fi-
nanzminister des Landes Baden-Württemberg fragen,
warum er diese Kürzungen vorgenommen hat, dann wird
er Ihnen antworten: Die entsprechenden Notwendigkeiten
sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sie kamen per
Post aus Berlin.
Thomas Dörflinger
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Thomas Dörflinger
Lassen Sie mich auf die Rentenpolitik zu sprechen
kommen. Wir waren uns wenigstens darin einig, dass die
verstärkte staatliche Förderung der privaten Altersvor-
sorge richtig ist. Das fand unsere Unterstützung. Ich lasse
einmal außen vor, dass sowohl uns als auch den Kollegen
von der FDP die Ausgestaltung des Instrumentariums der
Riester-Rente nicht gepasst hat.
Sie sagen den Menschen: Baut eine private Altersvor-
sorge auf, beispielsweise durch den Kauf von Anteilen ei-
nes Aktienfonds oder eines Investmentfonds! Nun wollen
Sie eine steuerrechtliche Regelung schaffen, durch die der
fiktive Wertzuwachs, der innerhalb eines Kalenderjahres
entstanden ist, besteuert wird. Ich lasse es mir noch gefal-
len, dass nach der Veräußerung eines Papiers der Erlös be-
steuert wird; aber man kann doch nicht einen fiktiven
Wertzuwachs, also einen Wertzuwachs, den der Besitzer
eines Papiers überhaupt nicht in Anspruch nimmt, von
Staats wegen besteuern.
Sie tun das genaue Gegenteil von dem, was Sie mit
der Riester-Rente ursprünglich beabsichtigt hatten. Das
macht schlichtweg keinen Sinn.
Dazu passt, dass Sie sich mit Vorschlägen, durch die
wirklich täglich ein neues Borstenvieh durchs Dorf ge-
trieben wird, in der gesetzlichen Rentenversicherung um-
tun. Ich will Ihnen nicht verheimlichen: Der beste Beitrag
in dieser Diskussion über die Zukunft der gesetzlichen
Rentenversicherung kam heute vom stellvertretenden
SPD-Fraktionsvorsitzenden Ludwig Stiegler. Man kann
sich ja über den Sinn und Unsinn der Rürup-Kommission
durchaus unterhalten. Ich bin aber schon der Meinung,
dass der Ton die Musik macht.
Nun sagt Herr Stiegler über die Rürup-Kommission, er
habe die Schnauze voll davon, dass wir vor unseren Mit-
gliedern und Wählern täglich den Kopf hinhalten müssen
für dieses Professorengeschwätz. Dann setzt er noch eins
drauf und sagt über eine Kommission, die von der Bun-
desregierung eingesetzt wurde: Ich erwarte, dass die Pro-
fessoren wie Herr Rürup uns nicht länger mit ihrer Ejacu-
latio praecox beglücken. Ich verzichte darauf, das zu
übersetzen,
und setze einmal das kleine Latinum beim einen oder an-
deren voraus.
Meine Damen und Herren, die Leute erwarten, dass wir
uns wenigstens einigermaßen ernsthaft um ihre Zukunft
beispielsweise in der gesetzlichen Rentenversicherung
kümmern. Das, was Sie hier tun – ständig eine neue Sau
durchs Dorf zu treiben –, ist dazu kein Beitrag. Ich sage
an die Adresse von Frau Deligöz und von Frau Schewe-
Gerigk: Es reicht nicht, über Generationengerechtigkeit
nur zu reden. Vor Kraft kaum laufen könnend ins Kanz-
leramt zu gehen und anschließend so klein wieder he-
rauszukommen, dass man unter dem Teppich Fallschirm
springen kann – das reicht nicht.
Man muss auch etwas durchsetzen können beim Thema
Generationengerechtigkeit. Da haben Sie uns auf Ihrer
Seite.
Es zeigt sich, dass Sie meilenweit von der Realität in
diesem Lande entfernt sind – aus welchen Gründen auch
immer. Da sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD – übri-
gens passt das drei Wochen vor dem Weihnachtsfest sehr
gut –, man solle das Geld nicht in den Konsum stecken,
sondern an den Staat geben, damit der es verwenden kann.
Das passt wirklich in diese Zeit. Gleichzeitig freut sich der
Bundeskanzler bei einem Einkaufsbummel in der Hanno-
veraner Innenstadt, dass dort die Schlangen vor den Ge-
schäften lang sind. Sie sind wahrscheinlich nicht deswe-
gen lang, weil die Leute ganz versessen darauf sind, ihr
vieles Geld endlich loszuwerden, sondern deswegen, weil
es dem Handel mittlerweile so schlecht geht, dass er im
Stile eines vorgezogenen Winterschlussverkaufs schon
jetzt mit Preisnachlässen lockt, um das Weihnachtsge-
schäft wenigstens ein bisschen anzukurbeln, damit die
Umsätze nicht völlig in den Keller fallen.
Ihr Grundproblem liegt in zwei Dingen. Erstens: Sie
sind ganz offensichtlich nicht in der Lage, in volkswirt-
schaftlichen Zusammenhängen zu denken. Sie denken
vielmehr nur in Haushaltsstellen.
Sie führen eine Haushaltsstellenkorrektur durch, ohne
dass Sie die volkswirtschaftliche Wirkung, die anschlie-
ßend entsteht, bedenken.
Den zweiten Fehler, den Sie begehen, halte ich noch
für wesentlich drastischer: Sie trauen dem einzelnen Men-
schen nichts zu. Sie sind grundsätzlich der Auffassung,
dass der Staat immer besser in der Lage sei, zu beurteilen,
was für den Einzelnen gut ist und was nicht. Wir sind der
umgekehrten Auffassung, nämlich dass der Einzelne,
wenn er denn will, Hilfe vom Staat anfordern kann, aber
nicht, dass der Staat so allwissend ist, zu bestimmen,
wann der Einzelne die Hilfe braucht oder nicht.
Stellen Sie endlich den Menschen in den Mittelpunkt
Ihrer Politik. Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Ich freue
mich auf spannende Ausschussberatungen.
Herzlichen Dank.