Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als
zuständige Berichterstatterin meiner Fraktion im Haus-
haltsausschuss für den Etat des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte ich erstmals
das Vergnügen, diesen Etat durchzuarbeiten. Frau Minis-
terin Schmidt, ich teile das Schicksal mit Ihnen, die Sie
ebenfalls erstmalig diesen Etat zu verantworten haben.
Nicht zuletzt deswegen greife ich Ihr Angebot zur kon-
struktiven Zusammenarbeit gern auf. Aber bei aller kon-
struktiven Zusammenarbeit muss ich auch anhand Ihrer
Rede feststellen, dass es manchmal andere Ziele, aber
sehr häufig auch andere Wege zur Lösung von Problemen
gibt, und die werden in diesem Haushalt ganz deutlich.
Sehr geehrte Kollegin Humme, auch Ihnen biete ich
konstruktive Zusammenarbeit an, drohe aber schon jetzt
an, dass ich zu den ideologisch verbrämten Frauen gehöre,
die es durchaus wünschenswert finden, dass sich Familien
eine Zeit lang selbst der Kindererziehung widmen. Auch
das werden Sie an meinen Ausführungen erkennen.
Das ist der erste Haushalt nach der Bundestagswahl
und damit natürlich die Stunde der Wahrheit über die Um-
setzung der Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger
im Wahlkampf. Macht man sich die Mühe, diesen Haus-
haltsentwurf mit dem zu vergleichen, was Sie als Regie-
rungskoalition versprochen haben, so findet man diese
Versprechen nur ganz fragmentarisch wieder.
Versprechen eins: Kindergelderhöhung auf 200 Euro –
Fehlanzeige. Hier haben Sie sich diesmal nicht einmal die
Mühe gemacht, dieses Ziel wie in der Vergangenheit in
kleinen Schritten anzugehen. Ganz im Gegenteil, kein
Euro ist in den Haushalt eingestellt. Zugegeben, in Ihrem
Programm steht: mittelfristige Erhöhung auf 200 Euro. Je
nachdem, auf welchem Standpunkt man steht, ist mittel-
fristig ja auch noch 2010 oder 2015.
Versprechen zwei: Sie haben versprochen, eine an-
spruchsvolle, bedarfsorientierte Betreuung im Kinder-
krippenalter anzubieten. Diese Forderung können wir
sofort unterschreiben. An anderer Stelle wurde angedroht,
gesetzliche Regelungen zu schaffen, dass die Kommunen
für 20 Prozent der Kinder Krippenplätze anbieten müssen.
Als Finanzierungsvorschlag hierzu wurden 1,5Milliarden
Euro in Aussicht gestellt, die durch Einsparungen in Zu-
sammenhang mit den Hartz-Vorschlägen erwirtschaftet
werden sollen. Ich bin sehr gespannt, wie wir die im
nächsten Jahr im Haushalt wiederfinden.
Für 2003 haben Sie immerhin schon einmal eine Arbeits-
gruppe im Haushalt eingerichtet. Solche Arbeitsgruppen
haben sich ja schon bei Hartz bewährt.
Versprechen drei: Bei der Beratung sowohl des Bil-
dungsetats als auch des Familienetats sind heute schon
mehrfach die 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen er-
wähnt worden. An dieser Stelle findet sich tatsächlich ein-
mal die Umsetzung eines Wahlversprechens. Dabei will
ich gern darüber hinwegsehen, dass die angekündigte
1 Milliarde Euro jährlich zumindest im Jahr 2003 auf
300 Millionen Euro reduziert worden ist. Aber das ist
immerhin ein Anfang.
Für fragwürdig halte ich an diesem so öffentlichkeits-
wirksamen Programm allerdings zwei Dinge:
Erstens. Wenige Seiten vor der Ankündigung dieses
Programms im Haushalt des Bundes werden Sie unter
dem Titel „Gewerbesteuerumlage“ genau den Betrag
wiederfinden, den Sie 1999 als Gewerbesteuerumlagen-
erhöhung den Kommunen aufgebürdet haben. Diese
4 Milliarden Euro, die Sie heute den Kommunen wieder-
geben, haben Sie diesen seit 1999 abgenommen.
Da ist die Frage: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, dieses
Geld bei den Kommunen zu lassen? Ganz sicher wäre die
Situation in den Schulen heute eine andere; aber Sie woll-
ten dieses Geld erst in Ihren Etat übernehmen, um es dann
über Selbstdarstellungen den Bürgerinnen und Bürgern
zurückzugeben.
Das zweite Argument, das mich noch mehr an der
Sinnhaftigkeit dieses Programms zweifeln lässt, sind
Äußerungen des Staatssekretärs Matschie, der die Ausrei-
chung der Mittel an die Länder und Kommunen von der
Vorlage „eines pädagogischen Konzeptes“ abhängig
macht.
Wenn dieses Förderprogramm ausschließlich dazu dient,
bildungspolitische Kompetenzen an den Bund zu ziehen,
werden Sie Widerstand nicht nur vonseiten der Kultus-
ministerkonferenz erwarten können. Wenn Sie meinen,
dass der Bund bessere Bildungspolitik macht und deshalb
die Zuständigkeit hier liegen sollte, dann beweisen Sie
dies erst einmal in Ihren SPD-regierten Ländern.
Christel Humme
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Antje Tillmann
– Sie können mir gleich gerne Nachhilfeunterricht geben.
Dazu bin ich gern bereit.
Qualitativ hochwertige Ganztagsbetreuung wollen
auch wir, aber unter Beachtung der Länderzuständigkeit
und insbesondere unter Beachtung der Freiwilligkeit in
den Nachmittagsstunden.
Es gibt ganz unterschiedliche Vorstellungen und Pro-
gramme, wie eine verbindliche Betreuung für Kinder aus-
sehen kann. Unsere Fraktion teilt die Vorstellung einer
verbindlichen Nachmittagsbeschulung auch schon aus
dem Grunde nicht, weil wir damit ein jugendpolitisches
Konzept, das sich jahrelang bewährt hat, kaputtmachen.
Ich spreche von der Jugendverbands- und Jugendkultur-
arbeit.
– Wenn Sie vielleicht noch ein paar Minuten zuhören,
dann können wir uns gleich gern unterhalten.
– Geben Sie sich Mühe.
Wir müssen darauf achten, dass die Ganztagsbetreuung
nicht die Jugendverbandsarbeit, die Sportarbeit, die Kul-
turarbeit kaputtmacht. Wenn an den Schulen ein verbind-
liches Angebot bis 17 Uhr vorliegt, werden sich die meis-
ten Jugendlichen sehr genau überlegen, ob sie danach
nahtlos in den Sportverband, in den Umweltverband, in
die Kunstschule gehen. Wir brauchen eine Vernetzung
beider Bereiche mit verbindlichen Betreuungszeiten für
die Eltern.
Versprechen vier: Wahlfreiheit von Familie und Be-
ruf. Eines Ihrer Wahlversprechen betraf die Freiheit von
Familien, zwischen Erwerbstätigkeit und Kinderwunsch
auch in Verbindung mit einem zeitweisen Aussetzen aus
dem Beruf zugunsten der Kindererziehung selbst ent-
scheiden zu können. Diese Wahlfreiheit gibt es tatsäch-
lich. Keiner Mutter und keinem Vater bleibt es verwehrt,
sich eine Zeit lang ausschließlich der Erziehung zu wid-
men. Frau Humme, Sie haben eben darauf hingewiesen.
Das Problem ist nur, dass diese jungen Eltern die Ent-
scheidung weitestgehend selbst bezahlen.
Die Maßnahmen, die Sie ergreifen, dienen ausschließ-
lich der Fremdbetreuung von Kindern.
Ob Ganztagsschulen oder Kinderkrippenplätze: Sie wen-
den Steuermittel auf, um die Betreuung von Kindern
außerhalb der Familie sicherzustellen. Dies ist nicht un-
sere Politik, nicht unser Programm. Wir halten es für rich-
tig, die Situation von berufstätigen Müttern und Vätern zu
verbessern. Wir halten es jedoch nicht für richtig, wie Sie
damit umgehen.
Die Situation von Eltern, die sich entschieden haben,
einen erheblichen Teil der Kindererziehung selbst zu er-
bringen, verbessern Sie nicht. Ganz im Gegenteil: Durch
immer neue Abgabenlasten im Steuer- und Sozialbereich
erschweren Sie es den Eltern, eine Zeit lang auf ein hal-
bes oder ganzes Gehalt zu verzichten.
Das ist für uns keine Wahlfreiheit, sondern genau die
„Lufthoheit über den Kinderbetten“, die Sie sich gar nicht
schämen auszusprechen.
Bert Rürup, der Vorsitzende der Rentenkommission,
setzt noch eins drauf. Ich zitiere:
Der Anteil der unter 20-Jährigen geht in den nächs-
ten 40 Jahren ... zurück. Den mit dem Anstieg des
Altenquotienten verbundenen Verteilungsproblemen
der Gesellschaft kann umso besser begegnet werden,
je höher das Wirtschaftswachstum ist. Aus diesem
Grund sollten kinder- und familienpolitische Maß-
nahmen Frauen keinen Anreiz geben, sich aus ihrem
Beruf zurückzuziehen. Erziehungs- und Elterngehalt
als Ersatz für Erwerbsarbeit ist abzulehnen.
Erst sollen also die Frauen die Kinder kriegen, dann
sollen sie sie erziehen und großziehen, aber eine Berück-
sichtigung dieser Erziehungsarbeit wird ihnen verwehrt.
Auch dies ist nicht unsere Politik. Auch hier werden Sie
nicht auf Gemeinsamkeiten hoffen können.
Versprechen fünf: Eigenheimzulage. Frau Ministerin
Schmidt, es kann durchaus sein, dass Sie es geschafft
haben, die größte Unbill bei der Eigenheimzulage abzuwer-
ten. Aber Ihre freundliche Ankündigung und Ihr Verspre-
chen im Wahlkampf, die Zulage familienfreundlich umzu-
gestalten, haben Sie auf recht bizarre Weise eingelöst: Für
Paare ohne Kinder haben Sie diese auf 0 Euro reduziert und
für Familien halbiert. Dies als Verbesserung für Familien zu
verkaufen ist schon eine Marketingleistung. Abgesehen von
den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, die an anderer
Stelle in diesem Haus zu diskutieren sein werden, liegen Sie
familienpolitisch auch hier völlig daneben. Gerade in den
neuen Ländern, aber auch in Westdeutschland wird der Bau
des privaten Eigenheims sehr häufig dazu genutzt, Großel-
tern in räumlicher Nähe zu Kindern und Enkeln unterzu-
bringen. Damit wird dem Wunsch der älteren Generation
Rechnung getragen, möglichst lange im familiären Umfeld
weitgehend selbstverantwortlich zu leben.
Sie haben dieses Problem offensichtlich ebenfalls er-
kannt. Sie reagieren aber leider nicht mit Lösungen, son-
dern mit umfangreichen Studien und Gutachten. Ich
werde hierauf später zurückkommen.
Viel schlimmer scheint mir die aufgrund großer Protes-
te angelegte „später Kind“-Variante zu sein. Nach der
neuen Fassung des Eigenheimzulagengesetzes sollen
auch solche Paare die Förderung erhalten, die spätestens
im dritten Jahr nach Fertigstellung ein Kind bekommen.
Eine solche Regelung kann man sich nur ausdenken,
wenn man glaubt, schwanger würde man durch Ankreu-
zen im Terminkalender.
Das ist zynisch gegenüber den 10 Prozent der Paare, die
ungewollt kinderlos bleiben und viele Jahre belastende
Anstrengungen unternommen haben.
838
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 839
Die bisher vorgesehene Regelung der veränderten Ei-
genheimzulage mit Verlust einer Jahreskinderzulage war
in der Auswirkung erheblich familienfreundlicher. Nach
Ihren Vorstellungen kostet der verpasste Geburtstermin
ein junges Paar 16 800 Euro. Zu der Enttäuschung, kein
Kind zu bekommen, kommen dann möglicherweise noch
wirtschaftliche Probleme, wenn die Eigenheimzulage in
die Finanzierung eingeplant wurde.
Neben diesem Vergleich mit den Wahlversprechen
werden wir uns in den Haushaltsberatungen aber auch mit
einigen Einzelmaßnahmen beschäftigen müssen:
Förderung des Ehrenamts und der Selbsthilfe. – Die
Mittel dafür sollen auf 40 Prozent reduziert werden, und
zwar mit der Begründung, dass 2001 das Jahr des Ehren-
amts gewesen ist und dass im Jahr 2003 der Bedarf nicht
mehr so hoch ist. Erst motivieren wir die Leute, sich eh-
renamtlich zu betätigen, und keine zwei Jahre später fallen
die Mittel ins Bodenlose. Das zeigt ganz deutlich, welchen
Stellenwert ehrenamtliche Arbeit in diesem Haushalt hat.
Sie verweisen darauf, dass dieser Titel in Höhe von
500 000 Euro mit dem des Kinder- und Jugendplans des
Bundes deckungsfähig ist. Ich sage Ihnen schon jetzt vo-
raus, dass diese Deckungsfähigkeit wegen der Absenkung
beim Kinder- und Jugendplan um 2,5 Millionen Euro ver-
mutlich nicht zum Tragen kommen wird.
Damit bin ich beim Kinder- und Jugendplan. Frau
Ministerin Schmidt, Sie haben zwar geäußert, dass die
Grausamkeiten gegenüber dem ursprünglichen Haushalts-
entwurf verringert worden seien, aber Sie haben dabei
verschwiegen, dass gegenüber dem Jahr 2002 in diesem
Bereich der Kinder- und Jugendhilfe 2,5 Millionen Euro
gekürzt werden. Wenn das mit dem Argument passiert
wäre, dass die allgemeine Haushaltssituation nicht mehr
hergebe, hätte ich dafür noch Verständnis. Tatsache ist
aber, dass sich außerhalb der bewährten Strukturen eine
ganze Menge zusätzlicher Programme findet, die kurzfris-
tig beschlossen worden sind, zum Beispiel das Programm
gegen Rechtsradikalismus.
Frau Deligöz, Ihre positive Auffassung von diesem Pro-
gramm gegen Gewalt und Rechtsradikalismus teilen selbst
Jugendvertreter und Jugendpolitiker Ihrer eigenen Fraktion
nicht. Fragen Sie einmal auf kommunaler und Landese-
bene, wie dort das Programm gesehen wird! Ich bringe jetzt
nur ein paar Aussagen dazu: Bestehende Programme auf
Landes- und kommunaler Ebene werden nicht hinreichend
miteinander vernetzt. Es gibt keine Gesamtkoordinierung
der Förderprogramme und keine entscheidende Einbin-
dung von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe auf örtlicher
und überörtlicher Ebene. Teilweise werden sogar Pro-
gramme gefördert, die die Träger der örtlichen Jugendhilfe
als ungeeignet eingestuft haben. – Alles das findet sich in
Berichten des Bundes der Jugendvertreter.
Dazu kommt – das ist für meinen Geschmack die abso-
lute Krönung –, dass sich bei einem Gesamtvolumen von
fast 30 Millionen Euro die Kosten für die Servicestelle und
für die Vergabe der Mittel für nur eines dieser Programme
in Höhe von 5Millionen Euro auf 827000 Euro jährlich be-
laufen. Das heißt, 20 Prozent der Programmmittel werden
aufgewendet, um die Mittel überhaupt auszureichen. Da
fragt man sich schon, ob hier nicht Aktionismus im Vor-
dergrund steht. Stattdessen sollten Sie lieber abgestimmte
Jugendarbeit mit den schon bestehenden Fördertöpfen auf
Landes- und kommunaler Ebene sinnvoll betreiben.
Nun zu dem eben schon erwähnten Programm „Jugend
bleibt“. Mit dem jährlich 2,5 Millionen Euro teuren Pro-
gramm wollen Sie junge Menschen dazu motivieren, nicht
aus den neuen Ländern abzuwandern. Die anhaltende Ab-
wanderung von Jugendlichen stellen Sie als wirtschaftli-
ches Problem in den neuen Ländern dar. Das ist eine legi-
time Begründung für den Wirtschaftsausschuss, aber vom
Jugendministerium hätte mir eine Begründung besser ge-
fallen, die auf die Situation der jungen Menschen eingeht.