Rede von
Maria
Eichhorn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letz-
ten Legislaturperiode haben Sie von Rot-Grün eine kin-
der- und familienfeindliche Politik betrieben.
Leider setzen Sie diese jetzt fort.
Frau Ministerin, wo sehen Sie bei der Eigenheimzu-
lage eine Verbesserung, wenn eine Familie sechs Kinder
haben muss, um eine Neubauförderung zu erhalten?
Weil Sie immer wieder Bayern anführen und glauben,
Bayern beschimpfen zu müssen, frage ich Sie: Wie
kommt es, dass Bayern die niedrigsten Arbeitslosenzah-
len hat und bei der PISA-Studie mit an der Spitze steht?
Ich halte Ihnen noch eine andere Zahl vor: Bei den Kin-
dertagesstätten für die unter Dreijährigen erreicht Bayern
einen Durchschnitt von 3,5 Prozent, Nordrhein-Westfalen
dagegen nur 2,3 Prozent.
Wir können dieses Spielchen fortsetzen. Aber dies
bringt uns nicht weiter.
Auch im fünften Jahr rot-grüner Politik bleiben Fami-
lien in Deutschland auf der Strecke.
Bundesministerin Renate Schmidt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Maria Eichhorn
Die Evangelische Kirche stellte dazu kürzlich, im Okto-
ber, fest:
Familien mit Kindern tragen heute das größte Ar-
mutsrisiko und sind in hohem Maße von Überschul-
dung betroffen.
Familienarmut muss endlich nachhaltig und wirksam
bekämpft werden. Eine der wichtigsten Aufgaben ist, eine
Gesamtkonzeption der staatlichen Familienförderung zu
entwickeln. Dies wurde bereits in der letzten Legislatur-
periode vom Bundesverfassungsgericht gefordert. Fami-
lien in Deutschland brauchen endlich eine Politik, die ih-
nen materielle Sicherheit bietet, die Vereinbarkeit von
Familie und Erwerbstätigkeit für Mütter und Väter er-
möglicht
und Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverant-
wortung wirksam unterstützt.
Dieses Gesamtkonzept hätten Sie bereits in der letzten
Legislaturperiode in Angriff nehmen müssen. Sie haben
zwar das Kindergeld erhöht, damit aber lediglich die Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts auf niedrigstem Ni-
veau umgesetzt.
Familien mit drei und mehr Kindern gingen völlig leer
aus. Sie haben diejenigen benachteiligt, die laut Armuts-
und Reichtumsbericht von Armut besonders betroffen
sind. Die Kindergelderhöhung hat den Familien nichts
gebracht, weil ihnen das Geld an anderer Stelle wegge-
nommen wurde. Obwohl die Ökosteuer Familien in be-
sonderer Weise belastet, halten Sie an dieser Familien-
strafsteuer fest.
Ihr Versprechen, durch die Einführung der Ökosteuer
die Beiträge in der Rentenversicherung stabil zu halten,
haben Sie nicht eingelöst. Im Gegenteil: Die Renten-
beiträge steigen auf 19,5 Prozent und belasten Familien
zusätzlich.
Der Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende, den wir
1986 eingeführt haben, wird von Ihnen abgeschafft.
Eine Kompensation ist nicht in Sicht. Offensichtlich stört
es Sie nicht, dass Sie damit noch mehr Alleinerziehende
in die Sozialhilfe treiben.
Dies ist nicht zu rechtfertigen vor dem Hintergrund
der besonderen Belastungen von Einelternfamilien.
Diese Aussage, Frau Ministerin, stammt aus Ihrem Buch
„S.O.S. Familie“, das in diesem Frühjahr herausgegeben
worden ist. Ich kann Ihrer Aussage nur voll und ganz zu-
stimmen. Frau Schmidt, Sie haben jetzt die Möglichkeit,
für Abhilfe zu sorgen; denn Sie sind verantwortlich und
können die Benachteiligung der Alleinerziehenden besei-
tigen.
Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zur Vertei-
lung der Kinderkosten in unserer Gesellschaft kommen zu
dem Ergebnis, dass diese Kosten ganz überwiegend den
Familien aufgebürdet werden. Diesen Trend haben Sie
durch Ihre Politik in den letzten vier Jahren noch ver-
stärkt; deshalb geht die Einkommensschere zwischen Fa-
milien mit Kindern und Kinderlosen immer weiter ausei-
nander.
Zur Familienförderung fällt Ihnen nur ein, das Ehe-
gattensplitting abzuschmelzen bzw. ganz abzuschaffen.
Eltern, die die Erziehung und die Kinderbetreuung selbst
übernehmen, sollen durch die Abschaffung des Ehegat-
tensplittings bestraft werden.
„Einer verdient, einer putzt“, so verspottete Fritz Kuhn
die Eltern, die wegen der Kinder auf Erwerbstätigkeit ver-
zichten. Mit dieser rein ideologisch geführten Debatte,
die für Bündnis 90/Die Grünen noch nicht vom Tisch ist,
wollen Sie doch nur den besonderen, grundgesetzlich ver-
ankerten Schutz von Ehe und Familie aushöhlen.
Geben Sie es doch zu!
Ihre Vorstellungen in der Koalitionsvereinbarung zur
Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Familien
lauten:
Wir werden Eltern dabei unterstützen, durch Er-
werbsarbeit ihren Unterhalt selbst zu verdienen, da-
mit sie wegen ihrer Kinder nicht von Leistungen der
Sozialhilfe abhängig werden.
Diese Art staatlicher Familienförderung ist ein Ar-
mutszeugnis rot-grüner Familienpolitik.
Sie widerspricht in höchstem Maße der Wahlfreiheit der
Eltern. Diese müssen selbst entscheiden können, ob sie
Familie und Beruf vereinbaren oder wegen der Kinder zu-
mindest für eine gewisse Zeit auf Erwerbstätigkeit ver-
zichten wollen.
Erwerbstätigkeit verhindert Familienarmut nicht. Die
Zahlen belegen: Die Familienarmut hat in den letzten
Jahrzehnten trotz steigender Erwerbstätigkeit von Müt-
tern zugenommen. Dennoch verabschieden Sie sich in
dieser Legislaturperiode aus der Verantwortung zum so-
zialen Ausgleich. Die Beseitigung von Familienarmut
machen Sie endgültig zum Privatproblem von Familien.
Inzwischen hat auch Bündnis 90/Die Grünen erkannt,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 831
dass „Familien trotz Erwerbseinkommen an der Armuts-
grenze leben oder teilweise Sozialhilfe erhalten“, wie Sie
kürzlich in einer Pressemitteilung erklärt haben.
Wir als Union haben ein besseres Konzept.
Mit einem Familiengeld wollen wir vermeiden, dass Fa-
milien ärmer werden und der Einkommensabstand zu
Kinderlosen ständig steigt. Das Familiengeld ist keine Zu-
Hause-bleib-Prämie für Frauen, wie Sie wider besseres
Wissen immer wieder glauben machen wollen.
Es wird unabhängig von Erwerbstätigkeit und unabhän-
gig von der Einkommenshöhe der Eltern gezahlt.
Damit wird tatsächlich Wahlfreiheit ermöglicht. Eltern
entscheiden, ob sie das Geld zum Beispiel für eine Tages-
mutter ausgeben oder die Erziehung selbst übernehmen.
Der Vorteil unserer Familienoffensive liegt klar auf der
Hand: Sie geht von den Bedürfnissen der Eltern und Kin-
der aus. Sie umfasst drei Maßnahmen, die gleichberech-
tigt nebeneinander stehen: erstens die bessere Vereinbar-
keit von Familie und Erwerbstätigkeit, zweitens die
finanzielle Förderung von Familien und drittens die Stär-
kung der Erziehungskompetenz der Eltern.
Wir stehen mit voller Überzeugung dahinter. Im Gegen-
satz dazu versuchen Sie, den Ausbau der Betreuungsan-
gebote für Kinder gegen die Erziehungsleistung der El-
tern auszuspielen.
Um nicht missverstanden zu werden: Wir halten den
bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung für not-
wendig, er kann aber nicht das einzige Ziel der Familien-
politik sein. Echte Wahlfreiheit braucht beides: den Aus-
bau bedarfsgerechter Betreuungsangebote und eine
angemessene finanzielle Förderung von Familien.
Die Frauen bleiben bei Ihrer Politik ebenfalls auf der
Strecke. Nach wie vor vermissen wir Maßnahmen zur
Verbesserung des Wiedereinstiegs in den Beruf. Rot-Grün
setzt eindeutig auf das Bild der erwerbstätigen Frau.
Frauen und Männer, die sich – zumindest für eine be-
stimmte Zeit – ausschließlich der Kindererziehung wid-
men, kommen in Ihrer Politik nicht vor. Mit Ihren Ansät-
zen zur Arbeitsmarktpolitik werden typisch weibliche
Erwerbsbiografien bestraft. Die Frauenverbände haben
das Hartz-Konzept zu Recht kritisiert. In den letzten
20 Jahren habe es kaum ein gleichstellungspolitisch rück-
schrittlicheres Papier gegeben. Das Papier sei geprägt von
einem antiquierten Frauen- und Familienbild, das Frauen
an Heim und Herd verweise. Diese Kritik richtete sich an
Sie, an eine Bundesregierung, die die Gleichstellungspo-
litik immer für sich in Anspruch genommen hat.
Familien und insbesondere Frauen können auf Ihre
Notoperationen in der Rentenversicherung nicht ver-
trauen. Es gibt weder Vorschläge zur eigenständigen Al-
terssicherung von Frauen noch zur Berücksichtigung von
Erziehungszeiten in der Rente. Die vorliegenden Vor-
schläge zur Rentenreform sind kein Beitrag zu mehr Ge-
nerationengerechtigkeit. Sie fordern mehr Eigenvorsorge
in der Alterssicherung, schränken aber zugleich die finan-
ziellen Spielräume für Familien ein. Auf der einen Seite
fordern Sie eine längere Lebensarbeitszeit, auf der ande-
ren Seite aber verstärken Sie die Anreize zur Frühverren-
tung. Was wollen Sie denn eigentlich?
Eine zukunftsorientierte Seniorenpolitik ist mehr als
eine soziale Altenbetreuung. Wie die Ergebnisse der neu-
esten Studie zur Altersdiskriminierung zeigen, bezieht
sich ein Drittel der Beschwerden auf den Bereich der Ar-
beit. Die Arbeitsbedingungen älterer Arbeitnehmer müs-
sen daher dringend verbessert werden. Erforderlich sind
zudem die Qualifizierung und Weiterbildung älterer Ar-
beitnehmer, um dem Trend der Frühverrentung wirksam
entgegenwirken zu können.
– Wir haben auf jeden Fall bessere Konzepte als Sie.
Gefragt ist ein neues Denken: Senioren sind nicht nur
hilfsbedürftige Alte. Die Mehrzahl von ihnen ist sehr ak-
tiv und will ein selbstbestimmtes Leben. Das Potenzial äl-
terer Menschen, die sich engagieren wollen, ist hoch.
Dazu bieten sich die Seniorenbüros an. Sie haben sich be-
währt. Wir wollen sie flächendeckend in Deutschland ein-
führen und ausbauen.
Die Weiterbildung älterer Menschen muss ebenfalls
ausgebaut werden, um dem Wunsch nach Selbstbestim-
mung und Selbstorganisation älterer Menschen gerecht zu
werden.
Meine Damen und Herren, das neue Jugendschutz-
gesetz, das nach den schrecklichen Ereignissen von Erfurt
überstürzt verabschiedet wurde,
hat erhebliche Mängel und ist schon wieder reformbe-
dürftig. Kritik an seiner Praxistauglichkeit kommt nicht
nur von den Kirchen, sondern auch von der Bundesar-
beitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendschutz. Wir ha-
ben bereits in der letzten Legislaturperiode mehrfach da-
rauf hingewiesen, dass zum Kinder- und Jugendschutz
mehr gehört als nur gesetzliche Maßnahmen. Gewalt hat
viele Gesichter und Ursachen.
Die Bekämpfung von Gewalt muss im Elternhaus, an
Schulen und am Ausbildungsplatz erfolgen.
Jugendgefährdung macht nicht an Grenzen Halt. Daher
sind europäische und international gültige Standards im
Maria Eichhorn
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Maria Eichhorn
Jugendmedienschutz dringend erforderlich. Ich fordere
Sie deshalb auf, Frau Ministerin, mit Ihren Kolleginnen
und Kollegen auf europäischer und internationaler Ebene
endlich zu einer Einigung zu kommen.
Für eine gesicherte Nutzung des Internets durch Kin-
der und Jugendliche müssen auch technische Möglichkei-
ten wie Filtersoftware stärker genutzt werden. Ermitt-
lungsbehörden sind besser auszustatten – das ist ganz
dringend erforderlich –, damit jugendgefährdendes Mate-
rial optimal aufgespürt werden kann. Diese Forderungen
haben wir schon während der ganzen letzten Legislatur-
periode erhoben.
Meine Damen und Herren, setzen Sie unsere Vor-
schläge um! Wir werden die kommenden Haushaltsbera-
tungen nutzen, um Sie immer wieder an Ihre Verantwor-
tung, insbesondere Familien und Kindern gegenüber, zu
erinnern.