Rede von
Christoph
Hartmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Diese Bundesregierung lebt auf ei-
nem anderen Stern.
Sie wollen uns weismachen, dass es überall bergauf geht,
und zwar auch in der Bildungspolitik. Ich frage mich,
warum dann die Stimmung so schlecht ist und uns die
UNICEF letzte Woche erklärt hat, dass die Qualität des
Bildungssystems dramatisch gesunken ist.
Rot-Grün wird schriftlich attestiert, dass sie für eine
Zweiklassengesellschaft in der Bildungspolitik verant-
wortlich sind. An die Adresse dieser Bundesregierung
sage ich: Wenn gute Bildung in Deutschland vom Geld-
beutel der Betroffenen abhängt, dann ist das gerade für
diese Bundesregierung ein Armutszeugnis, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
Von einem ganzheitlichen Ansatz in der Bildungspolitik
kann ebenfalls keine Rede sein. Es geht Ihnen ja auch
nicht um die Verbesserung der Bildungspolitik in
Deutschland, sondern um die Lufthoheit über die Kinder-
betten, wie Ihr Generalsekretär das zutiefst totalitäre
Staatsverständnis Ihrer Fraktion beschrieben hat.
Ihre Bildungspolitik ist durch drei Merkmale gekenn-
zeichnet, nämlich durch Unterfinanzierung, durch das
Sichherumdrücken um wichtige Reformen und durch
falsche Konzepte.
Der Stellenwert, den Sie der Bildung einräumen, ist de-
saströs. Der Anteil der Bildungsausgaben an den öffent-
lichen Haushalten liegt mit 9,7 Prozent weit unter dem
Durchschnitt von 12,7 Prozent der OECD-Länder. Und
Sie senken ihn weiter.
Um ein Beispiel zu nennen: allein 4,5 Prozent minus beim
computer- und netzgestützten Lernen.
Sie machen genau das Gegenteil von dem, was notwendig
wäre. Aber das, meine sehr verehrten Damen und Herren,
sind wir schon gewohnt. Das ist schließlich das Marken-
zeichen dieser Regierungspolitik.
Viele Reformen packen Sie nicht an: keine Spur von Ent-
bürokratisierung der Bildung, keine Spur von einer Re-
form der Lehrerausbildung,
keine Spur von einer Hochschulreform, die die Attrakti-
vität der deutschen Hochschulen erhöht, damit endlich
auch in Deutschland 45 Prozent eines Altersjahrgangs ein
Studium aufnehmen, wie es in den OECD-Ländern im
Durchschnitt der Fall ist
– auf das Saarland komme ich jetzt zu sprechen, Herr Kol-
lege Tauss –, und keine Spur von strategischen Investitio-
nen, die zum Beispiel durch den Abbau von Kohlesub-
ventionen finanziert werden könnten, was gerade ich als
Saarländer richtig fände.
Auf den Feldern, auf denen Sie sich nicht vor Reformen
drücken, sind Ihre Konzepte fehlerhaft. Beispielsweise ist
Ihr 4-Milliarden-Euro-Programm für Ganztagsschulen
eine Mogelpackung.
Nur Baumaßnahmen sollen finanziert werden. Mit den
viel bedeutsameren Personalkosten werden die von Ihnen
gebeutelten Länder und Kommunen allein gelassen.
Als Abgeordneter eines Bundeslandes, das finanziell weiß
Gott nicht auf Rosen gebettet ist, kann ich nur sagen: Ihr
Ganztagsschulkonzept können sich nur finanzkräftige
Bundesländer leisten. Arme Bundesländer werden von den
Folgekosten Ihrer unausgegorenen Politik erschlagen.
Ihr Konzept führt zu einem Ausbau von Schulen zu
Kinderaufbewahrungsstationen,
in denen man den Kindern mittags Suppe verabreicht und
wo sie nachmittags mithilfe der Oma aufbewahrt werden.
Meine Fraktion fordert dagegen in einem ersten Schritt
eine gut ausgestattete Ganztagsschule pro zehntausend
Schüler mit einem sinnvollen, pädagogisch fundierten
Konzept.
Hans-Josef Fell
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Christoph Hartmann
Wir brauchen Geld nicht nur für Gebäude, sondern auch
für mehr Lehrer. Diesen Weg müssten wir gehen.
Stocken Sie also den Bildungsetat auf, gehen Sie end-
lich die längst überfälligen Reformen an. Bessern Sie Ihre
Konzepte nach. Dann tun Sie endlich etwas für die Men-
schen in diesem Lande.
Als neuer bildungspolitischer Sprecher der FDP-Bun-
destagsfraktion
versichere ich Ihnen: Wir werden nicht nur kritisieren
oder Fundamentalopposition betreiben, sondern kon-
struktiv mit eigenen Vorschlägen an der Reform des Bil-
dungswesens mitarbeiten.
Übrigens: Wer am lautesten schreit, hat nicht am meis-
ten Recht.
Vielen Dank.