Herr Tauss, ich darf Ihnen das Kompliment machen,
dass Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Es ist
völlig richtig: Der Bund darf sich nicht in die Angelegen-
heiten der Länder mischen, was die Ausgestaltung der
Schulen und die pädagogischen Konzepte angeht. Daran
werden wir festhalten; denn wir wollen keinen Zentralis-
mus und keine Nivellierung.
Aber, Herr Tauss, der Irrtum, den Sie begehen, liegt
schon im Finanzierungsansatz. Wo keine Aufgabe ist,
können Sie auch keine Finanzmittel zur Verfügung stel-
len. Sie müssen einen anderen Weg gehen. Diesen ande-
ren Weg haben Ihnen die Kultusminister der Länder auf-
gewiesen. Wir sind bereit, ihn gemeinsam zu gehen.
Rechnen Sie Ihre 4 Milliarden Euro einmal auf die
Länder um. Das sind Almosen,
wenn das auf die Länder und ihre Schulen verteilt wird.
Diese Summe ist – das sage ich ganz bewusst –, lediglich
eine Anschubfinanzierung. Die Schulträger, die Länder und
die Kommunen, bleiben so auf den Hauptkosten sitzen.
Diese Hauptkosten sind Personalkosten und Unterhaltskos-
ten. Sie müssen zu einer soliden Finanzierung kommen.
Dr. Maria Böhmer
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Dr. Maria Böhmer
Hier ist auch der Bund gefordert. Sie dürfen einen fairen
Anteil an der Umsatzsteuer an die Länder weitergeben, da-
mit die Länder in eigener Hoheit – das entspricht der Ver-
fassung – Ganztagsschulen aufbauen können, die diesen
Namen wirklich verdienen. Schließlich kann es nicht nur
darum gehen, dass die Schultore länger geöffnet sind.
– Lieber Herr Tauss, Sie kennen die Verfassung so gut wie
ich.
All das, was Sie hier tun, riecht eindeutig nach dem Ver-
such der Zentralisierung. Die Ministerin persönlich hat
dies in der „FAZ“ vom 20. Oktober dieses Jahres gesagt
– ich zitiere –:
Wir müssen auf lange Sicht wegkommen von dem
Modell, dass für die Grundschulen die Kommunen,
für die weiterführenden Schulen die Länder und für
die Hochschulen auch der Bund zuständig ist.
Was bedeutet das anderes, als dass der Bund endlich die
Kompetenzen für den Bereich von Schule und Bildung
an sich ziehen will? Er hat immer wieder versucht, Hand
an den Hochschulbereich zu legen. Wir werden das nicht
mitmachen. Wir sind für Wettbewerb und wollen am Fö-
deralismus festhalten; denn es geht um die Zukunfts-
chancen unserer Kinder in diesem Land.
Beim Thema bessere Bildung für Kinder hören wir im-
mer wieder, dass es notwendig ist, mehr Zeit aufzuwen-
den. Das wird immer als die Begründung für Ganztags-
schulen angeführt. Dazu muss ich sagen: Zeit ist ein
Faktor, aber Zeit ist nicht der entscheidende Faktor, Frau
Ministerin. Sie können die doppelte Zahl von schlechten
Unterrichtseinheiten anordnen. Dann würde mehr Zeit
aufgewendet, aber Sie hätten kein besseres Ergebnis.
Es kommt doch darauf an, dass die Qualität von Bil-
dung und Erziehung gesteigert wird. Dies erreichen Sie
nicht allein mit einem Zeitfaktor. Dies erreichen Sie, in-
dem Sie Bildungsstandards festlegen. Bitte machen Sie
das aber nicht zentral vom Bund aus, sondern das werden
die Länder gemeinsam machen. Sie brauchen Leistungs-
vergleiche. Sie müssen Ihrem Prinzip „Fordern und För-
dern“ auch Geltung verschaffen, und zwar nicht nur bei
den Leistungsschwachen. Sie brauchen das genauso für
die Leistungsstarken. Damit müssen wir aber früher an-
setzen, nämlich in der Grundschule und im Kindergarten.
Wir müssen die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stär-
ken. Das ist der Weg für eine bessere Zukunft für unsere
Kinder. Wer glaubt, dass dies allein Ganztagsschulen leis-
ten können, der ist auf dem Holzweg.
Dass diese Behauptung nicht aus der Luft gegriffen ist,
kann ich Ihnen beweisen. Der Blick nach Nordrhein-
Westfalen reicht dazu; denn in Nordrhein-Westfalen ha-
ben wir bekanntermaßen die meisten Ganztagsschulen.
Das sind überwiegend Gesamtschulen, weil man den
Eltern das Gesamtschulmodell nur so attraktiv machen
konnte. Wenn wir Ihrer Logik folgen würden, dann
müsste die Gleichung „Gesamtschule gleich Ganztags-
schule gleich bessere Bildung“ zutreffen. Wenn ich mir
aber anschaue, wie Nordrhein-Westfalen bei der PISA-
Studie abgeschnitten hat, dann ist dieser Anspruch mit-
nichten erreicht. Nordrhein-Westfalen mit seinen vielen
Ganztagsschulen hat nicht den Spitzenplatz, sondern es
gehört zu den Sitzenbleibern unter den Ländern. Deshalb
brauchen wir einen anderen Ansatz für bessere Bildung in
Deutschland.
Bei allem, was ich Ihnen gesagt habe, ist klar, dass es
viel Geld kostet. Aber die unionsregierten Länder haben
sich, wenn es sich um Investitionen in Bildung handelt,
entsprechenden Forderungen nie verschlossen. Aber jetzt
lerne ich, dass auch auf die SPD Verlass ist.
– Das merke ich. Ich wusste, Sie würden eine neue Geld-
quelle finden, und Sie haben sie gefunden: Es ist die Ver-
mögensteuer. Die Ministerpräsidenten von Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen, Gabriel und Steinbrück, wol-
len die Vermögensteuer dadurch schmackhaft machen, in-
dem sie die gesamten Einnahmen für Bildung ausgeben
wollen. Das ist nachzulesen.
Dieses Argumentationsmuster ist nicht neu. Wer erin-
nert sich nicht an die Rechtfertigung zur Einführung der
Ökosteuer? Es wurde versichert, dass die Mittel für Öko-
logie und vor allen Dingen zur Absenkung der Renten-
beiträge verwandt werden. Sie kennen das Ergebnis. Im
Jahr 2001 sind nur 36 Prozent der Ökosteuereinnahmen in
die Rentenkasse geflossen. Im Jahr 2002 waren es 52 Pro-
zent. Der Rest ist in den Haushaltslöchern des Bundes
versickert.
Das würde mit den Einnahmen aus der Vermögensteuer
und deren Verwendung für den Bildungsbereich nicht an-
ders aussehen. Deshalb kann ich Sie nur auffordern, von
solchen Irrwegen abzulassen. Bringen Sie nicht solche
unsinnigen Vorschläge ein, die die Bürger nur unnötig be-
lasten!
Angesichts Ihrer Äußerung „Bildung und Forschung
haben Priorität“ lohnt es sich, den Blick auf die jüngsten
Entscheidungen zu richten. Wir haben heute eine Presse-
konferenz der Max-Planck-Gesellschaft verfolgen kön-
nen. Es ist schon bemerkenswert, dass auch das, was
den Spitzenorganisationen der deutschen Forschung
– dazu zählen die Max-Planck-Gesellschaft genauso wie
die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 809
Gemeinschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft – vor der
Wahl versprochen wurde, nämlich eine Erhöhung der
Haushaltsmittel, nach der Wahl nicht mehr gilt. Vielmehr
ist ihnen kurzfristig mitgeteilt worden, dass es eine Null-
runde geben wird,
und das kurz vor Ende des Haushaltsjahrs, sodass sie bei
der Planung des nächsten Jahres in größte Schwierigkei-
ten geraten.
Das hat rechnerisch durchaus Auswirkungen, Frau Mi-
nisterin. Die DFG rechnet mit einem Minus von 43 Milli-
onen Euro im nächsten Jahr, das Max-Planck-Institut
mit einem Minus von 28 Millionen Euro, die Helmholtz-
Gemeinschaft mit einem Minus von 25 bis 30 Milli-
onen Euro. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft kommen
weitere Kürzungen hinzu. Für die Deutsche Forschungs-
gemeinschaft etwa bedeutet das, dass 2 000 Nachwuchs-
wissenschaftler nicht mehr gefördert werden können. Da-
mit schneiden Sie denen, die für die Zukunft unseres
Landes wichtige Ideen entwickeln wollen und mit Kraft
und all ihrer Leistungsbereitschaft und Begabung in die
Forschung investieren, die Wurzeln ab. Sie setzen ihnen
den Stuhl vor die Tür. Das bedeutet Forschung real bei Ih-
nen. Fördern und Nachwuchswissenschaftler besser be-
dienen? Dazu kann ich mit Professor Winnacker nur fest-
stellen: Ein großer Teil unserer jungen Elite steht vor dem
Nichts. Das aber geht nicht an.
Deshalb appelliere ich nachdrücklich an Sie: Kehren
Sie von diesen Nullrunden für die jeweiligen Spitzenor-
ganisationen ab! Sorgen Sie im Gespräch mit den Ländern
– in Kürze stehen noch einmal Gespräche an – dafür, dass
die getroffenen Vereinbarungen von Ihrer Seite auch ein-
gehalten werden
und dass damit die für unser Land entscheidende For-
schung, nämlich die Spitzenforschung genauso wie die
Forschung im Bereich der Zukunftstechnologien, erhalten
bleibt!
Auch in diesem Bereich nehmen Sie weitere Kürzungen
vor.
Ich empfehle Ihnen einen Blick in den Haushaltsplan.
Schauen Sie sich einmal an, wie hoch die Ausgaben für
gewisse Materialien des Ministeriums und für bestimmte
Werbeetats sind!
Ich bin mir sicher, dass Sie fündig werden. Sie könnten so
der Forschung in Deutschland etwas erhalten, das uns al-
len zugute kommt, nämlich die internationale Wett-
bewerbsfähigkeit. Die Förderung von Bildung und For-
schung ist gerade in schlechten Zeiten kein Luxus; in die-
sen Zeiten ist sie ein Muss.