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ID1500404100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache . . . . . 51 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 51 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 61 B Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 74 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 77 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 81 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 81 D Ernst Bahr (Neuruppin) SPD . . . . . . . . . . . . . 82 B Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 93 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 97 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 102 A Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . . . . . . . 104 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 A Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 111 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 113 C Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 115 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 115 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 117 A Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 122 C Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 123 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . . 124 D Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 125 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 127 D Dr. Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . 130 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 131 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 D Jerzy Montag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 136 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . 137 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 139 D Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 146 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 147 B Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 150 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 151 B Plenarprotokoll 15/4 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 I n h a l t : Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 154 C Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 155 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 157 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 158 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 164 D Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 166 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 171 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 51 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 Beginn: 10.00 Uhr
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    (A) (B) (C) (D) 170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 171 (C)(A) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 29.10.2002 Marieluise DIE GRÜNEN van Essen, Jörg FDP 29.10.2002 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.10.2002 Meyer (Tapfheim), CDU/CSU 29.10.2002 Doris Möllemann, Jürgen W. FDP 29.10.2002 Niebel, Dirk FDP 29.10.2002 Nolting, Günther FDP 29.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 29.10.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 29.10.2002 Violka, Simone SPD 29.10.2002 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Bindig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

    Der Schutz und die Förderung der Menschenrechte sind

    auch in der 15. Legislaturperiode politische Leitlinie der
    Koalition. Dies gilt nach innen und nach außen. Da
    Menschenrechtspolitik eine Querschnittsaufgabe ist, ist
    es nur konsequent, wenn Menschenrechte in der Koali-
    tionsvereinbarung in verschiedenen Politikfeldern ange-
    sprochen werden: in der Sozialpolitik, der Frauenpolitik,
    der Rechts- und Innenpolitik sowie an zahlreichen Stellen
    im Bereich der Außenpolitik, vor allem unter dem Stich-
    wort gerechte Globalisierung.

    In der letzten Legislaturperiode wurde der Politikbe-
    reich Menschenrechte mit der Bildung eines eigenständi-
    gen Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre
    Hilfe, der Schaffung der Stelle eines Menschenrechtsbe-
    auftragten im Auswärtigen Amt und der Einrichtung des
    Deutschen Instituts für Menschenrechte erheblich ge-
    stärkt. Die neuen Instrumente haben erfolgreich dazu
    beigetragen, dass menschenrechtliches Denken und Han-
    deln in Politik und Gesellschaft gefördert wurden.

    In dieser Legislaturperiode soll die Menschenrechts-
    politik weiter gefestigt und größtmögliche Kohärenz zwi-
    schen den einzelnen Politikbereichen hergestellt werden.
    Dies soll durch einen intensiven Austausch mit den im
    Forum Menschenrechte zusammengeschlossenen Nicht-
    regierungsorganisationen geschehen. Die weitere Ver-
    rechtlichung der menschenrechtlichen Grundlagen der in-
    ternationalen Beziehungen ist uns ein wichtiges Anliegen.
    Deshalb wollen wir noch ausstehende Konventionen und
    Zusatzprotokolle im Menschenrechtsbereich ratifizieren
    sowie bestehende Vorbehalte und Einschränkungen
    zurücknehmen.

    Wir treten dafür ein, die Kontrollgremien der internatio-
    nalen Pakte zu stärken, um die völkerrechtliche
    Verbindlichkeit und Wirksamkeit dieser Instrumente aus-
    zubauen. Wie schon in den letzten Jahren wollen wir
    den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in
    Straßburg stärken. Menschenrechtsverletzungen an Frauen
    und Kindern gehören leider immer noch zum weltweiten
    Alltag. Auf ihre Rechte wollen wir deshalb besonderes Au-
    genmerk legen. Weitere Schwerpunktthemen der Men-
    schenrechtspolitik der 15. Legislaturperiode werden die
    stärkere Beachtung wirtschaftlicher, sozialer und kulturel-
    ler Menschenrechte im Rahmen der Globalisierung sein.

    Die größte Herausforderung stellt sich für die Men-
    schenrechtspolitik dort, wo in Krisen-, Konflikt- und
    Kriegssituationen die elementaren Menschenrechte ver-
    letzt und missachtet werden. Im Rahmen des größeren Eu-
    ropas ist dies zurzeit der Tschetschenien-Konflikt. Der
    russisch-tschetschenische Konflikt war im Bewusstsein
    der Weltöffentlichkeit in letzter Zeit zurückgedrängt wor-
    den. Durch die brutale Geiselnahme durch tschetscheni-
    sche Terroristen und den tragischen Ausgang der Beendi-
    gung der Geiselnahme mit weit über hundert Opfern
    haben sich die Tschetschenen gewissermaßen gewaltsam
    zurückgemeldet. Die Spirale der Gewalt im Tschetsche-
    nien-Konflikt hat sich um eine schreckliche Windung
    weitergedreht. Zu den täglichen Opfern auf allen Seiten in
    Tschetschenien selbst kommen jetzt in Moskau die Opfer
    der Geiselnahme im Rahmen der Beendigung dieses Ter-
    roraktes hinzu. Wer politische Ansätze finden will, um
    Einfluss darauf zu nehmen, wie die Spirale der Gewalt in
    Tschetschenien durchbrochen werden kann, muss Be-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    108


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    zugsfelder, Ursachen und Hintergründe des Konflikts
    sorgfältig analysieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Einfache Muster einer undifferenzierten Anschuldi-
    gung entsprechen nicht der Lage. Weder die offizielle rus-
    sische Sprachregelung, dass es sich beim Tschetschenien-
    Konflikt allein um eine Ausprägung des internationalen
    Terrorismus handelt, wie er sich in New York und Bali
    ausgetobt hat, noch die Erklärung auf der anderen Seite,
    dass es sich hauptsächlich um den Freiheitskampf eines
    unterdrückten Volkes handele, wird dem Problem auch
    nur annähernd gerecht. Schon die Auflistung der Akteure
    auf tschetschenischer Seite belegt dies. Da gibt es die in
    den Untergrund gedrängten Repräsentanten eines Iksche-
    ria ebenso wie Clanführer als Kriegsherren, organisierte
    Kriminelle und religiös motivierte Terroristen mit Verbin-
    dungen zu weltweit operierenden Netzwerken.

    Wer alle diese Akteure pauschal als internationale Ter-
    roristen radikalislamistischer Prägung abstempelt, ver-
    baut sich politische Strategien zur Eindämmung und Lö-
    sung dieses Konflikts.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Hierbei muss man genau sein. Man kann nicht zwi-
    schen einem fürchterlichen Terrorismus, der völlig inak-
    zeptabel ist, und einem weniger fürchterlichen Terroris-
    mus, der vielleicht begründet sein kann, unterscheiden.
    Terrorismus ist und bleibt Terrorismus.


    (Beifall bei der SPD)

    Wer ihn bekämpfen will, muss aber die verschiedenen
    Hintergründe und Nährböden kennen, um wirksam
    agieren zu können.

    Der Tschetschenien-Konflikt reicht in seinen Ursachen
    Jahrhunderte zurück und ist nach dem Zerfall der Sowjet-
    union und dem Entstehen der Russischen Föderation
    durch das Streben der Tschechenen nach Unabhängigkeit
    in eine neue Dimension eingetreten. Es ist in erster Linie
    ein lokaler bzw. regionaler Konflikt, den es schon lange
    vor dem Entstehen des internationalen Terrorismus isla-
    misch-fundamentalistischer Ausprägung gab. Wenn ei-
    nige tschetschenische Akteure auch Verbindungslinien zu
    international operierenden terroristischen Netzwerken ha-
    ben, so rechtfertigt dies nicht, den Tschetschenien-Kon-
    flikt nur unter diesem Aspekt zu sehen.

    Radikaler islamischer Fanatismus ist nicht das allei-
    nige Motiv. Triebkraft vieler Tschetschenen, die nie streng
    gläubige Muslime waren und es auch heute nicht sind, ist
    der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben in ihrer
    eigenständigen Kultur und Tradition.

    Fakt in Tschetschenien ist – dies muss die internatio-
    nale Gemeinschaft auf den Plan rufen –, dass der Tschet-
    schenien-Konflikt in Kürze in seinen vierten Winter geht
    und weiterhin zahlreiche Opfer sowohl in der Zivilbevöl-
    kerung als auch bei russischen Sicherheitskräften fordert.
    Die Ereignisse der letzten Monate haben gezeigt, dass
    sich der Konflikt nicht mit Gewalt austreten lässt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Deshalb müssen neue Initiativen ergriffen werden, um die
    russische Regierung davon zu überzeugen, ohne Vorbe-
    dingungen Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen,
    die Gewalt zu beenden und eine politische Lösung her-
    beizuführen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei müssen auf tschetschenischer Seite jene Perso-
    nen einbezogen werden, die von den Tschetschenen als le-
    gitime Sachwalter ihrer Anliegen angesehen werden. Aus
    meiner Erfahrung im Rahmen des Europarates und aus
    vielen Gesprächen komme ich zu dem Schluss, dass der
    gewählte Präsident Tschetscheniens, Aslan Maschadow,
    eine so einflussreiche Person in der Region ist, dass es
    ohne Verhandlungen keine politische Lösung geben wird.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn es die Zielsetzung des Europarates ist, im
    großeuropäischen Rahmen ein Gebiet der Demokratie,
    der Geltung des Rechts und der Menschenrechte zu schaf-
    fen, so kann Europa nicht weiter akzeptieren, dass im
    Tschetschenien-Konflikt täglich von allen Seiten die
    Menschenrechte massiv verletzt werden. Nach dem Gei-
    seldrama scheint sich die russische Haltung sogar verhär-
    tet zu haben. Im Rahmen der Gemeinsamen Außen-
    und Sicherheitspolitik der EU, im Rahmen der OSZE
    und/oder im Rahmen des Europarates müssen die Regie-
    rungen – und zwar in der Tat die Regierungen und nicht
    nur die Parlamente dieser Institutionen – ihre Anstren-
    gungen intensivieren, Russland davon zu überzeugen,
    dass dieser Konflikt einer politischen Lösung bedarf.

    Auch Russland sollte aus seiner Interessenlage heraus
    internationale Mitwirkung bzw. Bemühungen – wie soll
    ich es nennen? – akzeptieren. Je mehr die russische Staats-
    führung darauf beharrt, dass sie hauptsächlich bzw. aus-
    schließlich mit einer Form des internationalen Terroris-
    mus konfrontiert ist, desto mehr müsste sie eigentlich
    bereit sein, im Rahmen internationaler Zusammenarbeit
    dagegen vorzugehen. Umgekehrt gilt: Je mehr Russland
    darauf besteht, dass es sich weitgehend um eine innere
    Angelegenheit handelt, desto deutlicher bringt es damit
    zum Ausdruck, dass der Einfluss des internationalen Ter-
    rorismus eben doch geringer ist als behauptet. Faktisch
    wird damit eingestanden, dass der Konflikt und das Ge-
    schehen in Tschetschenien in erheblichem Umfang auch
    regionale, nationalistische und historische Ursachen hat.

    Ein letzter Blick auf einen innenpolitischen Aspekt
    dieses Problemkreises: Auch in Deutschland leben Tschet-
    schenen. Angesichts der Berichterstattung und der Ereig-
    nisse in der letzten Zeit ist die Gefahr groß, dass sie alle in
    die terroristische Ecke gestellt werden. Ich warne davor.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Viele von ihnen sind hier, weil sie vor den Übergriffen
    russischer Sicherheitskräfte oder lokaler Banden geflüch-
    tet sind oder weil sie in Filtrationslagern gefoltert worden
    sind. Andere haben sich der russischen Armee entzogen,
    weil sie nicht auf die eigenen Leute schießen wollten.

    Rudolf Bindig




    Rudolf Bindig
    Diese Menschen sind Opfer und keine Täter. In dieser an-
    gespannten Lage darf es keine ausländerrechtliche Rück-
    führung von Tschetschenen nach Russland geben. Auch
    eine inländische Fluchtalternative in Russland ist derzeit
    nicht gegeben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir müssen uns immer wieder aufs Neue daran erin-
    nern, dass wir über dem Kampf gegen den Terrorismus
    nicht den Schutz der Menschenrechte sowie unsere huma-
    nitären Aufgaben in Deutschland vergessen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,

FDP-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Hoyer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Der Kollege Erler hat zu Beginn seiner Ausführungen ge-
    sagt, dass die internationale Politik nichts Fernes mehr
    sei, dass die klassische Trennung von Innen- und Außen-
    politik in unserem heutigen politischen Leben gar nicht
    mehr so aufrechtzuerhalten sei, wie es einmal gewesen
    sei. Wir haben allerdings bisher in diesem Hohen Hause
    – das gilt für die gesamte Bundesrepublik Deutschland –
    eines vermieden, nämlich die internationale Politik, ins-
    besondere die Außenpolitik, nur noch zum Markt der
    Innenpolitik oder zur Funktionsgröße innenpolitischen
    Taktierens zu machen. Das hat sich durch die Bundes-
    tagswahl 2002 geändert. Das bedauere ich sehr.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es gibt ein paar Konstanten deutscher Außenpolitik
    der letzten 50 Jahre, mit denen wir sehr gut gefahren sind
    und die bisher noch keine Bundesregierung infrage ge-
    stellt hatte, und zwar weder vorsätzlich noch fahrlässig.
    Die jetzige Bundesregierung hat es getan. Sie hat Kern-
    elemente des außenpolitischen Konsenses auf dem Wahl-
    kampfaltar geopfert. Dazu gehört unter anderem ein star-
    kes Engagement für den Multilateralismus, und zwar
    sowohl im Hinblick auf Systeme kooperativer Sicherheit
    wie die UNO und die OSZE als auch im Hinblick auf Sys-
    teme kollektiver Verteidigung wie die NATO. Das gilt erst
    recht für die europäische Integration, die in den letzten
    Jahrzehnten eine so große Blüte erreicht hat.

    Zu diesen Kernelementen gehören des Weiteren die
    konsequente Entnationalisierung der Sicherheits- und
    Verteidigungspolitik durch tiefe Integration, das beson-
    dere Bemühen um das Vertrauen der kleineren Partner in
    den Verbünden, ein enges und vertrauensvolles Verhältnis
    zu Frankreich als notwendige Bedingung für jeglichen
    Fortschritt in der Europäischen Union und – last, but not
    least – eine auf Vertrauen und gemeinsame Werte gegrün-
    dete Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Ame-
    rika. Manchmal sind diese Elemente gewiss nicht leicht
    auszubalancieren. Das erfordert im besten Sinne des Wor-

    tes Staatskunst. Genau daran hat es in den letzten Jahren
    und vor allen Dingen in den letzten Monaten in dramati-
    scher Weise gefehlt.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sonst stünde nicht die Glaubwürdigkeit unseres
    UN-Engagements in Zweifel. Sie steht aber in Zweifel,
    wenn der deutsche Bundeskanzler von vornherein mögli-
    che Sicherheitsratsresolutionen als für die deutschen Ent-
    scheidungen auf nationaler Ebene irrelevant erklärt. Sonst
    würden unsere Partner nicht die Frage stellen, ob sich hin-
    ter dem Begriff des deutschen Weges nicht doch eine Re-
    nationalisierung der deutschen Sicherheits- und Verteidi-
    gungspolitik verbirgt. Sonst würden wir nicht mit
    Verblüffung und Empörung vor der Tatsache stehen, dass
    das deutsch-französische wie das deutsch-amerikani-
    sche Verhältnis gleichermaßen einen historischen Tief-
    punkt erleben.

    Meine Damen und Herren, es gehört zum Imperativ
    deutscher Außenpolitik, dass sich eine Bundesregierung
    nie in eine Situation manövrieren darf, wo sie zwischen
    Europa und den USA, zwischen transatlantischer Bin-
    dung und europäischer Integration, zwischen Washington
    und Paris wählen muss. Die Kollegen im britischen Un-
    terhaus und in der französischen Nationalversammlung
    werden in der Frage, ob ihnen die NATO oder die EU, ob
    die transatlantische Bindung oder europäische Integration
    wichtiger ist, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen,
    aber sie werden klare Prioritäten ausdrücken. Wir Deut-
    schen dürfen es uns niemals leisten, uns überhaupt in eine
    Situation zu bringen, diese Frage beantworten zu müssen.

    Aber der Trick kann ja nicht darin bestehen bzw. das
    Problem nicht dadurch als gelöst gelten, dass am Ende das
    Verhältnis mit beiden Partnern gleichermaßen schlecht
    ist. Genau das haben wir hier aber festzustellen. Deswe-
    gen ist der Befund der aktuellen Europa- und Außenpoli-
    tik fatal:


    (Beifall des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU])

    Die Verletzungen sind tief. Die Verletzungen, die insbe-
    sondere in den Vereinigten Staaten entstanden sind, nicht
    nur bei der Regierung, sondern auch bei den Menschen,
    werden in Deutschland nicht überschätzt, sondern noch
    gewaltig unterschätzt. Es wird unterschätzt, dass das
    deutsch-amerikanische Verhältnis immer auch eine ganz
    starke emotionale Komponente gehabt hat, und das hat
    insbesondere etwas mit dieser Stadt, mit Berlin, zu tun.
    Man macht einen Riesenfehler, wenn man das übersieht.

    Am schlimmsten war wahrscheinlich bei all diesen
    verbalen Entgleisungen, dass man unsere amerikanischen
    Partner in die Ecke von Abenteurern gerückt und diesen
    Begriff auch benutzt hat. Meine Damen und Herren, das
    übersieht die ausgesprochen ernste und kontroverse De-
    batte, die in den Vereinigten Staaten zum Beispiel zur
    Irak-Frage geführt wird. Ich wünsche mir manchmal,
    auch in der Medienwelt in Deutschland würden wir eine
    solche kontroverse tief gehende Debatte führen, wie das
    in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Das hat tiefe Ver-
    wundung hinterlassen und das persönliche Verhältnis
    weitgehend zerstört. Ich fürchte, selbst wenn der Bundes-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    110


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    kanzler jetzt auf die Idee käme, wieder einmal dort anzu-
    rufen, er würde schon bei der Telefonzentrale scheitern.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, wir fangen an, Preise zu

    zahlen; das ist bereits gesagt worden. Selbst wenn es diese
    ominöse Liste im formalen Sinne nicht gibt, ist gleich-
    wohl klar: Die Bundesrepublik Deutschland wird auf an-
    deren Gebieten als auf denen, die jetzt im Wahlkampf dis-
    kutiert worden sind, Preise zahlen müssen. Das beginnt
    mit der Irak-Frage – insbesondere in der Zeit nach einer
    möglichen Intervention –, setzt sich fort in der Frage der
    Lead-Funktion in Afghanistan, die uns dort sehr, sehr
    lange binden kann, und gilt auch für die Türkei-Frage, auf
    die verschiedene Kolleginnen und Kollegen hier einge-
    gangen sind.

    Meine Damen und Herren, in dieser Situation außenpo-
    litischer Irritationen schlimmster Art stehen wir vor dem
    NATO-Gipfel in Prag. Dieser NATO-Gipfel in Prag ist
    eben keineswegs in allererster Linie ein Erweiterungsgip-
    fel – die Entscheidungen sind im Wesentlichen abgefrüh-
    stückt –, sondern in Prag werden die Vereinigten Staaten
    versuchen, ihre militärstrategischen Neuorientierungen ei-
    nes Präventivschlages


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

    und einer Abkehr vom unbedingten Gewaltmonopol der
    Vereinten Nationen auch in der NATO durchzusetzen. Die
    Amerikaner stellen in dem Zusammenhang manche wohl
    berechtigte Frage, aber wir als Europäer und speziell als
    Deutsche müssen uns fragen, ob wir uns eigentlich schon
    intellektuell in die Lage versetzt haben, auf diese Fragen
    tatsächlich auch Antworten zu geben, und ob wir bereit
    sind, mit den Amerikanern über gemeinsame Antworten
    zu debattieren. In Prag werden möglicherweise schon
    recht weit gehende Festlegungen geschaffen. Die Bundes-
    regierung hat noch nicht einmal angefangen, das über-
    haupt intern zu durchdenken,


    (Dr. Peter Struck, Bundesminister: Woher wissen Sie das?)


    geschweige denn gemeinsam mit unseren Partnern in
    Europa. Sie, Herr Kollege Struck, drohen die erforder-
    liche Strategiediskussion vollkommen zu verschlafen und
    laufen Gefahr, unser Engagement mit KSK in Afghanistan
    vor unserer deutschen Bevölkerung verheimlichen zu
    wollen.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Peter Struck, Bundesminister: Auch Quatsch!)


    Meine Damen und Herren, mir graut jedenfalls vor der
    Vorstellung, dass wir Europäer und vor allem wir Deut-
    schen in Prag den USA nur deshalb hinterherlaufen müs-
    sen, weil wir es uns nicht leisten können, unsere eigenen
    Vorstellungen gegenüber Washington vorzubringen.

    Das Irritationspotenzial zwischen Europäern und Ame-
    rikanern ist gewaltig. Das beginnt bei der Zukunft der
    WTO und anderen Handelsfragen und reicht über den In-
    ternationalen Strafgerichtshof und die Raketenabwehr bis
    zur Rolle der Vereinten Nationen. Vergleichbar schwierig
    war nach meiner Einschätzung nur die Situation Ende der
    80er-Jahre, als wir über amerikanische Kurzstreckenatom-

    raketen in Europa und in Deutschland diskutiert haben.
    Bei allen, zum Teil riesigen Differenzen ist der Gesprächs-
    faden damals aber niemals abgerissen. Das wäre Hans-
    Dietrich Genscher oder Helmut Kohl niemals passiert.
    Heute ist das der Fall. Da nützt dann auch der Besuch des
    Außenministers nicht viel. Die Telefonleitung zwischen
    dem Kanzleramt und dem Weißen Haus muss wieder her-
    gestellt werden.

    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)