Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der 11. Septem-
ber hat vieles verändert: Wir haben eine neue Situation.
Eine neue Situation verlangt, dass man nicht einfach Vor-
schläge recycelt nach dem Motto Was ich schon immer
zu diesem Thema sagen wollte. Eine neue Situation be-
deutet für uns als politische Klasse, als Menschen, die
Verantwortung übernommen haben und in die Verant-
wortung gewählt worden sind Opposition und Regie-
rung , dass wir nicht den Eindruck erwecken dürfen, als
ob sich die Bundesrepublik Deutschland im Kriegszu-
stand befinde. Wir dürfen nicht so tun, als ob nationale Pa-
nik angesagt wäre. Wenn man seiner Verantwortung ge-
recht werden will, bedeutet Führung in diesem
Zusammenhang, der Bevölkerung deutlich zu machen:
Wir sind dafür gewählt, um in dieser Republik Verant-
wortung zu übernehmen, ohne Panik zu säen, ohne Ängs-
te zu schüren und ohne dazu beizutragen, dass weniger Si-
cherheit in der Bevölkerung entsteht.
Ich bin froh, dass der Bundeskanzler in seiner Rede zu
Besonnenheit gemahnt hat, dass er die Notwendigkeit
deutlich gemacht hat, die Sicherheit sofern dies in un-
serer Macht steht mit Sofortmaßnahmen zu erhöhen, so-
weit dies noch nicht geschehen ist, dass es aber nicht da-
rum gehen kann, Sicherheit gegen Freiheit auszuspielen.
Wir brauchen beides: Sicherheit und Freiheit gehören zu-
sammen. Wer das eine vom anderen trennt, hat nicht ver-
standen, wofür unsere Zivilisation, unsere Gesellschafts-
ordnung steht.
Das Vereinsgesetz wurde bereits mehrfach auch vom
Innenminister angesprochen. Deshalb möchte ich mich
an dieser Stelle kurz fassen und nur eines dazu sagen: Ich
glaube, wir sind uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg
darin einig wichtig ist auch die Tonlage : Die Änderung
des Vereinsgesetzes durch die Streichung des Religions-
privileges, die wohl alle wollen, ist keine Maßnahme, die
sich gegen den Islam richtet. Extremismus kann sich be-
dauerlicherweise in allen Religionen finden. Ich will nur
ein Beispiel in Erinnerung rufen, das einige vielleicht
schon vergessen haben: Viele haben noch den schreckli-
chen Vorfall im Kopf, als eine japanische Sekte einen Gift-
gasangriff auf die U-Bahn in Tokio unternommen hat. Wir
sind nicht davor gefeit, dass es Erscheinungen dieser Art
in den verschiedensten Religionen geben kann. Deshalb ist
es richtig, diese Maßnahme zu treffen. Sie richtet sich nicht
gegen eine Religion, sondern gegen den Missbrauch der
Religion durch Extremisten. Deshalb ist sie richtig.
Wir müssen jetzt auch darauf wurde bereits hinge-
wiesen Maßnahmen treffen, um die Flugsicherheit zu
erhöhen, weil auch auf diesem Feld ein Anspruch unserer
Bevölkerung besteht, sich sicher zu fühlen. Auch hier
wird etwas geschehen.
Stichwort Waffenrecht. Viele Maßnahmen sind be-
reits vor diesem schrecklichen Ereignis in die Wege ge-
leitet worden. Wir sind der Meinung: Wir brauchen in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Wolfgang Bosbach
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unserer Gesellschaft nicht mehr, sondern weniger Waffen.
Das führt zu mehr Sicherheit für alle.
Auch das Stichwort Geldströme ist bereits gefallen.
Ich glaube, dass wir auf diesem Gebiet in Zukunft das
bezieht sich nicht nur auf den religiösen Extremismus, ich
denke auch an die UCK und andere Fälle sehr genau hin-
schauen müssen, wo unter dem Deckmantel der Humani-
tät Gelder für extremistische, terroristische und men-
schenrechtsverachtende Zwecke akquiriert werden. So
etwas kann mit Sicherheit nicht hingenommen werden.
Wir müssen sehen, wie wir ein solches Vorgehen durch
rechtsstaatliche Maßnahmen unterbinden können.
Ich möchte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen,
um auch namens meiner Fraktion unseren Polizeien zu
danken. Sie müssen in diesen Tagen Überschichten fahren
und haben einen sehr schweren Job zu erfüllen, um Si-
cherheit zu gewähren.
Ich glaube, ich kann an dieser Stelle fraktionsübergreifend
den Dank an unsere Polizei dafür aussprechen, dass sie
in diesen Tagen ihre Arbeit in bewährter Weise so macht,
wie wir das von ihr kennen. Ich glaube, die aktuellen Er-
eignisse haben auch gezeigt, dass die Zusammenarbeit
zwischen dem FBI und den bundesrepublikanischen
Diensten sehr gut funktioniert und sich bewährt hat.
Ich möchte noch eines deutlich machen. In der Welt
am Sonntag vom 16. September 2001 hat Elie Wiesel ge-
schrieben: Terrorismus ist die Herrschaft der Angst.
Wenn dies zutrifft, dann sind wir alle aufgefordert, dafür
zu sorgen, dass dies nicht gilt,
dass der Terrorismus sein Ziel, uns in Angst und Schrecken
zu versetzen, nicht erreichen wird. Unter diesem Aspekt
bitte ich, alle Vorschläge, die in der jetzigen Debatte ge-
macht werden, zu überprüfen. Ich glaube, dass sich jeder,
der Vorschläge macht, gefallen lassen muss, dass seine
Vorschläge daraufhin überprüft werden, inwiefern sie ge-
eignet sind, einen solchen feigen Anschlag, wie wir ihn er-
lebt haben, in Zukunft zu verhindern.
Wenn man die einzelnen Vorschläge prüft, dann wird
man zu dem Ergebnis kommen ich hoffe, dass wir uns
darüber einig sind , dass der Datenschutz eben kein Tä-
terschutz, sondern eine Errungenschaft ist, für den sowohl
die alte als auch die jetzige Regierung eingetreten sind,
und dass im Bereich des Datenschutzes Änderungsbedarf
besteht, eben weil er nach unserer Meinung zu den Er-
rungenschaften unserer Gesellschaft gehört. Wir werden
ihn mit Sicherheit nicht abschaffen.
Wir werden das Grundgesetz mit Sicherheit nicht
ändern. Die Bundeswehr kann bereits heute, wenn die
Notwendigkeit besteht Stichwort Oderbruch , im
Katastrophenfall eingesetzt werden. Es besteht also kein
Änderungsbedarf. Ich rate, Vorschläge zukünftig genau
auf ihre Praktikabilität hin zu prüfen, bevor man sie
macht.
Ich bin sehr froh darüber, dass der Bundeskanzler, aber
auch der Verteidigungsminister deutlich gemacht haben,
dass hier kein Änderungsbedarf besteht, dass vielmehr die
geltende Rechtslage ausreichend ist, um die notwendigen
Maßnahmen durchzuführen.
Froh bin ich auch darüber, dass klargemacht worden
ist, dass wir von dem Vorhaben, ein Einwanderungs-
gesetz zu verabschieden und damit anzuerkennen, dass
die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland
geworden ist, nicht abrücken werden. Jetzt ist es erst recht
notwendig, dass wir mehr für die Integration von Flücht-
lingen tun und dass wir die Bedürfnisse unserer Wirt-
schaft nach Zuwanderung befriedigen. Wir müssen noch
in dieser Legislaturperiode gemeinsam das Einwande-
rungsgesetz verabschieden.
Der feige Anschlag in den USA das ist von verschie-
denen Rednern so gesagt worden war ein Anschlag auf
die offene Gesellschaft. Wenn das stimmt, dann war dies
auch ein Anschlag auf unsere Art zu leben. Menschen un-
terschiedlicher religiöser Herkunft und unterschiedlichen
kulturellen Hintergrundes, die vor Hunger, politischer Un-
terdrückung und religiöser Verfolgung geflohen sind, ha-
ben gemeinsam das ist die Gründungsgeschichte die
Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut. Der Anschlag
hat nicht nur ihre, sondern auch, wie gesagt, unsere Art zu
leben getroffen, die darin besteht, dass Menschen unter-
schiedlicher Herkunft und unterschiedlicher religiöser
Zugehörigkeit friedlich zusammenleben. Unsere Antwort
auf den Anschlag darf nicht dazu führen, dass die Gesell-
schaft entlang religiöser Linien gespalten wird. Wer das
will, dem muss man mit einem klaren Nein entgegentreten.
Wir wollen weiterhin in einer interkulturellen und
interreligiösen Gesellschaft leben. Wir alle sind aufgefor-
dert, eine solche Gesellschaft zu verteidigen. Ich bin des-
halb sehr froh darüber, dass der amerikanische Präsident
Bush eine Moschee besucht hat. Ich kann alle Mitglieder
dieses Hohen Hauses nur auffordern, in ihren Wahlkrei-
sen sofern das nicht schon geschehen ist; ich weiß, dass
viele Kollegen das schon getan haben das Beispiel von
Präsident Bush aufzugreifen und Gespräche mit Musli-
men zu organisieren. Wir brauchen in unserer Gesell-
schaft auch den Dialog mit dem Islam. Wir müssen den
Islam aus den Hinterhöfen herausholen und in das Licht
der Öffentlichkeit führen.
Es ist klar, dass Integration keine Einbahnstraße sein
kann. Wir müssen auch von muslimischen Organisationen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Cem Özdemir
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in der Bundesrepublik Deutschland erwarten können,
dass sie die Spielregeln unserer Gesellschaft beachten.
Nur, das tun 99 Prozent der Muslime genauso wie Chris-
ten, Juden, Andersgläubige und Atheisten.
Zum Schluss: Lassen Sie uns gemeinsam überlegen,
was wir tun können, um die Integration zu verstärken. Die
Stichwörter sind Religionsunterricht und Fakultäten,
an denen Lehrstühle für den Islam geschaffen werden
müssen, damit der moderne, zeitgenössische Islam eine
Heimat in der Bundesrepublik Deutschland bekommt.
Herzlichen Dank.