Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Einmalzahlungs-
Neuregelungsgesetzes, Drucksachen 14/4371, 14/4409 und
14/4743.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/4859 vor, über den wir zuerst abstim-
men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ände-
rungsantrag mit den Stimmen des Hauses gegen die Stim-
men der PDS abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VI auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Zivilprozesses
– Drucksache 14/4722 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Franz Thönnes
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesmi-
nisterin Dr. Herta Däubler-Gmelin das Wort.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten die ZPO-Novelle heute zum zweiten Mal in
erster Lesung. Dass wir das zum zweiten Mal tun, ist die
Erklärung für die kurze Beratungsdauer und für den Zeit-
punkt, an einem Freitagnachmittag.
Vor gut vier Monaten, vor der Sommerpause, haben
wir die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs zum ersten
Mal durchgeführt. Der Gesetzentwurf war von den Koali-
tionsfraktionen eingebracht worden. Damals ist viel über
den Inhalt, aber auch über das Verfahren gesagt worden.
Wir fanden es etwas merkwürdig, mit welchen Worten
ausgerechnet die CDU/CSU-Opposition das Vorgehen,
den Gesetzentwurf doppelt – einmal seitens der Koali-
tionsfraktionen und einmal seitens der Bundesregierung –
in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, geißelte.
Wir haben das Doppelverfahren vor vier Monaten ge-
wählt, um die Zeit für öffentliche Diskussionen erheblich
zu verlängern. Die Richtigkeit dieses Vorgehens war völ-
lig klar; das zeigt sich auch jetzt.
Dieses Vorgehen entspricht der von uns eingeführten
Praxis, die Transparenz der Gesetzgebung in der breiten
Öffentlichkeit, also nicht allein gegenüber den Verbän-
den, sondern auch gegenüber den Bürgerinnen und Bür-
gern, zu verbessern. Dieses Ziel haben wir dadurch zu er-
reichen versucht, dass wir den Referentenentwurf und
weitere Entwürfe zur unmittelbaren öffentlichen Diskus-
sion nicht nur versandt, sondern auch ins Internet gestellt
haben.
Wir haben die vergangenen vier Monate außerordent-
lich gut genutzt. Wir haben mit allen diskutiert, die dazu
bereit waren – mit Menschen, die nicht der Auffassung
sind, dass persönliche Injurien oder irgendwelche partei-
taktisch motivierten Zurückweisungen Sachargumente
ersetzen –, und zwar sehr häufig, in sehr vielen Veranstal-
tungen: mit Richterinnen, Richtern, Anwältinnen, Anwäl-
ten, Verbänden, Einzelnen, Gerichten. Die Diskussion
wird in der Anhörung des Rechtsausschusses des Deut-
schen Bundestages am kommenden Mittwoch weiterge-
hen.
Lässt man einmal alle persönlichen Angriffe und auch
die parteitaktisch – häufig hört man den Begriff „strate-
gisch“ – gemeinten Überlegungen unberücksichtigt, dann
zeigt sich Folgendes sehr klar: Es gibt eine Menge
Übereinstimmungen und einiges, worüber wir weiterhin
diskutieren müssen.
Es gibt Übereinstimmungen darüber, dass es höchste Zeit
ist, auch die Justiz zu modernisieren. Wer meint, er könne
aus irgendwelchen Gründen vermeintlicher Liebedienerei
einen Wettlauf „nach hinten“ starten, der erweist der
Justiz überhaupt keinen Dienst.
Wer das tut, der muss wissen, dass die Justiz den An-
schluss an die Arbeit und an die Aufgaben des 21. Jahr-
hunderts nur dann halten kann, wenn sie bereit ist, sich zu
modernisieren. Die Justiz kann ihre wichtige Rolle in un-
serem demokratischen und sozialen Rechtsstaat nur be-
haupten, wenn alle, Gerichte, Bund und Länder, die Mo-
dernisierung gemeinsam vorantreiben. Wir tun das.
Ich möchte einige ganz wichtige Felder nennen, auf de-
nen ich sehr viel sachliche Gemeinsamkeit sehe. Es han-
delt sich nicht nur um die Tatsache, dass modernisiert
werden muss; vielmehr geht es auch darum, dass die
bisherige justizpolitische Debatte insbesondere die Amts-
gerichte sträflich vernachlässigt hat.
Uns liegen heute folgende Zahlen vor: Durchschnitt-
lich 1,5 Millionen Menschen klagen vor dem Amtsge-
richt. Die Klagen sind nicht etwa immer einfach und un-
kompliziert, auch wenn ihr Streitwert bei weniger als
10 000 DM liegt. Vor dem Amtsgericht treffen die Kläger
selbstverständlich auf Einzelrichter – nicht etwa auf Kam-
mern –, die im Jahr zwischen 600 und 700 Fälle zu lösen
haben, schwierige wie einfache. – Die Möglichkeit der
Berufung in diesem Bereich ist sehr viel stärker einge-
schränkt, als es ansonsten der Fall ist. – Die Richterinnen
und Richter eines Landgerichts – es handelt sich zu einem
Teil um Einzelrichter, zum anderen Teil entscheiden
Kammern –, die für Klagen ab einem Streitwert von
10 000 DM in erster Instanz zuständig sind – diese Fälle
sind keineswegs immer schwieriger als die mit einem ge-
ringeren Streitwert –, haben 170 Fälle im Jahr zu bearbei-
ten.
Manchen mag das nicht stören. Wir sagen: Das wirkt
sich für die große Zahl der Recht suchenden Bürgerinnen
und Bürger und für die Amtsrichterinnen und Amtsrichter
negativ aus. Es gibt zu wenig Zeit für das Gespräch, es
gibt zu wenig Zeit für die Schlichtung. Dies muss sich än-
dern. Deshalb stärken wir das Amtsgericht.
Wir werden und wollen – darin gibt es viel Übereinstim-
mung – die Möglichkeiten der Berufung beim Amtsge-
richt verbessern.
Wir halten das Prinzip des Einzelrichters für vernünf-
tig, übrigens nicht nur beim Amtsgericht, sondern auch
beim Landgericht und bei den anderen Instanzen. Dass
wir hier viel weniger weit gehen als Sie in den Gesetzent-
würfen, die Sie eingebracht haben, meine Damen und
Herren von der Opposition, will ich nur am Rande be-
merken.
An der Ersetzung der Streitwertrevision durch eine er-
weiterte Grundsatz- und Divergenzrevision gibt es,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Franz Thönnes
13523
glaube ich, nicht viel zu kritisieren. Lassen Sie mich es
noch einmal sagen: Wir halten auch die Zusammen-
führung der Berufungen bei den Oberlandesgerichten für
richtig. All die Bedenken, die hier so unglaublich pole-
misch geäußert werden, gibt es da, wo die Berufungen zu-
sammengeführt werden, überhaupt nicht: weder bei den
Familiengerichten, noch im Bereich der Zivilgerichtsbar-
keit, noch bei den Arbeitsgerichten, den Sozialgerichten
oder den Verwaltungsgerichten.
Lassen Sie uns die Zeit nutzen, jetzt über Sachpunkte
zu diskutieren. Mit Injurieren oder Polemik beindrucken
Sie niemanden; diejenigen, die wissen, dass modernisiert
werden muss, am wenigsten. Damit verabschieden Sie
sich nur aus der eigentlichen Sachdiskussion.
Ich möchte dies sehr deutlich sagen: Die Justiz kann
ihre Rolle als tragender Pfeiler, als dritte Gewalt in unse-
rem sozialen und demokratischen Rechtstaat nur erhalten,
wenn sie modernisiert wird. Und Zusammenarbeit wäre
mir allemal lieber als dieses Hickhack, das in dieser wich-
tigen und grundlegenden Frage veranstaltet wird.
Herzlichen Dank.