Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesfinanzminister hat
soeben davon gesprochen, dass 1998, 1999 und 2000 ins-
gesamt 1 Million neuer Arbeitsplätze entstanden seien.
Man muss gerechterweise hinzufügen, dass ein Teil die-
ser neuen Arbeitsplätze, etwa 400 000, 1998, also
während der Zeit der Vorgängerregierung, geschaffen
worden sind.
Zurück zu den Krankenkassen:Nach den Berechnun-
gen der Krankenkassen reichen die Mehreinnahmen in
Höhe von 1,2 Millionen DM, die sie aufgrund der Um-
schichtung zulasten der Arbeitslosenversicherung haben,
nicht einmal annähernd aus, um dem Desaster in der
Krankenversicherung entgegenzuwirken. Angesichts der
Tatsache, dass die Krankenkassen 1999 nur knappe Über-
schüsse aufweisen konnten, müssen weitere Belastungen
der Krankenkassen automatisch zu Beitragssatzerhöhun-
gen führen, die unvermeidlich sein werden. Dies zeigt die
defizitäre Bilanz für das Jahr 2000 schon jetzt.
Die ungerechte Behandlung bei den rückwirkenden
Zahlungen des Krankengeldes widerspricht jeglichem
Vertrauensschutz. Die Spitzenverbände der Sozialver-
sicherungsträger hatten in der Vergangenheit deutlich ge-
macht, dass ein Widerspruch gegen Krankengeldbe-
scheide zur Wahrung etwaiger Ansprüche aufgrund der
Verfassungsbeschwerde nicht notwendig ist. Öffentlich
wurde von den Krankenkassen verkündet, die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Bei-
tragserhebung für das Krankengeld auf gleichgelagerte
Sachverhalte anzuwenden. Auf diesen Beschluss haben
sowohl die Sozialversicherungsträger als auch das Bun-
desarbeitsministerium – Herr Staatssekretär Andres, da-
ran möchte ich Sie erinnern – die Versicherten immer
wieder hingewiesen. Darauf haben sich die Versicherten
verlassen. Nun wird das Vertrauen erschüttert und das
Wort erneut gebrochen.
Zudem wird mit der geplanten Änderung des § 44
SGB X ein grundlegender Pfeiler unserer sozialversiche-
rungsrechtlichen Rechtsordnung zerstört. Nach der Kern-
aussage dieser Vorschrift sind die Interessen der Bürger
gegenüber der Bestandskraft von Verwaltungsakten vor-
rangig.
Abzulehnen sind auch die Regelungen – wir alle haben
noch die glanzvollen Ausführungen der Koalitionsfrak-
tionen anlässlich der gerade erfolgten Verabschiedung des
Haushalts vor Augen –, mit denen ab dem Jahr 2001 die
Kosten vom Bund auf die Bundesanstalt für Arbeit verla-
gert werden.
Es gibt keine sachliche Begründung dafür, dass die
Finanzierungsgrundlage für die Strukturanpassungs-
maßnahmen geändert werden soll. Die finanzielle Betei-
ligung des Bundes war und ist unserer Meinung nach
insbesondere dadurch begründet, dass diese Maßnahmen
die Arbeitslosenhilfeempfänger einbeziehen. Deshalb
muss das sich daraus ergebende Risiko im Bundes-
haushalt durch allgemeine Steuern abgedeckt werden.
Daran vermag auch die beabsichtigte Änderung des § 274
des SGB III, die Sie hiermit umsetzen wollen, wonach
künftig Arbeitslosenhilfeempfänger nur noch in angemes-
senem Umfang einbezogen werden sollen, nichts zu än-
dern. Es wäre sachlich und politisch nicht zu rechtferti-
gen, Arbeitslosenhilfeempfängern den Zugang zu
Strukturanpassungsmaßnahmen mit der Begründung zu
verschließen, dass sich der Bund nicht mehr an der Fi-
nanzierung beteiligt. Vielmehr ist es so, dass er sich sei-
ner Verantwortung für diese Finanzierung entzieht.
Ebenfalls nicht gerechtfertigt ist die Übertragung der
finanziellen Lasten – das darf ich auch noch einmal fest-
stellen – für das Langzeitarbeitslosenprogramm auf die
Bundesanstalt für Arbeit und damit auf die Beitragszahler.
Bei dieser Maßnahme handelt es sich nämlich – da müss-
ten Sie sich eigentlich ans Portepee fassen lassen – um ein
Bundesprogrammm. Die Erfolge des Sonderprogramms
zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit rechnen Sie
sich selbstbewusst und lauthals zu; von daher dürfen auch
die Kosten für dieses von Ihnen aufgelegte Programm
nicht auf die Beitragszahler abgewälzt werden.
Das Nachholen von Schulabschlüssen oder anderen Ab-
schlüssen zu ermöglichen ist eine allgemeine staatliche
Aufgabe; zu deren Finanzierung können nicht die Bei-
tragszahler verpflichtet werden. Hiermit wird zugleich
auch Ihre Aussage aufgekündigt, ein Programm für die
jungen Menschen aufzulegen; jetzt geht es nämlich in eine
völlig andere Richtung. Dieses Sonderprogramm – da ste-
hen Sie im Wort – ist durch Steuern zu finanzieren.
Ich weise auf weitere Sanierungstricks auf Kosten der
betroffenen Beitragszahler hin: 1,7 Milliarden DM macht
das bei Strukturanpassungsmaßnahmen aus, 750 Milli-
onen DM beim Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose,
400 Millionen DM bei der Absenkung des Pflichtver-
sicherungsbeitrages für Arbeitslosenhilfebezieher,
1,2 Milliarden DM bei der Absenkung des Kranken-
versicherungsbeitrages für Arbeitslosenhilfebezieher,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Heinz Schemken
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535 Millionen DM bei der Absenkung des Renten-
versicherungsbeitrages für Wehr- und Zivildienstleis-
tende und 4,1 Milliarden DM bei der Absenkung des
Rentenversicherungsbeitrages für Arbeitslosenhilfe-
empfänger,
und zwar zum Schaden von Leuten, die eh schon in Zu-
kunft nur eine geringe Rente bekommen. Arbeitnehmer
und Arbeitgeber sollen nun auch noch das JUMP-Pro-
gramm mit 1,4 Milliarden DM finanzieren.
Die Abgabe der Verantwortung für diese finanziellen
Lasten zugunsten des Bundeshaushalts an andere – auf
diese Weise kann man gut aus anderer Leute Leder
Riemen schneiden – tragen wir nicht mit. Die
Sozialversicherungssysteme sind durch diese Mehrbelas-
tung in Höhe von rund 10 Milliarden DM in gravierender
Weise betroffen, weil dieses Geld dann in der Tat die
Beitragszahler aufzubringen haben.
Die Solidargemeinschaft der Beitragszahler – das
sollten wir uns auch einmal ehrlich und offen eingestehen
und es den Bürgern draußen mitteilen –, die zu Zeiten ho-
her Arbeitslosigkeit zwangsläufig höhere Beiträge zu zah-
len hat, sollte eigentlich darauf vertrauen können
– das sage ich hier ausdrücklich, lieber Karl-Josef
Laumann –, dass der Staat so gerecht handelt, dass die
Beiträge dann gesenkt werden, wenn sich die Situation
auf dem Arbeitsmarkt, wie es jetzt der Fall ist, entspannt.