Rede von
Dr.
Bernd
Protzner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Kollegen! Manchmal sagt die Körpersprache eines Red-
ners mehr als seine Worte.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, als Sie dem Kollegen
Henke geantwortet haben, haben Sie ständig gestikuliert
und etwa Folgendes gesagt: Diejenigen Ausgaben, die
hier sind, die stehen eigentlich da und die, die dort stehen,
die gehören eigentlich hierhin.
Dem muss ich entgegnen: Gott sei Dank gibt es die Ka-
meralistik in Deutschland, mit der Sie den Haushalt und
die mögliche Größe des Haushaltes verschleiern können.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13505
Ihr Haushalt ist wesentlich größer, als Sie mit den
480 Milliarden DM ausweisen. Dieser Haushalt enthält
Verpflichtungsermächtigungen und Sondervermerke.
Sie haben Ansätze – Arbeitslosenversicherung, Fremdfi-
nanzierung – in andere Haushalte abgeschoben. Sie haben
darüber hinaus viele gesetzliche Maßnahmen schlicht und
einfach anderen, beispielsweise den Energieversor-
gungsunternehmen, übertragen, die beim Verbraucher
direkt abkassieren, ohne dass das im Bundeshaushalt er-
scheint.
Wenn man dies alles addiert, dann kommt man auf über
500 Milliarden DM, manche behaupten 540 Milliar-
den DM. Vor diesem Hintergrund haben Sie keinen Spar-,
sondern einen Rekordhaushalt vorgelegt.
Ich komme auf die Schuldensituation zu sprechen.
Herr Eichel, die Neuverschuldung liegt bei 43 Milliar-
den DM. Addiert man die Neuverschuldung der Jahre
von 1998 bis 2003 – der Kollege Austermann hat darauf
hingewiesen –, dann kommt man auf 230 Milliarden DM.
Obwohl Sie 100 Milliarden DM mehr einnehmen, ver-
schulden Sie die Bundesrepublik trotzdem weiter.
Sie erzählen ein Märchen, wenn Sie behaupten, Sie wür-
den Schulden abbauen.
Bezogen auf den Fraktionsvorsitzenden Merz haben
Sie gesagt: Die Bürger werden nicht ärmer. Dem muss ich
entgegnen: Ich habe ein geheimes Dossier zugespielt be-
kommen,
aus dem ich zitieren darf: Im Jahr 1998 hat der Durch-
schnittsarbeitnehmer über 9 000 DM Steuern gezahlt.
Nach der größten Steuerreform aller Zeiten – Herr Eichel
hat vorhin von Steuersenkungen wie nie zuvor gespro-
chen – zahlt der Durchschnittsarbeitnehmer im Jahr 2005
über 10 000 DM Steuern. Das Dossier – ich darf jetzt auch
einmal etwas vorzeigen – hat den Absender „Bundesmi-
nisterium für Finanzen“ und heißt „Datensammlung zur
Steuerpolitik“.
Herr Eichel, Sie sollten mehr das kontrollieren, was Sie
unter die Leute bringen. Darin steht mehr Wahrheit als
das, was Sie hier im Haus vortragen.
Eine letzte Bemerkung. – –
– Die müssen Sie sich schon noch anhören. Sie ist auch
nicht angenehm für Sie. Ich freue mich über jedes Prozent
Wirtschaftswachstum. Schauen Sie sich die Quartals-
zahlen in diesem Jahr an: im ersten Quartal 3,6 Prozent,
im zweiten Quartal 3,3 Prozent, im dritten Quartal
2,8 Prozent – –
– Ja, Frau Hermenau, nicht die Planzahlen im Bundes-
haushalt sind interessant, sondern die wirklichen Zahlen.
Sie kennen doch Planzahlen aus Ihrer Lebensgeschichte
und wissen, wie sehr die lügen.
Das ist eine feine Tendenz. Wenn ich die amerikani-
schen Zahlen mit 5,3 Prozent Wachstum oder die anderer
europäischer Länder mit 8 Prozent Wachstum sehe, finde
ich, dass wir dagegen ärmlich aussehen. Zugleich bricht
seit fünf Monaten das Geschäftsklima ein. Das ist auch
nicht verwunderlich; denn Sie machen die Leute mit Ihrer
Politik ärmer. Was Sie ihnen vielleicht übergangsweise,
Herr Poß, bei direkten Steuern lassen, das nehmen Sie ih-
nen bei indirekten Steuern – Ökosteuer, Umsatzsteuer –
wieder weg.
Das alles fördert aber nicht die Konjunktur, sondern
macht die Konjunktur kaputt. Unser Ziel, Herr Poß, ist
nicht Wohlstand für Großunternehmen, auch nicht Wohl-
stand für den Staat, sondern unser Ziel ist Wohlstand für
alle, wie es Ludwig Erhard beschrieben hat.
Das ist soziale Marktwirtschaft. Die Bürger sind nicht für
den Staat da, sondern der Staat hat für die Bürger da zu
sein. Hier müssen Sie noch mehr tun. Deshalb lehnen wir
Ihren Bundeshaushalt ab.