Rede von
Hans Jochen
Henke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den Ausführungen
der Kollegin Hermenau und des Kollegen Poß hätte man
den Eindruck gewinnen können, als ob wir es hier mit ei-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Dr. Christa Luft
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nem Jahrhundertwerk zu tun haben, dessen Wirkung weit
über diese Legislaturperiode hinausreicht. Tatsache ist,
dass der uns vorliegende Haushaltsentwurf in einigen Be-
reichen durchaus solide ist und Ansätze zur Konsolidie-
rung bietet. Das möchten wir gar nicht in Zweifel ziehen.
Diese Ansätze und sehr viel mehr hätte in dieser Legisla-
turperiode auch eine christdemokratische Regierung
erreichen können; denn die Rahmenbedingungen waren
– ich darf das noch einmal unterstreichen – im Gegensatz
zu dem, was hier ausgeführt wurde, so günstig wie nie.
Kein Finanzminister hatte so traumhafte Ausgangs-
voraussetzungen wie Minister Eichel.
Wenn ich Ihre Politik an den lauten und vollmundigen
Ankündigungen und Versprechungen wie zum Beispiel,
die Steuer- und Abgabenlast der Bürger zu senken und das
Steuerrecht nachhaltig zu vereinfachen, messe, dann muss
ich feststellen, dass hier wie in vielen anderen Bereichen
Ankündigungen und Wirklichkeit weit auseinander klaf-
fen.
Ihr jetzt vorgelegter Haushalt, Frau Kollegin Hermenau,
ist nicht der erste, der unter rot-grüner Verantwortung zu-
stande kommt, sondern es ist der dritte.
Er müsste eigentlich den Höhepunkt in dieser Legislatur-
periode markieren; denn auf den nächsten Haushalt fallen
bereits die Schatten des Wahljahres 2002.
Wenn ich das, was Sie in Koalitionsvereinbarungen
und vor der Wahl angekündigt haben, an der Wirklichkeit
messe, dann muss ich in aller Bescheidenheit und Zurück-
haltung darauf hinweisen, dass Sie jedenfalls eines mit Si-
cherheit nicht gemacht haben: Vereinfacht haben Sie an
keiner Stelle irgendetwas; aber verkompliziert und ver-
bürokratisiert haben Sie an vielen Stellen.
Was Reformbereitschaft generell und Reformen im
Steuer- und Abgabenrecht speziell anlangt, so ist durch
das, was Sie Reformen nennen, eigentlich alles mit jedem
Schritt komplizierter geworden. Eine so genannte Reform
hat in vielen Fällen ihre eigene Reform quasi zwangsläu-
fig nach sich gezogen.
Als ein Beispiel dafür, wie Sie im Zusammenhang mit
diesem Thema mit der Wirtschaft umgegangen sind und
umgehen, Herr Finanzminister Eichel, nenne ich nur noch
einmal die AfA-Tabellen. 3,5 Milliarden DM wollten Sie
gegenfinanzieren, 13 Milliarden DM waren es dann nach
den Listen Ihres Hauses tatsächlich. Der BDI ist Ihnen al-
lerdings rechtzeitig auf die Schliche gekommen. Das
schafft kein Vertrauen im Umgang zwischen Politik und
Wirtschaft.
Sie gängeln die Leistungsträger weiter und die Bezie-
her kleinerer Einkommen werden mit dem, was Sie jetzt
als Reformen vorgelegt haben und umsetzen werden, al-
lenfalls ein Nullsummenspiel erleben. Ihr Zahlenwerk,
Herr Minister Eichel, ist auch bei konservativ veran-
schlagten Hochrechnungen, was die Entwicklung der
Steuereinnahmen anlangt, für die nächsten Jahre bis 2004
zu optimistisch. Es wären mehr als 60 Milliarden DM zu-
sätzlich zu veranschlagen. Wenn man die bereits zwischen
1997 und 2000 vereinnahmten zusätzlichen 60 Milliar-
den DM berücksichtigt, sind dies in der Summe sage und
schreibe 120 Milliarden DM mehr.
Der Staat kassiert weiter und weiter. Am Ende Ihres Fi-
nanzplanungszeitraumes werden die jährlichen Abgaben-
und Steuerbelastungen in diesem Land für die Bürger bei
rund 1 Billion DM angelangt sein.
Die Steuer- und Abgabenlast werden Sie nach Ihrer ei-
genen mittelfristigen Finanzplanung konstant bei einer
Quote von über 54 Prozent stabilisieren. Da frage ich
mich: Wo sind die Reformen,
wo sind die Entlastungen, wo sind die Absenkungen bei
Steuern und Abgaben für die Bürger und die Wirtschaft?
Unser Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz hatte sehr
Recht, als er vor wenigen Tagen hier in diesem Hause fest-
stellte: Mit Ihnen und Ihrer Politik werden in den nächs-
ten Jahren die Menschen leider ärmer.
Auf der anderen Seite waren die Ausgaben des Bundes
noch nie so hoch wie in diesem Jahr; sie erreichen histo-
risch einmalige Größenordnungen in der Geschichte der
Bundesrepublik. Nächstes Jahr gibt es eine marginale
Veränderung nach unten, die eigentlich nicht ins Gewicht
fällt, und dieses, obwohl Privatisierungen bei der Treu-
hand mit einer Art Nebenhaushalt abgewiegelt werden
und obwohl Sie Kosten in Höhe von 10 Milliarden DM
vom Haushalt auf die Sozialversicherung schieben.
Jawohl, der neu gewählte BDI-Präsident Rogowski,
ein wirklich unabhängiger wie besonnener und obendrein
noch schwäbischer Kopf,
hat Recht, wenn er in dieser Woche forderte: Geben Sie
uns unsere Freiheit wieder!
Aber was tun Sie stattdessen? Sie werden in wenigen
Wochen die Ökosteuer erneut anheben und Sie werden
dies in den nächsten Jahren konsequent fortsetzen; Sie
werden dank steigender Inflation und dank kalter Pro-
gression weiter abkassieren, anstatt über einen offenen
Arbeitsmarkt, ein modernisiertes Sozialsystem und eine
zukunftsfähige Gesundheitspolitik notwendige und nach-
haltige Impulse zu setzen und den Haushalt für die Zu-
kunft zu entlasten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Hans Jochen Henke
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Nachhaltige Reformen kommen nicht voran. Oswald
Metzger hat einmal mehr treffend seine Sorge ausge-
drückt, dass aus Angst vor dem nächsten Bundestags-
wahlkampf die notwendigen Schritte unterbleiben könn-
ten. Recht hat der Mann! Mehr Mut, meine Damen und
Herren!
Wie wollen Sie denn die Europäische Union sozusagen
vom deutschen Bremsklotz befreien? Sollten wir nicht
endlich dafür sorgen, dass wir die rote Laterne beim Wirt-
schaftswachstum in der Gemeinschaft abgeben können?
Für mehr Stabilität und Vertrauen will sich die Bun-
desregierung nun überraschenderweise mit einer völlig
neuen Initiative einsetzen, nämlich mit der von ihr initi-
ierten Stiftung „Geld und Währung“, die aus dem Mil-
liardenerlös einer D-Mark-Goldmünze finanziert werden
soll. Ich denke, mit einer D-Mark als Goldmünze kann
man zwar sicherlich die Erinnerung an unsere stabile
Mark wach halten;
aber man muss feststellen, dass Vertrauen in den Euro und
Vertrauen in eine stabile Politik nicht durch eine Stiftung,
sondern nur durch eine vertrauenstiftende Politik ge-
schaffen werden.
Lieber Kollege Poß, ich streite mit Ihnen nicht darüber,
in welchem Jahr größere Privatisierungserlöse verein-
nahmt worden sind. Tatsache ist: Sie haben bis auf den
heutigen Tag überhaupt kein neues Projekt auf den Weg
gebracht. Ich stelle im Zusammenhang mit dem Verkauf
der Eisenbahnerwohnungen nur fest: Solange wir regiert
haben, waren die japanischen Geschäftsparner für Sie
schlechte Japaner. Nun verkaufen Sie die Eisenbahner-
wohnungen und plötzlich sind sie für Sie gute Japaner ge-
worden.
Rot-Grün bleibt trotz aller medienorientieren Ankün-
digungen und Denkansätze einer überkommenden, dirigis-
tischen, konservativen und ideologischen Politik mit den
entsprechenden Instrumenten nachhaltig verhaftet. Wie
fragte vor wenigen Tagen der es wirklich gut meinende
und kooperationswillige Arbeitgeberpräsident Hundt:
„Haben die Juristen des Arbeitsministeriums eigentlich
noch alle Tassen im Schrank?“
Statt mutiger, innovations-, investitions- und zukunfts-
fähiger Reformschritte bescheren Sie uns eine Regulie-
rungsliste, –