Frau Ministerin, wir sind uns
alle darin einig, eine elternunabhängige Förderung errei-
chen zu wollen. Sind Sie aber nicht mit mir auch darin ei-
nig, dass das, was Sie und auch Herr Berninger – auch in
Wahlkämpfen – immer gefordert haben, nämlich eine
grundlegende Strukturreform mit dem Ziel einer eltern-
unabhängigen Förderung, die auch unser Gesetzent-
wurf vorsieht, das ist, was Sie eigentlich wollten?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Nein, Frau Flach, in diesem Punkt bin ich
mit Ihnen nicht einer Meinung. Die von mir vorgelegten
Pläne einer BAföG-Reform wollen im Sinne einer grund-
legenden Strukturreform erreichen, dass rund 80 000 Ju-
gendliche aus Familien mit geringem oder mittlerem
Einkommen eine qualifizierte Ausbildung erhalten.
Gleichzeitig führen wir eine Internationalisierung des
BaföG ein; in Zukunft soll man ein Vollstudium im Aus-
land durchführen können, wenn man vorher bereits zwei
Semester in Deutschland studiert hatte.
Wir schaffen mit dieser Reform eine Angleichung der
Verhältnisse in Ost und West, damit in Zukunft die Stu-
dierenden – auch wenn sie nicht wohlhabend sind – in den
Semesterferien nicht unbedingt jobben müssen, sondern
zum Beispiel auch ein Praktikum in einer Hightech-Firma
durchführen oder im Ausland studieren können. Wir er-
reichen mit dieser Strukturreform, dass künftig alle Stu-
dierenden – das ist für mich ein wichtiges Ziel – beim
Start in den Beruf einen karrierefähigen und konkurrenz-
fähigen Lebenslauf vorlegen können, und zwar unabhän-
gig vom Einkommen. Das zu erreichen ist eine wichtige
Aufgabe und ein wichtiges Ziel in einer Demokratie, und
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erst die Umsetzung dieses Ziels schafft tatsächlich Chan-
cengleichheit.
Auch die Misere auf dem Lehrstellenmarkt haben wir
bereits in vielen Regionen erfolgreich bekämpft. Zum ers-
ten Mal seit vielen Jahren werden mehr Ausbildungs-
plätze angeboten als nachgefragt. Junge Menschen, die
lernen wollen und können, haben eine gute Chance, einen
Ausbildungsplatz zu erhalten. Unsere Jugendlichen haben
damit wieder eine berufliche und private Perspektive. Al-
lerdings: Besonders in den neuen Bundesländern gibt es
noch immer einen Mangel an betrieblichen Ausbildungs-
plätzen. Deshalb werde ich den Kampf um mehr betrieb-
liche Ausbildungsplätze – gerade in den neuen Bundes-
ländern, wo wir sie dringend brauchen – nicht aufgeben.
Ich werde auch das Ziel einer notwendigen Moderni-
sierung der Ausbildungsberufe sowie einer Schaffung
neuer Berufe nicht aus den Augen verlieren. Wir haben in-
zwischen mehr als 40 Ausbildungsberufe modernisiert.
Wir haben weiterhin mit den UMTS-Zinsgewinnen einen
Modernisierungsschub in den Berufsschulen ermöglicht,
den wir gerade für die Ausbildung in zukunftsträchtigen
Berufen einsetzen.
Dann finanzieren wir den Anschluss im IT-Bereich, den
Sie verpasst haben. Dies ist, wie so vieles auf diesem Feld,
wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft,
aber auch für die Lebensperspektiven unserer Jugend-
lichen.
Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin kritisiert,
dass wir in der Bildung zu wenig machen. Ich halte das für
falsch. Wir haben mit unseren Vorschlägen und unseren
Programmen erreicht, dass in den Bildungseinrichtungen
neuer Schwung vorhanden ist.
Die neuen Medien werden inzwischen in erheblich
größerem Maße eingesetzt. Das ist auch ein Ergebnis des
Programms „Schulen ans Netz“. Bis einschließlich 2001
werden wir alle Schulen an das Netz anschließen. Ich habe
das Programm für die Lernsoftware im Frühjahr dieses
Jahres gestartet. Denn ohne qualifizierte Inhalte nutzt
auch die Hardware nichts. Das ist völlig klar.
Jetzt sind die Länder in der Pflicht, ihre Lehrer ent-
sprechend zu qualifizieren und fortzubilden. Wir müssen
gemeinsam mit der Wirtschaft, weil es aus öffentlichen
Kassen nicht allein zu finanzieren ist, dieses Ziel errei-
chen, indem wir bis zum Jahr 2006 eine flächendeckende
Ausstattung von Schulen mit PCs und mit Laptops si-
cherstellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe vor-
hin gesagt, dass die Angleichung von Ost und West ein
weiteres wichtiges Ziel für die Chancengleichheit ist. Wir
haben mit der Initiative Inno-Regio und dem Ausbil-
dungsplatzprogramm Ost die richtigen Entscheidungen
getroffen, die richtigen Initiativen gestartet. Deshalb kann
man sagen: Auch bei dem Politikziel „Mehr Chancen für
die neuen Bundesländer“ gilt: Wir sind schon da. – So viel
zur Chancengleichheit.
Nun zu den Zukunftsfeldern in Wissenschaft und For-
schung. Die Lebenswissenschaftenwerden der wichtigs-
te Innovationsbereich im 21. Jahrhundert sein. Deshalb
steigern wir die Fördermittel in den Bereichen Biotech-
nologie, Gesundheits- und Medizinforschung, molekulare
Medizin und Genomforschung erheblich. Sie haben vor-
hin darauf hingewiesen. Diese Forschungsinvestitionen
sind aus zwei Gründen notwendig.
Erstens. Es sind die wichtigen Investitionen, mit denen
wir in Zukunft bessere Heilungsmöglichkeiten, bessere
Therapiemöglichkeiten für wichtige Krankheiten wie
Krebs, Alzheimer, Herz- und Kreislaufkrankheiten oder
auch die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, über die wir in den
letzten Tagen hier sehr viel diskutiert haben, erhalten.
Ohne Investitionen in diese Bereiche werden wir nicht das
notwendige Wissen haben und keine Therapien ent-
wickeln. Deshalb ist das ein wichtiger Schwerpunkt.
Deshalb war es für mich ein wichtiges Ziel, dass wir die
Mittel in diesem Bereich erheblich erhöhen. Sie haben zu
Recht gesagt, dass ich im Bereich der Genomforschung
die Mittel um 300 Prozent erhöht habe, und zwar mit dem
Ziel, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und
die Wirtschaft konkurrenzfähig zu halten.
Ich will einen zweiten Punkt nennen, die Informati-
ons- und Kommunikationstechnologien. Mit unserem
Programm Zukunftsinitiative Hochschule und den IuK-
Technologien machen wir unsere Hochschulen zukunfts-
fähig. Wir investieren in Gebäude und in modernste Ge-
räte, aber auch und vor allem in den Menschen. Allein
1,3 Milliarden DM investieren wir in die Förderung der
Nachwuchswissenschaftler. Das ist notwendig und rich-
tig. Wir haben Programme entwickelt, mit denen die
Hochschulen Zugang zu den neuen Medien bekommen.
Wir vernetzen über die neuen Medien unsere Hochschu-
len stärker mit der internationalen Wissenschaftswelt. Wir
vernetzen sie auch stärker untereinander und mit der
außeruniversitären Forschung, wie Max-Planck, wie
Fraunhofer, wie Helmholtz. Wir entwickeln mit diesen
Programmen Modelle für eine virtuelle Universität. Denn
nur eine intelligente Kombination von Präsenzuniversität
und virtueller Universität wird Deutschland einen Rang
als internationalen Wissenschaftsstandort sichern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist auf-
grund der langen Regierungszeit der jetzigen Opposition
noch immer ein weißer Fleck auf der längst existierenden
Hochschullandkarte des virtuellen globalen Dorfes. Wir
unterstützen unsere Hochschulen dabei, sich auf dieser
Landkarte zu positionieren, damit sie für unsere eigenen
und für ausländische Studierende attraktiv wird. Mit den
neuen Medien und der Entwicklung virtueller Hochschul-
projekte, mit der Entwicklung der Internationalisierung
der Hochschule und den zahlreichen Programmen für die
Förderung der Nachwuchswissenschaftler verbessern wir
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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nicht nur unsere Chancen im Wettbewerb um die intelli-
gentesten Köpfe, sondern schaffen auch modernste Mög-
lichkeiten der arbeitsbegleitenden Weiterbildung.
Lassen Sie mich noch Folgendes sagen: Wir haben
Schritte vollzogen – ich erinnere an die Zusammenfüh-
rung von Fraunhofer-Gesellschaft und GMD –, mit denen
wir wichtige Forschungseinrichtungen auf eine neue Ba-
sis stellen. Damit schaffen wir eine wichtige Grundlage
dafür, Exzellenz in der Grundlagenforschung und Exzel-
lenz in der angewandten Forschung zu verbinden. Ergeb-
nisse aus diesem Bereich können somit schneller umge-
setzt werden.
Mit der interdisziplinären Ausrichtung von For-
schungszentren, die wir unterstützen und mit der zielori-
entierten Zusammenarbeit von Wissenschaft, von Wirt-
schaft, von Hochschulen, von Forschungsinstituten und
von ihren Partnern in der Industrie – dies spielt in unse-
ren Förderprogrammen eine wichtige Rolle – schaffen
wir die Voraussetzung dafür, dass Wissenschaft und For-
schung in der Bundesrepublik den höchsten Stellenwert
erhalten. Außerdem schaffen wir die Voraussetzung
dafür, dass die Ergebnisse von Wissenschaft und For-
schung zum Nutzen der Menschen, die in unserem Land
leben, schnell angewandt werden.
Ich ziehe folgendes Fazit: Während die Opposition
über Investitionen in Forschung und Bildung nur redet,
nehmen wir diese Investitionen tatsächlich vor.
Vielen Dank.