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ID1411600100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachruf auf die Abgeordnete Ilse Schumann 11059 A Nachruf auf den Alterspräsidenten des Deut- schen Bundestages Fred Gebhardt . . . . . . . . 11059 B Eintritt der Abgeordneten Pia Maier und Ulrich Kelber in den Deutschen Bundestag . 11059 C Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Wolfgang Weiermann, Dr. Peter Danckert, Dr. Manfred Lischewski und Rudolf Bindig 11059 D Absetzung des Tagesordnungspunktes: Erste Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 11059 D Tagesordnungspunkt 1 a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2001 (Haushaltsgesetz 2001) (Drucksache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . 11059 D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004 (Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11060 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 11060 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11068 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11072 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11076 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11081 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11085 A Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11086 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11088 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11089 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11091 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11096 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11097 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11101 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . . . . . 11103 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . 11104 D Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11105 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 11107 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11111 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11113 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11116 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11118 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 11119 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11121 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11124 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 11126 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11127 B Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11128 B Plenarprotokoll 14/116 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 116. Sitzung Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 I n h a l t : Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11128 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11130 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 11131 A Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11133 A Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11135 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11138 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11139 A Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11139 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11141 D Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11143 D Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11145 D Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11147 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11148 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11149 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11151 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11152 B Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11153 C Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11154 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11156 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 11159 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 11161 B Eckhart Lewering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11163 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11166 D Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11167 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11171 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11172 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11174 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11175 A Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11175 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11179 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (114. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11179 C Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformeigentum (105. Sitzung) . . . . . . 11179 D Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Rede- beitrages (115. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 Dr. Ilja Seifert 11178 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 114. Sitzung, Seite IV; Rednerliste zu Zusatztagesordnungspunkt 7, statt „Dr. Heinrich Fink (PDS)“ ist „Ulf Fink (CDU/CSU)“ zu lesen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11179 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 12.09.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 12.09.2000* Brudlewsky, Monika CDU/CSU 12.09.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 12.09.2000* Klaus Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 12.09.2000 Frick, Gisela F.D.P. 12.09.2000 Hauer, Nina SPD 12.09.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2000 Hoffmann (Chemnitz), SPD 12.09.2000 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 12.09.2000* Karl-Heinz Marquardt, Angela PDS 12.09.2000 Dr. Meyer (Ulm), SPD 12.09.2000 Jürgen Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.09.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.09.2000 Rupprecht, Marlene SPD 12.09.2000 Scheffler, Siegfried SPD 12.09.2000 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 12.09.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver- antwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (114. Sitzung, Tagesordnungspunkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat vielen Menschen großes Leid zugefügt. Zwangsarbeiter wurden deportiert, inhaftiert und ausgebeutet. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe Verantwortung. Ihre Bereitschaft zur finanziellen Wiedergutmachung begrüße ich. Da in den Verhandlungen jedoch keine optimale Rechtssicherheit erzielt werden konnte, gehe ich davon aus, dass weitere Forderungen an Deutschland und deut- sche Unternehmen gestellt werden. Der Zwangsarbeiter- fonds wird kein finanzieller Schlussstrich werden. Ich bin nicht damit einverstanden, dass einige Opfer- gruppen, an die bisher bereits Entschädigungsleistungen gezahlt wurden, gegenüber anderen Opfergruppen privi- legiert werden, obwohl Letztere einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt waren. Die Diskussion um Zwangsarbeit hat auch viele Deut- sche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten (darunter auch meine Mutter), in ihrem Gerechtigkeitssinn getrof- fen. Lösungen zur Wiedergutmachung für diese Menschen sind weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu. Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zurBeratung des Antrags: Vererblichkeit von Bo- denreformeigentum (105. Sitzung, Seite 9916 D) Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha- ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Ver- erblichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache 14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die- ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angele- genheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu dieser Thematik. Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungs- gesetz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des Art. 233, §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendigen Konsequenzen aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in der ehemaligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück Mitverantwortung. Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschieden. Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bo- denreformland erreicht werden. Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege- lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den- jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän- digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse- quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei denen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeu- tungslosigkeit des Privateigentums an Grund und Boden eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt haben. Es geht also im Kern um die Frage: Welche Lösung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber, welche Lösung hat die- ses Parlament gewählt, um ein inkonsistentes und will- kürliches Handeln der DDR-Behörden im Nachhinein unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu korrigieren? Unter diesen Vorbedingungen war die Nachzeich- nungsregelung der einzig gangbare Weg. Man kann die Nachzeichnungsregelung mit der einfachen Formel ver- anschaulichen: Kein Neubauern-Erbe soll dadurch be- nachteiligt sein, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften konsequent umgesetzt haben, bzw. umgekehrt: Kein Neubauer-Erbe soll dadurch einen Vor- teil gewinnen, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften nachlässig angewendet haben. Es ging hier also darum, den durch die Willkür der DDR-Behörden entstandenen Zustand nach dem Gleichbehandlungs- grundsatz aufzulösen. Dies war nur über die Nachzeich- nungsregelung möglich, mit der das Kriterium der Zutei- lungsfähigkeit in das bundesdeutsche Recht eingefügt wurde. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom De- zember 1998 zwar anerkannt, dass eine grundsätzliche Vererbbarkeit von Bodenreformland in der DDR gegeben war – aber er ist nicht so weit gegangen, daraus einen Än- derungsbedarf beim geltenden Recht abzuleiten. Vielmehr gilt nach wie vor die Definition der Zuteilungsfähigkeit, die der BGH mit seinem Urteil vom 18. Juli 1997 gegeben hat. Danach ist zuteilungsfähig im Wesentlichen nur der- jenige Erbe, der am 15. März 1990 in der Landwirtschaft tätig war. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die Länder haben mit unterschiedlichem Nachdruck die Überprüfung der Grundbücher betrieben, um das Eigentum an Boden- reformgrundstücken zu klären. Das Land Mecklenburg- Vorpommern, in dem auch die meisten Bodenreform- grundstücke liegen, ist hierin am weitesten fortgeschritten: 97 Prozent der Fälle sind bislang überprüft worden. In 7 Prozent der Fälle wurde ein Anspruch des Landes als so genannter „Besserberechtigter“ an einem Bodenreform- grundstück festgestellt, weil kein zuteilungsfähiger Erbe vorhanden war. In 0,1 Prozent der Fälle hat das Land auf- grund persönlicher Härten der Betroffenen auf seine An- sprüche verzichtet. Ich bin der Auffassung, dass sich an diesen Zahlen zeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die An- wendung der bestehenden Gesetze zu Klarheit und einer abschließenden Regelung der Eigentumsfragen geführt hat. Damit ist zehn Jahre nach der deutschen Einheit die rechtmäßige Zuordnung der Bodenreformgrundstücke weitestgehend abgeschlossen. Ich glaube, dass wir zehn Jahre nach der deutschen Ein- heit auf einem guten Weg sind, dieses schwierige Kapitel des Einigungsprozesses abzuschließen. Klar ist aber auch – und das möchte ich der Ehrlichkeit halber sagen –, dass vollständige Gerechtigkeit auf diesem Gebiet nicht zu er- reichen ist. Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Redebei- trages (115. Sitzung, Seite 11022 C) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich die Debatte über die europäische Grundrechte-Charta mit zwei Vorbemerkungen beginnen. In der letzten Sitzung des Konvents in Brüssel hat das Präsidium mitgeteilt, dass Roman Herzog den Vorsitz des Konvents demnächst wieder übernehmen wird. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle wissen, dass er wegen der schweren Erkrankung seiner Frau den Vorsitz im Konvent niedergelegt hatte. Die Rückkehr von Roman Herzog ist vom Konvent und, wie ich sehe, auch von Ihnen sehr positiv aufgenommen worden. Roman Herzog gelingt es, mit seiner Kompetenz und seinem Ansehen, auch widerstreitende Gruppen im Konvent zusammenzuführen und das Projekt der Grund- rechte-Charta zum Erfolg zu führen. Meine zweite Vorbemerkung gilt der Rede von Präsi- dent Chirac, die er im Deutschen Bundestag gehalten hat. Ich fand es sehr erfreulich, dass Präsident Chirac deutlich gemacht hat, dass es auch bei der Grundrechte-Charta da- rum geht, mehr Demokratie in Europa zu wagen. Dies spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung des Kon- vents wider, denn drei Viertel der Mitglieder dieses Gre- miums sind Parlamentarier. Es ist ein Signal für mehr De- mokratie, wenn eine Weichenstellung in Richtung einer Konkretisierung der Werteordnung in Europa durch ein solches Gremium vorgenommen wird. Deshalb sollten wir alle dazu beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen. Weil wir in früheren Debatten und auch in der Debatte im Mai in diesem Hause ein hohes Maß an Konsens fest- gestellt hatten, habe ich seinerzeit vorgeschlagen, nach- dem die Anträge der Koalitionsfraktionen einerseits und der Oppositionsfraktionen andererseits vorgelegt worden waren, diese zu einer gemeinsamen Entschließung zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011180 (C) (D) (A) (B) sammenzufassen. Die fast zweimonatigen Bemühungen nach der letzten Debatte schienen erfolgreich zu sein. Lei- der ist es heute doch nicht möglich, eine gemeinsame Ent- schließung zu verabschieden. Bevor ich dazu eine Bemerkung mache, möchte ich aber feststellen, dass alle Fraktionen in diesem Parlament in zahlreichen Punkten inhaltlich übereinstimmen. Wir sind uns darin einig, dass die Arbeiten des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechte-Charta weiter unterstützt werden. Wir sind uns einig darin, dass die Bedeutung der Grundrechte-Charta auch in der deutschen Öffentlichkeit erkannt und gewürdigt und darüber eine breite gesell- schaftliche Debatte geführt werden sollte. Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, für den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention einzutreten. Wir sind uns ei- nig darin, dass der Konvent fortschrittliche und für die eu- ropäische Integration zentrale Grundrechte formulieren sollte, wozu insbesondere ein Diskriminierungsverbot, ein aktives Gleichstellungsgebot sowie kulturelle Grundrech- te gehören. Wir sind uns auch einig darin, dass die Auf- nahme von wirtschaftlichen und sozialen Rechten unter Berücksichtigung der europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Ar- beitnehmer in die Charta unterstützt werden sollte. Und: Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass sich die Bun- desregierung im Europäischen Rat für die Rechtsverbind- lichkeit der Grundrechte-Charta mit individueller Kla- gemöglichkeit einsetzen sollte. Nun werden manche mit Recht fragen: Warum legen die Fraktionen des Deutschen Bundestages angesichts ei- ner derart weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung nicht eine gemeinsame Entschließung vor? Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, so etwas wie einen „Ein- heitsbrei“ herzustellen oder abstrakte Formulierungen zu Papier zu bringen, die letztlich wenig aussagen. Die Sub- stanz dessen, was uns verbindet, ist so groß, dass die Fra- ge, warum es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen ist, nur schwer beantwortet werden kann. Die uns Anfang dieser Woche von der CDU/CSU-Frak- tion mitgeteilte Ablehnung kam für viele von uns völlig überraschend. Ich habe natürlich versucht, rational nach- zuvollziehen, worauf sich diese Ablehnung gründet, und festzustellen, ob sie vielleicht nur ein Mittel ist, Profil auf einem ungeeigneten Feld der Auseinandersetzung zu ge- winnen. Vonseiten der CDU/CSU wurde – es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden – bezüglich des Grundrechts auf Asyl auf angeblich unüberbrückbare Meinungs- unterschiede hingewiesen. Dies verwundert uns, da wir uns ursprünglich auch mit der CDU/CSU darauf verstän- digt hatten, uns dem Bekenntnis des Europäischen Rates von Tampere, dem künftigen europäischen Asylrecht die Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt und all- umfassend zugrunde zu legen, anzuschließen. Ich bin der Auffassung, dass die auf nationaler Ebene sicherlich notwendige Auseinandersetzung um das von der CDU/CSU-Fraktion lediglich gewünschte institutio- nelle Asylrecht und das von uns weiterhin für richtig er- achtete einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl auch geführt werden muss. Aber heute geht es um die Beratun- gen des Konvents in Brüssel. Ich finde, man sollte die Aus- einandersetzung, die auf nationaler Ebene zu führen ist, vor allem dann nicht nach Brüssel verlagern, wenn man sie auf nationaler Ebene nicht gewinnen kann; denn für eine Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Außerdem werden wir in die Grundrechte-Charta auf- nehmen, dass das Niveau weiter gehender nationaler Grundrechte durch die Charta nicht abgesenkt werden darf. Diese Forderung wurde von Delegierten verschiede- ner Länder erhoben. Die Finnen sind zum Beispiel in Sorge, dass das Niveau ihrer hochmodernen Verfassung durch die Grundrechte-Charta gesenkt werden könnte. Dies darf nicht geschehen. Deshalb sind wir der Auffas- sung – mit den eben skizzierten Folgen für das deutsche Asylrecht –, dass durch die Grundrechte-Charta der hohe Grund-rechtsstandard der nationalen Verfassungen in kei- nem Fall gesenkt werden darf. Darauf haben wir uns be- reits verständigt. Warum also streiten wir im Zusammen- hang mit der Charta dann über diesen Punkt? Ein weiteres Thema, mit dem wir uns in den nächsten zwei Wochen im Konvent sehr intensiv beschäftigen wer- den, sind die sozialen Grundrechte. Wir hatten uns ei- gentlich darauf verständigt, klarzustellen: Es ist an der Zeit, die immer wieder beschworene Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu doku- mentieren, dass – dem Auftrag von Köln entsprechend – die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte Eingang in die Charta finden. Warum streiten wir also darüber? Im Konvent besteht Einigkeit, dass durch die Grundrechte- Charta die Kompetenzen der EU-Organe nicht erweitert werden dürfen. Ich bin der Auffassung, wir sollten gemeinsam überle- gen, ob die bevorstehende Debatte im Konvent in Brüssel nicht auch von uns unterstützt werden sollte. Es ist offen- sichtlich, dass es Streit über die sozialen Grundrechte gibt. Wer wollte das in Abrede stellen? Es ist auch offensicht- lich, dass einige Länder großen Wert darauf legen, eine Vielzahl sozialer Grundrechte zu formulieren. Wir sind da- gegen der Auffassung – ich habe das eben als gemeinsa- me Auffassung dargestellt –, dass man nur Grundrechte formulieren sollte, die auch einklagbar sind. Deshalb wer- be ich um Unterstützung für den Versuch – den ich ge- meinsam mit dem Delegierten der französischen Regie- rung, Herrn Braibant, unternommen habe –, in dieser Frage einen Mittelweg zu finden. Roman Herzog hat, als die Debatten im Konvent sehr streitig ausgetragen wurden, die Mitglieder des Konvents ausdrücklich aufgefordert, einen solchen Mittelweg zu suchen. Dieser sollte auf drei Säulen beruhen. In die Präambel der Charta und in die Überschrift des Kapitels über die so- zialen Grundrechte sollte – als erste Säule – der Grundsatz der Solidarität festgeschrieben werden. Als zweite Säule sollten in acht Artikeln, gruppiert um die Elemente Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit, die Respek- tierung und der Schutz sozialer Grundrechte in die Charta aufgenommen werden. In der dritten Säule sollte deutlich gemacht werden: Es wird auch künftig Konventionen mit neuen – auch sozialen – Grundrechten geben. Diese sind, wenn alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, Grundlage der Auslegung und Anwendung der Charta. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11181 (C) (D) (A) (B) Um deutlich zu machen, dass wir uns eigentlich ver- ständigen könnten, will ich einmal die drei Sätze vorlesen, die Herr Braibant und ich in Bezug auf das Recht auf Ar- beit vorgeschlagen haben. Ich wüsste gerne, ob irgendje- mand in diesem Raum ist, der der folgenden Formulierung nicht zustimmen kann: Jeder hat das Recht zu arbeiten und das Recht auf Schutz seines Arbeitsplatzes. Insbesondere hat jeder das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszu- üben, sowie das Recht auf freien Zugang zu unent- geltlicher Arbeitsvermittlung. Jeder hat Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter oder missbräuchlicher Entlassung. Wer kann gegen ein so formuliertes soziales Grundrecht auf Arbeit sein? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe gehört, dass die Debatte in der CDU/CSU- Fraktion letztlich deshalb zur Ablehnung einer gemeinsa- men Entschließung geführt hat, weil man sich über die Aufnahme eines kleinen Satzes nicht einig geworden ist. Wir haben im Entwurf der gemeinsamen Entschließung folgenden Satz vorgesehen: Die Charta soll klarstellen, dass gleichgeschlechtli- che Paare nicht benachteiligt werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, gegen diesen Satz? Mir ist schon klar, dass ich eigentlich diejenigen Ihrer Kollegen anspre- chen müsste, die nicht da sind. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Altmaier wird das gleich in vernichtender Deut- lichkeit klarmachen!) Bezogen auf den von Ihnen kritisierten Satz darf ich Ih- nen in Erinnerung rufen, was Sie vor kurzem auf Ihrem Parteitag in Essen zu diesem Thema beschlossen haben und auch von Ihrer Vorsitzenden, Frau Merkel, sehr un- terstützt worden ist. Ich zitiere aus Ihrem Parteitagsbe- schluss: Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Le- bensentwurf zu verwirklichen suchen. (Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!) Wir anerkennen, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden können, die für unsere Gesell- schaft grundlegend sind. Dies gilt für nicht eheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern; dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. (Beifall im ganzen Hause) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies hatten wir für unsere gemeinsame Entschließung vorgesehen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreiben Sie das in die Charta und wir stimmen zu!) Mir ist klar, dass Sie in Ihrer Fraktion dafür gekämpft haben, sich aber letztlich gegenüber Ihren CSU-Kollegen nicht durchsetzen konnten. Ich bitte Sie dringend, dieses Problem zu lösen und nicht zuzulassen, dass das, was Frau Merkel zu diesem Thema gesagt und durchgesetzt hat, von Herrn Stoiber wieder aus dem Gefecht gezogen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir stehen ja gar nicht im Gefecht! Nicht so martialisch!) Ich habe sehr genau beobachtet, dass Sie in unserer letz- ten Debatte am 18. Mai irritiert reagierten, als der CSU- Kollege Dr. Müller als ausdrückliche Bedingung für die Ratifizierung der Charta bezeichnete: Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern er- warten Kompetenzbeschränkungen. Wie kann man so etwas von der Grundrechte-Charta, die sich mit der Kompetenzfrage bekanntlich nicht zu befas- sen hat, überhaupt erwarten? Kommen Sie zu einer ver- nünftigen Einigung mit den CSU-Kollegen in Ihrer Frak- tion! Wenn das geschehen ist, dann legen wir – das ist meine Überzeugung – wieder gemeinsame Entschließun- gen vor. Die Grundlage dafür ist breit genug. Lassen Sie uns gemeinsam feststellen: Es geht bei der Grundrechte-Charta um die Identität der Europäer, die ih- re Werteordnung, an die sie gebunden sind, deutlich ma- chen sollten. Genauso wichtig ist: Es geht um die Kon- trolle von Machtausübung durch die EU-Organe in Brüssel. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist der Kern!) Dass wir dafür gemeinsam eintreten, sollte künftig wieder deutlicher werden, als es heute durch Mehrheitsentschei- dungen über einen Antrag der Koalition deutlich werden kann. Überlegen Sie bitte, ob Taktik nicht Übertaktieren bedeutet, wenn man die Taktik über die Sache stellt. Ich werde mich jedenfalls durch die Abstimmungen, die heute leider nicht im Konsens erfolgen werden, nicht davon abhalten lassen, auch mit den Europapolitikern der Oppositionsfraktionen, die für eine gemeinsame Ent- schließung gekämpft haben und denen es in erster Linie um die Sache und nicht um parteitaktischen Vorteil geht, weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011182 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
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    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Guten Morgen, liebe
    Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

    Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bit-
    ten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.


    (Die Anwesenden erheben sich)

    Am 9. August 2000 verstarb unsere Kollegin Ilse

    Schumann im Alter von 61 Jahren. Nicht nur die Men-
    schen in ihrer Heimatgemeinde, sondern alle Menschen,
    die mit ihr zusammentrafen, schätzten sie wegen ihrer Of-
    fenheit und Menschlichkeit. Überall, wo sie sich enga-
    gierte, tat sie dies mit großem Einsatz, der nie ohne eine
    besondere Herzlichkeit war. Geboren in Augsdorf im
    Mansfelder Land, blieb sie ihrer Heimat immer verbun-
    den. Sie machte eine Ausbildung zum Chemieingenieur
    und arbeitete in Bitterfeld und Wolfen. Von 1990 an war
    sie Bürgermeisterin in Raguhn im Kreis Bitterfeld, bis sie
    1994 für den Kreis in den Bundestag gewählt wurde. Als
    Mitglied des Verteidigungsausschusses und seines Unter-
    ausschusses „Streitkräftefragen in den neuen Bundeslän-
    dern“ hat sie sich nachhaltig für die Belange der jungen
    Menschen in Ostdeutschland eingesetzt. Selbst ihr eige-
    ner zäher Kampf gegen die tückische Krankheit war bis
    zuletzt von Zuversicht geprägt und blieb von vielen un-
    bemerkt, weil sie von ihrer eigenen Person nicht viel Auf-
    hebens machte. Wir werden sie in ehrender Erinnerung
    behalten.

    Am 14. August 2000 ist der Alterspräsident des Deut-
    schen Bundestages Fred Gebhardt nach langer, schwe-
    rer Krankheit im Alter von 72 Jahren gestorben. Fred
    Gebhardt wurde 1928 in Bayreuth geboren. Er studierte
    politische Wissenschaft und Soziologie und war dann in
    der Arbeits- und Sozialverwaltung tätig. Zwar gehörte er
    dem Deutschen Bundestag erst seit zwei Jahren an; doch
    sein politisches Engagement auf kommunaler und Lan-
    desebene in seiner Wahlheimat Hessen währte bereits
    mehrere Jahrzehnte. Auch in der internationalen Zusam-
    menarbeit war er lange aktiv. Die Kollegen, die ihn in per-
    sönlichen Gesprächen kennen lernten, schätzten seine
    sehr liebenswürdige Art. Doch in der politischen Ausei-
    nandersetzung war er verständlicherweise nicht immer
    ein bequemer Partner. Unbestritten ist jedoch sein beharr-

    liches Eintreten für soziale Gerechtigkeit. Wir werden
    ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

    Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren
    Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

    Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
    zwei neue Mitglieder des Hauses begrüßen. Als Nachfol-
    gerin für den verstorbenen Kollegen Fred Gebhardt hat
    die Abgeordnete Pia Maier am 31. August 2000 die Mit-
    gliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Für den
    Kollegen Rudolf Dreßler, der am 31. August 2000 auf
    seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet
    hat, hat der Abgeordnete Ulrich Kelber am 1. Septem-
    ber 2000 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag er-
    worben. Ich heiße Sie beide herzlich willkommen und
    wünsche gute Zusammenarbeit!


    (Beifall)

    Sodann spreche ich den Kollegen Dr. Norbert Blüm

    und Wolfgang Weiermann, die während der Sommer-
    pause ihren 65. Geburtstag feierten, sowie den Kollegen
    Dr. Peter Danckert, Dr. Manfred Lischewski und
    Rudolf Bindig, die jeweils ihren 60. Geburtstag begin-
    gen, nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des
    ganzen Hauses aus.


    (Beifall)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist

    vereinbart worden, die auf der Tagesordnung ohne De-
    batte vorgesehene erste Beratung des Gesetzentwurfes zur
    Änderung des Straßenverkehrsgesetzes abzusetzen. Sind
    Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
    Dann ist es so beschlossen.

    Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
    a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

    gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
    stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-
    haltsjahr 2001

    (Haushaltsgesetz 2001)

    – Drucksache 14/4000 –
    Überweisungsvorschlag:
    Haushaltsausschuss

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    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    116. Sitzung

    Berlin, Dienstag, den 12. September 2000

    Beginn: 11.00 Uhr

    b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
    gierung
    Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004
    – Drucksache 14/4001 –
    Überweisungsvorschlag:
    Haushaltsausschuss

    Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
    heutige Aussprache im Anschluss an die Einbringung acht
    Stunden, für Mittwoch sieben Stunden, für Donnerstag
    acht Stunden und für Freitag fünf Stunden vorgesehen. –
    Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so be-
    schlossen.

    Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bun-
    desminister der Finanzen, Hans Eichel.


    (von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

    sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr habe
    ich Ihnen hier das Zukunftsprogramm 2000, die Einlei-
    tung einer Finanzpolitik der nachhaltigen Konsolidierung
    des Bundeshaushaltes und der öffentlichen Haushalte ins-
    gesamt und gleichzeitig die Zusage einer ebenso nachhal-
    tigen Entlastung von Bürgern und Unternehmen bei Steu-
    ern und Abgaben vorgestellt und im Rahmen dieses
    Programms als ersten Haushalt der Konsolidierung den
    Haushalt 2000.

    Ich lege Ihnen heute den Entwurf des Haushaltsplanes
    für das Jahr 2001 vor. Ich stelle fest: Die Bundesregierung
    hält genau den Kurs, den sie vor einem Jahr diesem Hause
    und dem deutschen Volk versprochen hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das heißt zuerst, die Bundesregierung hält den Konso-
    lidierungskurs mit einer Finanzpolitik, die aus der Schul-
    denfalle hinausführt. Die Planung steht unverändert: Wir
    wollen durch eine ständig fallende Neuverschuldung bis
    zum Jahr 2006 zu einem ausgeglichenen Haushalt kom-
    men. Dies bedeutet dann, wir werden 2006 erstmals seit
    Jahrzehnten einen Haushalt ohne neue Schulden haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Warum dieser Kurs? Während er im vorigen Jahr noch
    umstritten war, habe ich den Eindruck, dass er inzwischen
    allgemeine Anerkennung gefunden hat. Wir wollen aus
    der Schuldenfalle zuerst und vor allem deswegen heraus,
    weil wir künftigen Generationen nicht die Ausgaben, die
    wir getätigt haben, als Schulden hinterlassen können.
    Dies wäre für sie eine nicht erträgliche Belastung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Soziale Gerechtigkeit hat nicht nur eine Gegenwartsdi-
    mension, nämlich den Ausgleich zwischen den verschie-
    denen sozialen Schichten in unserer Gesellschaft mit der
    Zielsetzung, wie es das Grundgesetz formuliert, dass je-
    der ein Leben in Würde führen kann. Soziale Gerechtig-

    keit hat auch eine Zukunftsdimension. Wir dürfen unseren
    sozialen Ausgleich heute nicht zulasten künftiger Genera-
    tionen machen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das gilt sowohl für die Finanzpolitik wie auch für die
    Umweltpolitik. Es bedeutet, nicht nur möglichst wenig
    Schulden zu hinterlassen, sondern auch natürliche Le-
    bensgrundlagen zu bewahren, auf denen ungezählte Ge-
    nerationen nach uns leben können. Auch muss vor allem
    in Bildung, in Köpfe, und in die Fertigkeiten der Hände
    der nächsten Generation investiert werden; denn das ist
    deren und unser künftiger Reichtum: unserer, was die
    Rente betrifft, und deren, was ihr eigenes Einkommen be-
    trifft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir halten trotz aller Verlockungen Kurs. Dabei will
    ich mit aller Klarheit sagen: Ich freue mich darüber und
    danke sowohl allen Kabinettsmitgliedern wie den Koali-
    tionsfraktionen dafür. Zu den Kabinettsmitgliedern sage
    ich ausdrücklich: Wenn der Bundeskanzler nicht an der
    Spitze dieser Bewegung für eine solide Finanzpolitik
    steht, dann kann sie kein Finanzminister durchführen. So
    einfach ist das. Vielleicht war das in der Vergangenheit ein
    Problem.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Damit komme ich auf die Versuchungen zu sprechen.
    Ich danke dem Kabinett, den Koalitionsfraktionen und der
    interessierten Öffentlichkeit, die mit großem Nachdruck
    die Linie der Bundesregierung unterstützt haben, die in
    der Tat in dieser Größenordnung nie vermuteten einmali-
    gen Einnahmen aus der Versteigerung der Lizenzen für
    UMTS ausschließlich, und zwar Mark für Mark, zum Ab-
    bau unserer Schulden einzusetzen. Jede andere Politik
    wäre nicht verantwortbar.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir wollen die dadurch ersparten Zinsen für den Haus-
    halt und für Zukunftsinvestitionen verfügbar machen. Da-
    bei ist es zwar ehrenwert, darüber zu streiten, ob man die
    eine oder andere Milliarde auch in die Schuldentilgung
    stecken soll oder nicht. Entscheidend ist aber etwas ganz
    anderes – dabei sage ich ausdrücklich den Koalitionsfrak-
    tionen Dank –: dass die konjunkturbedingten Mehr-
    einnahmen, die wir jetzt bekommen können, nicht zu
    neuen Ausgaben führen, sondern zur Verringerung der
    Neuverschuldung eingesetzt werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das wird immer wieder übersehen: 100Milliarden DM
    sind eine unfassbare Summe. Aber 1,5 Billionen DM
    Schulden sind noch eine 15-mal unfassbarere Summe.
    Statt 1,5 Billionen DM 1,4 Billionen DM Schulden zu ha-
    ben, ist erst ein Fünfzehntel des Weges hin zu einem
    schuldenfreien Staat, den andere viel früher als wir errei-




    Präsident Wolfgang Thierse
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    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    chen werden. Deswegen ist es gut, dass wir uns so ent-
    schieden haben, zumal die Menschen im Lande genau
    diesen Kurs wollen.

    Es ist umgekehrt auch richtig, klarzumachen, dass die
    in der Tat nicht hinreichenden Investitionen doch daher
    kommen, dass wir in der Vergangenheit so viele Schulden
    aufgehäuft und deswegen so hohe Zinslasten zu tragen ha-
    ben: 82 Milliarden DM – der zweitgrößte Ausgabenblock
    im Bundeshaushalt.

    Nur wenn wir die Schulden wieder reduzieren und
    wenn wir damit Zinsausgaben freibekommen, dann kön-
    nen wir diesen Prozess rückabwickeln. Aus Zinsausgaben
    Investitionsausgaben zu machen und konjunkturbedingte
    Mehreinnahmen – ich wiederhole das – zur Verringerung
    der Neuverschuldung einzusetzen, das allein ist die fi-
    nanzwirtschaftlich seriöse und verantwortliche Position.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Denn in diesem Jahr machen wir – so ist die Planung –
    noch 50 Milliarden DM neue Schulden. Im nächsten Jahr
    reduzieren wir die Nettokreditaufnahme auf 46 Milliar-
    den DM. Es sind aber noch neue Schulden. Wir sind doch
    noch gar nicht beim Schuldenabbau. Wir werden mit dem
    Schuldenabbau erst ab 2006, wenn wir das erste Mal ei-
    nen Haushalt ohne neue Schulden haben, beginnen kön-
    nen.

    Ich sage mit Nachdruck: Es muss nicht immer so gut
    laufen. Es wird in der nächsten Zeit gut laufen, weil die
    Konjunktur in Deutschland und in Europa robust ist. Aber
    es kann auch einmal statt Mehreinnahmen Mindereinnah-
    men geben, auch konjunkturbedingt, denen man durch
    eine Absenkung der Staatsausgaben nicht hinterherlaufen
    darf. Man würde die Probleme dann ja verschärfen.

    Das Mindeste ist: Der Staat muss die Kraft haben, die
    automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen, das heißt,
    seine Ausgabenpolitik unabhängig von konjunkturellen
    Schwankungen zu machen. Deswegen müssen wir die
    Neuverschuldung durch konjunkturbedingte Steuermehr-
    einnahmen reduzieren.

    Ich weise bei dieser Gelegenheit übrigens auch auf Ri-
    siken hin. Es sind für die Postunterstützungskassen Pri-
    vatisierungserlöse im Haushalt dieses Jahres von etwas
    über 7 Milliarden DM erforderlich. Bis vor ganz kurzer
    Zeit war ich aber gar nicht sicher, ob wir den Börsengang
    der Deutschen Post überhaupt machen können.

    Wer sich – auch das ist eine der Kehrseiten der Me-
    daille, mit denen sich einige Länderpolitiker, die ebenfalls
    gerne etwas von den UMTS-Einnahmen abhaben wollten,
    nicht beschäftigen – einmal den Kurs der Aktie der Deut-
    schen Telekom anschaut, sieht ganz genau, dass die Pri-
    vatisierungen nicht so ganz planmäßig laufen. Mit dem
    jetzigen Kurs kann man nicht an die Börse gehen; das
    wäre eine Verschleuderung von Volksvermögen. Es hieße
    außerdem, die große Zahl der Kleinaktionäre noch einmal
    richtig zu enttäuschen. Das kann nicht unsere Politik sein.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Also werden wir, was die Mehreinnahmen angeht,
    auch darauf zu achten haben. Wir müssen es schaffen,
    dass wir die Privatisierungserlöse aus dem Haushalt über-
    haupt herausbekommen und stattdessen durch die Absen-
    kung der Altschulden die Zinsausgaben weiter vermin-
    dern, sodass wir daraus dann auf Dauer auch die
    Postunterstützungskassen finanzieren können. Dahin
    werden wir noch kommen müssen: das ist noch ein ziem-
    lich weiter Weg. Dann erst sind wir von den Zufälligkei-
    ten durch die Schwankungen des Kapitalmarktes – in die-
    sem Fall der Börse – unabhängig.

    Dieser Haushalt hält also Kurs. Er ist somit erstens ein
    Haushalt der Konsolidierung – der zweite in Folge. Um
    das klarzumachen: Es werden noch viele weitere folgen
    müssen, weil es eine Grundlinie der Politik ist, die durch-
    gehalten werden muss; sonst werden wir das Ziel nie er-
    reichen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Bundesregierung hält zweitens Kurs, weil sie Aus-
    gabendisziplin übt, um Spielräume für eine nachhaltige
    Entlastung aller Steuer zahlenden Bürger und aller Unter-
    nehmen zu schaffen. Deswegen ist dieser Haushalt auch
    ein Haushalt, in dem die größte Steuersenkung, die größte
    Nettoentlastung, die es in der Geschichte der Bundesre-
    publik jemals gegeben hat – das gilt im Moment auch für
    die Situation in der Europäischen Union –, verkraftet wer-
    den muss: 45Milliarden DM Nettoentlastung im nächsten
    Jahr; das sind 1,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt.
    Teilt man es auf, macht das für die Privathaushalte unge-
    fähr 30 Milliarden DM und für die Unternehmen 15 Mil-
    liarden DM aus. Dieser Weg wird konsequent fortgesetzt.

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich zunächst deutlich
    machen – weil auch diese Diskussion bei uns immer wie-
    der geführt wird – dass das deutsche Steuerrecht nicht das
    komplizierteste in der Welt ist. Auch diese Debatte sollten
    wir nicht weiterführen; sie schadet uns, weil die zugrunde
    liegende Behauptung nicht wahr ist.


    (Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das wird doch immer schlimmer!)


    – Weil sie nicht wahr ist. Ich habe gerade den Präsidenten
    der International Fiscal Association zu dieser Angelegen-
    heit befragt.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wen Sie alles kennen! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Mit dem haben Sie früher nicht gesprochen!)


    – Sie brauchen nur Herrn Faltlhauser zu fragen, der ja da-
    bei war. – In dieser Organisation sind alle Steuerrechtsex-
    perten der Welt vereint. Die Antwort auf die Frage, wer
    das komplizierteste Steuerrecht hat, fällt eindeutig aus:
    die Vereinigten Staaten. Unseres ist nicht einfach. Das ist
    überhaupt nicht zu bestreiten und da haben wir noch eine
    Menge zu tun. Aber auch von internationalen Experten
    habe ich bestätigt bekommen, dass gerade der Übergang
    vom Vollanrechnungs- auf das Halbeinkünfteverfahren




    Bundesminister Hans Eichel

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    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    eine dramatische Vereinfachung des deutschen Körper-
    schaftsteuerrechts darstellt.


    (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    – Ich kann ja nichts dafür, meine Damen und Herren,
    wenn Sie die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Ich sage
    Ihnen nur: Mit einer Politik, die die Fakten nicht zur
    Kenntnis nimmt, sind Sie in diesem Sommer schon ein-
    mal gescheitert. Machen Sie das doch nicht weiter!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Diese Politik der nachhaltigen Steuerentlastung führt
    auch zu einer Absenkung der Staatsquote.Auch dies ha-
    ben Sie in diesem Hause immer wieder bestritten. Wir hat-
    ten die höchste Staatsquote in Deutschland – ich sage aus-
    drücklich: ich kritisiere das nicht, weil die deutsche
    Einheit ohne eine höhere Staatsquote gar nicht zu machen
    gewesen wäre – im Jahre 1995 mit 50,9 Prozent. Wir hat-
    ten 1999 gut 48 Prozent, in diesem Jahr haben wir gut
    47 Prozent und die Tendenz geht gegen 45 Prozent im
    Jahre 2002. Das heißt, wir ziehen uns ein Stück zurück,
    um den Bürgern und den Unternehmen mehr eigene Ge-
    staltungsmöglichkeiten zu lassen. Das ist eine vernünftige
    Politik, wenn man sie sozial gerecht ausgestaltet.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Steuerentlastung zum 1. Januar 2001, die in diesem
    Haushalt steckt und sowohl diesen Haushalt als auch die
    Haushalte der Länder und Gemeinden sehr strapaziert,
    führt dazu, dass gegenüber der Situation, die wir im Jahre
    1998 übernommen haben, als die Bürgerinnen und Bürger
    diese Koalition mehrheitlich gewählt haben, zum Beispiel
    eine ledige Fachverkäuferin mit einem Jahresbruttover-
    dienst von 40 000 DM im Jahre 2001 um 1 209 DM steu-
    erlich entlastet wird


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    oder ein verheirateter Schlosser mit zwei Kindern und
    mit einem Jahresbruttoverdienst von 60 000 DM um
    2 930 DM entlastet wird


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    oder eine ledige leitende Angestellte mit einem Jahres-
    bruttoverdienst von 120 000 DM um 1 717 DM steuerlich
    entlastet wird. Das sind die ganz konkreten Entlastungs-
    wirkungen der Steuersenkungspolitik, die wir eingeleitet
    haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Diese Entlastungspolitik, meine Damen und Herren –
    ich wiederhole: 45 Milliarden DM Nettoentlastung,
    1,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt –, ist die richtige
    Antwort auf die Herausforderung, die uns zurzeit das
    OPEC-Kartell und die Mineralölkonzerne bereiten:

    eine allgemeine Steuersenkung sowohl für Unternehmen
    als auch für Bürgerinnen und Bürger.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Vielleicht wird es tatsächlich einen Abfluss an Kauf-
    kraft – das trifft uns alle, das trifft viele auch hart; darüber
    wird man im Einzelfall bei der Sozialpolitik reden müs-
    sen – bei Privathaushalten, bei Unternehmen und beim
    Staat in Höhe von etwa 20 Milliarden DM aufgrund der
    höheren Rohölrechnung in diesem Jahr geben. Ich wie-
    derhole aber: Wir, das heißt der Staat – also Bund, Länder
    und Gemeinden –, verzichten gleichzeitig auf 45 Milliar-
    den DM an Steuereinnahmen, die dadurch bei den Unter-
    nehmen und bei den Privathaushalten bleiben. Es gibt
    kein Land in Europa, das diese Ölpreiserhöhung so sehr
    kompensiert, wie wir das mit dieser Steuerreform ma-
    chen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich weiß, Sie wollen die ganze Woche nur diese De-
    batte führen. Sie werden aber den Sachverstand überhaupt
    nicht auf Ihrer Seite haben. Sie können ja reine Lobbypo-
    litik machen; mit Vernunft hat das, was Sie im Moment
    betreiben, aber nichts zu tun.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist ein Glück, dass uns diese Ölpreiserhöhung
    nicht im Zusammenhang mit der Wirtschaftsstruktur der
    frühen 70-er Jahre erwischt hat. Damals hat eine sozial-
    liberale Bundesregierung die richtigen Konsequenzen ge-
    zogen und hat – übrigens das erste Mal im großen Stil –
    eine Politik der Steigerung der Energieeffizienz und der
    Energieeinsparung eingeleitet.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Und der Atomkraftwerke!)


    Als Konsequenz daraus haben wir heute einen um
    45 Prozent verminderten Energieeinsatz. Ich will mir aber
    nicht vorstellen, was es für unsere Inflationsrate und für
    den Abfluss an Geld tatsächlich bedeutet hätte, wenn wir
    diesen Infrastrukturwandel nicht gemacht hätten. Es ist
    doch eine erstaunliche Leistung, dass wir trotz einer Ver-
    dreifachung des Rohölpreises – angesichts des schwachen
    Außenwertes des Euro im Verhältnis zum Dollar sogar ei-
    ner Vervierfachung – gegenüber dem Importpreis eine
    Preissteigerungsrate haben, die bereits wieder fällt und im
    August bei 1,8 Prozent lag. Darin liegt die enorme Leis-
    tung dieser Volkswirtschaft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist übrigens eines der dramatischen Dinge: Ich war
    beteiligt an den damaligen Versuchen – das ist übrigens
    nicht neu –, zu einem Energiekonsens mit einem Ausstieg
    aus der Kernenergie noch vor der Bundestagswahl zu
    kommen, die der jetzige Bundeskanzler als niedersächsi-
    scher Ministerpräsident damals favorisiert hat. Wir haben
    seinerzeit die vorige Bundesregierung gebeten, sie möge




    Bundesminister Hans Eichel
    11062


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    doch erst einmal auf den Tisch legen, was sie selbst zur
    Energieeinsparung und Förderung der Energieeffizienz in
    ihrer Zeit getan hat. Wissen Sie, was die Listen, die wir er-
    halten haben, enthielten? Auf den Listen standen Pro-
    gramme der sozialliberalen Koalition und dahinter stand:
    „ausgelaufen 1983, ausgelaufen 1984, ausgelaufen
    1985“. Stellen Sie sich einmal vor, wo wir heute stehen
    würden, wenn Sie die Politik, die wir eingeleitet haben,
    fortgeführt hätten!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Unternehmensteuerreform verstärkt den Stand-
    ortvorteil Deutschlands und die Attraktivität Deutsch-
    lands für internationale Investitionen ganz erheblich. Das
    heißt, wir haben eine gute Chance, von den 20 Milliar-
    den DM, die aus unserer Volkswirtschaft in Richtung
    OPEC abfließen, einen erheblichen Teil über ausländische
    Direktinvestitionen zurückzuholen.


    (Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Wo denn?)

    Darum wollen wir kämpfen und auch dafür machen wir
    diese Steuerreform.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Sie müssen an dieser Stelle mit Ihren Zwischenrufen
    ganz vorsichtig sein. Zu Ihrer Regierungszeit hat das Ka-
    pital einen Bogen um Deutschland gemacht und erst seit
    1999 steigen die ausländischen Direktinvestitionen wie-
    der, wie es Ihnen Herr Kollege Müller deutlich gemacht
    hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Erst seit 1998?)


    Das, was wir mit dieser enormen Steuerentlastung leis-
    ten, ist allerdings auch das Maximum dessen, was die öf-
    fentlichen Haushalte leisten können. Es bedeutet, dass
    wir, auf das Jahr bezogen, eine leichte Erhöhung des De-
    fizits im Jahre 2001 gegenüber 2000 hinnehmen. Das ist
    nicht schön und das habe ich meinen Kollegen in Brüssel
    auch nur mit dem Hinweis verständlich machen können,
    dass wir alle Anstrengungen unternehmen werden, um aus
    der Wachstumsschwäche – wir sind nämlich seit 1995 auf
    dem zweitletzten Platz in der Europäischen Union – he-
    rauszukommen, weil die deutsche Volkswirtschaft als die
    stärkste in Europa natürlich auch bei den Großen mit
    vorne stehen muss. Wir werden das nach all den Progno-
    sen, die wir heute kennen – insbesondere nach der des In-
    ternationalen Währungsfonds –, auch erreichen. Ich bin
    da eher ein bisschen vorsichtig. Aber wir haben jetzt die
    reelle Chance, bei den Volkswirtschaften in Europa an die
    Spitze zu kommen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich bedanke mich deswegen ausdrücklich bei all den
    Bundesratsmitgliedern – wir werden darüber noch disku-
    tieren, wenn das Steuersenkungsergänzungsgesetz in
    den Bundestag eingebracht wird –, die die Ansicht hatten,
    dass es falsch ist, ein Machtspiel um die Frage zu betrei-

    ben – ich unterstelle, auch Sie wollten die Steuerreform –,
    ob wir das termingemäß vor der Sommerpause hinbe-
    kommen oder ob wir das in den Herbst verschieben. Eine
    Verschiebung der Steuerreform wäre Gift für die Kon-
    junktur in Deutschland und für unser Ansehen in Europa
    gewesen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir werden das noch abzuarbeiten haben, was uns die
    Mehrheit des Bundesrates, die diese Steuerreform mitge-
    tragen hat, zur Auflage gemacht hat. Wir werden es punkt-
    genau umsetzen. Ich sage ausdrücklich: Die rheinland-
    pfälzische Landesregierung und Herr Brüderle, die dabei
    federführend waren, haben ausdrücklich bestätigt, dass
    wir mit den Mitteln, die wir in das Steuersenkungsergän-
    zungsgesetz eingestellt haben, auf Punkt und Komma das
    umsetzen, was wir verabredet haben.


    (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Einschränkungen!)


    Über die Details der Ausgestaltung kann man reden.
    Warum denn nicht? Alles kann in einem bestimmten Au-
    genblick auch nicht vereinbart werden. Aber wir haben
    genau den Umfang dessen eingebracht – da sind wir ab-
    solut zuverlässig –, was wir zugesagt haben. Genau damit
    wird sich als Erstes der Bundesrat beschäftigen. Danach
    werden wir uns im Deutschen Bundestag damit ausei-
    nander setzen.

    Drittens. Die Bundesregierung hält Kurs: Sie spart, um
    Deutschland zu erneuern und um in die Zukunft zu inves-
    tieren, ohne dafür zusätzliche Schulden zu machen. Neue
    Schulden dürfen wir nicht machen.

    Beispiel Verkehrsinfrastruktur: Wir haben rund 20Mil-
    liarden DM für Verkehrsinvestitionen in den Haushalt
    eingestellt. Das ist zwar eine gute Verstetigung; aber es ist
    nicht das, was wir auf Dauer benötigen. Darum wollen wir
    keinen Moment herumreden. Das war auch der Grund,
    warum seinerzeit Verkehrsminister Müntefering, dessen
    Amt nun Herr Klimmt übernommen hat, und ich die Ein-
    setzung einer Kommission verabredet hatten, die sich mit
    der Frage beschäftigen soll: Wie groß ist der Bedarf und
    wie kann die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur lang-
    fristig sichergestellt werden? Aus der Antwort der Kom-
    mission auf diese Frage werden die Konsequenzen zu zie-
    hen sein.

    An dieser Stelle ziehen wir auch die Konsequenzen aus
    – ich sage: in dem Punkt – dem glücklichen Umstand,
    dass die Versteigerung der UMTS-Lizenzen so viel Geld
    erbracht hat und dass wir deshalb das Geld, das wir nicht
    mehr für Zinsen ausgeben müssen, schwerpunktmäßig
    gerade in die Verkehrsinfrastruktur und in die Schiene
    sowie in Bildung und Forschung und in ein Altbau-
    sanierungsprogramm, mit dem das Ziel der Verbesserung
    der Wärmedämmung verfolgt wird, investieren können.
    Das wird zwischen den Koalitionsfraktionen und der
    Bundesregierung im Einzelnen verabredet und in der
    Haushaltsbereinigungssitzung in den Haushalt einge-
    bracht werden.




    Bundesminister Hans Eichel

    11063


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Beispiel Aufbau Ost: Die Ausgaben für den Aufbau
    Ost bleiben auf hohem Niveau. Auch hier ist völlig klar,
    dass die Bundesregierung ihre Konsolidierungspolitik
    auch betreibt, um auf Dauer – also über das Jahr 2004 hi-
    naus – Leistungen für den Aufbau Ost erbringen zu kön-
    nen, weil wir wissen – wir wissen das nicht erst seit der
    Reise des Bundeskanzlers durch die neuen Bundesländer;
    das war nur die Inaugenscheinnahme; denn das Bundes-
    kanzleramt wie das Wirtschaftsministerium und das Fi-
    nanzministerium und alle anderen jeweils betroffenen Mi-
    nisterien haben immer intensive Gespräche geführt –,
    dass wir noch eine Menge zu leisten haben, wenn der Auf-
    holprozess der neuen Länder wirklich gelingen soll und
    wenn sie an das Niveau der westdeutschen Länder heran-
    kommen sollen. Das muss unsere gemeinsame Zielset-
    zung sein.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir investieren nachdrücklich in Maßnahmen zur
    Energieeinsparung und Förderung der Energieeffizi-
    enz. Wir haben mit dem 100 000-Dächer-Programm ein
    neues Programm zur Förderung der Photovoltaik aufge-
    legt, um die Umstellung von der Kleinproduktion zur
    Massenproduktion voranzutreiben. Das Programm ist
    eine Markteinführungsbeihilfe, um eine Kostendegres-
    sion zu ermöglichen und um dann in der Zukunft die Ver-
    breitung der Photovoltaik in unserem Land über den
    Markt zu ermöglichen.

    Den Etat des Programms zur Förderung von Ein-
    zelmaßnahmen bezüglich erneuerbarer Energien haben
    wir – das bleibt auch mittelfristig so – um jeweils 180Mil-
    lionen DM pro Jahr aufgestockt.

    Ich komme jetzt auf die Förderung der Forschung,
    der neuen Technologien und der Hochschulen zu spre-
    chen. Der Anteil des Etats des Bundesministeriums für
    Bildung und Forschung am Gesamthaushalt wird wieder
    wachsen. Sie waren im Jahr 1982 in der Situation, einen
    Haushalt übernehmen zu können, bei dem der Anteil die-
    ses Minis-teriums 3,74 Prozent vom Bundeshaushalt be-
    trug, und zwar bereinigt. Sie haben im Jahr 1998 mit
    3,11 Prozent die niedrigste Rate erreicht. Wir erhöhen die-
    sen Haushalt systematisch – das ist ein sehr mühseliges
    Geschäft – auf 3,21 Prozent; damit wächst er, gemessen
    an allen Anteilen am Bundeshaushalt, am stärksten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Er wächst allein in diesem Jahr um 780 Millionen DM
    bzw. um 5,4 Prozent – und das bei einem Haushalt, der
    sonst nominal konstant bleibt.

    Nehmen wir die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschul-
    bau“, für die der Mittelansatz bei Ihnen über lange Zeit
    immer 1,8 Milliarden DM betrug. Im Haushalt 2001
    haben wir die Mittel dafür auf rund 2,2 Milliarden DM
    erhöht.


    (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

    Und die zusätzlichen Mittel für Projekte der institutionel-
    len Förderung von Bildung und Forschung werden von

    300 Millionen DM im nächsten Jahr auf 1 070 Millionen
    im Jahr 2004 erhöht. Mit anderen Worten: Wir machen
    mit dem Schwerpunkt Bildung und Forschung ernst.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Mancher mag sagen, auch das müsste mehr sein. Aber,
    meine Damen und Herren, es ist die richtige Richtung.
    Die entscheidende Frage ist: Welches Erbe haben wir an-
    getreten, um aus diesem Keller wieder herauszukommen?


    (Dr. Peter Struck [SPD]: Ganz genau!)

    Schließlich, meine Damen und Herren, modernisieren

    wir den Staat. Es genügt nicht – ich sage das mit allem
    Nachdruck – zu meinen, man hätte für den Schwerpunkt
    Bildung und Forschung genug getan, wenn man den
    Hochschulen mehr Geld gibt. Mit dem öffentlichem
    Dienstrecht des 19. Jahrhunderts werden wir keine kon-
    kurrenzfähigen Universitäten des 21. Jahrhunderts be-
    kommen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


    Das ist eine schwierige Aufgabe für Frau Kollegin
    Bulmahn, aber sie hat sie angepackt. Dies wird zu hefti-
    gen Kontroversen, aber auch zu notwendigen Entschei-
    dungen führen.


    (Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]: Wir helfen gern! – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Wir sind bereit!)


    Die Bundeswehrreform wird im Rahmen unseres ge-
    meinsam verabredeten finanziellen Tableaus mit einer
    Fülle von innovativen neuen Möglichkeiten, die sich der
    Verteidigungsminister ausgedacht hat, umgesetzt. Es
    kann in der Tat nicht so weitergehen, dass wir eine Truppe
    mit zwar vergleichsweise vielen Menschen, aber veralte-
    ten Geräten haben. Damit kann man bei den neuen Auf-
    gaben in Zukunft nicht bestehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Reform der Finanzverwaltung wird jetzt ange-
    packt. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts haben
    wir hinter uns gebracht. Dies war auch ein schmerzhaf-
    tes Thema. Wieso war das im vereinigten Europa mit Ih-
    nen – dies sage ich mit Blick auf die große Oppositions-
    partei, die sich selber als große Europapartei angesehen
    hat – so schwierig?

    Viertens. Die Bundesregierung hält Kurs: Sie spart, um
    Deutschland gerechter und menschlicher zu gestalten,
    ohne dafür zusätzliche Schulden zu machen.

    Zur Familienförderung: Es ist schon bedrückend,
    dass das Bundesverfassungsgericht nach 16 Jahren christ-
    lich-sozialer, christlich-demokratischer und liberaler Ko-
    alition dem Gesetzgeber bescheinigt, dass er die Familien
    verfassungswidrig hoch besteuert.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





    Bundesminister Hans Eichel
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    Es kann doch nicht sein, dass heute in Deutschland das Ri-
    siko der Armut besteht, wenn junge Leute mit vergleichs-
    weise niedrigem Tarifeinkommen heiraten und Kinder be-
    kommen. Das ist in einem so reichen Land wie dem
    unserigen ein unerträglicher Zustand.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben bereits zweimal das Kindergeld erhöht, und
    zwar für das erste und zweite Kind jeweils um 50 DM.
    Das heißt, einer Familie mit zwei Kindern stehen nicht
    einmal zwei Jahre nach Antritt dieser Regierung jährlich
    1 200 DM mehr zur Verfügung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das Thema Erziehungsgeldreform – seien Sie ganz
    vorsichtig – haben Sie das letzte Mal vor acht Jahren an-
    gefasst. Da liegt überhaupt ein Problem Ihrer Sozialpoli-
    tik. Sie haben über fast zehn Jahre in diesem Bereich über-
    haupt nichts mehr getan. Nach und nach ist die Zahl der
    Berechtigten immer weiter zusammengeschrumpft. Das
    war Sozialabbau, ohne dass man irgendeine gesetzgeberi-
    sche Maßnahme durchführen musste.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es gibt strukturell 300 Millionen DM mehr Erzie-
    hungsgeld. Im nächsten Jahr sind es nur 100 Milli-
    onen DM, weil an der Stelle zunächst die Tatsache wirkt,
    dass wir weniger Kinder haben. Ich will sagen, was das
    bedeutet: Eine Alleinerziehende mit einem Kind und ei-
    nem Bruttomonatslohn von 3 500 DM bekommt bis hin
    zur Höchstgrenze 43 DM im Monat zusätzlich. Eltern mit
    einem Kind und einem Bruttomonatslohn von 4 500 DM
    bekommen im Monat 45 DM zusätzlich. Bei Eltern mit
    zwei Kindern sind es 105 DM mehr. Rechnen Sie das bitte
    zu den von uns vorgenommenen Steuererleichterungen
    hinzu!

    Ich komme zum Programm zur Bekämpfung der
    Jugendarbeitslosigkeit, das diese Regierung auf den
    Weg gebracht hat. Damit wir die 2 Milliarden DM ausge-
    ben können, sparen wir, um dafür keine Schulden zu ma-
    chen; denn wir lassen die jungen Leute nicht auf der
    Straße stehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich sage mit allem Nachdruck – ich weiß, dass das noch
    ein bisschen streitig ist –: Ich bin darüber froh, dass durch
    die Arbeitsmarktentwicklung – auch das hat zumindest
    etwas mit unserer Politik zu tun – die Bundesanstalt für
    Arbeit in der Lage ist, dieses Programm in ihrem Haushalt
    zu finanzieren; denn entscheidend ist, dass es finanziert
    wird. Wir starten eine neue Lehrstelleninitiative mit jähr-
    lich 200 Millionen DM.

    Ich erinnere an unsere BAföG-Reform. Auch dieses
    Thema haben Sie vor zehn Jahren das letzte Mal ange-
    fasst. 1991 gab es im damals wieder vereinigten Deutsch-
    land 605 000 BAföG-berechtigte Studentinnen und Stu-
    denten. 1998 waren es nur noch 340 000. In der Differenz

    dieser Zahlen drückt sich das ganze Elend der Förderung
    von jungen Studentinnen und Studenten aus. Das war
    doch keine Zukunftssicherung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deutschland hat im internationalen Vergleich mit die
    geringste Zahl von Studentinnen und Studenten in einem
    Jahrgang. Das heißt, wir investieren zu wenig in die
    Köpfe unserer jungen Leute. Wir müssen Bildungsbarrie-
    ren, die neu entstanden sind, in der Tat abbauen. Das alles
    geht nicht von heute auf morgen; aber es muss gemacht
    werden. Wir nehmen dies mit dem Haushalt 2001 in An-
    griff.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Auch das Thema Wohngeldreform haben Sie das
    letzte Mal vor zehn Jahren angefasst. Sie haben damals
    eine Sonderregelung für die neuen Bundesländer getrof-
    fen, die am Ende dieses Jahres auslaufen würde. Unsere
    Konsequenz daraus ist nicht, dass wir sie auslaufen las-
    sen; vielmehr sagen wir: Das, was für die neuen Länder
    damals zu Recht gemacht worden ist, muss für die ganze
    Republik gelten. Das heißt, auch hierfür müssen Bund
    und Länder zusätzlich 1,4 Milliarden DM in die Hand
    nehmen, um dann zu einer – allerdings bemerkbaren – An-
    passung der Wohngeldleistungen in den ostdeutschen
    Ländern an die der westdeutschen Länder zu kommen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das heißt zum Beispiel – auch das will ich deutlich ma-
    chen –, dass eine Alleinerziehende mit einem Bruttomo-
    natslohn von 3 500 DM mit einem Kind 30 DM mehr
    bekommt. Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern be-
    kommt zusätzlich 60 DM. Ein Ehepaar mit zwei Kindern
    bekommt 65 DM mehr und ein Ehepaar mit drei Kindern
    erhält 95 DM mehr. Addieren Sie das bei all den Rech-
    nungen, die Sie in diesen Tagen anstellen, bitte einmal
    zum Kindergeld und zu dem, was wir an steuerlichen Ent-
    lastungen vorgenommen haben, hinzu, dann kommen Sie
    nämlich zu ganz anderen Ergebnissen!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Arbeitsmarktpolitik bleibt auf hohem Niveau
    verstetigt, obwohl wir – lassen Sie mich das frank und frei
    sagen – darüber reden müssen, was wir machen, wenn
    – was ich hoffe – die Entwicklung des Arbeitsmarkts so
    gut weitergeht. In den ostdeutschen Ländern, wo wir die
    al-lergrößten Probleme hatten, beginnt diese Entwicklung
    gerade erst. Man wird – das will ich hier deutlich sagen –
    zu diskutieren haben, ob wir nicht auch dort zu einer an-
    tizyklischen Betrachtung kommen müssen, weil wir dann,
    wenn es wieder schlechter läuft – das kann eines Tages
    durchaus passieren –, etwas drauflegen müssen.


    (Zuruf des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])

    – Ich habe im Moment andere Sorgen, Herr Hoyer, nach-
    dem wir eine Nettoentlastung von 45 Milliarden DM zu-
    stande gebracht haben. Nicht an allen Stellen geht es auf




    Bundesminister Hans Eichel

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    (C)



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    einmal. Mit reiner Lobbypolitik werden Sie das Finanz-
    tableau nicht in Ordnung halten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Nun nehmen wir die Rentenreform in Angriff. Auch
    dafür wurde zum einen in diesem Haushalt Vorsorge ge-
    troffen, zum anderen aber auch schon mit der Steuerre-
    form, deren Entlastungsschwerpunkt bei den unteren
    Einkommensschichten liegt. Ich gebe zu, dass das nach
    dem Vermittlungsverfahren im Bundesrat nicht mehr so
    deutlich ist wie in dem Entwurf, den wir eingebracht ha-
    ben, aber so ist das, wenn man, um durchzukommen,
    Mehrheiten finden muss, die man selber nicht hat. Das ist
    in Ordnung. Das muss man akzeptieren. Ich lege aber
    schon Wert auf die Feststellung, dass der Schwerpunkt der
    Einkommensteuerentlastung bei uns ganz klar bei den un-
    teren Einkommen lag. Das hat unter anderem etwas damit
    zu tun, dass man, wenn das gesetzliche umlagefinanzierte
    Rentensystem wegen der enormen demographischen Ver-
    schiebung in der Zukunft nicht mehr so leistungsfähig
    sein kann, den Menschen mehr Freiraum für Eigenvor-
    sorge geben muss. Das heißt zuallererst: Ihre Steu-
    erbelastung muss herunter. Genau das haben wir gemacht.

    Um in dieser Debatte für die Öffentlichkeit deutlich zu
    machen, worum es geht, halte ich noch einmal fest: Am
    Anfang dieses Jahrhunderts kommen auf 100 Beschäf-
    tigte etwas über 40 Rentnerinnen und Rentner. In der
    Mitte dieses Jahrhunderts werden auf 100 Beschäftigte
    etwa 90 Rentnerinnen und Rentner kommen. Wenn man
    sich allein dies vor Augen führt, wird deutlich, vor wel-
    cher Aufgabe wir hier stehen.

    Eine erste Antwort zur Lösung dieser Aufgabe steckt in
    der Frage: Wie viel Wirtschafts- und Produktivitäts-
    wachstum schaffen wir? Darin liegt der Schlüssel für eine
    einigermaßen vernünftige und für alle, nämlich für die
    Beschäftigten wie die Rentner, erträgliche Lösung der
    Aufgabe. Somit komme ich wieder auf eine Politik, die
    aus der Schuldenfalle herausführt, zurück: Angesichts
    dieser Aufgabe in den nächsten 50 Jahren dieses Jahrhun-
    derts kann man nicht einen so hohen Schuldenberg in die
    erste Hälfte des 21. Jahrhunderts mitnehmen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die zweite Antwort darauf, meine Damen und Herren,
    liegt darin, dass wir, wie es der Bundeskanzler zugesagt
    hat, den Bundeszuschuss ordentlich erhöht haben. Allein
    von 2000 auf 2001 steigt er um 10 Milliarden DM auf
    137Milliarden DM. Um 10Milliarden! Wer jetzt über die
    Ökosteuer redet, sollte wenigstens so ehrlich sein, den
    Menschen zu sagen, dass wir, wenn wir diese aussetzen,
    bei der nächsten Stufe in 2001 die Rentenversicherungs-
    beiträge um 0,3 Prozentpunkte erhöhen.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Das wollen doch die Schwarzen!)


    Verweisen Sie doch nicht nur auf die schöne Seite der Me-
    daille! Ein Finanztableau hat auch immer eine andere
    Seite.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Reden wir einmal darüber, was das wirklich bedeutet!
    Ein Arbeitnehmerhaushalt mit vier Personen und einem
    Einkommen von 5 000 DM würde bei einer jährlichen
    Fahrleistung von 15 000 Kilometern durch die Ausset-
    zung der nächsten Stufe der Ökosteuer gerade einmal um
    7 DM entlastet. Um 7 DM, meine Damen und Herren!


    (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Pro Tag!)

    Das setzt immer voraus, dass die Konzerne nicht sofort
    nachziehen.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Pro Tag!)

    – Das ist Ihre Rechnung. Wenn ich mir die Bundesschuld
    im Bundeshaushalt ansehe, entsteht bei mir immer der
    Eindruck, dass Sie im Rechnen nicht sehr stark waren,
    sonst hätten wir nie so weit kommen können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Eine Einsparung von 7 DM würde aber auf der ande-
    ren Seite bedeuten, dass der Rentenversicherungsbeitrag
    um 2,50 DM erhöht werden müsste. Das macht unterm
    Strich eine monatliche Entlastung von 4,50 DM. Das
    sollte sich jeder überlegen, der jetzt das Thema Ökosteuer
    anspricht. Mit dem, was die OPEC und die Konzerne jetzt
    machen, haben der Haushalt dieser Bundesregierung und
    unsere Gesetzgebung nichts zu tun.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Das haben Sie doch immer gewollt, dass der Benzinpreis steigt! Das ist Ihre Politik!)


    Wir fördern steuerlich die private Zusatzversorgung.
    Im Haushalt ist der erste Betrag dafür eingestellt. Es müs-
    sen sich aber alle daran beteiligen, auch die Länder und
    Gemeinden. Verbunden wird dieses mit einer ganz starken
    Kinderkomponente, die nach acht Jahren nachhaltig auf
    19,5 Milliarden DM steigt. Ich finde, das ist ein sehr fai-
    res und vernünftiges Angebot, das der Bundeskanzler und
    der Arbeitsminister Ihnen in den Gesprächen gemacht ha-
    ben. Ich würde es für vernünftig halten, wenn jedenfalls
    dieser Teil – das war immer sozialdemokratische Posi-
    tion – im Konsens zwischen den Generationen, den ge-
    sellschaftlichen Gruppen und den Parteien verabschiedet
    werden könnte. Denn es gibt für die Rente keine größere
    Sicherheit – und Sicherheit ist das Allerwichtigste –, als
    dass darum keine Verteilungskämpfe in der Gesellschaft
    zwischen verschiedenen Gruppen und politischen Par-
    teien ausgetragen werden. Ich denke, das sind wir ge-
    meinsam allen schuldig.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, der Haushalt, den ich Ihnen
    eben vorgestellt habe, ist ein Haushalt der Zukunftssiche-
    rung. Wir entlasten unsere Kinder und Enkel, indem wir
    die Lasten, die wir selbst verursacht haben, künftig auch
    selber bezahlen wollen und die Lasten, die es außerdem
    gibt – das muss dann das Nächste sein –, Schritt um
    Schritt vermindern. Wir entlasten die Bürger und die Un-
    ternehmen, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern.
    Wir investieren in Deutschlands Zukunft, ohne dafür




    Bundesminister Hans Eichel
    11066


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    zusätzliche Schulden zu machen. Wir sorgen für Gerech-
    tigkeit und für mehr Menschlichkeit in unserer Gesell-
    schaft. Wir lösen den Reformstau auf, der in den letzten
    fünf bzw. zehn Jahren dieses Land geprägt hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Sprüchemacher!)


    Diese Politik ist europäisch abgestimmt. Wir werden
    uns im Deutschen Bundestag – ich sage das auch gerich-
    tet an die Länderparlamente – mit dem, was wir in Europa
    künftig gemeinsam tun müssen, viel intensiver zu
    beschäftigen haben als in der Vergangenheit. Sie müssen
    zum Beispiel bei der Kampagne, die Sie gerade planen,
    auch einmal überlegen, wie das im europäischen Kon-
    text aussieht. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Alle
    15 Finanzminister, unabhängig davon, ob der eine oder
    andere zu Hause so unter Druck geraten ist, dass er ein
    bisschen nachgegeben hat – übrigens auf einem viel höhe-
    ren Level –, wissen, dass es Unfug ist, auf die Preistrei-
    berei von OPEC und Konzernen mit der Rücknahme von
    Steuern zu antworten, weil diese nur nachrücken würden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen ist das ein Verteilungskampf. Im Inneren
    müssen wir das sozial vernünftig gestalten, jawohl. Aber
    die richtige Antwort ist die, die wir mit einer allgemeinen
    Senkung der Steuern und Abgaben für alle Bürger dieses
    Landes und für die Unternehmen dieses Landes gegeben
    haben.


    (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das hätten wir doch schon vor drei Jahren haben können!)


    Alles andere wäre keine vernünftige Antwort.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Damit das Geld an der Tankstelle abgegeben wird!)


    Diese Politik ist erfolgreich. Wir haben in diesem Jahr
    auf jeden Fall ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent.
    Im vergangenen Jahr lagen wir noch bei 1,6 Prozent. Wir
    haben auch für nächstes Jahr ein Wirtschaftswachstum
    von – ich bleibe eher auf der vorsichtigen Seite – 2¾ Pro-
    zent zu erwarten. Die Schätzungen gehen bis 3,6 Prozent.
    Der Internationale Währungsfonds, immerhin unbestrit-
    tene Autorität auf diesem Gebiete, rechnet für nächstes
    Jahr mit 3,3 Prozent Wachstum für Deutschland. Ich bin
    da ein bisschen vorsichtiger. Als Finanzminister lasse ich
    mich lieber angenehm als unangenehm überraschen. Ich
    finde, das ist auch eine richtige Maxime für die Finanz-
    politik.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir bauen Beschäftigung auf. Wir haben in diesem und
    im nächsten Jahr das höchste Beschäftigungswachstum
    seit der Wiedervereinigung Deutschlands: 170 000 neue,
    zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Jahr, 270 000 – sagt
    die Bundesanstalt für Arbeit – im nächsten Jahr. Das heißt,
    auch für Ihre Propagandaschriften: Der Abbau der Ar-
    beitslosigkeit erfolgt nicht im Wesentlichen deswegen,

    weil viel mehr Ältere ausscheiden als Junge einsteigen,
    sondern zuallererst deswegen, weil wir einen Beschäfti-
    gungsaufbau haben. Das wollen wir auch.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben dieses große Wirtschaftswachstum gleich-
    zeitig, trotz der enormen Ölpreissteigerung, mit einem ho-
    hen Maß an Preisstabilität erreicht; wir sind in diesem
    Jahr unterhalb des Inflationszieles der Europäischen
    Zentralbank bei 1,8 Prozent geblieben, weil die Mieten
    stabil geblieben sind, weil die Nahrungsmittel viel billiger
    geworden sind, weil wir zum Beispiel im Telekom-
    munikationsmarkt die Politik der Deregulierung haben
    – die auch schon Ihre war, das bestreite ich gar nicht –, die
    wir konsequent fortsetzen.


    (Lachen bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie haben gegen die Privatisierung gestimmt! Sie haben dagegen gestimmt! – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Sechs Jahre haben wir verloren! Sechs Jahre!)


    – Da müssen Sie doch gar nicht schimpfen. Wir haben das
    zusammen beschlossen, das war aber in Ihrer Regie-
    rungszeit. – Diese Politik erhöht unser Ansehen in der
    Welt.

    Das World Economic Forum – das ist der aktuellste
    Ausweis – setzt im Global Competitiveness Report


    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

    Deutschland für das Jahr 1999 im Ranking von Platz 25
    herauf auf den Platz 15. Das ist eine Veränderung um
    zehn Plätze nach oben. In Europa gibt es nur noch ein ein-
    ziges Land, das einen solchen Sprung nach oben machen
    konnte, nämlich Ungarn. Alle anderen Länder haben we-
    niger erreicht.

    Ganz Europa entwickelt sich nach vorne. Das freut
    mich ganz außerordentlich. Dabei haben unsere Steuerge-
    setze – mit Ausnahme der Gesetze zur Haushaltskonsoli-
    dierung – noch gar nicht gewirkt. Sie können also davon
    ausgehen, dass die Zahlen nächstes Jahr noch ein bisschen
    besser aussehen, wenn wir uns vernünftig verhalten.

    Man spürt es in der ganzen Welt: Deutschland genießt
    inzwischen ein besseres Ansehen. Deutschland ist nicht
    mehr – um den Kanzler zu zitieren – der kranke Mann Eu-
    ropas,


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    sondern Deutschland ist das Land, das in Europa die Re-
    formen vorantreibt und das Europas Wirtschaft wieder in
    Schwung bringt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Das ist ja zum Lachen!)


    Wir sind mit unseren Reformen auf einem richtigen
    und sehr erfolgreichen Weg. Man kann über alles disku-
    tieren. Ich lade Sie zu einer sachbezogenen Diskussion
    über diese in der Tat sehr erfolgreiche Politik ein.


    (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





    Bundesminister Hans Eichel

    11067


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-
Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident!
    Meine Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister hat
    sich bemüht, einen Eindruck von der Wirklichkeit zu ver-
    mitteln, der nicht den Tatsachen entspricht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


    Es begann mit der Beschreibung der Wirkungen der Poli-
    tik – bei den entsprechenden Haushaltszahlen waren seine
    Ausführungen allerdings relativ bescheiden – und gipfelte
    in der Feststellung, die er – ich habe genau gezählt – vier-
    mal gemacht hat: Wir sind mit unserer Politik vorange-
    kommen, ohne zusätzliche Schulden zu machen. – Dies
    war die erste mehrfach wiederholte falsche Behauptung.

    Der Bundesfinanzminister hat gesagt, der Schnitt sei
    vor einem Jahr gemacht worden und ab dann sei es in die
    richtige Richtung gegangen. Was war eigentlich in dem
    Jahr davor? Sind Sie nicht schon zwei Jahre an der Re-
    gierung? Wer hat eigentlich damals die Politik gestaltet?

    Wenn ich Bilanz ziehe, stelle ich fest: Sie haben völlig
    zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie in den ersten bei-
    den Jahren 100 Milliarden DM – 49 Milliarden DM plus
    51 Milliarden DM – neue Schulden gemacht haben. Um
    diese Schulden zu tilgen, kann man jetzt möglicherweise
    die Erlöse aus der UMTS-Auktion einsetzen. Aber die
    Tatsache bleibt, dass Sie bis jetzt nicht ohne neue Schul-
    den ausgekommen sind.

    Wenn Sie immer wieder die Formulierung „raus aus
    der Schuldenfalle“ gebrauchen, die Ihnen offensichtlich
    Herr Schmidt-Deguelle aufgeschrieben hat, dann leugnen
    Sie natürlich gegenüber der Öffentlichkeit, dass diese
    Schuldenfalle in einem ganz erheblichen Maße von sozi-
    aldemokratisch regierten Ländern zu verantworten ist, die
    immer mit dabei gewesen sind, wenn es darum ging,
    draufzusatteln und Forderungen im Interesse der Länder
    und auch außerhalb der Länderinteressen zu erheben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ich will jetzt nicht meine Redezeit darauf verwenden,
    das geradezurücken, was Sie falsch dargestellt haben. Ich
    könnte über das Thema „größte Steuerreform der Ge-
    schichte“ reden. Sie haben offensichtlich die Steuerre-
    formen der Jahre 1986, 1988 und 1990 von Gerhard
    Stoltenberg vergessen, die immerhin zu einem Beschäfti-
    gungszuwachs von 2 Millionen geführt haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Sie haben gesagt, die Antwort müsse lauten: Wachstum
    und Beschäftigung ankurbeln. Weshalb sind wir dann in
    Europa – nur Italien liegt hinter uns – Vorletzter, was das
    Wirtschaftswachstum betrifft?

    Sie haben ferner gesagt, wir hätten nicht genügend im
    Bereich der erneuerbaren Energien getan. Ich kann mich
    nicht daran erinnern, dass auch nur ein einziges Kern-

    kraftwerk in den 16 Jahren der Regierung Helmut Kohl
    gebaut wurde. Sie wurden alle vor dieser Zeit gebaut.

    Ich stelle aber fest, dass im Jahre 1998, in dem Jahr
    also, in dem Sie die Regierung übernommen haben,
    Deutschland Weltmeister im Bereich der erneuerbaren
    Energien, der Windenergie und der Solarzellenproduk-
    tion, war, dass dies unter der Verantwortung der damali-
    gen Umweltministerin der CDU/CSU gestaltet worden ist
    und dass Sie heute bei den Gesetzen, die Sie in diesem Zu-
    sammenhang vor wenigen Monaten beschlossen haben,
    mit der EU Probleme haben. Dies betrifft unter anderem
    die Fragen, ob es Beihilfen gibt oder nicht und ob das Er-
    neuerbare-Energien-Gesetz Bestand haben wird oder
    nicht.

    Sie haben das Thema Staatsbürgerschaftsrecht ange-
    sprochen. Es ist klar, dass Ihnen das nach Ihrer Abwahl als
    hessischer Ministerpräsident im Frühjahr 1999 noch in
    Erinnerung ist. Ob deswegen die damalige Position wie-
    derholt werden muss, ist die Frage.

    Was das Fördern und Unterstützen der Familien be-
    trifft: Ich habe gestern in der Zeitung gelesen, dass Frau
    Simonis, Ihre ehemalige Kollegin als Ministerpräsidentin,
    gesagt hat, sie lehne die Rentenreform ab, weil sie beson-
    ders Familien mit Kindern bestrafe. Ich stelle fest, dass
    die Ausgaben für das Erziehungsgeld im kommenden Jahr
    verringert werden. Sie aber sprechen von einer Steige-
    rung, von Mehrausgaben usw.

    Sie sind inzwischen – das will ich gar nicht bestreiten –
    Meister der Etikette geworden.


    (Joachim Poß [SPD]: Etikette?)

    – Ja, Meister des Etiketts. Etikette ist die Mehrzahl von
    Etikett.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Oh!)


    Die Flasche aber ist leer. Das, was auf der Flasche steht,
    ist nicht drinnen. Das gilt in besonderem Maße für das
    Sparen. Und wenn etwas anderes auf der Flasche steht, als
    drinnen ist, dann ist das ein Etikettenschwindel. Das ist
    doch ganz klar, Herr Poß.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Eichel, Sie haben sich schließlich auf die Zustim-

    mung der Menschen im Land berufen, indem Sie gesagt
    haben: Das verstehen auch die Menschen; sie befürwor-
    ten den Kurs der Regierung. Sie haben Ihre Rede offen-
    sichtlich schon vor zwei, drei Monaten geschrieben. Denn
    wenn Sie sich heute auf der Straße umsehen, werden Sie
    feststellen: Die Menschen erwarten etwas ganz anderes
    als diesen Kurs.


    (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Weiter Schulden machen wie Sie?)


    Sie haben im Zusammenhang mit dem Rohöl von
    20 Milliarden DM gesprochen. Meine Rechnung, die, so
    glaube ich, jeder nachvollziehen kann,


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Nein!)







    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    lautet: Heute kostet der Liter Sprit 60 Pfennig mehr als vor
    einem Jahr. Bei einem Verbrauch von 60 Milliarden
    Tonnen Sprit kostet das den Autofahrer 36Milliarden DM
    mehr. Von den 60 Pfennig Mehrkosten haben Sie
    – gewissermaßen als Trittbrettfahrer der OPEC – die
    Mehrwertsteuer, also 9,8 Pfennig, und 12 Pfennig, die auf
    der ersten und zweiten Stufe der Ökosteuer beruhen, zu
    verantworten. 22 Pfennig von diesen 60 Pfennig Mehrko-
    sten gehen also auf Ihre Kappe. Dabei habe ich die ande-
    ren Energieträger noch gar nicht erwähnt.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht!)


    – Wenn sich der Preis erhöht, dann geht auch der Anteil
    der Mehrwertsteuer in die Höhe. Das müsste ein Haus-
    hälter eigentlich wissen.


    (Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: So ist es! – Detlev von Larcher [SPD]: Sie wollen die Mehrwertsteuer abschaffen?)


    Nun eine Rechnung bezüglich des Heizöls: Wer heute
    3 000 Liter Heizöl bunkert, muss dafür doppelt so viel
    wie vor einem Jahr bezahlen. Er zahlt 1 500 DM mehr.
    Wenn Sie das, gemessen an der Heizölmenge, die in
    Deutschland voraussichtlich verbraucht wird, addieren,
    dann ergibt dies einen zusätzlichen Betrag von 18 Milli-
    arden DM. In dieser Rechnung sind die Bereiche Strom
    und Gas noch nicht einmal berücksichtigt.

    Dies bedeutet doch, dass die Kaufkraft abgeschöpft
    wird, dass das Realeinkommen der Menschen niedriger
    wird. Wenn Sie dem eine Steuerentlastung von in der Tat
    rund 40 Milliarden DM im nächsten Jahr


    (Peter Dreßen [SPD]: 45!)

    gegenüberstellen, die Menschen gleichzeitig aber etwa
    65 Milliarden DM mehr zahlen müssen, dann ist doch
    klar, dass trotz dieser großen Steuerreform bei den Bür-
    gern nichts ankommt und für Investitionen und dafür, dass
    die Bevölkerung mehr Geld in der Tasche hat, nichts übrig
    bleibt. Dies ist eine relativ einfache Rechnung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun gibt es eine Reihe von Menschen, die sich – in

    Einzelfällen muss man schon sagen: in ihrer Verzweif-
    lung – dazu entschließen zu demonstrieren.


    (Peter Dreßen [SPD]: Sie fordern sie auf! – Weitere Zurufe von der SPD)


    Dies sind Spediteure, Arbeitnehmer bzw. Menschen, die
    sagen: Das kann so nicht weitergehen; die Wirtschafts-
    kraft meines kleinen Unternehmens – ich habe meine
    Preise vor einem Jahr festgelegt – leidet darunter. Vor die-
    sem Hintergrund höre ich gestern den Bundeskanzler
    ziemlich arrogant sagen: Da rufen ja Menschen zur Nöti-
    gung auf. Das ist empörend, was dort geschieht. Man
    kann doch keinen Gesetzesbruch zulassen.

    Diese Äußerungen wundern mich umso mehr, da ein
    Teil der Kabinettsmitglieder, insbesondere die betagteren,

    aus einer Zeit stammen, als Demonstrieren, gewaltsames
    Demonstrieren und Gewalt gegen Sachen noch absolut in
    Mode waren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Pfui!)


    Dass die nun heute hergehen und sagen, es sei eine Zu-
    mutung, wenn Menschen für ihr Recht auf der Straße ein-
    treten würden, muss zumindest erstaunen.

    Meine Damen und Herren, wenn man die Basis dieses
    Haushalts ansehen will, muss man zunächst den Verlauf,
    den der Haushalt genommen hat, betrachten. Beim Haus-
    halt für das Jahr 2000 liegt inzwischen kein Stein mehr auf
    dem anderen. Ich nenne: Dollarkurs, Zwangsarbeiter,
    EXPO, Postunterstützungskasse, Arbeitslosenhilfe, Steu-
    ermehreinnahmen, Wohngeld, Privatisierungserlöse und
    Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. Ohne die Pri-
    vatisierungserlöse aus den UMTS-Lizenzen sähe der
    Haushalt wesentlich anders aus, als er ursprünglich be-
    schlossen wurde.

    Das bedeutet aus der Sicht der Haushälter und aus der
    Sicht der Opposition: Wir brauchen einen Nachtragshaus-
    halt. Wir brauchen einen Haushalt, bei dem die Realität
    mit den Haushaltszahlen in Einklang steht. Ich sage das
    auch bezogen auf die 100 Milliarden DM aus den UMTS-
    Lizenzen. Ich möchte gern wissen, wo die im Moment
    sind. Sie verweigern dem Parlament die Auskunft da-
    rüber.


    (Hans Eichel, Bundesminister: Ich habe sie zu Hause! – Heiterkeit)


    – Ich denke, bezüglich des Sparkurses, den Sie einleiten,
    wäre das zumindest volkswirtschaftlich dumm, weil Sie
    das Geld so lange Gewinn bringend anlegen könnten, bis
    Sie die Schulden, die Sie selber in den ersten zwei Jahren
    gemacht haben, zurückgeführt haben.

    Das Parlament darüber im Unklaren zu lassen, wie und
    wo genau die Mittel eingesetzt werden, halte ich für ver-
    fassungsrechtlich bedenklich.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Budgetrecht ist das oberste Recht des Parlaments.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Genau! Das haben Sie nie beachtet!)


    Sie geben den Koalitionsabgeordneten ein wenig Spiel-
    material an die Hand. Sie sagen: Über die 5,5 Milli-
    arden DM an Zinserträgen könnt ihr euch unterhalten. Ich
    füge hinzu: Vielleicht nicht über den ganzen Betrag, denn
    Herr Metzger spricht nur von 4 Milliarden DM und zeigt
    damit, dass er eine richtige Alternative in der Koalition, in
    der Opposition innerhalb der Koalition, darstellt. Weiter
    sagen Sie: Über die 100 Milliarden DM entscheide ich.

    Ich verstehe, dass man, wenn man selbst nicht Abge-
    ordneter ist, eine gewisse Distanz hat.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Was wollten Sie denn? Sie wollten uns zum Gesetzesbruch anhalten!)





    Dietrich Austermann

    11069


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Es kann aber doch nicht so sein, dass das Parlament bei
    wesentlichen Entscheidungen über den Haushalt ausge-
    klammert wird.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Wir brechen kein Gesetz wie Sie!)


    – Doch, das ist der Bruch der Verfassung.

    (Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Sie brechen das Gesetz. Er spricht vom Gesetzesbruch, um Gottes willen!)


    Herr Finanzminister, ich vergleiche nun die Realität
    mit den Zahlen. Ich verstehe, dass es einen irritiert, wenn
    man feststellt – so war es nach den letzten Haushaltsbera-
    tungen, insbesondere im Haushaltsausschuss –, dass der
    Haushalt hinterher genauso aussieht wie vorher. Man hat
    nichts machen können und versteht sich praktisch als
    „Fielmann-Koalition“, nach dem Motto: keinen Pfennig
    dazu bezahlt und nichts verändert.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Ihr habt nur Schulden gemacht!)


    Wir haben ein anderes Verständnis von der Aufgabe
    des Parlaments. Wir sagen: Wir wollen die Politik der ne-
    gativen Rekorde beenden. Nie haben die Menschen mehr
    Steuern in Deutschland gezahlt als in diesem Jahr, nie ist
    mehr an Ausgaben getätigt worden als in diesem Jahr. Die
    Ausgaben – Herr Eichel, Sie haben gesagt: „Wir spa-
    ren!“ – steigen gegenüber dem Jahr 1998 um 22 Milliar-
    den DM.

    Die Sparschweine auf Ihrem Schreibtisch dürften in-
    zwischen an Magersucht dahingeschieden sein. Sie wer-
    den sich kaum noch auf den Beinen halten können, weil
    nicht wirklich gespart wird, jedenfalls nicht beim Kon-
    sum, sondern nur bei den Investitionen.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Zeigen Sie mal die Sparschweine mit schwarzen Geldern!)


    Sie haben einen Rekord an Privatisierungserlösen. Das ist
    das, was Sie früher als Verschleuderung von Tafelsilber
    bezeichnet haben. Das ist eine gewaltige Bugwelle aus
    unserer Regierungszeit; das wird jetzt in großem Stil ein-
    gesetzt. Sie haben einen Rekord bei den Energiepreisen in
    Deutschland und einen negativen Rekord bei den Investi-
    tionen erreicht.

    Die Zahlen, die Sie genannt haben – auch auf die For-
    schung bezogen –, sind eindeutig falsch, und zwar sowohl
    die absoluten als auch die relativen Zahlen. Der Bundes-
    kanzler hat vor der Wahl – Sie, Herr Eichel, waren daran
    noch nicht beteiligt – versprochen, dass die Investitions-
    ausgaben für die Forschung verdoppelt würden.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Auf fünf Jahre!)

    Betrachten wir die heutigen Zahlen – ich nehme dabei
    Forschung und Technologie zusammen und ziehe den
    Forschungshaushalt und den Haushalt des Wirtschafts-
    ministers heran –: Ich stelle fest, dass im nächsten Jahr
    etwa 1,5Milliarden DM weniger für Forschung und Tech-
    nologie ausgegeben werden. Das ist Ihre Steigerung von
    Zukunftsinvestitionen.

    Sie setzen das auch bei den Investitionen im Bau- und
    Verkehrsbereich fort. Die Ausgaben betrugen im Jahr
    1998 für beide zusammen 54 Milliarden DM, im kom-
    menden Jahr werden es exakt 10 Milliarden DM weniger
    sein. Dann reden Sie davon, dass wir eine Steigerung der
    Investitionen hätten, die wir ja dringend brauchen, um zu
    verhindern, dass die Leute morgens mit Wut mit ihrem
    Auto zur Arbeit fahren, weil sie ständig im Stau stehen
    und wertvolle Zeit verplempern. Wir könnten uns die
    dringend notwendigen Investitionen im Straßenbau leis-
    ten. Aber nein, hier geben Sie weniger Geld aus. Das
    Geld, das Sie den Autofahrern aus der Tasche ziehen,
    geben Sie anderweitig aus. Investitionen werden nicht
    getätigt. Dies gilt in gleicher Weise für die Schiene.

    Sie reden davon, dass Sie die Einnahmen der Öko-
    steuer für die Rente verwenden müssten. Ich glaube, es ist
    an der Zeit, der Öffentlichkeit einmal deutlich zu machen,
    dass in Deutschland – Sie wissen das – das Gesamt-
    deckungsprinzip gilt. Das heißt, alle Einnahmen kom-
    men in den großen Topf und aus dem großen Topf wird
    dann gezahlt. Die Behauptung, es gebe eine Zweckbin-
    dung in einem bestimmten Bereich, etwa eine so genannte
    Ökosteuer für Energie oder eine andere Steuer, die in ei-
    nen anderen Bereich geht, ist eindeutig falsch. Es gibt
    auch keine Zweckbindung für Tilgungseinnahmen. Das
    ist eindeutig falsch. Insofern war die Diskussion um die
    Erlöse durch die UMTS-Lizenzen auch ziemlich albern.


    (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wie war das denn mit dem einen Prozent Mehrwertsteuererhöhung?)


    Damit auch Sie das erfahren, will ich Ihnen sagen, wie
    wir „UMTS“ übersetzen – die Kollegin kennt das schon,
    aber ich sage es trotzdem –: unerwartete Mehreinnahmen
    trotz Schröder.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Das war eine echter Austermann! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie machen sich zunehmend lächerlich!)


    – Ich gebe zu, das war unvollständig. Es müsste heißen:
    unerwartete Mehreinnahmen trotz Schröder und Eichel.
    Denn Eichel war 1994 daran beteiligt, die Postreform zu
    verhindern. Sie haben also hier Windfall Profits in größ-
    tem Stile.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wenn im Herbst der Börsengang der Post ansteht, geht

    das in genau die gleiche Richtung. Ich hoffe, Sie stehen
    ein bisschen beschämt an der Seite, wenn nachher die Er-
    träge einkassiert werden – unerwartete Mehreinnahmen
    trotz Schröder und Eichel.

    Sie waren gegen jede Privatisierung. Auch haben Sie
    im Bundesrat gegen das Haushaltsgrundsätzegesetz ge-
    stimmt.

    Ich war beim Thema „Zweckbindung von Einnahmen
    und Ausgaben“, bei der Ökosteuer. Inzwischen sagt der
    Kollege Loske, ein grüner Abgeordneter und umweltpoli-
    tischer Sprecher: Sollten sich die Reformvorschläge nicht




    Dietrich Austermann
    11070


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    den demographischen Realitäten stellen, sehe er keine
    Zukunft für die Finanzierung durch die Ökosteuer. Das
    Ökosteueraufkommen zur Senkung der Rentenversiche-
    rungsbeiträge einzusetzen habe sich als problematisch er-
    wiesen.

    In der Tat: Es gibt keinen direkten Zusammenhang
    zwischen Einnahmen aus einer bestimmten Quelle und
    Ausgaben an einer anderen Stelle. Insofern beschwindeln
    Sie die Menschen, wenn Sie sagen, dass die nächsten Stu-
    fen – nämlich drei mal sechs, also 18 Pfennig, jeweils zum
    1. Januar 2001, 2002 und 2003 –, die bereits beschlossen
    sind, notwendig sind. Sie greifen also noch einmal dem
    Autofahrer in einer Milliardengrößenordnung in die Ta-
    sche.

    Auch ohne diese Entscheidung kann eine vernünftige
    Rentenreform gemacht werden. Ich betone dies noch ein-
    mal, weil wir ganz klar sagen: Diese Ökosteuer muss weg.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Die Einnahmen, die an anderer Stelle in Rekordhöhe
    erzielt werden, dürften ausreichen, um die Ausgaben für
    die falschen Strukturen, die Sie bei der Altersversorgung,
    bei der Rentensicherung im Bundeshaushalt verankert ha-
    ben, tätigen zu können.

    Ich möchte das sagen, weil Sie das Thema Energie in
    besonderer Weise beschäftigt. Ich habe davon gespro-
    chen, dass Deutschland beim Wachstum an vorletzter
    Stelle steht. Dies hat natürlich auch Bedeutung für den
    Kurs des Euro und damit für die Rohölpreise. Das Rohöl
    kommt übrigens wohl nicht aus dem Bereich der OPEC,
    sondern aus der Nordsee. Das spielt aber keine Rolle. Der
    Preis ist der Gleiche.

    Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der Frage
    machen, die Sie mit Konsolidierungsverpflichtung und
    Altlasten umschrieben haben.


    (Jörg Tauss [SPD]: Warum?)

    – Weil von Ihnen versucht wird, in größtem Maße Ver-
    wirrung zu stiften.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das müssen Sie nun gerade sagen!)


    Wir haben 1982 350 Milliarden DM Schulden von
    Helmut Schmidt übernommen. Alex Möller, bereits 1971,
    vor der sozialdemokratischen Haushaltspolitik warnend,
    zurückgetreten, hat 1981 ein Buch geschrieben: „Schuld
    durch Schulden“.


    (Detlev von Larcher [SPD]: Wie war es 1949?)

    Danach wurden in der Tat zusätzliche Schulden gemacht,
    im Wesentlichen bedingt durch die Wiedervereinigung.
    Wer dies immer wieder uns anlasten will, der muss zuge-
    ben, dass er versucht, sich von der Geschichte abzukop-
    peln, und die Verpflichtung aus der Wiedervereinigung
    nicht anerkennt.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


    Ich habe darauf hingewiesen, dass die Ausgaben für
    Forschung und Entwicklung im Vergleich zum Jahr 1998

    zurückgehen. Wie damit eine sinnvolle Mittelstands- und
    Technologiepolitik betrieben werden soll, bleibt ein Rät-
    sel.

    Im Verkehrs- und Bauetat sieht das ganz genauso aus.
    Am dramatischsten ist die Situation in den neuen Bun-

    desländern. Hier kürzen Sie – man muss das im Kontext
    des Besuchs, der Besichtigung des Bundeskanzlers der
    neuen Bundesländer in den letzten Wochen sehen – um
    3 Milliarden DM. Das Institut für Wirtschaftsforschung
    Halle stellte vor zwei Tagen fest, dass die Wirtschaftsent-
    wicklung in den neuen Bundesländern zum Stillstand
    gekommen ist. Dies alles muss doch ein Grund sein, zu
    überlegen, ob nicht andere Schritte als die von Ihnen im
    Haushaltsverfahren eingeleiteten vorgenommen werden
    sollten.

    Deswegen sagen wir: Wir fordern eine Stärkung der In-
    vestitionen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen mehr für Straßenbau und Schiene tun.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir fordern eine Stärkung der Ausgaben für Forschung
    und Entwicklung. Auch hier muss man das, was Sie er-
    klärt haben, geraderücken. Sie haben behauptet, das
    BAföG sei nun geändert, alles sei prima. Dabei müssen
    Sie feststellen, dass die große BAföG-Reform offen-
    sichtlich unter den Tisch gefallen ist.


    (Jörg Tauss [SPD]: 500 Millionen DM mehr!)

    – Die große BAföG-Reform ist unter den Tisch gefallen.
    Was jetzt vorgelegt wird, entspricht dem, was die Union
    gesagt hat,


    (Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: „Was die Union gesagt hat!“)


    was die Union vorgeschlagen hat, und kommt im Übrigen
    eine Reihe von Jahren später, als es möglich gewesen
    wäre.


    (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hätten Sie das doch gemacht!)


    Ich könnte das Gleiche auch auf das Thema Städte-
    bauförderung beziehen. Ich könnte Ihnen, Herr Minister,
    jetzt vorhalten, was Sie als Ministerpräsident in Hessen
    unmittelbar vor der Bundestagswahl gesagt haben.


    (Zuruf von der SPD: Was hat er gesagt?)

    Dort haben Sie gesagt – 25. September 1998 –: Im

    Städtebau und Wohnungswesen hat sich der Bund fast
    vollständig aus der Finanzierung zurückgezogen. Das ist
    keine Politik, die Zukunft hat.


    (Zuruf von der SPD: Stimmt! Da hat er Recht!)


    Das hat ja wohl bedeutet, dass Sie sagen, es müsste
    mehr Geld bereitgestellt werden.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Das machen wir auch! Abwarten!)





    Dietrich Austermann

    11071


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Was tun Sie? – Bei der Städtebauförderung im Westen:
    mickrige Beträge!


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist Ihr Betrag, den wir übernommen haben!)


    – Wir wollen hier ganz eindeutig um eine halbe Milli-
    arde DM erhöhen.

    Sie sagen weiter: Wenn ich an die Gemeinschaftsauf-
    gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
    denke, sind wir uns im Bundesrat einig, dass im Osten
    nicht gekürzt werden darf. Was tun Sie? – 300 Millionen
    DM weniger bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
    rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuen
    Bundesländern.

    Herr Finanzminister, Sie sagen, in diesem Haushalt – –

    (Die Bundesminister Eichel und Schily unterhalten sich auf der Regierungsbank – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das interessiert ihn gar nicht!)


    – Ich zitiere Sie jetzt. Sie können nachher nicht sagen: Der
    erzählt etwas, was nicht in Ordnung ist.


    (Otto Schily, Bundesminister: Herr Austermann, das ist schwach, was Sie sagen!)


    – Ja, ist ja gut!
    Sie sagen: In diesem Haushalt sind die Investitionen

    so weit heruntergefahren worden, wie das früher nie der
    Fall war. – Sie bezogen das auf das Jahr 1998. In diesem
    Jahr ist das aber der Fall. Die Investitionen gehen deutlich
    herunter.

    Deswegen sagen wir: Es muss eine Veränderung der
    Politik stattfinden, eine Veränderung der Politik weg vom
    Konsum hin zu den Investitionen.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Welcher Konsum? – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja interessant!)


    – Die Frage will ich Ihnen ganz klar beantworten, lieber
    Herr Kollege. Wenn Sie in den letzten Wochen vor der
    Steuerreform, vor der gekauften Steuerreform,


    (Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer war denn da käuflich?)


    Zeitung gelesen haben, werden Sie fast jeden Tag eine
    ganzseitige Anzeige des Bundesfinanzministers gesehen
    haben, die nicht viel Inhalt hatte,


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Regierungspropaganda!)


    Sie hatte einfach nur das Ziel, die eigene Politik darzu-
    stellen und für sie zu werben, ohne eine inhaltliche Aus-
    sage zu treffen.

    Addieren Sie die Kosten für diese Anzeigen einmal,
    auf das ganze Jahr bezogen. Sie stellen fest: 160 Milli-
    onen DM werden in diesem Jahr unter dieser Regierung
    für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. Da kann man nur
    sagen: Das Geld ist zum Fenster hinausgeworfen.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Besser als schwarze Kassen!)


    Das Gleiche gilt für die Verfügungsmittel. Kein Minis-
    ter unter der alten Regierung hatte so viel Geld zur priva-
    ten Verfügung wie in dieser Regierung.


    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Merken Sie eigentlich gar nicht, was für einen Unsinn Sie reden? – Weitere Zurufe von der SPD: Privat?)


    Mit „zur Verfügung“ meine ich, wo er selbst entscheiden
    kann, für wen und was er sie verwendet. Nennen Sie das
    Sparen?

    Sie können die anderen Bereiche, angefangen bei der
    Öffentlichkeitsarbeit, den ganzen Haushalt durchforsten.
    Dann kommen Milliardenbeträge zusammen, bei denen
    Sie feststellen: Der Konsum wird aufgebläht und die In-
    vestitionen werden gesenkt.


    (Zuruf von der SPD: Das nennt sich Amnesie!)

    Meine Damen und Herren, es muss darum gehen, jetzt

    die Steuern wirkungsvoll zu senken, damit die Bürger
    etwas von der Steuerreform haben. Es muss darum gehen,
    Investitionen zu stärken. Es muss darum gehen, For-
    schungsausgaben zu steigern. Es muss darum gehen, den
    Staatskonsum einzudämmen, die Nettokreditaufnahme zu
    verringern und vor allen Dingen die Abgaben zu senken.
    Sonst kriegen Sie schon bei der nächsten Wahl eine ziem-
    lich klare Quittung wie bei den Oberbürgermeisterwahlen
    in den letzten Wochen in Ihrem Bundesland, Herr Finanz-
    minister.

    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Das war eine parlamentarische Sternstunde, die wir erlebt haben!)