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ID1404100700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ergebnisse des Europäischen Rates am 3. und 4. Juni 1999 in Köln und zum Stand der Friedensbemühungen im Ko- sovo-Konflikt ............................................ 3483 A b) Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo (Drucksache 14/1111) ................................ 3483 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 3483 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 3488 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg ...... 3492 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 3495 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ........... 3497 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 3501 C Michael Glos CDU/CSU.................................. 3504 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN................................................... 3505 A Gernot Erler SPD............................................. 3507 D Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 3509 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3511 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU...................... 3512 B Günter Verheugen, Staatsminister AA............. 3514 B Dr. Norbert Wieczorek SPD ............................ 3516 C Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Ankündigun- gen einer Mehrwertsteuererhöhung und einer fortlaufenden Erhöhung der Mi- neralölsteuer durch den Bundesfinanz- minister ..................................................... 3519 C Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 3519 D Jörg-Otto Spiller SPD...................................... 3520 D Gerda Hasselfeldt CDU/CSU .......................... 3522 A Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3522 D Heidemarie Ehlert PDS.................................... 3524 A Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF.............. 3525 A Friedrich Merz CDU/CSU............................... 3526 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3527 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P................................ 3528 D Wolfgang Grotthaus SPD ................................ 3529 D Dietrich Austermann CDU/CSU ..................... 3531 A Lydia Westrich SPD ........................................ 3532 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 3533 B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD.............. 3534 C Nächste Sitzung ............................................... 3535 C Berichtigungen................................................. 3535 B Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 3537 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3483 (A) (C) (B) (D) 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 Beginn: 9.30 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigungen 40. Sitzung am Freitag, 7. Mai 1999, Seite 3414 D, na- mentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag auf Drucksache 14/997: Abgeordneter Dr. Reinhard Loske (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) hat sich bei der namentli- chen Abstimmung nicht, wie angegeben, der Stim- me enthalten, sondern mit Nein gestimmt. Dement- sprechend ändert sich das endgültige Ergebnis der Abstimmung. Die Zahl der Nein-Stimmen beträgt tatsächlich 567 und der Enthaltungen 8. Im selben Plenarprotokoll ist auf Seite III sowie auf Seite 3473 A jeweils bei Anlage 6 statt Günter Veit ,,Rüdiger Veit“ zu lesen. Bei den unter Anlage 6 aufgeführten Namen gehört die Abgeordnete Claudia Roth (Hamburg) nicht der SPD- Fraktion an, sondern der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Auf Seite 3478 D ist bei dem Rednerkopf Petra Ernstberger statt PDS ,,SPD“ zu lesen. Reinhard Schultz (Everswinkel) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3537 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Blank, Renate CDU/CSU 8.6.99 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 8.6.99 Braun (Augsburg), Hildebrecht F.D.P. 8.6.99 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 8.6.99 Bruckmann, Hans-Günter SPD 8.6.99 Bulmahn, Edelgard SPD 8.6.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 8.6.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 8.6.99 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Frick, Gisela F.D.P. 8.6.99 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Bayreuth), Horst F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 8.6.99 Funke, Rainer F.D.P. 8.6.99 Gebhardt, Fred PDS 8.6.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 8.6.99 Gradistanac, Renate SPD 8.6.99 Günther (Plauen), Joachim F.D.P. 8.6.99 Hartenbach, Alfred SPD 8.6.99 Heinrich, Ulrich F.D.P. 8.6.99 Dr. Höll, Barbara PDS 8.6.99 Hoffmann (Wismar), Iris SPD 8.6.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 8.6.99 Hübner, Carsten PDS 8.6.99 Jäger, Renate SPD 8.6.99 Janz, Ilse SPD 8.6.99 Jüttermann, Gerhard PDS 8.6.99 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 8.6.99 Kampeter, Steffen CDU/CSU 8.6.99 Kasparick, Ulrich SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Köster-Lößack, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Kolbow, Walter SPD 8.6.99 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Kumpf, Ute SPD 8.6.99 Leidinger, Robert SPD 8.6.99 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 8.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 8.6.99 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine F.D.P. 8.6.99 Mante, Winfried SPD 8.6.99 Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin CDU/CSU 8.6.99 Meckel, Markus SPD 8.6.99 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 8.6.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 8.6.99 Moosbauer, Christoph SPD 8.6.99 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 8.6.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 8.6.99 Nahles, Andrea SPD 8.6.99 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 8.6.99 Oswald, Eduard CDU/CSU 8.6.99 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 8.6.99 Philipp, Beatrix CDU/CSU 8.6.99 Reiche, Katherina CDU/CSU 8.6.99 Reinhardt, Erika CDU/CSU 8.6.99 Rönsch (Wiesbaden), Hannelore CDU/CSU 8.6.99 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 8.6.99 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 8.6.99 Rübenkönig, Gerhard SPD 8.6.99 Schaich-Walch, Gudrun SPD 8.6.99 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 8.6.99 Schmidt-Zadel, Regina SPD 8.6.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 8.6.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 8.6.99 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 3538 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 8.6.99 Seehofer, Horst CDU/CSU 8.6.99 Späte, Margarete CDU/CSU 8.6.99 Spanier, Wolfgang SPD 8.6.99 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 8.6.99 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 8.6.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 Tappe, Joachim SPD 8.6.99 Tauss, Jörg SPD 8.6.99 Teuchner, Jella SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Uldall, Gunnar CDU/CSU 8.6.99 Voß, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Weißgerber, Gunter SPD 8.6.99 Wiesehügel, Klaus SPD 8.6.99 Willner, Gert CDU/CSU 8.6.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 8.6.99 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 8.6.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 8.6.99 Wolff (Zielitz), Waltraud SPD 8.6.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 8.6.99 Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident!
    Meine Damen und Herren! In solchen sehr bedeutsamen
    Fragen gibt es natürlich zum Teil Grundkonsens und
    Gemeinsamkeiten, aber zum Teil auch andere Erwartun-
    gen und Einschätzungen. Wenn die Bundesregierung die
    Debatte ehrlich führen will, muß sie zugeben, daß das
    Bild in den Medien vom Kölner Gipfel schon heute im
    Kontrast zur rauhen Wirklichkeit der Ereignisse steht.
    Der Kölner Gipfel hat ein anderes Bild gezeigt, als es
    sich jetzt auf Grund der Verhandlungen im Zelt von
    Kumanovo, die die alte Politik und Verzögerungstaktik
    deutlich machen, darstellt.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!)


    Bundesminister Rudolf Scharping






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Der Kölner Gipfel hat auch im Hinblick auf Ihre An-
    kündigungen, Herr Bundeskanzler, ein Bild gezeigt, das
    der Wirklichkeit nicht entspricht. Ich nenne in diesem
    Zusammenhang den Beschäftigungspakt und den ma-
    kroökonomischen Dialog zwischen Finanzpolitik,
    Geldpolitik und Lohnpolitik. Dieser neue Policy-Mix
    soll zu einem Beschäftigungsimpuls auf europäischer
    Ebene führen. Herr Bundeskanzler, dieser Beschäfti-
    gungsimpuls ist eine beschäftigungspolitische Maus. Sie
    werden auf europäischer Ebene solche Luftnummern
    wiederholen, wenn Sie nicht Ihre Hausaufgaben in der
    Bundesrepublik Deutschland machen. Es handelt sich
    um einen erkennbaren Verschiebebahnhof.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Je länger und gewundener die Sätze werden und je

    mehr Fremdworte beigemischt werden, desto deutlicher
    wird, daß Sie eine Luftbuchung vornehmen. Ein runder
    Tisch ersetzt keinen klaren Kopf. Wenn Sie in Deutsch-
    land nicht die Flexibilität am Arbeitsmarkt herstellen,
    die Steuern nicht senken und die sozialen Sicherungssy-
    steme nicht reformieren, sondern sich nur in englischen
    Zeitungen äußern, dann zerstören Sie hier Beschäftigung
    und dürfen sich in Europa nicht für einen Beschäfti-
    gungspakt einsetzen.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Hier liegt der Grund für die Kontroverse: Die Oppo-

    sition kann nicht akzeptieren, daß Sie, eingebettet in die
    Kosovo-Problematik, im Rahmen eines großen Ver-
    schiebebahnhofs beschäftigungspolitische Mißerfolge
    von Deutschland nach Europa transportieren. Wir kön-
    nen ferner nicht akzeptieren, daß Sie auf Pressekonfe-
    renzen verkünden, daß Sie auf europäischer Ebene Im-
    pulse setzen. Sie müssen die Impulse hinsichtlich der
    Berechenbarkeit, die für die Wirtschaft in Deutschland
    wichtig ist, in diesem Haus setzen und nicht durch ein
    gemeinsames Interview mit Tony Blair für Zeitungen in
    Großbritannien. Das ist Ihre Aufgabe.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir können heute die Kosovo-Debatte ohne große
    Emotionen und Erregung führen. Aber einige Punkte
    will ich dennoch ansprechen. Ich vermute, daß Sie sich
    den Tag für Ihre Regierungserklärung anders vorgestellt
    haben. Sie wollten wahrscheinlich hier erklären, es sei
    alles in trockenen Tüchern, die G-8-Resolution liege vor,
    die militärische Implementierung sei klar, der Sicher-
    heitsrat werde zu einem bestimmten Zeitpunkt tagen. Sie
    wollten wahrscheinlich den Bundestag bitten, nach einer
    Unterbrechung für Ausschußsitzungen zu beschließen.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Tun Sie doch nicht so, als ob dies alles Wahlkampf wäre!)


    – Es ist überhaupt kein Wahlkampfthema. Ich schildere
    hier nur die Wirklichkeit, verbunden mit einem Dank an
    die Verhandlungsführer Tschernomyrdin und Ahtisaari
    und mit einem Dank an die deutschen Soldaten.

    Wir befinden uns heute in einer Situation, in der eini-
    ge Fragen noch nicht beantwortet wurden. Diese Fragen

    müssen wir im Rahmen der Beratungen ansprechen. Das
    gehört zur Arbeit des Parlaments und beeinträchtigt
    nicht die Gemeinsamkeiten.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir können seit zwei Tagen beobachten, daß in dem
    Zelt bei Kumanovo das alte Spiel von Milosevic wieder
    beginnt: Interpretieren, Verschieben, Verzögern, Aus-
    denken von Finessen, Hakenschlagen und Hinhalten.
    Wir stellen gleichzeitig fest – wir wünschen alle, daß
    dies behoben wird –, daß sich in den letzten Tagen Un-
    sicherheiten auch in Rußland ergeben haben. Jelzin steht
    zu seinem Wort und zeigt dadurch, daß er ein verläßli-
    cher Partner ist. Gleichzeitig aber wird diese Haltung
    durch die alte Vorstellung von einer bipolaren Welt
    überwuchert, was zeigt, daß sich Rußland in seinem po-
    litischen Denken immer noch nicht auf die neue Lage
    eingestellt hat.

    Herr Kollege Schäuble hat mit seiner Meinung recht
    – ich wiederhole sie –: Der kurze und kühle Empfang
    von Primakow war eine Fehlleistung deutscher Diplo-
    matie.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Man kann nicht sagen: Das war nur ein Ereignis. Nein,
    das war eine Fehlleistung, ein falsches Signal. Zur Di-
    plomatie gehören auch nahezu symbolhafte Handlungen,
    viel Psychologie und nicht nur der abrupte Kommentar,
    das reiche nicht aus.

    Wir haben noch keinen Abschluß der G-8-Verhand-
    lungen. Möglicherweise kommt man heute zu einem
    Abschluß. Das heißt aber, daß die Ausschußberatungen
    bedeutsam sind. Wenn man zu einem Abschluß kommt,
    muß die Bundesregierung den Ausschüssen eine neue
    Vorlage zuleiten. Denn die Vorlage, die wir jetzt haben,
    enthält durchaus eine Zweiwegestrategie: Für den Fall,
    daß es nicht zu einer Sicherheitsratsresolution kommt,
    ist man zu einer Implementierung bei Zustimmung der
    jugoslawischen Regierung und Beteiligung Rußlands be-
    reit.

    Herr Bundeskanzler, eine solche strategische Überle-
    gung kann man anstellen. Ich will Ihnen aber auch nach
    den Informationsgesprächen, die wir hatten, einen Ha-
    ken klar benennen: Ich finde, daß der Deutsche Bun-
    destag darauf achten sollte, daß deutsche Soldaten, die
    ein Mandat haben, auf keinen Fall von einem Dritten
    abhängig sind, der in einer solchen Situation das Sagen
    hätte. Deshalb sollte der Bundestag einer Resolution des
    Sicherheitsrates der Vereinten Nationen für den Ein-
    satz deutscher Soldaten eindeutig die Priorität geben.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ich sage das deshalb, weil wir auf eindeutige Mandatie-
    rung Wert legen. Dieser Weg zum Sicherheitsrat kann
    auch nicht nur Befassung sein, wie ich hier in Ausfüh-
    rungen höre. Für mich ist für die Entsendung deutscher
    Soldaten nicht nur eine Befassung, sondern eine Ent-
    scheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (A) (C)



    (B) (D)


    erforderlich, das heißt eine Resolution, die die G-8-
    Staaten vorbereiten sollten.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Deshalb sage ich gleich zu Beginn der Beratung:

    Meines Erachtens kann es heute nicht zu einem ab-
    schließenden Beschluß des Bundestages kommen.


    (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will doch auch keiner!)


    Die Abgeordneten, die mit der Regierung in großen
    Zielen im Konsens stehen, müssen sich das Recht vor-
    behalten, die Vorlage zu prüfen, in den Ausschußbera-
    tungen nachzufragen und auch zu klären, ob es eine ein-
    deutige Kommandostruktur beim Einsatz deutscher Sol-
    daten gibt – ein ganz wesentlicher Sicherheitsaspekt in
    der Verifizierung der Implementierung, von der im übri-
    gen auch die Bundesregierung immer gesprochen hat.

    Ich rede hier nicht über die großen Meinungsunter-
    schiede hinsichtlich der Kombination von militärischem
    Druck und politischer Problemlösung. Ich rede über die
    Wirklichkeit der nächsten Tage, wenn es zu einer Man-
    datierung durch den Deutschen Bundestag kommt. Für
    die Fraktion der F.D.P. erkläre ich ganz unumwunden
    und ganz klar: Wir halten es – wie es auch die Bundes-
    regierung früher erklärt und beschlossen hat – für wich-
    tig, daß wir zum Gewaltmonopol der Vereinten Na-
    tionen zurückkommen, daß wir den Einsatz deutscher
    Soldaten nicht von der Deutungshegemonie des Herrn
    Milosevic in einem Dreierpaket, sondern ganz eindeutig
    von einer Entscheidung der Vereinten Nationen abhän-
    gig machen. Das ist dann der souveränste Einsatz der
    Implementierung und von niemandem abhängig, dessen
    Vertragsbrüche, dessen Hindernisse, dessen Wegdrük-
    ken und dessen Finessen wir aus der Geschichte kennen.
    Das sind wir den deutschen Soldaten schuldig. Darüber
    reden wir in aller Klarheit.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ich stimme Herrn Scharping zu: Eine Implementie-
    rung mit Sicherheitsratsbeschluß wäre erst der Anfang.
    Dann stehen wir erst vor der eigentlichen Aufgabe; wir
    müssen uns darauf einstellen, daß es einige Jahre dauern
    wird, sie zu erfüllen. Wir sind gerne bereit, uns darauf
    einzustellen. Wir wissen, daß wir nur dann Stabilität für
    die eigene Zukunft gewinnen, wenn auch andere Stabi-
    lität gewinnen, wenn sie ökonomischen und demokrati-
    schen Erfolg spüren, wenn sie dadurch Frieden aus-
    strahlen und wenn die Politik aufhört, sich immer nur
    ethnisch selbst zu vergewissern, wenn Internationalität
    spürbar wird und vieles andere mehr.

    Da das aber Jahre dauert, sage ich der Bundesregie-
    rung mit aller Klarheit auch: Wir werden nicht akzeptie-
    ren, daß Sie die deutsche Öffentlichkeit vor dem Wahl-
    tag im unklaren lassen, welche Steuererhöhungspolitik
    Sie zu betreiben beabsichtigen, und nach dem Wahltag
    auf die Idee kommen, Steuererhöhungen an den Koso-
    vo-Einsatz zu binden. Das sage ich ganz klar: Eine
    Mandatierung deutscher Soldaten ohne eine Auskunft
    der Bundesregierung zu den finanziellen Konsequenzen
    und eine Auskunft nach dem Wahltag, man müsse stetig

    die Mineralölsteuer erhöhen, gegebenenfalls noch die
    Mehrwertsteuer, kommt für die Fraktion der F.D.P. nicht
    in Frage.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Diesen Policy-Mix müssen Sie unterlassen.

    Das heißt: Grundkonsens ja, aber hinters Licht führen
    lassen wir uns nicht. Wir sind für ein klares Mandat, wir
    tragen mit Ihnen gemeinsam die Verantwortung. Ich sa-
    ge sogar: Die Opposition war in diesem Prozeß stabiler
    als die Koalitionsparteien.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Deshalb ist die Bundesregierung aber auch verpflichtet,
    der Opposition in den Beratungen dieser Woche Klarheit
    über Kommandostruktur, Resolution, Timetable, Abläu-
    fe und Mandat zu geben. Dann sind wir bereit zu ent-
    scheiden; nur dann und nicht vorher. Es liegt jetzt an Ih-
    nen, Klarheit in die Beratungen zu bringen.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nun spricht Staats-
minister Ludger Volmer.

D
  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludger Volmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die
    Bundesrepublik die EU-Präsidentschaft übernahm, war
    sie mit einer doppelten, schwierigen Aufgabe konfron-
    tiert: Zunächst mußte sie die Erweiterung und Vertie-
    fung der europäischen Strukturen voranbringen, gleich-
    zeitig mußte sie sich an der Bewältigung der schwierig-
    sten Krise beteiligen, die Europa nach dem Ende des
    zweiten Weltkriegs erlebt hat.

    Kurz vor Ende der Präsidentschaft können wir heute
    schon das Fazit ziehen, daß die Bundesregierung diese
    doppelte Aufgabe gelöst hat. Die EU ist erweiterungsfä-
    hig geworden. Ihre politische Handlungsfähigkeit ist ge-
    stärkt worden. Gleichzeitig hat Europa in den vergange-
    nen Monaten unter schwierigsten Rahmenbedingungen
    nachgewiesen, daß es in der Lage ist, geschlossen zu
    handeln und Gestaltungskraft zu beweisen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich verstehe, daß die Opposition, die aus guten Grün-
    den und alternativlos die Bundesregierung in der Koso-
    vo-Politik unterstützt, nun, um eigenes Profil in der Au-
    ßenpolitik nachzuweisen und zu demonstrieren, insbe-
    sondere in der Europapolitik, in der Politik der Europäi-
    schen Union, ein Haar in der Suppe sucht. Ich denke al-
    lerdings, daß diese Kritik fehlgeht; denn die Bundesre-
    gierung hat all das getan, was getan werden mußte, um
    dem strategisch entscheidenden Ziel, der Osterweiterung
    der Europäischen Union, das entsprechende institutio-
    nelle Fundament zu geben.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)


    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die
    Osterweiterung der Europäischen Union keine
    Pflichtaufgabe ist, die aus vertraglichen Festlegungen
    erwächst. Vielmehr muß es ein Hauptinteresse der deut-
    schen Politik sein, alle Unsicherheiten, die nach dem
    Zerfall der Sowjetunion theoretisch in dem großen
    Raum der Transformation östlich von uns entstehen
    könnten, dadurch aufzufangen, daß ein Export der euro-
    päischen Strukturen vorgenommen wird, sozusagen ein
    Stabilitätsexport.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Nennen Sie mal einen Termin!)


    Jeder Europapolitiker weiß, daß die Osterweiterung
    nur gelingen kann, wenn vorher die Strukturen der jetzi-
    gen Europäischen Union fundamental verändert werden.
    Dazu hat die Bundesregierung einen ganz entscheiden-
    den Beitrag geleistet.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    So haben wir es geschafft, bei der Agenda 2000 einige
    wichtige Kapitel entscheidend weiterzuentwickeln. Das
    sind Kapitel, von denen vorher angenommen wurde, daß
    ihre Problematik möglicherweise überhaupt nicht lösbar
    sei und wegen der Unlösbarkeit dieser Fragen der euro-
    päische Erweiterungsprozeß sogar scheitern könnte. Es
    gab gerade in der CSU Stimmen, die sagten: Angesichts
    der Nichtmachbarkeit und angesichts der großen Pro-
    bleme, die der Agenda-Prozeß mit sich bringt, verzich-
    ten wir lieber auf die Osterweiterung, igeln uns in West-
    europa ein und pflegen hier die Gemütlichkeit.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

    Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Op-

    position, kritisieren, daß die Finanzpolitik schwierig zu
    managen sei. Das liegt doch wohl nicht zuletzt daran,
    daß wir ein extrem schwieriges Erbe übernommen ha-
    ben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Erst in den letzten Wochen ist doch dadurch, daß der
    Finanzminister der jetzigen Regierung eine offene Poli-
    tik betreibt, deutlich geworden, daß wir mit einem
    strukturellen Defizit von 30 Milliarden DM zu kämpfen
    haben, das doch nicht wir angerichtet haben, sondern
    das Sie uns hinterlassen haben.


    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Wenn man einen solchen Schuldenberg angehäuft hat,
    dann ist man nicht unbedingt berufen, finanzpolitische
    Ratschläge zu geben.

    Wenn man schon kritisiert, muß man zumindest die
    eigenen Maßstäbe klarstellen. Da sagt Herr Schäuble auf
    der einen Seite, man müsse mehr Geld in den europäi-
    schen Erweiterungsprozeß investieren – dem stimme ich
    zu –, und auf der anderen Seite, die Bundesregierung sei
    zu kritisieren, weil sie nicht genügend für den bundes-
    deutschen Haushalt einspare. Ich möchte wissen: Was
    ist der Maßstab Ihrer Kritik? Wollen Sie mehr Geld für
    Europa, oder wollen Sie mehr Geld für Deutschland? Es

    gibt einzelne Vertreter in der Union, für die sich der Wi-
    derspruch mittlerweile so weit zugespitzt hat, daß sie
    sich nicht mehr für Europa und nicht mehr für Deutsch-
    land, sondern für Bayern entscheiden. Das hat Herr
    Stoiber gestern getan. Das ist gut für Europa, das ist gut
    für Deutschland, das ist für Bayern allerdings eine frag-
    würdige Entscheidung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Sorgen Sie sich um etwas anderes! Wollen Sie die Wahlchancen von Herrn Ude ganz kaputtmachen?)


    Wir haben es geschafft, daß mittelfristig die Ausga-
    benstabilität im europäischen Rahmen beibehalten wird
    und die Beitragslasten für den deutschen Haushalt
    gleichzeitig sinken werden – selbstverständlich nicht so,
    daß wir der deutschen Bevölkerung sagen könnten, un-
    sere Europapolitik bestehe darin, auf Kosten der anderen
    Europäer zu sparen, aber doch so, daß Deutschland nicht
    mehr in der Situation ist, der Zahler für alle Reformpro-
    jekte zu sein. Die Reformen, die wir im europäischen
    Rahmen umgesetzt haben, sind im wesentlichen Struk-
    turreformen, die helfen, Geld zu sparen.

    Wir haben auch das auf den Weg gebracht, was in in-
    stitutioneller Hinsicht sonst noch erreicht werden muß,
    damit die nächsten EU-Beitritte bis zum Jahre 2002 –
    Herr Haussmann, nun haben Sie Ihre Zahl – stattfinden
    können. Wir haben die Verhandlungen in Gang gesetzt
    über die Erweiterung der Kommission, die Anzahl der
    Kommissare, die Stimmengewichtung im Rat und die
    Möglichkeit, auch mit Mehrheitsentscheidungen zum
    Ziel zu kommen. Darüber wird auf der nächsten Regie-
    rungskonferenz verhandelt werden. Diese Weichenstel-
    lungen haben wir vorgenommen; wir haben das auf den
    Weg gebracht. Deshalb denke ich, daß wir die Ver-
    pflichtungen, die uns aus dem europäischen Integra-
    tions- und Erweiterungsprozeß erwachsen sind, mehr als
    gut erfüllt haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Hinzu kommt, daß die Europäische Union mit dem
    Stabilitätspakt für Südosteuropa eine Aufgabe ge-
    schultert hat, deren Dimensionen sich erst abzuzeichnen
    beginnen. Wir freuen uns darüber, daß der Stabili-
    tätspakt für Südosteuropa auch als ein Element der
    UNO-Politik in den Konfliktlösungsansatz bezüglich des
    Kosovo aufgenommen worden ist. Die Völkergemein-
    schaft und die europäischen Staaten holen damit etwas
    nach, was sie eigentlich schon vor zehn Jahren, zu Be-
    ginn der Jugoslawien-Krise, hätten machen müssen. Be-
    reits damals – Mitglieder der grünen Fraktion im Bun-
    destag haben dies seinerzeit mehrmals gefordert – hätte
    es für alle Nachfolgestaaten des zerfallenen Jugoslawien
    eine Einladung nach Europa geben müssen, so daß die
    Völker dieser Staaten eine positive Entwicklungsper-
    spektive gehabt hätten. Statt dessen wurde damals eine
    Eindämmungspolitik betrieben. Europa und insbesonde-
    re seine einzelnen Nationalstaaten wollten dieses Pro-
    blem möglichst von sich wegdrücken, es einkapseln
    in der Hoffnung, daß es sich von selbst löst. Das war ein

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Irrtum, der viele Menschenleben gekostet hat und der
    enorm viel Geld kostet.

    Nun wird mit zehn Jahren Verspätung – allerdings
    nicht zu spät – das getan, was damals versäumt wurde:
    Der Stabilitätspakt für Südosteuropa wird in Angriff ge-
    nommen. Das ist eine Aufgabe, die die Europäische
    Union in Zusammenarbeit mit der OSZE und mit den
    Finanzinstitutionen IWF und Weltbank zu schultern hat
    und die in ihren Dimensionen überhaupt nicht zu über-
    schätzen ist. Angesichts der Tatsache, daß sich durch
    diese Prozesse das europäische Gesicht und auch das
    europäische Gewicht verändern werden, finde ich man-
    che Kritik aus den Reihen der Opposition reichlich
    kleinkariert.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Und dumm!)


    Im Stabilitätspakt für Südosteuropa kulminiert eine
    Politik, mit der die Bundesregierung wie auch die ande-
    ren westlichen Staaten versucht haben, dem Völkermord
    im Kosovo ein Ende zu bereiten. Heute, nachdem die
    NATO-Bombardierungen viel Kritik auf sich gezogen
    haben, nachdem es viele zivile Opfer zu beklagen gibt,
    stellt sich mancher die Frage, ob es nicht eine Alternati-
    ve gegeben hätte. Eine Alternative gab es möglicherwei-
    se vor zehn Jahren: die, die ich gerade skizziert habe.
    Doch erinnern wir uns an die Diskussion im Herbst
    letzten Jahres. Jeder wußte, daß die internationale Staa-
    tengemeinschaft eingreifen muß, um dem beginnenden
    Völkermord ein Ende zu bereiten. Jeder hätte einen Ver-
    handlungsfrieden bevorzugt. Aber jeder hier im Hause
    wußte auch, daß Milosevic nur unter militärischem
    Druck zu verhandeln bereit war.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Daher wurde hier am 16. Oktober die grundlegende Ent-
    scheidung getroffen.

    So ist es nun einmal bei Ultimaten: Sie binden beide
    Seiten. Nachdem Milosevic die Verabredungen mit Hol-
    brooke gebrochen und schon damals den Verhandlungs-
    prozeß torpediert hatte, standen wir wieder vor der Fra-
    ge: Wollen wir nun grünes Licht für die Bombardierung
    geben, oder gibt es noch eine Möglichkeit zu verhan-
    deln? Dies war der Zeitpunkt, an dem die Bundesregie-
    rung und insbesondere auch das grün-geführte Außen-
    ministerium darauf gedrungen haben, in den Verhand-
    lungsprozeß von Rambouillet einzutreten, um zu einer
    friedlichen Lösung zu kommen. Sie alle wissen, wie die
    Dinge weitergegangen sind.

    Wir knüpfen große Hoffnungen an den Verhand-
    lungsprozeß, bei dem es durch das Treffen von Ahtisaari
    und Tschernomyrdin letzte Woche in Belgrad zu einem
    Durchbruch gekommen ist. Wir als Bundesregierung er-
    kennen die großen Verdienste an, die unsere Partner im
    Zusammenhang mit der Konfliktlösung haben. Wir er-
    kennen an, daß Ahtisaaris Verhandlungsgeschick dazu
    geführt hat, daß die unterschiedlichen Optionen, die
    auch auf der westlichen Seite und innerhalb der G 8
    vorhanden waren, auf einen Punkt hin fokussiert wurden

    und dieser so formuliert wurde, daß Belgrad einlenken
    konnte. Wir erkennen die großen Leistungen an, die
    Rußland erbracht hat. Wir wissen schließlich, mit wel-
    chen Fragen sich Rußland gequält hat.

    In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Stich-
    wort Primakow zurückkommen: Wer hätte nicht ge-
    wollt, daß Primakow vor zwei, drei Monaten mit der Lö-
    sung aus Belgrad nach Bonn gekommen wäre? Wenn
    das Treffen mit Primakow in Bonn weniger herzlich
    war, als sich dies mancher gewünscht hätte, dann liegt
    das nicht daran, daß – wie behauptet – die Bundesregie-
    rung unhöflich gewesen ist; es lag schlicht daran, daß
    Herr Primakow mit leeren Händen kam. Niemand hat
    mehr darunter gelitten als Primakow selber. Niemand
    hat mehr darunter gelitten als zum Beispiel auch Jelzin.
    Wer die Hintergründe kennt, der weiß, daß unter ande-
    rem diese Ereignisse dazu geführt haben, daß es zum
    politischen Wechsel in Moskau gekommen ist. Wir
    gratulieren Präsident Jelzin dazu, daß er die Verve und
    die Energie hatte, Tschernomyrdin als Beauftragten für
    den Kosovo einzusetzen. Wir gratulieren Tscher-
    nomyrdin genauso wie Ahtisaari zu den großartigen
    Verhandlungserfolgen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Wir wollen auch den Dritten im Bunde nennen: unse-
    ren amerikanischen Partner und Freund Strobe Talbott,
    der für die Macht, die den größten militärischen Anteil
    an der Bewältigung dieser Krise getragen hat, in die
    Verhandlungen eingetreten ist. Die Amerikaner haben
    einen großen Beitrag zur Lösung eines europäischen
    Problems geleistet. Wir Europäer waren nicht in der La-
    ge, dieses Problem im Zentrum unseres Kontinents al-
    lein zu lösen. Wir waren auf die Vereinigten Staaten an-
    gewiesen. Auch wenn man so manches Detail der
    NATO-Politik kritisieren mag: Wir Europäer sind den
    Amerikanern gegenüber zu Dank verpflichtet.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Wenn man aber deutlich macht, wer an der sich nun
    abzeichnenden Krisenlösung Anteil hat, dann darf man
    auch erwähnen, daß es insbesondere die Bundesregie-
    rung und das grün-geführte Außenministerium waren,


    (Zurufe von der F.D.P.: Oh!)

    die es nach monatelangen Bemühungen – spätestens
    nachdem deutlich wurde, daß die NATO-Bombardierun-
    gen nicht bewirken würden, Milosevic schnell an den
    Verhandlungstisch zurückzubekommen – geschafft ha-
    ben, mit eigenen Vorschlägen den Verhandlungsstrang
    zu stärken und Friedensvorschläge zu machen, die von
    allen Großorganisationen, von der EU, von der NATO
    und von der UNO, akzeptiert wurden und die den Ver-
    handlungen nun zugrunde liegen.


    (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Glauben Sie das selber?)


    Die Europäer haben es geschafft, Fehler der Vergan-
    genheit, als man nationale Interessen auf den Balkan
    projizierte, auszubügeln und zu einer gemeinsamen

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Haltung zu kommen. Europa hat damit den Weg für die
    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geebnet, die
    zuletzt Thema beim Europäischen Rat war.

    Wenn beim Europäischen Rat eine Stärkung der Ge-
    meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Euro-
    päer nicht nur ins Auge gefaßt wurde, sondern auch in-
    stitutionell weiterentwickelt wurde, so wird damit darauf
    reflektiert, daß die Europäer in einem Maße auf ameri-
    kanische Unterstützung angewiesen sind, die wir selber
    so nicht mehr wollen. Wir wissen, daß wir in der Ver-
    antwortung stehen, europäische Probleme weitestgehend
    selber zu lösen. Deshalb ist der Aufbau einer gemeinsa-
    men europäischen Außen- und Sicherheitspolitik unab-
    dingbar. Ich sage aber auch: Die GASP, die Gemeinsa-
    me Außen- und Sicherheitspolitik, beginnt nicht mit der
    Militärpolitik, sondern damit, daß zunächst gemeinsame
    Interessen formuliert werden und daß man sich gemein-
    sam an die Weiterentwicklung und die Stärkung der zi-
    vilen Großorganisationen macht, insbesondere der Eu-
    ropäischen Union. In diesem Zusammenhang kommt der
    Osterweiterung der Europäischen Union ein entschei-
    dender strategischer Stellenwert zu.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Es ist zu früh, endgültige Schlußfolgerungen aus dem
    Kosovo-Konflikt zu ziehen; einige Dinge hierzu kann
    man aber schon jetzt ansprechen.

    Wie ich vorhin schon sagte, wird Europa trotz großer
    Eigenanstrengung auch weiterhin ohne die USA nicht
    auskommen können. Ich möchte betonen, daß wir ohne
    die USA auch nicht auskommen wollen. Bei allem Be-
    mühen, die europäischen Strukturen zu stärken, wollen
    wir gleichzeitig die transatlantischen Beziehungen aus-
    bauen und fundieren. Wir wollen den Konnex mit unse-
    ren Partnern und Freunden jenseits des Atlantiks als
    Säule unserer Außenpolitik aufrechterhalten.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Wir wissen gleichzeitig – das zeigen uns auch der
    Kosovo-Konflikt und dessen Bewältigung –, daß Europa
    ohne ein demokratisches, ohne ein sich entwickelndes
    und ohne ein sich auf Westeuropa orientierendes Ruß-
    land langfristig nicht gut existieren kann. Deshalb war es
    eine der wesentlichsten Aufgaben der Diplomatie der
    Bundesregierung, im Prozeß der Konfliktlösung im Ko-
    sovo Rußland für die westliche Strategie zu gewinnen
    und es in der G 8 an den Westen zu binden, um so zu ei-
    ner Lösung zu kommen, die von der UNO und damit
    von nahezu der gesamten Völkergemeinschaft legiti-
    miert wird. Es war der Dreiklang zwischen den Partnern
    jenseits des Atlantiks, in Westeuropa und Rußland,
    durch den es gelungen ist, der Lösung dieser schlimm-
    sten Krise auf dem europäischen Kontinent zumindest
    einen Schritt näher zu kommen.

    Wir warnen jedoch davor, in Euphorie auszubrechen,
    wie wir auch am letzten Freitag davor gewarnt haben,
    nachdem der politische Rahmen existent war, in dem der
    konkrete Lösungsprozeß zu einem guten Ende hätte ge-
    bracht werden können. Wir haben davor gewarnt, indem

    wir darauf hingewiesen haben, daß es wiederum nur eine
    Finte von Milosevic sein könnte. Nachdem die Gesprä-
    che über das militärisch-technische Abkommen unter-
    brochen wurden, wurde auch sofort die Frage gestellt,
    ob dies eine der üblichen Finten war, die wir zur Genüge
    kannten, oder ob es gute Chancen gab, trotz dieser Er-
    schwernisse weiterzumachen.

    Der Bundesaußenminister und die gesamte Bundes-
    regierung waren wie auch die anderen europäischen
    Partner, wie die Amerikaner und die Russen der Mei-
    nung: Nun, wo völlig offensichtlich ist, daß in Belgrad
    ein mutmaßlicher Schwerstverbrecher an der Macht ist
    und das serbische Volk nur dann eine Chance auf einen
    Wiederaufbau und auf die Teilnahme an einem Prozeß
    der Annäherung an Europa hat, wenn es eine andere
    politische Führung in Belgrad gibt, muß auch der letzte
    Schritt vollzogen werden, um zu einem Ende des
    Mordens zu kommen. Dazu muß eine Überwachungs-
    mission für den Kosovo auf den Weg gebracht werden,
    die in der Lage ist, die mittlerweile über 1 Million Ver-
    triebenen sicher zurückzubringen. Dieser Verantwortung
    hat sich die internationale Staatengemeinschaft gestellt
    und hat alle Probleme, die auch untereinander bestan-
    den, überwunden, um – vielleicht sogar schon heute – zu
    einem Ergebnis zu kommen.

    Nur glauben wir nicht, daß dann Anlaß zur Euphorie
    besteht, wenn der angestrebte Beschluß des UNO-
    Sicherheitsrates gefaßt wird. Die Aufgaben, die dann vor
    uns liegen, sind mindestens genauso enorm: Die Dörfer
    sind verwüstet, die Häuser sind verbrannt, die Felder
    sind zerstört, das Vieh ist abgeschlachtet, die Infra-
    struktur ist kaputt. Dies, Herr Gysi, ist nicht in erster Li-
    nie eine Folge der Bombardierungen durch die NATO,
    sondern der völkermörderischen Politik und der Mord-
    brennerei, die Milosevic dort betrieben hat.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich kann verstehen, daß es viele kritische Bemerkun-
    gen zur Politik der Bundesregierung gibt. Ich kann ver-
    stehen, wenn gefragt wird, warum die Bombardierungen
    durch die NATO so viele zivile Opfer gekostet haben.
    Ich kann die Frage nach der völkerrechtlichen Legitima-
    tion verstehen. Ich kann die Aussagen der ethischen Pa-
    zifisten verstehen, für die unter keinen Umständen in ir-
    gendeiner Situation Waffengewalt in Frage kommt.
    Aber den Antrag, den Sie, Herr Gysi, heute hier vorge-
    legt haben, kann ich nicht verstehen. Sie fordern nicht
    nur, daß keine neuen deutschen Truppenkontingente in
    die Region geschickt werden, sondern Sie fordern sogar,
    daß die dort stationierten nun abgezogen werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: Lächerlich!)


    Ich frage mich mittlerweile, welches Ziel Sie denn
    eigentlich noch verfolgen. Es kann nur reiner Irrsinn
    sein, wenn eine Partei in dem Moment, wo ein beider-
    seitiger Waffenstillstand zum Greifen nahe ist, immer
    noch den einseitigen fordert. Schön; im schlimmsten
    Falle blamieren Sie sich damit. Ich kann aber absolut
    nicht verstehen, warum sich die Bundesrepublik, die al-
    les unternommen hat, um mit der bekannten Doppel-

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (A) (C)



    (B) (D)


    strategie den Völkermord zu stoppen, und die durch ihre
    diplomatischen Initiativen alles unternommen hat, um
    eine perspektivlose militärische Eskalation zu verhin-
    dern, jetzt nicht auf der Basis eines UNO-Mandates dar-
    an beteiligen soll, den Frieden zu sichern. Warum for-
    dern Sie den Rückzug aller Truppen? Das ist mir völlig
    unerklärlich. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß
    damit überhaupt ein konstruktiver Gedanke verbunden
    ist. Sie befördern damit nicht den Friedensprozeß, son-
    dern sabotieren den Friedensprozeß in einem Moment,
    wo er vor einem guten Ende steht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen
    kommen. Der ganze Kosovo-Konflikt zeigt, daß in den
    letzten Jahren vor allem im Bereich der Krisenpräven-
    tion und der friedlichen Konfliktbeilegung ein Defizit
    herrschte. Möglicherweise war die Diskussion darüber
    bis zum Ende der 80er Jahre zu akademisch und hatte
    deshalb noch keinen hinreichenden Einfluß auf die offi-
    zielle Politik der Regierungen gehabt. Aber spätestens
    der Kosovo-Konflikt muß doch jedem die Augen dafür
    öffnen, daß wir eine effektive Politik zur Krisenpräven-
    tion brauchen. Wir brauchen Frühwarnsysteme und vor
    allen Dingen Handlungsansätze, die uns in die Lage ver-
    setzen, auf Warnmeldungen effektiv zu reagieren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    In diesen Zusammenhang der Krisenprävention ge-
    hört eine gründliche Reform der UNO und des Sicher-
    heitsrates sowie die Weiterentwicklung des Völkerrech-
    tes. In diesen Zusammenhang gehört eine bestimmte
    Ausgestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicher-
    heitspolitik der Europäischen Union; sie muß ihre Auf-
    gabe insbesondere in der Krisenprävention sehen. In die-
    sem Bereich müssen aber auch in die deutsche Außen-
    und Sicherheitspolitik neue Elemente eingeführt werden.

    Wir haben großen Respekt vor dem, was die Soldaten
    auf dem Balkan leisten. Aber wir haben auch großen
    Respekt vor dem, was die Diplomaten geleistet haben
    und leisten. Wir haben großen Respekt vor dem, was die
    Verifikateure der OSZE leisten mußten, obwohl die
    Voraussetzungen für ihre Arbeit alles andere als günstig
    waren. Die Bundesregierung zieht daraus die Konse-
    quenz, daß der gesamte Ansatz der Krisenprävention,
    der Konfliktfrüherkennung und der frühen Handlungsfä-
    higkeit gestärkt werden muß.

    Wir im Auswärtigen Amt werden zu diesem Zweck
    eine Reserve von professionell arbeitendem Personal
    schaffen, das auf der Basis von Mandaten der OSZE
    oder der UNO in Konfliktregionen geschickt werden
    kann, und zwar zu einem so frühen Zeitpunkt, daß noch
    auf zivile Art und Weise versucht werden kann, die Zu-
    spitzung von Krisen zu bewaffneten Konflikten zu ver-
    hindern. Eine solche Personalreserve bereitzustellen ist
    eine der wichtigsten Konsequenzen, die wir aus dem
    Kosovo-Konflikt ziehen müssen. Die Bundesregierung
    wird hieran mit großem Nachdruck arbeiten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)