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ID1403300900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/33 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 33. Sitzung Berlin, Montag, den 19. April 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: Rede des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse ............................................ 2663 A Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Vollendung der Einheit Deutschlands Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2668 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2674 B Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2678 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2681 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 2683 C Dr. Gregor Gysi PDS ....................................... 2686 C Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident (Bran- denburg) ........................................................... 2688 A Michael Glos CDU/CSU.................................. 2689 D Sabine Kaspereit SPD ...................................... 2691 C Eberhard Diepgen, Reg. Bürgermeister (Berlin) 2693 B Nächste Sitzung................................................ 2695 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten............ 2696 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999 2663 (A) (C) (B) (D) 33. Sitzung Berlin, Montag, den 19. April 1999 Beginn: 12.00 Uhr
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    Reg. Bürgermeister Eberhard Diepgen (Berlin) 2696 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999 2696 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Bachmaier, Hermann SPD 19.4.99 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Beer, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Belle, Meinrad CDU/CSU 19.4.99 Bohl, Friedrich CDU/CSU 19.4.99 Bühler (Bruchsaal), Klaus CDU/CSU 19.4.99* Diller, Karl SPD 19.4.99 Dr. Eid, Ursula BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Dr. Fuchs, Ruth PDS 19.4.99 Großmann, Achim SPD 19.4.99 Hagemann, Klaus SPD 19.4.99 Hampel, Manfred SPD 19.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 19.4.99 Hempelmann, Rolf SPD 19.4.99** Ibrügger, Lothar SPD 19.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 19.4.99 Kolbow, Walter SPD 19.4.99 Koschyk, Hartmut CSU/CSU 19.4.99 Kröning, Volker SPD 19.4.99 Lehn, Waltraud SPD 19.4.99 Dr. Lucyga, Christine SPD 19.4.99* Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 19.4.99 Mark, Lothar SPD 19.4.99 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Moosbauer, Christoph SPD 19.4.99 Mosdorf, Siegmar SPD 19.4.99 Müller (Berlin), Walter PDS 19.4.99 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 19.4.99** Dr. Niese, Rolf SPD 19.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 19.4.99 Rübenkönig, Gerhard SPD 19.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 19.4.99 Scharping, Rudolf SPD 19.4.99 Scheu, Gerhard CDU/CSU 19.4.99 Schöler, Walter SPD 19.4.99 Schösser, Fritz SPD 19.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 19.4.99 Schurer, Ewald SPD 19.4.99 Seidenthal, Bodo SPD 19.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 19.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 19.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 19.4.99 Titze-Stecher, Uta SPD 19.4.99 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Urbaniak, Hans-Eberhard SPD 19.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 19.4.99 Wagner, Hans Georg SPD 19.4.99 Dr. Wegner, Konstanze SPD 19.4.99 Weißgerber, Gunter SPD 19.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 19.4.99 –––––––– * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Seiters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das Wort für die
    Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Wer-
    ner Schulz.

    Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE
    GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
    Liebe Gäste auf der Empore! Es ist schon ein schönes,
    neues und aufregendes Gefühl, hier zu sprechen. Den-
    noch habe ich mir den Tag der ersten Sitzung des Deut-
    schen Bundestages im umgebauten Reichstag schon et-
    was anders vorgestellt: sorgenfreier, feierlich, aber poli-
    tische Routine letztlich.

    Angesichts des Krieges im Kosovo wird jedoch die
    Geschichte in einer Weise lebendig, daß mir die feierli-
    che Routine etwas fehlt. Wir müssen über uns selbst, un-
    sere Geschichte, unsere Stellung in Europa und der Welt
    in einer Weise neu nachdenken, wie ich es mir vor zehn
    Jahren nicht hätte träumen lassen.

    Heute sind wir ein Volk, dem dieses Haus gewidmet
    ist. Damit geht die Bundesrepublik Deutschland nach 50
    Jahren Grundgesetz an den zentralen Ort der deutschen
    Geschichte zurück und stellt sich der politischen Ver-
    antwortung dieser Geschichte. Nach dem Mauerbau, der
    sicher nicht nur eine Sichteinschränkung brachte, konnte
    man vom Osten aus von diesem Haus eigentlich nur die
    Fahne sehen, die Fahne, die sich heute in der Glaskuppel
    spiegelt, die Fahne, die plötzlich massenhaft auf den
    Leipziger Montagsdemos auftauchte – nicht im natio-
    nalen Überschwang, sondern als ein Symbol für bürger-
    liche Freiheit, als Wunsch nach staatlicher Einheit.

    Wir haben im Prozeß der Einheit im Verlauf der
    letzten Jahre viel erreicht – trotz der Anfangsfehler und
    der fatalen Fehleinschätzungen. Die Ostdeutschen haben
    mit viel Fleiß und mit Hilfe der Westdeutschen ein
    enormes Pensum bewältigt. Es war absehbar, daß der
    Vollzug der Einheit in rechtlicher, sozialer und wirt-
    schaftlicher Hinsicht mindestens eine Generation dauern
    würde. So gesehen, können wir auf das Erreichte wirk-
    lich stolz sein, ohne uns zufrieden zurückzulehnen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Auch nach neun Jahren ist längst nicht alles im Lot,
    sind weitere Fördermittel nötig, ist die Arbeitslosigkeit
    unzumutbar hoch, steht die Wirtschaft noch auf wackli-
    gen Beinen, wissen viele nicht, ob man das Ärgste hinter
    sich hat oder jetzt in einer Gesellschaft lebt, deren beste
    Zeiten vorbei sind. Die Bundesregierung hat dem Auf-
    bau Ost höchsten Stellenwert eingeräumt, damit das Ost-
    West-Gefälle eher im „Memorial“ statt in der aktuellen
    Statistik erscheint, damit mehr junge Leute eine Lehr-
    stelle und Lebensperspektive im Osten finden und damit
    endlich mehr dorthin ziehen statt von dort weg.

    Die innere Einheit Deutschlands zu vollenden ver-
    langt aber nicht nur die bessere Einbeziehung der Men-
    schen aus den fünf neuen Bundesländern – oder wie die-
    ses Wortungetüm heißt –, sondern auch die Anerken-
    nung der ausländischen Mitbürger als gleichberechtigte
    Staatsbürger.


    (Beifall beim BÜNNDIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich finde es deswegen gut, Herr Schäuble, daß Sie letz-
    ten Donnerstag in der Kosovo-Debatte – zwar an unpas-

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    sender Stelle, dennoch möchte ich es noch einmal auf-
    greifen, damit es nicht verlorengeht – das Angebot ge-
    macht haben, diese unselige Polarisierung einzustellen
    und gemeinsam eine tragfähige Lösung zu finden. Ich
    glaube, das ist auch ein Beitrag zur inneren Einheit.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich habe keine Antwort bekommen!)


    Die Enttäuschung über die hohe Arbeitslosigkeit und
    die Enttäuschung über die Geschwindigkeit des wirt-
    schaftlichen Aufschwungs haben auch Zweifel an der
    Demokratie geweckt – nicht nur im Osten, wie das so oft
    behauptet wird; wir sollten uns da nichts vormachen.
    Aus unserer Geschichte wissen wir aber, daß die Demo-
    kratie nicht auf dem Boden von Armut gedeiht. Ange-
    sichts weltweiter Veränderungen stehen wir erneut vor
    der Aufgabe, den Zusammenhalt zwischen Demokratie
    und Sozialstaat zu festigen. Deshalb dürfen soziale Ge-
    rechtigkeit und solidarischer Lastenausgleich kein ein-
    maliger Kraftakt in einem Land sein, das sich der sozia-
    len Marktwirtschaft verpflichtet hat und guttut, daran
    festzuhalten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Nach der Wiedervereinigung ist die Wiederbelebung
    der Gesellschaft gefragt, die Verständigung über Bin-
    dungskräfte, Ziele und gemeinsame Werte. Demokratie
    ist keine Sache von Berufsdemokraten. Der Ruf „Wir
    sind das Volk!“ sollte nicht als historische Episode, son-
    dern als Daueranspruch verstanden werden. Die innere
    Einheit vollenden verlangt eine stärkere Einbeziehung
    des Souveräns, was mit der gelegentlichen Einblendung
    der berühmten Sonntagsfrage nicht getan ist.

    Mit dem Umzug des Parlamentes verbindet sich die
    Hoffnung auf eine bessere Qualität und Akzeptanz der
    Politik. Die erträgliche Leichtigkeit am Rhein hat ein
    Ende.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was für ein Quatsch!)


    Die Standortveränderung wird – davon bin ich überzeugt
    – auch den Blickwinkel und die Richtung verändern.
    Der Osten rückt näher, die EU-Osterweiterung wird in
    doppelter Hinsicht eine naheliegende Aufgabe, die Me-
    tropolen- und Großstadtkonflikte lassen sich nicht über-
    sehen.

    Wenn wir das Bonner Raumschiff verlassen und
    wirklich in Berlin ausschwärmen, werden wir die neuen
    sozialen Spannungen und die politischen Herausforde-
    rungen der Gesellschaft erleben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    In Berlin wird sich die Vision der sozialen Stadt testen
    lassen, Herr Bundeskanzler. Davor muß uns aber nicht
    bange sein, wenn wir bessere Politik als einen Anspruch
    an uns selbst, als Rückgewinn von Kompetenz, Legiti-
    mation und Handlungskraft verstehen. Darum dürfen wir
    den Kakao, durch den man uns gelegentlich zieht, nicht
    noch selbst erzeugen.

    Hier und heute wird nicht der Plenarbereich Reichs-
    tagsgebäude, sondern der Deutsche Bundestag einge-
    weiht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Mit der Zeit wird sich das im Volksmund herumspre-
    chen, wenn wir uns zu dieser Republik, ihren Grund-
    werten und Traditionen bekennen. Bekanntlich sind
    auch Berliner Taxifahrer helle, und von der Reichsbahn
    spricht keiner mehr.


    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Politik muß im Parlament geschehen – sichtbar
    und nachvollziehbar. Das Haus selbst bietet die besten
    Voraussetzungen. Es könnte die neue Mitte von Berlin
    werden. Wenn wir offen sind, wird es ein Anziehungs-
    punkt wie zu den Volksfestzeiten der Reichstagsverhül-
    lung durch Christo. Doch wer politischen Entscheidun-
    gen ausweicht und selbst immer häufiger das Bundes-
    verfassungsgericht anruft, muß sich über das gesetzge-
    berische Echo von dort nicht wundern. Beispiel: Famili-
    enlastenausgleich. Ich will gar keine einseitige Schuld-
    zuweisung betreiben, denn das war eine Kopfnuß für uns
    alle. Bei den vielen Fördertöpfen, die wir haben, müssen
    wir vor allen Dingen den Nachwuchs unserer Gesell-
    schaft besser fördern. Das ist eine große Aufgabe für die
    Koalition.

    Nicht nur was vor uns liegt, ist beachtlich. Wir müs-
    sen in der Politik, beim Autofahren, den Rückspiegel im
    Auge behalten, um hinter uns liegende, auf uns zurol-
    lende Gefahren zu erkennen. In unserer Gesellschaft le-
    ben heute Opfer und Täter aus zwei Diktaturen neben-
    einander. Wie schwierig die Verständigung selbst nach
    Jahrzehnten ist, hat die Bubis-Walser-Debatte gezeigt.
    Wieviel schwieriger sie erst ist, wenn die inneren Nar-
    ben noch frisch sind, können wir daraus ableiten.

    Ich möchte an dieser Stelle dem Leiter und den Mit-
    arbeitern der Gauck-Behörde ausdrücklich dafür danken,
    daß sie in sorgfältiger Kleinarbeit die Aktenablage und
    die Mechanismen eines totalitären Herrschaftsapparates
    offengelegt haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Es hat nicht die befürchtete Lynchjustiz gegeben, im
    Gegenteil: ein großes gesellschaftliches Bedürfnis nach
    Akteneinsicht, Aufklärung und kritischer Auseinander-
    setzung.

    Wir dürfen die Akten, Augen und Ohren nicht zuma-
    chen, sondern müssen aufeinander zugehen. Das ver-
    langt den Mut des ersten Schrittes, der allemal besser ist
    als die verdrucksten Reaktionen im Blitzlicht der Medi-
    en. Mag sein, daß etliche die Vergangenheitsdebatte satt
    haben. Mal flott aus Wittenberg oder anderswo geäu-
    ßerte Schlußstrich- oder Amnestieforderungen helfen
    aber nicht weiter.


    (Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


    Werner Schulz (Leipzig)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Im Namen vieler Bürgerrechtler und SED-Opfer er-
    kläre ich hier: Wir sind zur Versöhnung bereit. Alle,
    die sich ihrer Mitschuld und ihrer Mitveranwortung
    stellen, sollten, wenn nicht schon längst geschehen,
    eine Chance im vereinten Deutschland erhalten. Wahr-
    lich nicht strenggenommen liefert die PDS sogar den
    organisierten Beweis der zweiten Chance. Darum soll-
    ten Sie den unverschämten Begriff „Siegerjustiz“ fal-
    lenlassen,


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    ein Begriff übrigens, mit dem die Unverbesserlichen
    nach dem zweiten Weltkrieg die Rechtsprechung der
    Alliierten verunglimpft haben.

    Ich habe Anfang der 90er Jahre darauf gehofft, daß
    die Demokratie, ähnlich wie in Ostdeutschland, überall
    in Osteuropa zum Zuge kommt. Doch wir erleben seit
    geraumer Zeit, daß auf dem Balkan ein primitiv-brutaler
    Nationalismus wütet. Hier im ehemaligen Reichstag
    sollten wir uns daran erinnern, zu welch schrecklichen
    Folgen der Nationalismus geführt hat. Zuerst wurde die
    Demokratie zerschlagen, dieses Haus in Brand gesteckt
    und dann Europa.

    Heute vor 56 Jahren begann der Aufstand im War-
    schauer Ghetto. Es war ein heroischer Widerstand der-
    jenigen Juden, die sich nicht deportieren lassen woll-
    ten, junge Frauen und junge Männer. Es war kein
    Kampf um das Recht zu leben, sondern um das Recht,
    würdig zu sterben. Nur wenige sind diesem Inferno
    entkommen, so der stellvertretende Kommandant Ma-
    rek Edelmann. Er hat uns schon beim Völkermord in
    Bosnien aufgefordert, dem mit Militär Einhalt zu ge-
    bieten. Auf meine bange Frage, ob wir Deutschen dort
    hingehen können, wo wir Unheil angerichtet haben, hat
    er mir damals geantwortet, daß gerade das vereinte
    Deutschland vor dem Hintergrund seiner Geschichte
    nicht das Recht zur Zurückhaltung, sondern die Pflicht
    zum Eingreifen hat.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Vielleicht lassen sich die Gegenstimmen, die es dazu
    gibt, zumindest von einem solchen Zeitzeugen ins Ge-
    wissen reden. Mich hat das tief beeindruckt.

    In diesem Haus liegt ein Vermächtnis, meine Damen
    und Herren, das heißt: Nie wieder Faschismus, nie wie-
    der Krieg! Ich bitte, künftig auch die Reihenfolge zu be-
    achten! Denn „nie wieder Faschismus“ heißt, nie wieder
    Völkermord, nie wieder Vertreibung, nie wieder Terror,
    Mord und Totschlag gegen Minderheiten zuzulassen und
    damit rechtzeitig Kriege einzudämmen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und F.D.P.)


    Im Interesse aller Europäer geht es darum, daß Natio-
    nalismus und Rassismus auf diesem Kontinent keine
    Chance bekommen. Deswegen dürfen wir auch im eige-
    nen Land nicht wegschauen. Von Skinheads und Rechts-
    radikalen sogenannte „nationalbefreite Zonen“ in Saal-

    feld, Wurzen oder anderswo sind ein Angriff auf die
    Zivilgesellschaft.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


    „Ausländer raus“ ist die Geisteshaltung, die im Extrem
    bis zur Vertreibung der Albaner aus Pristina führt.

    Wir hatten im letzten Bundestag eine bewegende De-
    batte zur Wehrmachtsausstellung. Die Bilder von Mas-
    senexekutionen, um die es da ging, laufen wieder, erst in
    Bosnien, jetzt im Kosovo. Wir sollten nicht nur in Aus-
    stellungen gehen, sondern auch so weit, um das mit allen
    Mitteln zu unterbinden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeorndeten der PDS)


    Vielleicht erleben wir mit dem schmerzhaften
    NATO-Eingriff zur Wahrung der Menschenrechte die
    Geburtsstunde eines neuen Völkerrechts: daß es keinen
    Anspruch auf Souveränität gibt, wenn eine Staatsmacht
    auch nur Teile des eigenen Volkes umbringt. Ich habe
    Verständnis für Zweifel und Respekt vor Bedenken, ob
    man ein solch schlimmes Übel wie Luftkrieg gegen ein
    unerträgliches Übel wie Völkermord einsetzen kann.
    Doch eines möchte ich hier persönlich klar ansprechen,
    denn wir suchen je auch die politische Auseinanderset-
    zung in diesem Haus: Es geht mir schon an die Nieren,
    wenn Leute, die mich früher mit dem Symbol „Schwer-
    ter zu Pflugscharen“ als Staatsfeind behandelt haben,
    mich heute wegen meiner Haltung zum Einsatz im Ko-
    sovo an den PDS-Kriegspranger stellen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Gesellschaftswissenschaftler, die uns Lenins „The-
    sen vom gerechten Krieg“ eingeimpft und den Ein-
    marsch in die CSSR und Afghanistan als Inbegriff des
    Klassenkampfes dargestellt haben, Funktionäre, die
    gegen das Malen von Panzern im Kindergarten, Wehr-
    kunde in den Schulen, vormilitärische Ausbildung an
    den Universitäten, gegen die Militarisierung einer gan-
    zen Gesellschaft kein Sterbenswörtchen verloren ha-
    ben, weil es ihr Programm war, die nur durch äußeren
    Druck ihren Kampfgruppenanzug abgelegt haben, ge-
    hen heute wie Friedensengel auf Demonstrationen, um
    Gregor Gysi zuzujubeln, der wie der unbefleckte Enkel
    von Karl Liebknecht so tut, als habe er hier die kaiser-
    lichen Kriegskredite abgelehnt, und dann etwas später
    Milosevic die Hand gibt. Das ist schon atem- und
    glaubwürdigkeitsberaubend.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Was in Jugoslawien geschieht, verweist auf den Zu-
    stand Europas. Die gesamte Geschichte des 20. Jahrhun-
    derts scheint wieder lebendig zu sein. Das Haus Europa,
    das Michail Gorbatschow skizziert hat, ist ein unfertiges
    Haus im Umbau, in das immer mehr Bewohner einzie-
    hen wollen. Wir brauchen jetzt eine verbindliche Haus-
    ordnung in einem Haus ohne Folterkeller und Todes-

    Werner Schulz (Leipzig)







    (B)



    (A) (C)



    (D)


    zelle. Doch eine solche neue europäische Friedensord-
    nung bekommen wir nur, wenn wir Europa als Ganzes
    begreifen, wenn wir der Gefahr einer erneuten Spaltung
    entgegentreten. Die innere Einheit zu vollenden heißt
    heute, die innere Einheit Europas zu festigen und voran-
    zubringen. Deswegen müssen wir die osteuropäischen
    Reformstaaten, Rußland, auch Serbien in die Demokra-
    tie mitnehmen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ohne demokratischen Fortschritt wird es auch in Ost-
    europa keinen wirtschaftlichen Aufschwung geben.
    Aber ohne sichtbare wirtschaftliche Verbesserung wer-
    den dort auch die demokratischen Grundregeln nicht
    greifen. Wir müssen in unserem Land das Bewußtsein
    dafür schaffen, daß sich der Aufbau Ost nicht mehr al-
    lein auf die neuen Bundesländer beschränkt. Wer mit
    militärischer Gewalt – bei aller moralischen Berechti-
    gung – Zerstörung anrichtet, muß auch bereit sein, bei
    der Beseitigung der Schäden, beim Wiederaufbau Serbi-
    ens, mitzuhelfen. Das ist eine geschichtliche Erfahrung,
    auf die wir mit Erfolg verweisen, wenn wir vom „EU-
    Marshallplan“ reden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Das vereinte Deutschland hat Verantwortung in einer
    neuen Dimension zu tragen. Deswegen müssen wir un-
    sere eigenen Probleme schneller lösen. Europa braucht
    das vereinte Deutschland. Daß die Teilung nur durch
    Teilen überwunden werden kann, hat eine europäische
    Tragweite bekommen.

    Natürlich bietet der Umzug vom Rhein an die Spree
    auch die Chance zur Inventur. Der Reformbedarf be-
    stand übrigens schon vor der Vereinigung. Seit Jahren
    kommt hinzu, daß sich etliche westdeutsche Ge-
    brauchsmuster an der ostdeutschen Realität reiben.
    Möglicherweise steigt jetzt sogar die Veränderungsbe-
    reitschaft. Für das Grundinventar allerdings gilt die
    Formel „Bewahren und erneuern.“ Deswegen halte ich
    überhaupt nichts von dem Begriff der „Berliner Repu-
    blik“,


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P. den ein um Originalität bemühter Kolumnist der „FAZ“ aufgebracht hat und den jetzt einige blumig umschreiben. Wir sollten bei der Bundesrepublik bleiben. Sie ist ein Glücksfall in der deutschen Geschichte. Ich empfinde das ganz authentisch, weil ich zwei Staaten miteinander vergleichen kann. Ich hätte allerdings nichts – dabei geht es mir nicht um ein Wortspiel, sondern um eine Entwicklung – gegen eine „Deutsche Demokratische Bundesrepublik“ einzuwenden. Vielleicht kommen wir so der Geschichte näher, daß der demokratische Aufbruch Ost leider nur als Systemzusammenbruch verkannt wurde. In jedem Falle sind wir gut beraten, meine Damen und Herren, wenn wir uns in aller Bonner Bescheiden heit unserer Berliner Verantwortung stellen. Möge uns hier viel Gutes gelingen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Für die PDS-
Fraktion spricht nun der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Da-
    men und Herren! Nicht Gebäude machen Geschichte,
    sondern Menschen. Den Streit um die Symbolik von
    Gebäuden halte ich deshalb, von Ausnahmen abgesehen,
    für eher müßig. Wichtig wird sein, was die Abgeordne-
    ten und ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger hier trei-
    ben, welche Politik hier gemacht, ob hier Demokratie
    und Freiheit gelebt und für Frieden, Chancengleichheit
    und soziale Gerechtigkeit wirksam gestritten wird.


    (Beifall bei der PDS)

    Da es darauf ankommt, was wir hier machen, meine

    auch ich, ein historisch entstandener Name sollte blei-
    ben. Das heißt, der Deutsche Bundestag berät in einem
    Gebäude, das Reichstag und nicht anders heißt.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Die Wende in der DDR 1989 vollzog sich friedlich.

    Die vielen politisch Ohnmächtigen wurden mächtiger
    und die damals politisch Mächtigen ohnmächtig. Die ei-
    nen setzten keine Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele
    ein, und die anderen verzichteten dann auch auf den
    Einsatz ihrer Gewaltpotentiale, vielleicht weil sie spür-
    ten, sie könnten höchstens verzögern, nicht aber wirk-
    sam verhindern. Diese Friedlichkeit, diese Gewaltfrei-
    heit können wir heute ganz anders schätzen, wenn wir
    an Jugoslawien und vor allem an das Kosovo denken.

    Die PDS-Fraktion und ich selbst hatten es aus ver-
    schiedenen Gründen, von denen wir einen Teil selbst ge-
    setzt haben, nie leicht im Bundestag. Aber wir haben
    immer geschätzt, daß wir hier Dinge sagen können, von
    denen wir in der Volkskammer bis 1989 fast nichts hät-
    ten sagen können. Dennoch macht der öffentliche Um-
    gang mit der PDS einen Teil auch der kulturellen Pro-
    bleme der Vereinigung deutlich. Deshalb sage ich Ihnen,
    Herr Schulz: Der merkwürdigste Vorwurf, den ich hier
    immer wieder höre, ist – das wird nach der Aufzählung
    von lauter Untaten der SED hinzugefügt –, daß die PDS
    heute eine andere Position dazu hat; eigentlich ist es der
    Vorwurf, daß wir nicht immer noch so denken wie da-
    mals. Aber das fände ich wirklich sehr viel schlimmer,
    und deshalb finde ich diesen Vorwurf ziemlich daneben.


    (Beifall bei der PDS – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie denken dummerweise so, wie es gerade opportun ist! Chefopportunist!)


    Ich sage meinen Kolleginnen und Kollegen in der
    Fraktion immer: Wir sind nicht hier, damit wir es leicht
    haben; das wollen wir ja auch gar nicht. Zur Demokratie
    gehört auch, zu akzeptieren, daß es in einer so zentralen
    Frage wie der Frage Krieg-Frieden gänzlich voneinander
    abweichende Auffassungen gibt. Wenn es aber stimmt,
    daß über 60 Prozent der Bevölkerung für den Krieg der

    Werner Schulz (Leipzig)







    (A) (C)



    (B) (D)


    NATO gegen Jugoslawien und über 30 Prozent dagegen
    sind, dann bleibt doch, daß der letztgenannte Teil der
    Bevölkerung im Bundestag völlig unterrepräsentiert ist.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich will es hier noch einmal ganz klar sagen – wie ich

    es übrigens schon im Oktober 1998 im Bundestag in
    Bonn und danach bei anderen Gelegenheiten gesagt und
    geschrieben habe –: Die jugoslawische Führung und
    speziell Milosevic begingen und begehen schlimmste
    Menschenrechtsverletzungen und damit Verbrechen im
    Kosovo. Meine Gespräche am Sonnabend mit vertriebe-
    nen Kosovo-Albanern in Albanien haben das erneut für
    mich dramatisch bestätigt. Dazu darf nicht geschwiegen
    werden; dagegen muß auch etwas getan werden. Aber so
    wie Herr Fischer mit Herrn Milosevic geredet hat, damit
    es gar nicht erst zum Krieg kommt, so habe ich halt mit
    ihm geredet, um zu sehen, ob es einen Weg gibt, aus
    diesem Krieg herauszukommen.


    (Beifall bei der PDS)

    Aber die PDS ist und bleibt auch eine entschiedene

    Gegnerin des völkerrechtswidrigen Krieges der NATO
    gegen Jugoslawien. Es leiden immer die Völker, nicht
    die politisch Verantwortlichen. Zerstörte Wasserwerke
    und Heizkraftwerke, zerstörte Düngemittelfabriken tref-
    fen die serbische Bevölkerung und nutzen keinem Ko-
    sovo-Albaner.
    Es entstehen immer mehr Haß und Feindschaft. Deshalb
    muß der NATO-Krieg ebenso beendet werden, wie die
    Verbrechen im Kosovo beendet werden müssen.


    (Beifall bei der PDS)

    Deshalb brauchen wir wieder Politik, Gespräche, Di-
    plomatie und auch Wirtschaft statt Krieg. Die Bomben
    auf Jugoslawien haben die Leiden der Kosovo-Albaner
    nicht gelindert; sie sind im Gegenteil ständig schlimmer
    geworden.

    Am 3. Oktober 1990 gab es die staatliche Vereini-
    gung in Deutschland. Aber deshalb sind die Gesell-
    schaften noch lange nicht vereint. Ein Grundproblem,
    das sich in Polen, Tschechien und anderen osteuropäi-
    schen Ländern nicht stellte: Als die DDR unterging,
    wurde aus ihr nichts wirklich existentiell im vereinigten
    Deutschland gebraucht. Vieles ging unter, und vieles,
    was blieb, blieb nicht aus Notwendigkeit, sondern im
    Wege der Gnade. Das gilt für die Wirtschaft, die Wis-
    senschaft und die Kultur. Die Ostdeutschen wollten aber
    nicht Gnade, sondern Respekt. Das ist der Kern der
    kulturellen Differenz.

    Wenn Sie, Herr Schäuble, sagen, daß die Leistungen
    der Ostdeutschen ohne ihr Verschulden außer im Sport
    zu nichts geführt hätten, so sage ich: Das ist eben nicht
    wahr. Dieser Satz ist nicht ausreichend. Haben sie wirk-
    lich zu nichts geführt? Gab es nicht auch respektable
    Filme der DEFA? Gab es nicht auch ausgezeichnete In-
    szenierungen an Theatern und Opern? Gab es nicht auch
    sozialverträgliche Mieten und Kindergärten? Vieles muß
    und kann man an der DDR scharf kritisieren. Wenn man
    aber solche positiven Dinge nicht sieht und von ihnen-
    nicht spricht, wird die kulturelle Differenz nur vertieft,

    weil man dann die Alltagserfahrungen der Ostdeutschen
    negiert.


    (Beifall bei der PDS)

    Demütigend ist und bleibt, wenn die neuen Bundes-

    länder in einigen alten Bundesländern häufig vor allen
    Dingen als Kostenfrage diskutiert werden. Herr
    Schäuble hat sich darüber beschwert, daß von Siegern
    und Besiegten gesprochen wird. Aber wenn Hundert-
    tausende in Prozesse zu ihrem Grundstückseigentum
    und ihren Nutzerrechten verwickelt werden und viele
    ihr Grundstück tatsächlich verlassen müssen, dann
    empfinden sie es eben so. Warum ist es eigentlich bis
    heute nicht gelungen, endlich dafür zu sorgen, daß alle
    Ausbildungsabschlüsse aus der DDR anerkannt wer-
    den?


    (Beifall bei der PDS)

    Was wurde eigentlich dagegen getan, daß sich die Ge-
    hälter und Löhne in den neuen Bundesländern zwischen
    60 und 85 Prozent der Gehälter und Löhne in den alten
    Bundesländern eingependelt haben, daß die Preise je-
    doch bei 100, zum Teil sogar bei über 100 Prozent lie-
    gen? Das verträgt sich einfach nicht miteinander. Das
    führt nicht nur zu sozialen, sondern auch zu erheblichen
    kulturellen Differenzen. Menschen in den neuen Bun-
    desländern verlieren ihre Grundstücke heute häufig we-
    gen überhöhter Wasser-, Abwasser- und Straßenbaube-
    teiligungsgebühren. Das ist für sie – wie ich finde, zu
    Recht – nicht nachvollziehbar. Man hätte so etwas nie
    zulassen dürfen.

    Natürlich ist im Osten auch vieles aufgebaut worden:
    Stadtzentren, Telekommunikation, Wohnungen, ich
    könnte noch vieles andere nennen. Das alles ist wahr.
    Der Wegfall von Millionen von Arbeitsplätzen aber ist
    die Kehrseite. Arbeitslosigkeit ist überall schlimm; sie
    ist im Osten jedoch doppelt so hoch wie im Westen. Es
    ist eine Tatsache: Seit der Vereinigung hat Reichtum in
    der Gesellschaft zugenommen; aber auch Armut ist be-
    achtlich angewachsen. Mit der Einheit kommen wir
    meines Erachtens in dem Maße voran, in dem wir Ar-
    beitslosigkeit wirksam bekämpfen, soziale Gerechtigkeit
    herstellen und Extremismus, Ausländerfeindlichkeit und
    Rassismus überwinden.

    Als Berliner möchte ich Ihnen noch gerne sagen: Wir
    Berliner sind manchmal etwas muffelig, das ist wahr.
    Ich will auch nicht bestreiten, daß wir gerne meckern.
    Wir sind aber eigentlich nicht weniger herzlich als
    Rheinländer. Deshalb bitte ich Sie: Kommen Sie einfach
    gerne. In Berlin kulminieren alle Widersprüche dieser
    Gesellschaft und auch der Vereinigung. Begreifen wir
    Berlin als Herausforderung und nehmen wir diese Her-
    ausforderung an, weil es auch eine Chance ist –


    (Beifall bei der PDS)

    für uns, für die Menschen in der Bundesrepublik
    Deutschland und für unsere Nachbarn. Wir sollten auch
    in diesem Gebäude demonstrieren: Einheit verlangt
    nicht Einheitlichkeit, sondern Anerkennung und Respekt
    in der jeweiligen Unterschiedlichkeit.


    (Beifall bei der PDS)


    Dr. Gregor Gysi






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