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ID1402100200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/21 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 21. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Februar 1999 I n h a l t : Gedenkworte für den verstorbenen König Hussein von Jordanien .................................. 1489 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Ab- geordneten Adelheid Tröscher, Ilse Schu- mann und Helmut Wieczorek (Duisburg)..... 1489 C Erweiterung der Tagesordnung........................ 1489 D Absetzung des Punktes 2c von der Tagesord- nung ................................................................. 1490 A Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 14/300) .................................. 1490 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand und die voraus- sichtliche Entwicklung der Finanzwirt- schaft (Drucksache 14/350) ....................... 1490 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 1490 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 1500 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 1505 A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1510 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 1514 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 1519 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) ........................................................... 1526 C Joseph Fischer, Bundesminister AA................ 1533 A Karl Lamers CDU/CSU................................... 1536 D Dr. Christoph Zöpel SPD................................. 1538 C Ulrich Irmer F.D.P. ......................................... 1541 D Wolfgang Gehrcke PDS .................................. 1543 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU ..................... 1544 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 1546 B Dietrich Austermann CDU/CSU ..................... 1549 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 1551 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. .................... 1552 C Heidi Lippmann-Kasten PDS .......................... 1554 A Peter Zumkley SPD ......................................... 1555 A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU .................... 1555 D Dietrich Austermann CDU/CSU ................. 1556 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. ................ 1556 C Paul Breuer CDU/CSU.................................... 1557 C Alfred Hartenbach SPD ................................... 1561 A Hans Jochen Henke CDU/CSU ....................... 1562 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 1563 C Rainer Funke F.D.P. ........................................ 1565 C Dr. Evelyn Kenzler PDS.................................. 1566 D Norbert Geis CDU/CSU ...................... 1567 D, 1570 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN .............................. 1569 D, 1584 B, 1589 D Dr. Guido Westerwelle F.D.P.............. 1570 B, 1589 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 21. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Februar 1999 Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ................................................................. 1571 A Ludwig Stiegler SPD ....................................... 1574 A Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU........................ 1576 A Sebastian Edathy SPD.................................. 1578 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.. 1579 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. ..................... 1580 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. ................................. 1581 C Ulla Jelpke PDS............................................... 1583 A Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/ CSU ................................................................. 1585 A Otto Schily, Bundesminister BMI........ 1586 A, 1589 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ ............................................... 1590 C, 1601 A Michael von Schmude CDU/CSU ................... 1592 D Dr. R. Werner Schuster SPD........................ 1593 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1594 D Joachim Günther (Plauen) F.D.P. ................... 1596 D Carsten Hübner PDS........................................ 1598 A Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU.................... 1599 B Adelheid Tröscher SPD ................................... 1601 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der militäri- schen Umsetzung eines Rambouillet- Abkommens für den KOSOVO sowie an NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe (Extraction Force) (Drucksache 14/397) .................................. 1559 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnis- se und für Sachen (Drucksache 14/343)... 1559 C c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die allgemeine und die repräsentative Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bun- desrepublik Deutschland (Drucksache 14/401) ....................................................... 1559 C d) Antrag der Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leip- zig), Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderung der Luftfahrttechnologie (Drucksache 14/395) .................................. 1559 D Tagesordnungspunkt 4: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Zu- ständigkeiten nach dem Sorgerechts- übereinkommens-Ausführungsgesetz (Drucksachen 14/33, 14/338) ..................... 1559 D b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 3/98 (Drucksache 14/321).......................... 1560 A c) bis e) Beschlußempfehlungen des Peti- tionsausschusses Sammelübersichten 15, 16 und 17 zu Petitionen (Drucksachen 14/322, 14/323, 14/324) ...... 1560 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung der Sozial- und Steuerverwaltung für den Euro (Zwei- tes Euro-Einführungsgesetz) (Druck- sachen 14/229, 14/406) .............................. 1560 C Nächste Sitzung ............................................... 1603 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 1605 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 21. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Februar 1999 1489 (A) (C) (B) (D) 21. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Februar 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Adelheid Tröscher Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 21. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Februar 1999 1605 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Bartsch, Dietmar PDS 24.2.99 Behrendt, Wolfgang SPD 24.2.99 * Brudlewsky, Monika CDU/CSU 24.2.99 Diemers, Renate CDU/CSU 24.2.99 Ehlert, Heidemarie PDS 24.2.99 Erler, Gernot SPD 24.2.99 Frick, Gisela F.D.P 24.2.99 Fuchs (Köln), Anke SPD 24.2.99 Großmann, Achim SPD 24.2.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 24.2.99 Hartnagel, Anke SPD 24.2.99 Hasenfratz, Klaus SPD 24.2.99 Hempelmann, Rolf SPD 24.2.99 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 24.2.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Luther, Michael CDU/CSU 24.2.99 Mascher, Ulrike SPD 24.2.99 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 24.2.99 Rauber, Helmut CDU/CSU 24.2.99 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.2.99 Rupprecht, Marlene SPD 24.2.99 Schindler, Norbert CDU/CSU 24.2.99 Sebastian, Wilhelm-Josef CDU/CSU 24.2.99 Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie SPD 24.2.99 Verheugen, Günter SPD 24.2.99 Willner, Gert CDU/CSU 24.2.99 Wohlleben, Verena SPD 24.2.99 Dr. Wolf, Winfried PDS 24.2.99 ––––––––––– * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsi-
    dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selten hat ei-
    ne neue Regierung in so kurzer Zeit soviel Durcheinan-
    der angerichtet und so viel Enttäuschung verursacht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Präsident Wolfgang Thierse






    (A) (C)



    (B) (D)


    Der Kölner „Express“ schrieb dieser Tage: „Wir wer-
    den regiert von Enttäuschern.“ Die Kommentatoren
    konnten den Ablauf der Hunderttagefrist kaum erwarten.
    Ein Urteil war verheerender als das andere.

    Vielleicht steht die Auslandspresse weniger im Ver-
    dacht der Befangenheit. „Le Figaro“: „Die Anfänge
    Schröders waren chaotisch.“ Die „Neue Zürcher Zei-
    tung“: „Ernüchterung und Durchwursteln.“ Im Londoner
    „Independent“ stand zu lesen: „Stellt euch eine rotgrüne
    Regierung vor, haben manche Witzbolde gesagt, ange-
    führt von Schröder, Lafontaine, Fischer inklusive – ha,
    ha, ha; tja, jetzt ist es schon hundert Tage her, seit dieses
    ungleiche Trio die Regierung übernommen hat, und wir
    lachen noch immer“. – So der „Independent“.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Den meisten ist das Lachen inzwischen vergangen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    „Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert“ und „Auf-

    bruch und Erneuerung“ hatte es geheißen. „Die Woche“
    schrieb dieser Tage: „Manches ist schon zu Ende, bevor
    es richtig begonnen hat. Mancher, der sich eben noch am
    Beginn einer neuen politischen Ära wähnte, muß plötz-
    lich feststellen, daß auch hundert Tage schon eine ganz
    schöne Strecke sein können.“

    Das Presseecho: katastrophal. Das Urteil der Fach-
    welt: vernichtend. Die Wähler: enttäuscht und auf dem
    Absprung. Erst reden, dann denken, schließlich zurück-
    rudern; große plakative Entwürfe mit der Solidität von
    Seifenblasen. In der Umsetzung hektische Schnellschüs-
    se, unausgereift und mit schwersten handwerklichen
    Mängeln. Anschließend ein Rückzug auf Raten, neue
    Vorschläge, bis die Verwirrung komplett ist.

    Die „Frankfurter Rundschau“ – kein Unionsblatt –
    schrieb: „In jedem Fall braucht man die neuen Minister
    nur ausreden zu lassen, um sie in Konflikt mit sich sel-
    ber zu bringen.“


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Eine Mischung aus Substanzlosigkeit und Überheblich-
    keit hat Sie in zentralen politischen Handlungsfeldern
    gegen die Wand fahren lassen. Der Haushalt ist Aus-
    druck der Ratlosigkeit, die das rotgrüne Lager erfaßt hat.

    Vor Weihnachten haben Sie Wahlgeschenke verteilt,
    die Ihnen in Hessen nichts genützt haben. Herr Lafon-
    taine, jetzt konfrontieren Sie uns mit der höchsten Aus-
    gabensteigerung. Beinahe täglich präsentieren Sie neue
    Modelle, wie die selbstgerissenen Löcher gestopft wer-
    den sollen. Der Kollege Dreßler forderte laut „dpa“-
    Meldung vom 19. Januar wörtlich: „Familien notfalls
    per Steuererhöhung entlasten“. – Das ist typisch für die
    Regierung.

    Herr Lafontaine, jetzt lesen wir Meldungen, nach der
    Wahl in Bremen werde die Mehrwertsteuer erhöht. Ich
    fordere Sie auf: Schaffen Sie jetzt und nicht erst nach
    der jeweils nächsten Wahl Klarheit!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Herr Kollege Wieczorek, herzlichen Glückwunsch!
    Sie hätten einen besseren Haushaltsentwurf zu Ihrem
    Festtag verdient. Das will ich Ihnen in Verbundenheit
    sagen. Der vorliegende Entwurf ist im Kabinett am 20.
    Januar verabschiedet worden. Aber Sie haben mit Ihrer
    Mehrheit eine Haushaltsdebatte vor der Hessen-Wahl
    mit dem Argument verhindert, der Haushalt sei noch
    nicht beratungsreif. Um Himmels willen!


    (Bundesminister Oskar Lafontaine: So ein Quatsch!)


    – Entschuldigung, so ist es im Ältestenrat von den Ver-
    tretern der SPD mitgeteilt worden. Das ist kein Quatsch,
    sondern die Wahrheit. –


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Der Haushalt sei nicht beratungsreif, das war das Argu-
    ment, mit dem eine Debatte vor der Hessen-Wahl ver-
    hindert worden ist.

    Jetzt frage ich Sie: Was für einen Haushalt haben Sie
    im Kabinett eigentlich verabschiedet? War es vielleicht
    nur der Sprechzettel für den Regierungssprecher? Was
    hat sich denn seit dem 20. Januar verändert? Ist der
    Haushalt jetzt beratungsreif, und warum war er es vor
    der Hessen-Wahl nicht?

    Ihre Purzelbäume in der Energiesteuerdebatte haben
    wenigstens noch die Karnevalisten erwärmt. Ein Modell
    zu vertreten, nach dem man im Zeichen des Energiespa-
    rens um so weniger Steuern bezahlen soll, je mehr Ener-
    gie man verbraucht, oder nach dem man um so mehr von
    der Energiesteuer entlastet wird, je mehr man seine Per-
    sonalkosten reduziert – auf deutsch heißt das ja Entlas-
    sung –, das ist, Herr Lafontaine, schon ein Stück aus
    dem Tollhaus.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Von Expertenseite wird Ihr Ökosteuerkonzept uniso-

    no mit Attributen wie „mißraten“, „mißglückt“, „ge-
    scheitert“ versehen. Aber dieser Bundesregierung gilt ja
    die Meinung von Experten nicht viel. Wie sonst soll
    man es verstehen, wenn am gleichen Tag, an dem die
    Experten im Ausschuß gehört wurden, das Gesetz im
    Ausschuß unverändert durchgepeitscht wurde? So wird
    doch jede Anhörung zur Farce.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es gehört schon viel Frechheit dazu, etwas „ökologi-

    sche Steuerreform“ zu nennen, was keinerlei ökologi-
    schen Lenkungseffekt, keinerlei Energieeinsparung,
    sondern lediglich Wachstumsverluste und eine Bela-
    stung des Wirtschaftsstandorts erwarten läßt, ganz zu
    schweigen von den sozialen Ungerechtigkeiten gegen-
    über Rentnern, sozial Schwächeren, Familien mit Kin-
    dern und Berufspendlern, die sich steigende Stromprei-
    se, steigende Heizölpreise und steigende Benzinpreise
    nicht leisten können.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Sie hatten eine durchgreifende Neuordnung der 630-
    DM-Jobs versprochen. Herausgekommen ist eine Re-
    formpleite ohne Ende.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Der Bundeskanzler selber hat mindestens vier persönli-
    che Modelle entwickelt; wahrscheinlich wissen Sie, Herr
    Schröder, im Moment auch nicht mehr, welches jetzt
    aktuell Gültigkeit haben soll.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Nach derzeitigem Stand soll jeder 630-DM-Jobber, der
    ein zusätzliches Einkommen bezieht – Rente, Unter-
    haltsleistungen oder Sparzinsen – grundsätzlich steuer-
    pflichtig werden. Also bleibt die Ehegattin ohne eigenes
    Einkommen steuerfrei; die Alleinstehende, die Unterhalt
    bezieht, wird steuerpflichtig.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ein Witz!)

    Das ist ein Programm voller Ungereimtheiten, ein Pro-
    gramm zur Förderung von Schwarzarbeit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Niemand landauf, landab, keine Gewerkschaft und kein
    Wirtschaftsverband ist mehr bereit, dieses Vorhaben zu
    unterstützen. Aber das ist Ihnen egal: Noch haben Sie
    die Mehrheit im Bundesrat und handeln nach der Devi-
    se: Augen zu und durch.

    Eine große Steuerreform ist der deutschen Öffent-
    lichkeit versprochen worden, die die Rahmenbedingun-
    gen für mehr Investitionen und Beschäftigung verbes-
    sern sollte. Das Urteil aller Experten ist verheerend. Sie
    selbst haben mit Ihren hektischen Nachbesserungen an
    fast jedem Tag und laufend neuen Ausnahmen und Kor-
    rekturen ja längst eingestanden, daß die ganze Aktion
    schiefgegangen ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ich zitiere den Sachverständigenrat. Ich tue es, so-
    lange man es noch kann. Offensichtlich will die Regie-
    rung sachverständige Beratung nicht nur bei der Reak-
    torsicherheitskommission gleichschalten. Bevor sich der
    Finanzminister weiter daranmacht, durch Umbesetzun-
    gen mögliche Kritik von kompetenter Seite zum
    Schweigen zu bringen, lese ich das vor, was der Sach-
    verständigenrat geschrieben hat:

    Die Einkommensbesteuerung umfassend zu refor-
    mieren, die Bürger spürbar zu entlasten und die öf-
    fentlichen Haushalte durch eine beherzte Konsoli-
    dierung auf Dauer wieder handlungsfähig zu ma-
    chen – das sind die finanzpolitischen Projekte, die
    jetzt angegangen werden müssen …
    Gemessen an diesen Anforderungen greift die jetzt
    vorgelegte Steuerreformkonzeption zu kurz: Die
    Senkung der Steuersätze bleibt – vor allem im Be-
    reich höherer Einkommen – zu zaghaft und ist für
    den Unternehmensbereich noch unsicher, die Ver-
    breiterung der Bemessungsgrundlage trifft beson-
    ders Unternehmen, die Nettoentlastung kommt zu
    spät und ist zu gering.

    Diese Einschätzung wird von der ganzen Fachwelt uni-
    sono geteilt.

    Das Kieler Institut für Weltwirtschaft bestätigt, daß
    mit einer geplanten Steuerentlastung im Jahre 2002
    von gerade einmal 0,3 Prozent des geschätzten Brutto-
    inlandsproduktes keinerlei Impulse für Wachstum und
    Beschäftigung verbunden sind. Nur eine wirkliche Kon-
    solidierung der Staatsausgaben schafft Spielräume für
    eine echte Steuerentlastung.

    Ihr Steuerkonzept schafft nur in einer Hinsicht Klar-
    heit: Die von Ihnen im Wahlkampf so heftig umworbene
    Neue Mitte wird nach der Wahl wieder zu dem, was sie
    für die SPD immer war und bleiben wird, nämlich die
    Gruppe der sogenannten Besserverdienenden, die es
    nach Belieben zu schröpfen gilt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Mittelstand wird belastet, wodurch Arbeitsplätze
    vernichtet werden. Die Situation wird nicht dadurch bes-
    ser, daß Herr Lafontaine sagt, dies sei so gewollt.

    Zu einer Konsolidierung des Haushalts durch Ein-
    schränkung der Ausgaben fehlen Ihnen die Kraft und der
    Mut. Statt dessen steigern Sie die Ausgaben um fast
    7 Prozent. Das ist die höchste Steigerungsrate seit Jahr-
    zehnten und dreimal soviel, wie der Finanzplanungsrat
    vorgegeben hat. Der vor der Wahl versprochene Spar-
    kurs wird bereits durch den vorliegenden Haushalt Ma-
    kulatur.

    In der Gesundheitspolitik jagt ein Dementi das an-
    dere. Erst hat man ein paar Wohltaten unter das Volk
    gestreut. Jetzt ist die Rationierung der Kassenleistungen
    angesagt.

    Herr Riester wollte erst die älteren Arbeitnehmer mit
    einem ebenso gigantischen wie unbezahlbaren Frühver-
    rentungsprogramm erfreuen, das aber nun offenbar sang-
    und klanglos in der Versenkung verschwindet. Dafür er-
    schreckt er die Rentner mit der Botschaft, daß er für die
    jährliche Rentenanpassung nach dem Nettolohnprin-
    zip nicht mehr geradestehen will. Rentenanpassung soll
    also bei der SPD künftig nur noch nach Kassenlage er-
    folgen. All diese Vorhaben werden nur so nebenbei ver-
    kündet. Ich hätte Sie einmal hören mögen, was Sie ge-
    sagt hätten, wenn wir so verfahren wären.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ihnen war doch schon die Einführung des demogra-

    phischen Faktors zuviel. Wir haben ihn eingeführt, um
    angesichts der steigenden Lebenserwartung die Bela-
    stung von Beitragszahlern und Leistungsempfängern be-
    hutsam neu zu justieren. Inzwischen sind Sie selbst zu
    der Einsicht gekommen, daß die Rentenversicherung
    ohne einen solchen Korrekturmechanismus nicht aus-
    kommen kann.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Ich bin für Nachdenken und finde es deshalb ärgerlich,
    daß Sie vor Jahresende wichtige Reformschritte rück-
    gängig gemacht haben. Jetzt dämmert Ihnen allmählich,
    daß Sie genau die falsche Richtung nach dem Motto
    „Erst handeln, dann denken“ eingeschlagen haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    „Halbstarke Politik“ hat Heribert Prantl Ihre Politik in
    der „Süddeutschen Zeitung“ genannt. Alleingänge in der
    Energiepolitik im Zeichen der Globalisierung und des
    zusammenwachsenden Europas müssen scheitern. Das
    gilt für die Energiebesteuerung, die im nationalen Al-
    leingang Arbeitsplätze vernichten wird, wie auch für den
    Ausstieg aus der Kernenergie. Strom aus Tschernobyl
    zu beziehen und die sicheren Reaktoren in Deutschland
    abzuschalten ist doch eine infantile Rechthaberei statt
    verantwortlicher Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Anglo-französische Schadenersatzansprüche für den

    Fall des Ausstiegs aus den Verträgen für die Wiederauf-
    arbeitung werden mit dem Hinweis abgewehrt – so der
    Jurist Trittin –, Regierungshandeln sei höhere Gewalt.
    Höhere Gewalt bedeutet in der Rechtssprache ein unab-
    wendbares Ereignis, meist eine Naturkatastrophe. Es ist
    schon beachtlich, wenn Herr Trittin rotgrüne Politik mit
    einer Naturkatastrophe gleichsetzt. Er muß es ja wissen.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.)


    Die Erfolge, Herr Bundeskanzler, die Ihrer Regierung
    noch gutgeschrieben werden – die Debatte um die Steu-
    erreform in diesen Tagen belegt dies –, bestehen nur
    noch aus der Rücknahme eigener Vorhaben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber aus dem Rotieren auf der Stelle wird noch keine
    Bewegung. Fast das Beste, was man von Mitgliedern Ih-
    rer Regierung noch sagen kann, ist, daß sie bisher nicht
    weiter aufgefallen sind. Wer ist eigentlich für Woh-
    nungsbau zuständig oder für Bildung und Forschung
    oder für Frauen und Familie? Der Kulturbeauftragte, für
    den man die Institution Parlamentarischer Staatssekretär
    so ändern mußte, daß man Parlamentarischer Staatsse-
    kretär auch sein kann, ohne Parlamentarier zu sein, Herr
    Naumann also, hat es immerhin geschafft, die Mahn-
    maldebatte so durcheinanderzubringen, daß nach zehn
    Jahren Diskussion ein neuer Wettbewerb ausgeschrieben
    werden muß, ohne daß der alte schon beendet war. Und
    dann wird eine schnelle Entscheidung des Bundestages
    gefordert.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jetzt hat der Kulturbeauftragte einmal den Engländern
    die Leviten gelesen.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Bundeskanzler, das unsägliche Gerede dieses Man-
    nes wird Ihnen zugerechnet, und es schadet uns Deut-
    schen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch der große Koordinator Hombach wird ziemlich

    entzaubert. Er beschäftigt sich mit der Finanzierung sei-
    nes Eigenheims, angeblich auch in einer Arbeitsgruppe
    mit seinem in London gescheiterten Kollegen Mandel-
    son.


    (Zurufe von der SPD: Buh!)


    – Ich habe in einem Magazin gelesen, er beschäftige
    sich damit stundenlang, begleitet von mehreren Anwäl-
    ten. Auch die Arbeitsgruppe mit Herrn Mandelson ist
    doch gegründet, und Herr Steinmeier liest jetzt die Ak-
    ten. Aber wenn Herr Steinmeier wenigstens die Akten
    liest, läßt das ein wenig hoffen, denn bisher hatten Sie
    offenbar kaum Ihren Koalitionsvertrag gelesen. Trittin
    hat recht, wenn er bei seinen Narreteien darauf verweist,
    den Koalitionsvertrag auf seiner Seite zu haben.


    (Dr. Michael Bürsch [SPD]: So eine Rede ist eine Zumutung! Wirklich!)


    Den Bundeskanzler interessiert es nicht. Aber wer hat
    denn dieses Machwerk wenn schon nicht ausgehandelt,
    dann doch zumindest unterschrieben? Als Herr Fischer
    beispielsweise mit seinem Beitrag zur Nuklearstrategie
    des Atlantischen Bündnisses für Furore sorgte, merkte
    die SPD doch offenbar erst, daß sie genau das im Koali-
    tionsvertrag unterschrieben hatte, was aus Fischers
    Mund zu Recht soviel Entsetzen hervorrief. Pleiten,
    Pech und Pannen, halbstarke Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es liegt nicht nur an der Mannschaft. Schließlich

    kocht bei Rotgrün der Chef. Alles ist zur Chefsache er-
    klärt: „Bündnis für Arbeit“, Energiekonsens, Steuerre-
    form, 630-DM-Jobs, Aufbau Ost, EU-Präsidentschaft.
    Wenn alles Chefsache ist, Herr Bundeskanzler, sind Sie
    auch verantwortlich für das Chaos, den Mist und das
    Durcheinander, das da entstanden ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Daß Sie in kurzer Zeit viele Fehler gemacht haben

    und an die Wand gefahren sind, haben Sie inzwischen
    selbst eingestanden: „Tempo zurücknehmen“, „mehr
    nachdenken“ oder wie die Formulierungen jetzt alle hei-
    ßen. Von einem neuen Anfang ist gar die Rede. Aber
    das ist wirklich eine Drohung. Noch einmal so ein An-
    fang?


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Natürlich macht, wer handelt, immer auch Fehler,

    und wer neu anfängt, hat auch Anspruch auf eine gewis-
    se Toleranz, weil man hofft, es wird sich schon richten,
    was am Anfang so holprig ist und ächzt und knirscht.
    Aber Sie haben schon bleibende Schäden angerichtet.
    Die wirtschaftliche Lage und die Perspektiven für den
    Arbeitsmarkt verschlechtern sich von Monat zu Monat.
    Das ist eben nicht nur die Folge wirtschaftlicher Ent-
    wicklungen in Asien oder Südamerika, sondern das ist,
    wie die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht
    bestätigt, auch Folge einer nachhaltigen Verunsicherung
    bei Investoren im In- und Ausland, die durch Ihre Steu-
    er- und Abgabenpolitik ausgelöst wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ein Drittel aller Investitionen sind zum Jahresende

    zurückgestellt worden, und viele prüfen, ob nicht mehr
    wirtschaftliche Aktivitäten, also Arbeitsplätze, ins Aus-
    land verlagert werden müssen. Das ist der bleibende
    Schaden, den Sie verursacht haben.

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Das Vertrauen unserer Partner und Nachbarn in die
    Berechenbarkeit und Verläßlichkeit deutscher Politik ist
    beeinträchtigt. Das wird Ihnen im Rahmen der deut-
    schen EU-Präsidentschaft die Aufgabe, die Agenda
    2000 zum Erfolg zu bringen, nicht erleichtern. Wer
    Vertrauen in die Verläßlichkeit deutscher Politik be-
    schädigt, der handelt nicht im deutschen Interesse.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die eigentliche Ursache des Desasters aber, das Sie in

    diesen 100 Tagen angerichtet haben, sind keine Anfän-
    gerfehler. Nein, Ursache sind fundamentale Meinungs-
    unterschiede innerhalb der SPD, zwischen dem ideologi-
    schen und pragmatischen Flügel, und innerhalb von
    Rotgrün, zwischen Fundis und Realos – allenthalben
    Fraktionierung, Quoten, Grüppchen. Wenn es vielleicht
    noch als politische Bewegung im Zeitalter von „Info-
    tainment“ amüsant sein mag, für verantwortliche Regie-
    rungspolitik taugt es nicht.

    Überspielt wird all das in Schröderscher Manier mit
    einem beispiellosen Mangel an Substanz.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Allen wohl und niemand weh – das klingt vernünftig
    und ist gewiß ein schönes Faschingsmotto. Aber gestal-
    tende Politik muß entscheiden, und wer führen will, muß
    eine Vorstellung von der Richtung haben, in die er ge-
    hen will. Eine Vorstellung von dem Gelände, in dem
    man sich bewegt, gehört dazu, wenn man nicht dauernd
    stolpern will.

    Herr Schröder, Ihr Wahlkampf rächt sich, in dem Sie
    um der besseren Verkaufschancen willen auf die Klä-
    rung aller substantiellen Fragen bewußt verzichtet ha-
    ben. Wer nur an die Macht kommen will, egal wie, der
    pfuscht hinterher, wie beim Koalitionsvertrag gesche-
    hen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Wessen politisches Kredo sich darin erschöpft, Kanzler
    zu werden, der wirkt so erschöpft, wenn er es ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    In der „Berliner Zeitung“ hat Brigitte Fehrle gestern
    einen Leitartikel unter der Überschrift „Kanzler Leicht-
    fuß“ geschrieben. Man müßte ihn eigentlich ganz vorle-
    sen. Ich lese einige Sätze daraus vor:

    Wenn der Bundeskanzler die Einschaltquoten der
    alles verulkenden und vereinfachenden Medien
    zum Maßstab für die Akzeptanz seiner Person und
    seiner Politik macht, hat er etwas mißverstanden.
    Schröder ist schon gewählt. Es reicht nicht mehr,
    den Anschein von Kompetenz zu erzeugen, sie muß
    jetzt bewiesen werden.
    Es mag altmodisch klingen, aber das Amt des Bun-
    deskanzlers verlangt auch Würde. Das bedeutet
    nicht Unnahbarkeit, aber Ernsthaftigkeit.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ein Kanzler darf Spaß haben, auch Spaß bringen,
    doch er darf sich nicht zur Ulknudel der Nation
    machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)

    Die Ratlosigkeit, bei der Sie in Wahrheit angekom-

    men sind, versuchen Sie mit Überheblichkeit zu über-
    spielen. Wir brauchen die Opposition nicht, meinte Herr
    Struck. Ein wenig mehr, Herr Kollege, wird es schon
    sein müssen, wenn Sie an Herbert Wehner anknüpfen
    wollen.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Ich sage Ihnen: Sie müssen die Opposition ernst neh-
    men, weil sich in der pluralistischen, offenen, demokra-
    tischen Debatte jedes Vorhaben auch der parlamentari-
    schen Mehrheit dem Für und Wider, dem Pro und Kon-
    tra stellen und sich darin behaupten muß. Augen zu und
    durch – das geht schief; das haben Sie gerade in Hessen
    erfahren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben es offenbar noch immer nicht verstanden.

    Es geht nicht darum, im Bundesrat eine Mehrheit für ir-
    gendeine Form der regelmäßigen doppelten Staatsbür-
    gerschaft zu finden. Es geht vielmehr darum, daß die
    übergroße Mehrheit der Bevölkerung und die Hälfte Ih-
    rer Anhänger Ihr unreifes, provozierendes Vorhaben
    ablehnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Darüber kommen Sie nicht hinweg – auch nicht damit,
    daß Sie in der Woche vor der Landtagswahl verfas-
    sungswidrig mit Steuermillionen Werbung gemacht ha-
    ben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Sie haben übrigens auf die Verfassung und unsere
    Gesetze einen Eid geleistet. Der Zweck heiligt die Mittel
    allenfalls im Rahmen der Verfassung. Wenn Sie jetzt
    den armen Herrn Eichel, der am Wahlabend in der Nie-
    derlage eine anständige Figur machte,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: So war es! Er wollte in Würde gehen!)


    zwingen, Ihren Steuerpfusch im Bundesrat mit einer ab-
    gewählten Mehrheit durchzusetzen, dann zeigt dies nur,
    daß Sie die Wählerschaft aus Ratlosigkeit und Überheb-
    lichkeit nicht hören wollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber Hochmut – das habe ich schon vor der Hessen-
    Wahl gesagt – kommt vor dem Fall. Wetten daß, Herr
    Schröder?


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Das Thema „doppelte Staatsangehörigkeit“ – Sie
    können es drehen und wenden, wie Sie wollen – zeigt
    die ganze Substanzlosigkeit Ihrer Politik. Die Integration

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    der auf Dauer in Deutschland lebenden ausländischen
    Mitbürger ist eine der wichtigsten und schwierigsten
    Zukunftsaufgaben. Eine Integration kann man nicht ge-
    gen die Bevölkerung erreichen, sondern nur mit ihr. Das
    ist das Problem.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb brauchen wir ein umfassendes und ausgewoge-
    nes Integrationskonzept, das die Bevölkerung überzeugt
    und keine Ängste hervorruft. Dazu haben Sie im Gegen-
    satz zu uns überhaupt nichts vorgelegt, sondern lediglich
    einen Kotau vor Ihren ideologischen Fundamentalisten
    gemacht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Dies war genauso in der Energiepolitik. Mit einer
    langfristigen Politik für Energiesicherheit, Umwelt-
    schutz und Arbeitsplätze hat Ihre Politik des Löcherstop-
    fens durch Energieverteuerung und des nationalen Al-
    leingangs im Bereich der Kernenergie nicht das gering-
    ste zu tun. Es ist ein Mangel an Substanz und Ernsthaf-
    tigkeit, der Ihre Politik kennzeichnet.

    Herr Lafontaine kämpft mit seinen antiquierten Vor-
    stellungen von Nachfragesteuerung und Regulierung der
    Märkte gegen den Rest der Welt. Der Fundi-Flügel der
    Koalition treibt ideologische Sandkastenspiele, und Herr
    Schröder amüsiert sich. Daraus resultiert das eigentliche
    Fiasko. Sie diskreditieren jede Politik in Richtung Ver-
    änderung und Innovation in Deutschland. Stillstand und
    Besitzstandsverteidigung sind das Ergebnis Ihrer Politik.
    Das ist das eigentliche Fiasko.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Veränderungen in unserer gesellschaftlichen und

    politischen Wirklichkeit – wer wüßte das besser als wir,
    die wir 16 Jahre lang die Regierungsverantwortung ge-
    tragen haben – sind schwer durchzusetzen. Wohlstand
    fördert weder Solidarität noch Veränderungsbereitschaft.
    Der öffentliche Gedächtnisschwund angesichts der
    Kurzatmigkeit medialer Diskussionsprozesse privilegiert
    eher Show statt Substanz.

    Wir können in einer Welt, die sich so rasant verän-
    dert, nicht stehenbleiben. Das gilt angesichts globaler
    Entwicklungen genauso wie im Hinblick auf gesell-
    schaftliche Veränderungen. Entfernungen schrumpfen,
    und Grenzen trennen nicht mehr angesichts der Fort-
    schritte in den Kommunikationstechnologien. Das hat
    zur Folge, daß wir unsere globale Verantwortung so
    ernst nehmen müssen wie den Erhalt unserer Wettbe-
    werbsfähigkeit. Das macht die nationalen Alleingänge in
    der Energiepolitik, und zwar von den Steuern bis zur
    Kernenergie, so hoffnungslos halbstark, unausgegoren
    und spätpubertär.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Deshalb sind Partnerschaftsfähigkeit, Verläßlichkeit,
    Vertrauen, Fortschritte in der europäischen Einigung un-
    erläßlich für unsere Zukunft. Dieser Bundesregierung ist
    es in kürzester Zeit gelungen, das Vertrauen unserer eu-
    ropäischen Partner nachhaltig zu beschädigen. Das An-

    sehen, das sich Deutschland mit allen Kanzlern von
    Adenauer bis Kohl in Europa und in der Welt erworben
    hat, setzen Sie, Herr Bundeskanzler, mit Ihren rambo-
    haften Sprüchen – wie in Saarbrücken – aufs Spiel.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Skandal, daß ausgerechnet dem deutschen Finanz-
    minister der Euro-Start nicht wichtig genug war, um sei-
    nen Urlaub zu unterbrechen und sich nach Brüssel zu
    begeben, ist in Europa noch lange nicht vergessen, Herr
    Lafontaine.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Jetzt haben Sie offenbar den zuständigen EU-
    Kommissar von der Teilnahme am Treffen der Finanz-
    minister der G 7 ausgeschlossen. So wie Sie das betrei-
    ben, wird in Europa nichts besser, sondern alles wird
    noch viel schwerer. Jetzt reden Sie noch den Euro
    schwach.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Was die notwendigen Fortschritte der europäischen
    Einigung anbelangt, so greift der Reformansatz der
    Agenda 2000 eher zu kurz. Wir brauchen mehr Subsi-
    diarität in Europa, eine vernünftige Aufgabenteilung
    zwischen der europäischen, der nationalen und der re-
    gionalen Ebene.


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Auf nach Bayern!)


    Das haben wir seit vielen Jahren gesagt. Wir brauchen
    mehr Freiräume und weniger Bürokratie in Europa. Dar-
    auf, auf mehr Dezentralisierung, Aufgabenverlagerung,
    auf eine Strukturpolitik, die nicht alles über einen Lei-
    sten schlagen will, sollte sich die Bundesregierung kon-
    zentrieren, statt in eine überall längst überwundene
    Politik der Alleingänge und des nationalen Egoismus zu-
    rückzufallen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans Georg Wagner [SPD]: Das muß der gerade sagen!)


    Was wir in Europa brauchen, ist eine gemeinsame Poli-
    tik, die dafür Sorge trägt, daß die Dinge, die nur gemein-
    sam in Europa bewältigt werden können, auch gemein-
    sam angegangen werden. Ich meine also die Wirt-
    schafts- und Währungsunion, die Gemeinsame Außen-
    und Sicherheitspolitik und eine gemeinsame Innen- und
    Rechtspolitik.

    Wie dringend notwendig dieses gemeinsame Vorge-
    hen in Europa ist, das haben uns auch die gewalttätigen
    Ausschreitungen der PKK überall in Europa vor Augen
    geführt. Im übrigen zeigen sich auch hier die Folgen der
    Verantwortungslosigkeit des deutschen Bundeskanzlers.
    Als Öcalan auf Grund eines deutschen Haftbefehls in
    Italien festgehalten wurde, sagte die Bundesregierung
    noch am Donnerstag abend der betreffenden Woche der
    Opposition, man wolle eine internationale Lösung, am
    besten mit türkischer Beteiligung. Am nächsten Morgen
    scherte das Herrn Schröder im Gespräch mit dem italie-

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    nischen Ministerpräsidenten einen Dreck: Nichts wie
    weg damit! – Jetzt haben wir den Salat.


    (Uta Titze-Stecher [SPD]: Was ist denn das für eine Semantik?)


    – Ja, so hat man sich doch verhalten.
    Die Entscheidung des Bundeskanzlers, auf die Aus-

    lieferung eines Mannes zu verzichten, der auf Grund ei-
    nes deutschen Haftbefehls festgehalten wurde, ist doch
    nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren ergangen,
    sondern sie ist nach Gutsherrenart getroffen worden.
    Das ist doch der Skandal.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jetzt wird wieder von internationalen Aktionen, von Zu-
    sammenarbeit und von sonst etwas gesprochen. Aber
    warum sollten sich denn andere um die Kurden-Frage
    und Öcalan kümmern, wenn die Deutschen, die Herrn
    Öcalan schließlich wegen Mordverdachts zur Fahndung
    ausgeschrieben hatten, nichts damit zu tun haben woll-
    ten, weil es ja Ärger geben könnte? So wird die Staaten-
    gemeinschaft noch lange im Kampf gegen Terrorismus
    und Gewalt erfolglos bleiben. Das ist der Fehler des
    Bundeskanzlers.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Neben gemeinsamem Handeln auf Feldern, wo wir

    nur gemeinsam stark sein können, brauchen wir in Eu-
    ropa und in Deutschland eben auch mehr Wettbewerb
    und mehr Subsidiarität. Beide Grundsätze gehören zu-
    sammen. Angesichts der dramatischen Veränderungen
    in der Arbeitswelt, die durch das Zusammenwirken von
    technischem Fortschritt, weltweiter Arbeitsteilung und
    Mobilität – von Know-how bis zu Kapital – begründet
    wird, müssen wir nicht nur Steuer- und Abgabensysteme
    wettbewerbsfähig halten, sondern wir müssen auch un-
    sere wirtschaftlichen, sozialen und vor allem unsere bü-
    rokratischen Strukturen wettbewerbsfähig halten. Wenn
    Innovationstempo und Anpassungsfähigkeit entschei-
    dend sind – das sind heute die in der Weltwirtschaft ent-
    scheidenden Wettbewerbsgesichtspunkte –, dann sind
    dezentrale Lösungen dem Zentralismus immer überle-
    gen. Deshalb brauchen wir keine europäischen Beschäf-
    tigungsprogramme, sondern wir brauchen mehr Frei-
    räume für Wettbewerb, Ideen und Vielfalt in Europa und
    in Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Noch einmal: Die Widerstände sind groß. Auch wir

    haben uns zeitweilig schwergetan. Aber seit Mitte der
    90er Jahre sind wir wieder gut vorangekommen. Des-
    halb hatten wir 1998 steigende Wirtschaftskraft und In-
    vestitionen aus dem In- und Ausland. Wir hatten sinken-
    de Arbeitslosigkeit und in den Ist-Zahlen gegenüber den
    Ansätzen im Bundeshaushalt einen Überschuß von 10
    Milliarden DM. Nicht neue Löcher, Herr Lafontaine,
    wie Sie wahrheitswidrig behaupteten, haben Sie beim
    Kassensturz vorgefunden, sondern einen Überschuß von
    10 Milliarden DM.


    (Lachen bei der SPD)


    – Natürlich: einen Überschuß von 10 Milliarden DM.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Den Überschuß aus 1998 haben Sie flugs in das Haus-
    haltsjahr 1999 transferiert, um Ihren unverantwortlichen
    Ausgabenanstieg so gerade noch im Rahmen der verfas-
    sungsrechtlich zulässigen Neuverschuldung zu halten –
    anstatt daß Sie die bessere Finanzgrundlage für eine
    nachhaltige Nettosteuerentlastung zugunsten von
    Wachstum und Beschäftigung nutzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Erfolg unserer Reformen, die Sie zurückgenommen
    haben, waren steigende Wirtschaftskraft, steigende Inve-
    stitionen, abnehmende Arbeitslosigkeit.

    Sie machen die erreichten Erfolge zunichte:

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Was?)

    Erst haben Sie mit Ihrer Oppositionsstrategie im Bun-
    desrat verzögert und blockiert, wo immer es ging, ohne
    Rücksicht auf die gesamtstaatliche Verantwortung.
    Dann haben Sie in einem Wahlkampf der billigen Ver-
    sprechungen die schöne neue Welt ohne Anstrengungen
    versprochen. Nach Ihrem Wahlsieg haben Sie die Re-
    formansätze zerstört und statt dessen das Geld mit vol-
    len Händen ausgegeben. Jetzt, wo es endlich gilt, die
    Zahlen von Ausgaben und Einnahmen stimmig zu ma-
    chen, stehen Sie mit leeren Händen da – ratlos, hilflos.


    (Lachen bei der SPD)

    Mit dem rotgrünen Reformprojekt ist es wie mit des
    Kaisers neuen Kleidern: Wer genau hinsieht, findet
    nichts.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wer auf den Pragmatiker hoffte, der bleibt genauso

    enttäuscht. „Schröders neue Mitte“, schrieb die „FAZ“
    am 15. Februar, „ist der Ort des Alles und des Nichts.“
    Dabei ist Mitte die Voraussetzung, um Bewahren und
    Erneuern in der rechten Weise zu verknüpfen. Aber
    Mitte ist eben kein Ort der Beliebigkeit, sondern Mitte
    heißt Orientierung, Verankerung, auch Mäßigung und
    Ausgleich. Nur aus der Mitte wächst Toleranz, Libera-
    lität, Beständigkeit und Zukunftskraft.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gesehen!)


    Deshalb braucht Mitte Werte; denn: ohne Kompaß keine
    Richtung! Das ist die Mitte der Union, wo Werte Zu-
    kunft haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Niemals hatte eine Generation größere Chancen auf
    ein Leben in Frieden und Freiheit, in Wohlstand und so-
    zialer Stabilität als die unsere. Aber die Chance der
    Freiheit darf nicht durch Bürokratie und Verteilung,
    durch Überförderung und Unterforderung, Unüber-
    schaubarkeit und Anonymität verdorben werden.

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    Der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg,
    Huber, schreibt in seinem neuen Buch „Die Kirche in
    der Zeitenwende“:

    Das Projekt der Freiheit läßt sich nur fortsetzen,
    wenn die Menschen die Fähigkeit zur Selbstbe-
    grenzung aus Freiheit entwickeln. Ohne Werte geht
    das nicht.

    (Bundesminister Joseph Fischer blättert in einer Zeitung)

    – Können Sie die Zeitung ein bißchen leiser umblättern,
    Herr Fischer, wenn es schon sein muß?


    (Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Er liest doch die „FAZ“!)


    Wem alles gleich ist, der ist zur vorrangigen Förde-
    rung von Ehe und Familie nicht in der Lage. Die Men-
    schen brauchen Leitbilder des Zusammenlebens, auch
    und gerade junge Menschen, auch und gerade in Zeiten
    der Individualisierung und der Pluralität von Lebens-
    stilen. Wer wie Sie nur auf kollektive Systeme setzt, der
    wird soziale Gerechtigkeit nie erreichen,


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    weil er den Schatz an menschlicher Fürsorge, an Wär-
    me, an Solidarität ungenutzt läßt,


    (Lachen bei der SPD)

    den Schatz, der in Mitmenschlichkeit, in der Verant-
    wortlichkeit jedes einzelnen, in der Geborgenheit in der
    Familie, in Spontanität und Kreativität der kleinen Ein-
    heit, in Nähe, Vertrautheit und Einsatzbereitschaft
    steckt: vom Ehrenamt über die kommunale Selbstver-
    waltung bis zur landsmannschaftlichen Identität.

    Ihr Fehler ist, lieber auf Umverteilung und zentrali-
    stische Regelungen zu setzen als auf die Stärkung von
    Eigenverantwortung und Deregulierung.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Das unvermeidliche Ergebnis einer solchen Politik heißt
    dann: mehr Staat, mehr Bürokratie und damit auch mehr
    Steuern und mehr Abgaben. Kein Wunder, daß von rot-
    grünen Politikern ständig neue Steuererhöhungsvor-
    schläge ins Spiel gebracht werden: Erhöhung der Mine-
    ralölsteuer, Wiedereinführung der Vermögensteuer, Ab-
    schaffung des Ehegattensplittings, Beibehaltung des So-
    lidaritätszuschlags, Erhöhung der Mehrwertsteuer – die
    Phantasie kennt da keine Grenzen. Das schwächt die
    Kräfte, auf die es eigentlich ankommt: die Kräfte der
    Eigenverantwortung, der Subsidiarität, der freiwilligen
    Solidarität.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Eine moderne, innovative, freiheitliche Gesellschaft
    kann man nicht mit zentralisierter Bürokratie, mit Kar-
    tellen und Kollektiven organisieren. Ich zweifle, ob Sie
    das jemals begreifen werden.

    Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Wir set-
    zen auf freie Entfaltung dessen, was in den Menschen
    steckt.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


    Gerade die Leistungsbereiten, die Engagierten und die
    Motivierten dürfen nicht immer wieder entmutigt wer-
    den, sondern sollen ihre Entfaltungschance bekommen.
    Auch die Chance, sich am wirtschaftlichen Wettbewerb,
    am Wettbewerb der Ideen und der kreativen Leistungen
    zu beteiligen, gehört zur Teilhabegerechtigkeit, also die
    Chance, sich beruflich auf eigene Füße zu stellen, sich
    eine eigene Existenz aufzubauen, die Chance, als junger
    Ingenieur oder Naturwissenschaftler etwas zu entwik-
    keln oder weiterzugeben, was uns alle voranbringt.

    Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, daß wir
    davon überzeugt sind, daß die Menschen – jeder einzel-
    ne und alle miteinander –, wenn man sie nur läßt, wenn
    man die Rahmenbedingungen richtig gestaltet, zu viel
    mehr Leistung, zu viel mehr Solidarität, zu viel mehr
    Phantasie und Kreativität fähig sind, viel mehr schöpfe-
    rische Kräfte entwickeln als jedes zentralistische, büro-
    kratische System.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Deswegen muß man die Kräfte der Menschen wecken,
    die Menschen fordern und nicht unterfordern.

    Wir wünschen den Gesprächen, die Sie so anspruchs-
    voll „Bündnis für Arbeit“ nennen, allen Erfolg. Aber
    das Vertrauen in die großen kollektiven Einheiten im
    Kartell, die hinreichend innovationsfähig seien, teilen
    wir nicht. Die, die es eigentlich angeht, haben Sie außen
    vor gelassen: Der Mittelstand ist nicht vertreten, die
    Kommunen nicht, die Langzeitarbeitslosen nicht, die
    älteren Arbeitnehmer nicht,


    (Lachen und Widerspruch bei der SPD)

    die Sozialhilfeempfänger nicht, die Frauen nicht und die
    Familien nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


    So wie Sie Ihr „Bündnis für Arbeit“ angelegt haben,
    mit einer Vielzahl von Arbeitsgruppen und Kränzchen,
    läuft das auf eine endlose Diskussion hinaus. „Ereignis-
    management“ nennen Sie das – Show statt Substanz. Die
    Medienwirkung ist wichtig, nicht der Inhalt – Papier ist
    ja geduldig. Was wir aber brauchen, ist ein kohärentes,
    in sich stimmiges Konzept für mehr Beschäftigung. Das
    bedeutet mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und bei
    den Tarifverhandlungen, eine Lohnpolitik, die der Be-
    schäftigung Vorrang gibt, nicht die gesetzliche Be-
    schränkung von Überstunden, sondern die Schaffung
    flexibler Arbeitszeiten, Einführung von Arbeitszeitkon-
    ten, befristete Einstellung von Arbeitskräften, nicht die
    Installation von milliardenschweren Sofortprogrammen,
    um Jugendliche ohne Beschäftigung ruhigzustellen,


    (Lachen und Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    sondern die kritische Überprüfung des Bildungs- und
    Ausbildungssystems.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Bundesminister Oskar Lafontaine: Eine schwere Entgleisung, mein lieber Freund! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So gehen Sie mit dem Schicksal der jungen Menschen um! So sind Sie!)


    Das zeigt: Sie setzen nur darauf, Geld auszugeben. Daß
    man die Menschen in ihrer Verantwortung ansprechen
    muß, ist für Rotgrün und für die Linke ein zutiefst frem-
    der Gedanke. Das ist das Problem.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


    Es reicht auch nicht aus, Ergebnisse zusammenzu-
    stricken, die lediglich darauf ausgerichtet sind, Arbeit
    umzuverteilen, statt mehr Beschäftigung zu schaffen,
    und – wenn alles nicht hilft – am Schluß die Statistik zu
    manipulieren.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Unterstes Niveau!)


    Vorrang erhält der Zugang zu Beschäftigung. Wenn
    wir von Teilhabegerechtigkeit reden, dann muß Be-
    schäftigung im Zentrum stehen. Es genügt eben nicht,
    Menschen lediglich materiell abzusichern, ohne ihnen
    die Chance zu einer Beschäftigung zu eröffnen. Wenn
    nicht für jeden ein Vollzeitarbeitsplatz zur Verfügung
    steht, dann lieber Teilzeitarbeit, Einfacharbeit oder Ge-
    meinschaftsarbeit. Deshalb haben wir Vorschläge für
    Kombilohnmodelle, für eine integrierte Reform von So-
    zialhilfe und Arbeitslosenhilfe sowie für die Schaffung
    eines Niedriglohnsektors auf den Weg gebracht. Wir
    arbeiten weiter daran. Wir wollen das Ziel „Arbeit für
    alle“ nicht aufgeben; das erreichen wir aber nicht mit
    noch mehr zentralistischer Bürokratie und nicht mit
    europäischen Beschäftigungsprogrammen, sondern mit
    Deregulierung, Flexibilität und Dezentralisierung.

    Der Arbeitsminister ist mit seinen Tariffonds ebenso
    gescheitert wie mit der unsinnigen Hektik bei den 630-
    DM-Verträgen. Daß für die IG Metall bei den Tarifver-
    handlungen in Baden-Württemberg die Verhinderung
    ergebnisabhängiger Einmalzahlungen – –


    (Bundesminister Joseph Fischer begibt sich zu den Plätzen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Es ist unglaublich! Stellt der sich einfach vor mich!)


    – Frau Rönsch, lassen Sie sich doch nicht – –

    (Zurufe von der CDU/CSU: So geht's nicht! – Unglaublich! – Mißachtung! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich doch Ihren Stoiber an! Der liest seit Stunden Akten! So ignorant wie er ist keiner!)


    – Verehrter Herr Kollege Schlauch, ich wollte meine
    Freundin Hannelore Rönsch gerade bitten, sich doch
    nicht von Flegeleien ärgern zu lassen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Dann wollte ich Ihre Aufmerksamkeit für die Tatsa-
    che erbitten,


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine haben Sie!)


    daß für die IG Metall bei den jüngsten Tarifverhandlun-
    gen die Verhinderung ergebnisabhängiger Einkom-
    menskomponenten fast das wichtigste Ziel war. Ich fin-
    de, das läßt Böses ahnen. Wir setzen auf Vermögensbil-
    dung, Investivlohn, vielfältige Formen von Beteiligung
    und Teilhabe. Wenn Arbeit im Sinne von Teilhabe in
    der modernen Welt die wichtigste soziale Frage ist – –


    (Hans Georg Wagner [SPD]: Sie haben 16 Jahre lang nichts gemacht!)


    – Ich rede von der Frage – die scheint Sie, Herr Kollege,
    ja nicht mehr zu interessieren, auch von der Bundesre-
    gierung hört man nichts mehr dazu –, wie man die Ar-
    beitslosigkeit bekämpfen kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


    Wenn und weil das die wichtigste Frage ist, brauchen
    wir mehr Differenzierung in der Lohn- und Einkom-
    menspolitik und nicht weniger. Wir brauchen flexible
    Übergänge und Verzahnung von Transfer und Arbeits-
    einkommen. Arbeit und Leistung müssen sich für jeden
    lohnen, weil andernfalls bei noch so guten Soziallei-
    stungen nur Abhängigkeit und Entmündigung die Folge
    sind. Dafür arbeiten wir, und bei Ihnen sind nicht einmal
    Spurenelemente davon erkennbar.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Die Ergebnisse des Schlichtungsverfahrens in der
    Metallindustrie von Nordwürttemberg/Nordbaden zei-
    gen im übrigen, wie wenig Ihr Bündnis für Arbeit, Herr
    Bundeskanzler, bewirkt. Stimmt es übrigens, daß Sie
    diesen Schlichter ins Spiel gebracht haben? Mit diesem
    Schlichterspruch wird das Tarifvertragssystem seiner
    Aufgabe, für mehr Beschäftigung zu sorgen, nicht ge-
    recht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Wenn das „Bündnis für Arbeit“ Sinn machen soll,
    muß man darüber reden, was alle Verantwortlichen tun
    und lassen können, damit wir mehr Beschäftigung errei-
    chen. Dieser Schlichterspruch bringt nicht mehr, son-
    dern weniger Beschäftigung. Das muß in der Debatte
    über Beschäftigung gesagt werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Offensichtlich ist es doch so, daß in Zeiten der Glo-
    balisierung mit den hergebrachten Ritualen der Arbeits-
    kämpfe kaum noch Waffengleichheit gegeben ist. Das
    war doch auch das Problem in der Metallindustrie. Des-
    wegen sollte die Bundesregierung eher das gesetzliche
    Rahmenwerk für eine stärkere Beschäftigungsorientie-
    rung der Lohn- und Tarifpolitik überprüfen und zumin-
    dest im „Bündnis für Arbeit“ zur Vernunft rufen. Auf
    alle Fälle aber sollte die Bundesregierung nicht noch

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    ständig zugunsten einer Seite in Arbeitskämpfen inter-
    venieren


    (Widerspruch bei der SPD)

    – ja, natürlich –: vom unsinnigen Gerede des Finanzmi-
    nisters, der die Gewerkschaften zum Schluck aus der
    Pulle förmlich gedrängt hat, über die Eingriffe in abge-
    schlossene Tarifverträge zur Lohnfortzahlung bis zu der
    Ankündigung, die Neutralität der Bundesanstalt für Ar-
    beit in Arbeitskämpfen wieder einschränken zu wollen.
    Das alles geht in die falsche Richtung, wenn wir mehr
    Beschäftigung wollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nur mit mehr beschäftigungsorientierter Lohnpolitik,

    auch mit mehr branchen-, regional- und betriebsspezifi-
    scher Flexibilität und mit einer Steuer- und Abgabenpo-
    litik, die durch Sparsamkeit auf der Ausgabenseite für
    dauerhafte Entlastung und damit für eine Verstärkung
    von Investitionen, Wachstum und Beschäftigung sorgt,
    und mit mehr Wettbewerb und Innovation werden wir
    die Beschäftigungsprobleme lösen.

    Bildung und Ausbildung sind die wichtigsten Zu-
    kunftsinvestitionen. In Ihrer Politik ist davon nichts er-
    kennbar, allenfalls Phrasen.


    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die zuständige Ministerin konzentriert ihre Bemühun-
    gen darauf, den Bundesländern in der Hochschulpolitik
    zu verbieten, in Organisation und Finanzierung der
    Hochschulen neue Wege zu gehen, als ob die alten
    Trampelpfade nicht schon wirklich ausgetreten wären.

    In der beruflichen Bildung halten Sie zwar den
    Knüppel der Ausbildungsabgabe und Bürokratie derzeit
    etwas verborgen, aber die Drohung mit diesem Unfug
    bleibt bestehen. Das 2-Milliarden-DM-Sofortprogramm
    für Ausbildungsplätze führt nach Auskunft der Arbeits-
    ämter überwiegend dazu, daß Geld in Hülle und Fülle
    vorhanden ist, ausbildungswillige und -fähige junge
    Menschen in vielen wichtigen Zukunftsberufen aber
    eher Mangelware sind.

    Es führt kein Weg daran vorbei: Bildung und Ausbil-
    dung setzen auch die Leistungsbereitschaft der jungen
    Menschen voraus. Um sie stärker freizulegen, müssen
    Schulen und Hochschulen wieder differenzierter und
    weniger anonym ausbilden und erziehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Das heißt Ermunterung und Ermutigung statt Demoti-
    vierung und Frustration. Die junge Generation hat das
    übrigens längst begriffen, wie auch das Wahlergebnis in
    Hessen zeigt. Der Lack ist schneller ab, als die meisten
    dachten.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das ist keine Frage der Mehrheitsverhältnisse im

    Bundesrat, die im übrigen ambivalenter sind, als man-
    cher Kommentator glaubt. Selbst wenn wir die Mehrheit
    im Bundesrat hätten – wir haben sie nicht –, würde die

    Union niemals die Blockadepolitik à la Lafontaine be-
    treiben. Für uns kommt immer das Land vor der Partei.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Da ist der Lafontaine ein Waisenkind!)


    Das kann ein Saarländer am besten bestätigen. Wir ha-
    ben trotz unterschiedlicher parteipolitischer Verhältnisse
    immer für die Saarland-Hilfe gesorgt. Sie könnten ja gar
    nicht so schreien, wenn wir nicht mit Theo Waigel und
    Helmut Kohl dafür gesorgt hätten.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei uns wird eben nicht bestraft, wer anders wählt,

    wie das offenbar zum Prinzip Ihrer Kulturpolitik werden
    soll, wenn ich nur an die Ankündigungen zu den Bay-
    reuther Festspielen denke.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Für uns behält der weitere Aufbau im Osten Vor-

    rang. Das entspricht nationaler Solidarität und gesamt-
    staatlicher Verantwortung. In Ihrer Politik ist davon
    nichts zu finden. Ihr Beitrag zur Überwindung der Fol-
    gen von 40 Jahren Teilung und Sozialismus beschränkt
    sich bisher auf die Zusammenarbeit mit der PDS.

    Chefsache sollte die Angelegenheit der neuen Bun-
    desländer werden. Mir schwante gleich nichts Gutes bei
    einem Regierungschef, dem als niedersächsischem
    Ministerpräsidenten jede Mark für den Aufbau im Osten
    zuviel war. Noch einmal: Die Mehrheit im Bundesrat ist
    nicht Ihr vorrangiges Problem. Im Bundestag haben Sie
    die Mehrheit, also regieren Sie!


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Aber regieren Sie nicht gegen das Volk, das geht schief.
    Das hat Hessen gezeigt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das ist so, ob es Ihnen paßt oder nicht. Trotzige

    Rechthaberei nützt auch nichts. Sie kriegen kein anderes
    Volk, auch nicht mit dem Versuch, die doppelte Staats-
    angehörigkeit zur Regel zu machen und anstatt von
    Deutschen nur noch von Inländern zu reden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Täuschen Sie sich nicht: Auch mit dem Wahlergebnis
    vom 27. September letzten Jahres ist der Wettbewerb
    um die bessere Idee und das bessere Argument nicht zu
    Ende. Wir stehen für Maß und Mitte, für Bewahren und
    Erneuern, für Eigenverantwortung und Solidarität, für
    Werte und Toleranz, für Freiheit, Recht und Sicherheit.
    So leisten wir unseren Beitrag zur Zukunftsgestaltung in
    der Opposition – als alternative Kritik und Kontrolle
    sowie in der Regierungsverantwortung, wo immer die
    Wähler uns dazu berufen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben derzeit den Regierungsauftrag. Sie wollten

    nicht alles anders, aber vieles besser machen. Nun ist
    vieles schlechter geworden. Darüber hinaus sind Sie zer-
    stritten, rat- und hilflos. Der vorgelegte Haushaltsent-

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    wurf ist der Ausdruck dessen. Die Entwicklung und Per-
    spektiven für den Arbeitsmarkt sind Menetekel. Am Ta-
    ge, als die letzten Arbeitsmarktzahlen verkündet worden
    sind, hat sich der bundesweite Protest der Arbeitslosen-
    initiativen gegen Ihre Regierung formiert, Herr Bundes-
    kanzler. Noch hat es im Fernsehen weniger Aufmerk-
    samkeit gefunden als zu unseren Zeiten. Das kennen wir
    schon. Aber ich sage Ihnen vorher: Es wird Monat für
    Monat so weitergehen, weil Sie Monat für Monat die
    Erwartungen enttäuschen. Lassen Sie ab von Ihrer Mi-
    schung aus Eitelkeit und Substanzlosigkeit!


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Backen Sie notfalls kleinere Brötchen, aber lassen Sie
    sie nicht dauernd verbrennen. Vor allem: Kümmern Sie
    sich um das wirklich Wichtige, vor allem um bessere
    Rahmenbedingungen für Wachstum und für mehr Be-
    schäftigung. Das haben Sie versprochen, daran werden
    Sie gemessen, und da haben Sie bis jetzt furchtbar ver-
    sagt.


    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile dem Kol-
legen Peter Struck, SPD-Fraktion, das Wort.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nimm den Schäuble nicht ernst, das kann man nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit, Herr Kollege Larcher!)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Peter Struck


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr
    verehrten Damen und Herren! Wir haben von meinem
    Vorredner eine sehr lange Rede gehört.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine sehr gute!)

    Allerdings habe ich an keiner Stelle dieser Rede eine
    Alternative zu unserer Politik gehört.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


    Wo sind denn Ihre Vorschläge zur Bekämpfung der Ar-
    beitslosigkeit, zur Steuergerechtigkeit oder für Perspek-
    tiven von Jugendlichen?

    Für eine Rede zum politischen Aschermittwoch sind
    Sie genau eine Woche zu spät gewesen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Da war ein anderer viel schneller, verehrter Herr Kolle-
    ge Vorsitzender, und der sitzt Ihnen heute auf der Bun-
    desratsbank schon im Nacken.

    Polemisieren und polarisieren, das ist Ihre Art von
    Politik. Wir wollen das Gegenteil, meine sehr verehrten
    Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Ausgerechnet Sie müssen das sagen!)


    Wir wollen Menschen und Interessen zusammenführen.
    Deshalb haben wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
    das „Bündnis für Arbeit“ geschaffen, und deswegen su-
    chen wir in Konsensgesprächen nach Lösungen für die
    Energiewende. Wir wollen zu einem neuen Ausgleich
    kommen, der Gerechtigkeit schafft, Innovationen fördert
    und alle Menschen am gesellschaftlichen Leben und
    Wohlstand teilhaben läßt. Wir wollen die Menschen
    wieder motivieren, an der Gestaltung der Zukunft unse-
    res Landes teilzunehmen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir wollen das Land wieder ins Gleichgewicht bringen:
    sozial, wirtschaftlich und ökologisch.

    Die erste rotgrüne Koalition ist knapp vier Monate im
    Amt. Wir haben in dieser kurzen Zeit eine Menge ge-
    schafft – mehr als die alte Bundesregierung in vier Jah-
    ren, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich nenne Ihnen noch einmal die Stichworte; denn wer
    Gutes tut, der soll auch darüber reden.


    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig!)

    An diesem Punkt, bei der Darstellung unserer Lei-
    stungen, haben wir allerdings ein Defizit.


    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb nenne ich das Gute noch einmal.

    Erhöhung des Kindergeldes und Senkung des Ein-
    gangssteuersatzes:


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das führt dazu, meine Damen und Herren, daß ein Ar-
    beitnehmer, der 4 000 DM im Monat verdient und zwei
    Kinder hat, in diesem Jahr um zirka 1 100 DM entlastet
    wird. Dabei ist die Ökosteuer schon gegengerechnet.

    Die Wiederherstellung von Lohnfortzahlung im
    Krankheitsfall und Kündigungsschutz:


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Damit ist wieder sichergestellt, daß Arbeiter im Krank-
    heitsfall genau wie Manager und Angestellte 100 Pro-
    zent ihres Lohnes bekommen.

    Wegfall des Krankenhausnotopfers und Reduzierung
    der Zuzahlung bei Medikamenten:


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dadurch sparen Patienten im Vergleich zur alten Rege-
    lung bei jedem Medikament, das ihnen verschrieben wird.

    Aussetzung der Rentenkürzung: Das hat bereits zum
    1. Juli 1999 eine höhere Rentenanpassung zur Folge, als
    es zu Ihren Regierungszeiten geplant war.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    Das „Bündnis für Arbeit“ steht, und die Energiekon-
    sensgespräche sind aufgenommen.

    Das ist schon etwas, meine Damen und Herren. Aber
    wir haben noch viel Arbeit vor uns, bis das aufgeräumt
    ist, was 16 Jahre lang schiefgelaufen ist.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der Arbeit dieser Koalition fehlt nach vier Monaten
    noch die glatte Routine; aber das wird schon werden.
    Was wir dazu beitragen können, das werden wir tun. Die
    Menschen bewerten übrigens Regierungsarbeit nicht als
    Schönheitswettbewerb. Nur das Ergebnis zählt, und dar-
    auf können wir schon jetzt stolz sein.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir können für unseren ersten Haushalt sagen, daß
    unsere Überschrift stimmt: versprochen und Wort ge-
    halten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Oje, oje!)


    Es ist ein Haushalt für mehr Wachstum und Beschäfti-
    gung, der den Rahmen für neue Arbeitsplätze und für
    finanzpolitische Stabilität schafft. Es ist ein Haushalt,
    der deutliche Signale setzt: Solidität und Klarheit in den
    Finanzen, Deckel auf die Neuverschuldung, mehr Geld
    für Innovationen und Investitionen. Das ist der rote
    Faden, der unsere Politik bestimmt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir fangen in diesem Haushalt damit an, ein gutes
    Stück Gleichgewicht zwischen Gegenwart und Zukunft,
    zwischen Wagnis und Vorsorge, zwischen Ökonomie
    und Ökologie wiederherzustellen. Wir erhöhen die Inve-
    stitionen für die Zukunft: für Forschung, Wissenschaft
    und Entwicklung.

    Dies ist ein Haushalt des Umlenkens. Er steht im Zu-
    sammenhang mit der umfangreichsten Steuerreform
    seit 1949.


    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir bringen sie auf den Weg.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ihre wichtigsten Ziele sind die Entlastung der Arbeit-
    nehmer und Familien sowie die Stärkung der mittelstän-
    dischen Wirtschaft und ökologische Innovationen. Wir
    bleiben dabei: Nach der Senkung des Eingangssteuersat-
    zes, der Anhebung des Grundfreibetrages und des Kin-
    dergeldes zum Jahresbeginn werden wir den zweiten
    Teil des Steuerentlastungsgesetzes im März dieses Jah-
    res beschließen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, was
    wir schon immer gesagt haben: Die Familien sind von
    CSU, CDU und F.D.P. sträflich vernachlässigt worden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es bedarf jetzt einer großen finanziellen Kraftanstren-
    gung, um diese Fehlentwicklung zu korrigieren. Wir
    werden das tun, denn es geht um die Familien und die
    Kinder in unserer Gesellschaft.

    Wenn jetzt die Finanzpolitiker der Opposition mit
    Patentrezepten kommen, dann ist das einfach lächerlich.
    Es nimmt Ihnen keiner ab, in vier Monaten das Herz für
    Familien entdeckt zu haben. Sie haben 16 Jahre lang
    Politik an ihnen vorbei gemacht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Nach der Sommerpause werden wir zur Korrektur der
    verfassungswidrigen Familienpolitik der Kohl-Regie-
    rung ein Familienentlastungsgesetz vorlegen.

    Noch etwas: Daß eine Steuerreform nie den Beifall
    von allen Seiten erhält, ist klar. Wir haben aber gezeigt,
    daß wir zwischen gruppenbezogenem Lobbyismus und
    wirklichen Benachteiligungen zu unterscheiden wissen.
    Gerade auch auf Initiative der Koalitionsfraktionen sind
    Bedenken der mittelständischen Wirtschaft aus dem
    Weg geräumt worden. Wir haben bei der Teilwertab-
    schreibung die Vorstellungen großer Teile des Handels
    und des Mittelstandes aufgegriffen. Auch der Verlust-
    rücktrag wird jetzt an den Interessen des Mittelstandes
    orientiert. Wir haben in diesen Bereichen Änderungen
    vorgenommen, denn sie sind wichtig im Hinblick auf die
    Entwicklung unserer Wirtschaft, gerade der mittelstän-
    dischen Wirtschaft. Wir sind lernfähig.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ihre Steuerpolitik hat in den letzten Jahren zu sehr
    das Prinzip der Steuergerechtigkeit verletzt. Wenn
    die, die wenig verdienen, immer mehr von der Steuerlast
    zu tragen haben, und die, die es könnten und müßten, die
    Möglichkeit haben und nutzen, Steuern zu vermeiden,
    dann entstehen auch eine Frage der Glaubwürdigkeit
    und eine große Lücke im Hinblick auf Steuergerechtig-
    keit.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das erste Halbjahr 1999 ist von der deutschen EU-
    Ratspräsidentschaft geprägt. In dieser Zeit wird über
    bedeutende Weichenstellungen zu entscheiden sein: die
    Reform und Neuordnung der Finanzen und der Gemein-
    schaftspolitik im Rahmen der Agenda 2000, die Stär-
    kung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und die
    Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um nur die wichtig-
    sten Punkte zu nennen. Die Bundesregierung und die
    Koalitionsfraktionen verfolgen mit Nachdruck eine
    Konsolidierung des EU-Haushaltes. Es geht um eine
    gerechtere Lastenverteilung, eine Reform der Ausga-
    benpolitik und um Haushaltsdisziplin. Ziel der Bundes-
    regierung ist es aber auch, eine Reduzierung der unver-

    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    hältnismäßig hohen Nettozahlungen Deutschlands zu er-
    reichen. Das unterstützen wir.


    (Beifall bei der SPD)

    Die Konsolidierung der EU-Finanzgrundlagen ist

    dringend geboten. Der Sondergipfel der EU im März in
    Berlin wird ein Erfolg werden. Ein Fehlschlag würde der
    Stabilität und der Stärke des Euro einen erheblichen
    Schaden zufügen und Europa als Investitionsstandort
    und Kapitalmarkt belasten.

    Bei der Ausgabenpolitik geht es vor allem um eine
    Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, um die Land-
    wirtschaft wettbewerbsfähig und WTO-konform zu ma-
    chen. Es geht uns dabei um die Zukunftsfähigkeit unse-
    rer Landwirtschaft. Wir handeln europäisch, aber wir
    werden bei diesen Verhandlungen die Interessen
    Deutschlands nachdrücklich vertreten. Wir werden dabei
    fair gegenüber unseren Partnern bleiben; denn für natio-
    nalpopulistische Töne, wie sie aus der Union kommen,
    ist kein Platz.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das, was Edmund Stoiber vollmundig und Herr
    Schäuble halbherzig in ihrem europapolitischen Positi-
    onspapier präsentieren, würde unser Land isolieren; es
    würde den Zusammenschluß und die Handlungsfähig-
    keit der Europäischen Union sabotieren und liefe darauf
    hinaus, deutschen Interessen ernsthaft zu schaden und
    die dringend gebotene Osterweiterung der EU zu hinter-
    treiben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ihre Forderung, eine Nettoentlastung zwischen 7,5
    und 14 Milliarden DM durchzusetzen, ist angesichts der
    Interessenlagen bei den anderen Mitgliedstaaten und der
    vorgeschriebenen Einstimmigkeit bei der Beschlußfas-
    sung weder verhandelbar noch kompromißfähig. Sie ist
    einfach absurd.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Es geht Ihnen, die Sie eine solche Politik betreiben,

    überhaupt nicht um die Sache. Ihnen geht es darum, im
    Vorfeld der Europawahlen populistische Stimmung ge-
    gen Brüssel zu machen. Aus wahltaktischen Gründen
    soll antieuropäisches Klima erzeugt werden. Wir werden
    das zu verhindern wissen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir werden morgen im Deutschen Bundestag eine
    Entscheidung zu treffen haben, die sich aus den Ergeb-
    nissen von Rambouillet ergibt. Ich höre, daß es in der
    Union Überlegungen gibt, dem Vorschlag der Bundes-
    regierung nicht zuzustimmen.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So nicht! Gucken Sie sich den Mist einmal an!)


    Das wäre bezeichnend und ein schlimmes Zeichen. Sie
    werden die Verantwortung dafür haben.

    Nach den schrecklichen Greueln der Vergangenheit
    im Kosovo sind die Aussichten auf einen Friedensver-
    trag, die am Ende der Verhandlungen in Rambouillet er-
    reicht worden sind, ein hoffnungsvolles Zeichen. Wir
    setzen darauf, daß die politische und militärische Ent-
    schlossenheit des Westens die Unterschriften beider
    Seiten am 15. März möglich machen wird. Um die Im-
    plementierung der Vereinbarungen sicherzustellen, kann
    auf eine von der NATO geführte Friedenstruppe nicht
    verzichtet werden. Die Bundesregierung hat zu Recht
    den unserer Verantwortung angemessenen Truppenteil
    in Aussicht gestellt. Wir werden morgen über diesen
    Antrag zu entscheiden haben.

    Wir wissen alle, daß dieser Einsatz der bisher gefähr-
    dungsträchtigste für unsere Soldaten sein wird. Wir
    schicken sie nicht leichtfertig, sondern um weiteres
    Blutvergießen und weitere Massaker zu verhindern. Der
    Balkan darf nicht zum Sprengsatz für Europa werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bitte das Haus darum, dem Antrag eine breite Zu-
    stimmung zu geben, damit sich die Bundeswehr und die
    Soldaten der vollen politischen Unterstützung sicher
    sein können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wie in der Europapolitik gibt die CSU auch in der
    Einbürgerungsdebatte den Ton an, mit viel Blech und
    ohne jedes Piano. Dort sitzen die Strategen der gesell-
    schaftlichen Polarisierung. Verschämt schauen manche
    Christdemokraten wie Herr Rühe, Frau Süssmuth oder
    Herr Blüm weg. Der CDU-Vorsitzende muß auch hier
    mitspielen; dirigieren darf er schon lange nicht mehr.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die Union habe mit ihrer Unterschriftenaktion dem Volk
    aufs Maul geschaut, haben Sie beim politischen
    Aschermittwoch in Passau behauptet. Was sie wirklich
    getan hat, haben Vertreter der beiden christlichen Kir-
    chen beim sozialpolitischen Aschermittwoch in Essen
    auf den Punkt gebracht: Mit dieser Aktion ist unser Volk
    emotionalisiert worden. Sie haben Ängste geschürt. Sie
    haben einen Ungeist aus der Flasche gelassen und keine
    Ahnung, wie Sie ihn wieder einfangen können.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der PDS)


    Wir wissen allerdings: Viele, die unterschrieben ha-
    ben, haben nicht das gewollt, was Sie daraus gemacht
    haben. Was von Ihrer Aktion zu halten ist, hat der hessi-
    sche CDU-Politiker Michel Friedman, Mitglied des
    Zentralrates der Juden in Deutschland, auf den Punkt
    gebracht. Er sagte: „Es ist doch der Gipfel der Heuche-
    lei, wenn die CDU behauptet, diese Unterschriftenaktion
    im Interesse der Ausländer durchzuführen.“


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Dr. Peter Struck






    (A) (C)



    (B) (D)


    Es wäre kaum auszudenken, was passieren würde,
    wenn zwei Wellen – Ihre Unterschriftenaktion und die
    Gewalt der PKK-Anhänger – kumulieren würden: ein
    Dammbruch an Ausländerfeindlichkeit zum Schaden der
    übergroßen Mehrheit ausländischer Mitbürger, die hier
    in Frieden leben und arbeiten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Die Union hat in der Einbürgerungsdebatte die Gesell-
    schaft emotionalisiert und aus dem Gleichgewicht ge-
    bracht. Sie hat unwidersprochen zugelassen, daß notori-
    sche, rechtsextreme Ausländerfeinde von NPD und
    DVU mit ihr paktieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wir wollen das Thema Integration wieder zu einem
    Thema der Mitte der Gesellschaft machen; deshalb set-
    zen wir auch in diesem Haus auf einen Pakt mit den Be-
    sonnenen. Draußen im Lande, in den gesellschaftlichen
    Gruppen, stehen die Gewerkschaften und Kirchen an
    unserer Seite. Ich schließe mich dem an, was der Präses
    der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland,
    Manfred Kock, dazu gesagt hat: In unserem eigenen In-
    teresse dürfen wir es nicht zulassen, daß ein erheblicher
    Teil unserer Bevölkerung auf Dauer von gleichberech-
    tigter politischer Teilhabe ausgeschlossen wird.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Eine moderne, weltoffene Gesellschaft braucht auch ein
    modernes Staatsbürgerschaftsrecht und keines aus den
    Zeiten von Kaiser Wilhelm.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Verbal sprechen auch Sie – sogar Herr Stoiber – von
    Integration. Aber was haben Sie denn in den letzten 16
    Jahren getan? Die gespaltenen Gesellschaften, die in un-
    seren Städten entstanden sind, sind doch die Folgen Ih-
    rer Versäumnisse. Wer die Hand zum Mittun nicht
    reicht, der darf sich nicht wundern, wenn sich die ande-
    ren in ihre Gettos bis hin zur realen Gefahr eines Fun-
    damentalismus zurückziehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer ausländische Jugendliche wie das fünfte Rad am
    Wagen behandelt, der produziert Gewalt und Aggressio-
    nen, nicht aber Verständnis und Mitverantwortung. Die-
    sen Menschen wollen und müssen wir Teilhabe anbie-
    ten. Das ist unsere Pflicht, der wir nachkommen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Aus der bisherigen Energiepolitik wollen wir nicht
    einfach irgendwo aussteigen; vielmehr wollen wir um-
    steigen – weg vom Risikoträger Atom, hin zu sicheren
    und umweltverträglichen Energieträgern, hin zu intelli-

    genten Spartechniken, die den Energieverbrauch dra-
    stisch senken. Darin besteht das neue Gleichgewicht
    zwischen Ökonomie und Ökologie, das unser Land
    braucht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir wollen endlich den Einstieg in eine sparsame, ef-
    fiziente und ökologisch sinnvolle Energieversorgung.
    Dazu gehört zuerst das Ende einer Energieversorgung,
    die große Mengen hochgiftigen Plutoniums produziert,
    eines Stoffes, der nach 24 000 Jahren gerade einmal die
    Hälfte seiner tödlichen Strahlung verloren hat und erst
    nach weit über 200 000 Jahren als ungefährlich gilt.

    Wir werden im nächsten Jahr 8 000 Tonnen hochra-
    dioaktiven Müll haben. Er bleibt um ein vielfaches län-
    ger hochgefährlich als der Zeitraum, den wir geschicht-
    lich überhaupt erfassen können. Wir kippen diesen Müll
    unseren Nachkommen nicht vor die Tür und verurteilen
    sie nicht, die Giftbombe zu bewachen; vielmehr nehmen
    wir jetzt unsere Verantwortung wahr. Sie haben das im-
    mer verdrängt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ebenso geht es auch nicht, daß die Bundesländer im
    Süden, die Atomstrom produzieren und lauthals für ihn
    werben, die Beseitigung des Mülls dem Norden überlas-
    sen. Das Sankt-Florians-Prinzip der Bayern werden wir
    nicht akzeptieren, sehr verehrter Herr Ministerpräsident.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir wollen die Nutzung der Kernenergie in
    Deutschland Stück für Stück beenden. Jahreszahlen sind
    dabei weniger wichtig als die Tatsache, daß das Signal
    für den konsequenten Ausstieg und den Einstieg in eine
    neue, sichere und verantwortbare Energieversorgung ge-
    setzt wurde.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Unser Signal ist: Das Ob des Ausstiegs ist entscheidend,
    er findet statt; das Wie und Wann werden wir sorgsam
    besprechen und in Ruhe klären. Das ist der richtige Weg
    zur Energiewende.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich sprach davon, daß das Gleichgewicht in unserem
    Land wiederhergestellt werden muß. Das gilt auch für
    die Förderung von Innovation, Forschung und Wissen-
    schaft – mit einem Wort: für die Förderung von Investi-
    tionen in die Zukunft. Auch hier haben Sie die Aufgaben
    sträflich vernachlässigt und am falschen Ende gespart.
    Wir korrigieren das und legen zu. Schon jetzt, in diesem
    Haushalt, stellen wir die Weichen neu. Wir reden nicht
    bloß über Zukunft, sondern wir stocken die Mittel für
    Zukunftsinvestitionen im Haushalt um über 1 Milliarde
    DM auf.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Von den Haushalts-Einzelplänen für Forschung und
    Bildung und für Wirtschaft und Technologie kann auch
    eine Verbindungslinie zum Zukunftsthema Energie ge-
    zogen werden: Wir schaffen mit dem 100 000-Dächer-
    Programm für Solarenergie neue Ansätze für eine siche-
    re und umweltfreundliche Energieversorgung. Das stärkt
    auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unter-
    nehmen in diesem Zukunftsmarkt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Unsere Programme zur Stärkung der Innovationsfä-
    higkeit vor allem der kleinen und mittleren Unterneh-
    men sind zukunftsorientiert, denn nur durch eine konse-
    quente Modernisierung kann sich Deutschland im welt-
    weiten Wettbewerb behaupten. Was der Staat dabei tun
    kann, wird er tun. Dafür werden wir sorgen.

    Wir setzen auf eine Politik des Zusammenführens,
    des Ausgleichs und der Integration. Wir wollen Blocka-
    den auflösen, Menschen aus verschiedenen Interessen-
    gruppen an einen Tisch bringen und gemeinsam nach
    Lösungen suchen. Wir wollen das Land wieder ins
    Gleichgewicht bringen. Dieses Vorhaben hat Bundes-
    kanzler Gerhard Schröder mit dem „Bündnis für Arbeit,
    Ausbildung und Beschäftigung“ angestoßen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!)


    Bei der Bewertung dieses „Bündnisses für Arbeit“ kann
    ich die Bemerkung meines Vorredners gut verstehen,
    mit der er dieses herabsetzen und herunterreden möchte;
    denn es war doch Ihr schwerster Fehler in der vergange-
    nen Legislaturperiode, daß Sie 1996 diesen Versuch ha-
    ben platzen lassen, weil Sie sich einseitig auf die Seite
    der Arbeitgeber gestellt haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer wie der sächsische Ministerpräsident die Suche
    nach Konsens als Nonsens abtut, bekommt die Realitä-
    ten rings um sich herum schlichtweg nicht mehr mit. Ein
    Blick zu den Nachbarn, zu den Niederlanden, nach Ir-
    land oder Schweden, zeigt: Die positive Beschäfti-
    gungsbilanz dort ist maßgeblich das Ergebnis von Drei-
    ecksgesprächen zwischen Regierung, Gewerkschaften
    und Vertretern der Arbeitgeber. Genau dieses wollen
    auch wir in Deutschland tun.


    (Beifall bei der SPD)

    Die Alternative zu Konsens und Reform sind Stagnation
    und Lethargie. Davon hatten wir in den letzten 16 Jahren
    nun wahrlich mehr als genug.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Stagnation muß überwunden werden. Ich begrüße
    es ausdrücklich, daß sich Arbeitgeberpräsident Dieter
    Hundt vor der morgigen zweiten Gesprächsrunde enga-
    giert zu der Bündnisrunde bekannt hat. Das ist eine er-
    freuliche Wendung, die im Herbst jedenfalls so nicht
    vorauszusehen war. Ich begrüße es genauso, daß die

    Gewerkschaften zum Bündnis stehen. Deshalb bin ich
    zuversichtlich, daß das Bündnis ein Erfolg wird und daß
    Vernunft und Verantwortung vor Egoismus gehen. Dann
    mögen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren,
    gefälligst in Ihrer Motzecke bleiben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Schon nach den ersten Wochen hat sich das Zwei-
    Milliarden-Sofortprogramm als eine echte Chance für
    arbeitslose Jugendliche gezeigt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)


    Bereits jetzt haben die Arbeitsämter 64 000 Jugendli-
    chen konkrete Angebote gemacht. Dieses Tempo, mit
    dem hier gearbeitet wird, unterstreicht, wozu die Ar-
    beitsverwaltung in der Lage ist. Voraussetzung ist aller-
    dings, daß die Politik ihr den Raum zu einer aktiven Be-
    schäftigungsförderung läßt, statt ihr nur die passive
    Verwaltung der Arbeitslosigkeit zu übertragen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer dieses Handeln, so wie mein Vorredner, als Ruhig-
    stellen bezeichnet,


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unglaublich!)

    versündigt sich an allen jungen Männern und Frauen, die
    durch dieses Programm eine Chance bekommen. Sie
    sollten sich dafür schämen!


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Mehr Arbeit schaffen, das Krebsübel Arbeitslosigkeit
    bekämpfen – das ist nicht nur der Lackmustest für die
    Regierung, die mit diesem Ziel angetreten ist, sondern
    das ist auch ein Zeichen für die Modernisierung von
    Wirtschaft und Gesellschaft. Jeder in unserer Gesell-
    schaft kann seinen Teil dazu beitragen. Wir werden da-
    für die Rahmenbedingungen schaffen.

    Wir werden Reformen erarbeiten, die fair gegenüber
    allen sind, die die Leistungen erbringen müssen, und die
    fair gegenüber denen sind, die auf Leistungen angewie-
    sen sind. Das „Bündnis für Arbeit“ ist das Symbol einer
    auf Dialog und Konsens ausgerichteten Neuorientierung
    der Politik. Es ist aber nicht das einzige Beispiel.

    Wir werden die Betroffenen in allen Bereichen besser
    an den Entscheidungsfindungen beteiligen. Wir, SPD
    und Bündnis 90/Die Grünen, haben vereinbart, uns auch
    auf Bundesebene für Volksinitiativen, Volksbegehren
    und Volksentscheide stark zu machen. Wir nehmen die
    Menschen ernst; wir wollen mehr Mitbestimmung der
    Bürger am Arbeitsplatz, im Umweltrecht und im Daten-
    schutz. Wir stehen für eine Politik, die die Menschen
    mitnimmt und die nicht über ihre Köpfe hinweg ent-
    scheidet.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und
    Kollegen, wir werden dem Land ein neues Gleichge-

    Dr. Peter Struck






    (A) (C)



    (B) (D)


    wicht geben, das wir mit dem „Bündnis für Arbeit“, mit
    der Erneuerung des Sozialstaates, mit einer Offensive
    für Innovationen und mit einer ökologischen Moderni-
    sierung erreichen werden. Wir werden diesen Weg un-
    beirrt fortsetzen.


    (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)