Rede von
Carl-Ludwig
Thiele
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Nachdem die neue rotgrüne Bundesregierung ihre
Koalitionsvereinbarung der Öffentlichkeit vorgestellt
hat, nachdem erste Gesetze in den Deutschen Bundestag
eingebracht wurden und noch in dieser Woche vom
Deutschen Bundestag verabschiedet werden sollen,
könnte man eigentlich erwarten, daß diesen Gesetzen
auch tatsächlich eine einheitliche Konzeption, die von
beiden Koalitionsparteien getragen wird, zugrunde liegt.
Dies ist aber leider nicht der Fall.
Noch am letzten Wochenende hat die Fraktionsvor-
sitzende der Grünen, Frau Müller, erklärt, das Autofah-
ren müsse in Deutschland teurer werden. Die Mineral-
ölsteuer müsse weiter erhöht werden. Der grüne Um-
weltminister erklärt, das Fliegen solle teurer werden.
Flugbenzin müsse zukünftig besteuert werden.
Am Wochenende hat zunächst Ministerpräsident
Clement erklärt, die allgemeinen Verbrauchsteuern seien
zu niedrig. Der Verbraucher müsse in unserem Land
stärker belastet werden. Die Mehrwertsteuer müsse er-
höht werden.
Da eine Mehrwertsteuererhöhung im Bundestags-
wahlkampf von Gerhard Schröder einhellig ausgeschlos-
sen worden ist, hat er sich nun mit Ministerpräsident
Clement beim Italiener zum Abendessen getroffen. Was
passiert nun nach diesem Gespräch? Warum sagt der
Bundeskanzler nichts? Warum schweigt Ministerpräsi-
dent Clement nach dem Gespräch, obwohl er selbst die
Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung eröffnet hat?
Es spricht nur der Regierungssprecher. Was ist es für
eine Aussage, wenn der Regierungssprecher erklärt:
„Die Meinungsverschiedenheiten über eine Erhöhung
der Mehrwertsteuer sind ausgeräumt.“? Das klingt gut.
Aber wie sind sie denn ausgeräumt? Da fährt der Regie-
rungssprecher fort:
Diese Mehrwertsteuererhöhung ist zur Zeit aus
konjunkturellen Gründen kein Thema.
Ich wiederhole:
Diese Mehrwertsteuererhöhung ist zur Zeit . . . kein
Thema.
Hierzu schreibt die „FAZ“:
Auf ihrer verzweifelten Suche nach Finanziers für
die neuen rot-grünen Wohltaten bei Kindergeld und
Rente sind die sozialdemokratischen Politiker ori-
ginellerweise bei den Familien angekommen. Sie
sollen für die Geschenke jetzt selber zahlen, zwar
nicht gleich zu Weihnachten, aber schon bald da-
nach – und natürlich nicht direkt, sondern auf dem
Umweg über eine höhere Mehrwertsteuer.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, was
Sie hier betreiben, ist die Vorbereitung eines giganti-
schen Steuererhöhungsprogramms in unserem Land.
Darauf lassen alle von Politikern aus Ihren Reihen zu
verantwortenden Äußerungen schließen.
Die neue rotgrüne Regierung betreibt fast eine Tele-
fonhäuschenpolitik. Im Telefonhäuschen muß man erst
zahlen und dann wählen. Diese Regierung mußte man
zuerst wählen, und jetzt, nach dem Wahltag, darf gezahlt
werden.
Die Bürger in unserem Lande erwarten, daß bei den
Ausgaben des Staates gespart wird. Die Belastungsgren-
ze der Bürger, der Arbeitsplätze und der Wirtschaft ist
nicht nur erreicht, sondern sie ist überschritten. Das
Wort „sparen“ kommt Ihnen überhaupt nicht über die
Lippen, das Wort „Steuererhöhungen“ sehr wohl und
permanent.
Wenn der Pressesprecher nach dem Gespräch des
Bundeskanzlers mit Ministerpräsident Clement erklärt,
daß auf eine allgemeine Absenkung der Steuersätze, wie
es in dem Gesetz vorgesehen ist, verzichtet werden soll,
dann müssen bei der Wirtschaft auf Grund dieser Erklä-
rung des Regierungssprechers die Alarmglocken klin-
geln. Das einzige, was Sie versprochen haben, ist eine
marginale Senkung der Steuersätze. Wenn die dann
nicht einmal stattfinden soll, weil das als Gegenfinanzie-
rungsmaßnahme für irgend etwas anderes benötigt wird,
dann wird hier der nächste Betrug an der Wirtschaft und
an den Wählern in unserem Lande vorbereitet.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
648 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
Eine Bundesregierung muß Kompetenz in Wirt-
schafts- und Finanzfragen haben.
Das ist in den Augen der Bundesbürger das wichtigste
Kapital einer Bundesregierung. Deshalb ist der Umgang
mit dem Steuerzahler so wichtig: Gewinnt der Steuer-
zahler nämlich den Eindruck, daß ständig eine neue Ab-
gabenlawine auf ihn zurollt, dann verspielen die poli-
tisch Verantwortlichen schnell jeglichen Kredit. SPD
und Grüne sind auf dem besten Wege den Vertrauens-
vorschuß, den ihnen die Wähler gegeben haben, in Win-
deseile zu verspielen. Dies geschieht leichtfertig, weil
kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue unausge-
reifte Idee die Runde macht.
Ob Steuer auf Flugbenzin, Ökosteuer, höhere Mineral-
ölsteuer oder eine Anhebung der Mehrwertsteuer: Die
rotgrüne Koalition läßt keine Gelegenheit aus, alle Bür-
ger und die gesamte Wirtschaft in unserem Lande zu
verunsichern. Rotgrünes Chaos herrscht in der Finanz-
politik.
Ich sage Ihnen: So wird in unserem Lande kein Ver-
trauen geschaffen; so wird Vertrauen verspielt. Wer aber
das Vertrauen in die Zukunft unseres Landes verspielt,
der verspielt die Chance auf Wachstum und auf Schaf-
fung neuer Arbeitsplätze.