Plenarprotokoll 14/8
Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
8. Sitzung
Bonn, Donnerstag, den 19. November 1998
I n h a l t :
Erweiterung der Tagesordnung........................ 421 A
Zusatztagesordnungspunkt 3:
Beschlußempfehlung und Bericht des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an möglichen
NATO-Operationen zum Schutz und
Herausziehen von OSZE-Beobachtern
aus dem Kosovo in Notfallsituationen
(Drucksachen 14/47, 14/51) ....................... 421 B
Joseph Fischer, Bundesminister AA ................ 421 C
Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 422 D
Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg ...... 424 B
Günther Friedrich Nolting F.D.P. .................... 425 B
Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ-
NEN................................................................. 426 A
Wolfgang Gehrcke-Reymann PDS .................. 426 D
Gernot Erler SPD ....................................... 427 C
Dr. Christoph Zöpel SPD................................. 428 A
Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU.... 429 B
Namentliche Abstimmung ............................... 430 D
Ergebnis ........................................................... 433 A
Tagesordnungspunkt 3:
Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Schuldenerlaß und Aufbaumaßnahmen
in Mittelamerika nach der Wirbel-
sturmkatastrophe (Drucksache 14/54)..... 431 A
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 8:
Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen
Hedrich, Dr. Christian Ruck, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Nach der Wirbelsturmkatastrophe in
Mittelamerika: Hilfsmaßnahmen koor-
dinieren, Schuldendienst aussetzen,
Schulden erlassen und Wiederaufbau
unterstützen (Drucksache 14/56).............. 433 A
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 9:
Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Carsten Hübner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen
und Entschuldung für Mittelamerika
(Drucksache 14/57) .................................... 433 A
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe-
rin BMZ........................................................... 431 B
Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU.................... 435 B
Dr. Winfried Wolf PDS ............................. 436 C
Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN ........................................... 437 C
Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN................................................. 438 A
Joachim Günther (Plauen) F.D.P. .................... 439 D
Carsten Hübner PDS........................................ 441 A
Adelheid Tröscher SPD................................... 442 A
Erika Reinhardt CDU/CSU.............................. 444 A
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Aktuelle Stunde betr. Haltung der
Bundesregierung zu einem Umfrageer-
gebnis, nachdem nur 13 % der Unter-
II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. November 1998
nehmen die bisherigen 620/520-Mark-
Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse
überführen, demgegenüber aber 20 %
der Firmen diese bisherigen geringfü-
gigen Beschäftigungsverhältnisse strei-
chen und 23 % lieber freie Mitarbeiter
einstellen wollen, wenn die bisherigen
rot-grünen Pläne zu einer Neuregelung
verwirklicht werden ................................. 445 D
Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 446 A
Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 446 D
Julius Louven CDU/CSU................................. 448 B
Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN................................................................. 449 B
Dr. Klaus Grehn PDS....................................... 450 B
Dr. Peter Struck SPD ....................................... 451 A
Thomas Strobl CDU/CSU................................ 451 C
Dirk Niebel F.D.P. ........................................... 452 C
Johannes Singhammer CDU/CSU ................... 453 D
Hartmut Schauerte CDU/CSU ......................... 454 C
Tagesordnungspunkt 9:
Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Einführungs-
gesetzes zur Insolvenzordnung und an-
derer Gesetze (Drucksache 14/49)............ 455 D
Zusatztagesordnungspunkt 5:
Erste Beratung des von den Fraktionen
SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die politischen
Parteien (Parteiengesetz) (Drucksache
14/41).................................................. 455 D
Tagesordnungspunkt 4:
Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Widerstand gegen die Aufhebung des
Exportverbots für britisches Rindfleisch
durch die EU-Kommission (Druck-
sache 14/31) .................................................. 456 A
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 6:
Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Widerstand gegen die Aufhebung des
Exportverbots für britisches Rindfleisch
durch die EU-Kommission (Druck-
sache 14/42) .................................................. 456 A
Andrea Fischer, Bundesministerin BMG......... 456 A
Dr. Wolfgang Wodarg SPD ............................. 458 A
Gerhard Scheu CDU/CSU ............................... 459 B
Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 460 D
Ulrich Heinrich F.D.P...................................... 461 C
Kersten Naumann PDS.................................... 462 C
Jella Teuchner SPD ......................................... 463 C
Wilhelm Dietzel CDU/CSU ............................ 465 A
Tagesordnungspunkt 5:
Erste Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Rechts-
verhältnisse der Parlamentarischen
Staatssekretäre (Drucksache 14/30) 466 C
Ludwig Stiegler SPD................................. 466 C, 473 B
Jürgen Koppelin F.D.P............................... 466 D
Hartmut Koschyk CDU/CSU .......................... 468 B
Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ... 469 D
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. .................. 470 D
Jörg Tauss SPD.......................................... 471 B
Roland Claus PDS ........................................... 472 B
Erwin Marschewski CDU/CSU ................. 473 D
Tagesordnungspunkt 6:
Antrag der Fraktion der PDS
Kein Bau einer Magnetschwebebahn
Hamburg–Berlin – Transrapid-Förde-
rung einstellen (Drucksache 14/38) .......... 474 A
Dr. Winfried Wolf PDS ................................... 474 B
Angelika Mertens SPD .................................... 475 C
Georg Brunnhuber CDU/CSU......................... 476 C
Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN............................... 477 D
Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN................................................. 478 B
Dr. Winfried Wolf PDS ....................... 479 A, 481 A
Dirk Niebel F.D.P. ..................................... 479 B
Georg Brunnhuber CDU/CSU ................... 479 D
Hans-Michael Goldmann F.D.P. ..................... 480 C
Lothar Ibrügger, Parl. Staatssekretär BMVB... 482 A
Nächste Sitzung ............................................... 483 C
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten .......... 485 A
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Volker Kröning (SPD) zur Abstimmung über
die Beschlußempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung: Deutsche Beteiligung an möglichen
NATO-Operationen zum Schutz und Heraus-
ziehen von OSZE-Beobachtern aus dem
Kosovo in Notfallsituationen........................... 485 C
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. November 1998 421
(A) (C)
(B) (D)
8. Sitzung
Bonn, Donnerstag, den 19. November 1998
Beginn: 13.00 Uhr
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. November 1998 485
(A) (C)
(B) (D)
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.11.98
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.11.98
Behrend, Wolfgang SPD 19.11.98 *
Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.11.98
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 19.11.98 **
Deß, Albert CDU/CSU 19.11.98
Diller, Karl SPD 19.11.98
Dr. Eckardt, Peter SPD 19.11.98
Frick, Gisela F.D.P 19.11.98
Glos, Michael CDU/CSU 19.11.98
Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 19.11.98
Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev
CDU/CSU 19.11.98
Hartnagel, Anke SPD 19.11.98
Hörster, Joachim CDU/CSU 19.11.98
Irmer, Ulrich F.D.P. 19.11.98 **
Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 19.11.98
Kolbow, Walter SPD 19.11.98
Lafontaine, Oskar SPD 19.11.98
Lehn, Waltraud SPD 19.11.98
Michels, Meinolf CDU/CSU 19.11.98
Mosdorf, Siegmar SPD 19.11.98
Ostrowaski, Christine PDS 19.11.98
Otto (Frankfurt), Hans-
Joachim
F.D.P. 19.11.98
Dr. Pfaff, Martin SPD 19.11.98
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 19.11.98
Rauen, Peter Harald CDU/CSU 19.11.98
Reiche, Katherina CDU/CSU 19.11.98
Ronsöhr, Heinrich-
Wilhelm
CDU/CSU 19.11.98
Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.11.98
Wiesehügel, Klaus SPD 19.11.98
Wimmer (Karlsruhe),
Brigitte
SPD 19.11.98
——————
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Volker Kröning (SPD) zur
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der
Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an
möglichen NATO-Operationen zum Schutz und
Herausziehen von OSZE-Beobachtern aus dem
Kosovo in Notfallsituationen
Ich stimme dem Antrag – wie am 16. Oktober
(Plenarprotokoll 13/248, S. 23169) – zu. Doch während
ich damals ein völkerrechtliches Minus durch die Ein-
schaltung der OSZE kompensiert sah, bemängele ich
dieses Mal ein verfassungsrechtliches Minus, das auch
nicht durch das Tätigwerden der OSZE – und auch nicht
durch die Resolution 1203 (1998) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen – zu kompensieren ist:
Die Bundesregierung ersucht zu Recht um Zustimmung
des Deutschen Bundestages zu der Beteiligung der Bun-
deswehr an einer in Mazedonien zu stationierenden Extrac-
tion Force zu Schutz der OSZE–Verifikationsmission im
Kosovo, doch zu Unrecht nicht um Zustimmung zu der
deutschen Beteiligung an dieser Mission.
Dabei setzt die Schutzmission die Verifikationsmissi-
on voraus, der Einsatz der Notfallkräfte die Entsendung
der Beobachter. Zwar handelt es sich bei der Schutzmis-
sion um bewaffnete Kräfte, während die Verifizie-
rungsmission ,,nur“ 80 Soldaten der Bundeswehr um-
faßt, die – ohne militärische Uniform – als ,,Einzel-
personen mit militärischem Sachverstand“ teilnehmen
(Bundesverteidigungsminister Scharping). Aber es ist
unschlüssig, für die deutsche Beteiligung an der NATO-
Luftüberwachungsoperation über dem Kosovo die Zu-
stimmung des Bundestages einzuholen, wie es am
13. November 1998 geschehen ist (Plenarprotokoll 14/6,
S. 357 ff., in Verbindung mit dem Antrag der Bundes-
regierung in Drs. 14/16), doch für die Tätigkeit der
OSZE-Überwacher am Boden nicht, zumal sie – wie
der Minister betont hat – ein höheres Risiko eingehen
(a. a. O., S. 362).
Der Unterschied zwischen einem NATO- und einem
OSZE-Mandat begründet keinen Unterschied in der ver-
fassungsrechtlichen Beurteilung. Dafür spricht zum ei-
nen, daß vor dem ,,Agreement on the OSZE Kosovo
Verification Mission“ vom 16. Oktober 1998 (OSZE-
Drs. 1433/3) das ,,Nato-Kosovo Verification Mission
Agreement“ vom 15. Oktober 1998 (NATO-Drs. SG
(98) 1020) abgeschlossen worden ist und diese Verein-
barung die Luft- und die Bodenverifikation als Einheit
betrachtet (Introduction: ... to provide air surveillace to
verify compliance by all parties with the provisions of
UNSCR 1199, complementing the ground verification to
be established ...“). Und dafür sprechen zum anderen In-
formationen, die über den Operationsplan der OSZE-
Kosovo-Verifikationsmission (KVM) verfügbar sind.
Die verfassungsrechtliche Befugnis des Bundes, sich
mit Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rah-
486 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 8. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. November 1998
(A) (C)
(B) (D)
men von Systemen kollektiver Verteidigung und kollekti-
ver Sicherheit vorgesehen sind und nach ihren Regeln
stattfinden, ist unstreitig (BVerfGE 90, 286 (381)).
Doch es gibt im Blick auf den Parlamentsvorbehalt
keine Handhabe in der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts, zwischen dem Einsatz bewaffneter
Streitkräfte und der Entsendung von Soldaten ohne Waf-
fen oder ohne Uniform zu unterscheiden. Im Gegenteil:
Das Gericht geht im Blick auf die Entwicklung des deut-
schen Wehrverfassungsrechts von einer ,,verstärkten par-
lamentarischen Kontrolle der Streitkräfte und des Regie-
rungshandelns im militärischen Bereich“ aus (a. a. O.,
384/5; ebenso; 387) und stellt fest: ,,Das Handeln der
Bundesregierung auf diesem Sachgebiet wird durchge-
hend parlamentarisch begleitet.“ (385).
Und noch deutlicher erklärt das Bundesverfassungs-
gericht mit konstitutiver Wirkung für die Staatspraxis:
Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen
Einsatzformen von Friedenstruppen verbietet sich,
weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blau-
helm-Einsätzen und solchen mit der Befugnis zu be-
waffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität flie-
ßend geworden sind ... (387/8).
Gerade die Betonung des ,,diplomatischen Charak-
ters“ der Verifizierungsmission hat die militärische
Schutzmission notwendig gemacht und unterstreicht die
Einheit des Konzepts. Doch je stärker das ,,militärische
Element“ zurückgenommen wird, desto höher ist die
Verantwortung sowohl der Verifikateure vor Ort als
auch für die entsendeten Organe des Bundes. Der Par-
lamentsvorbehalt darf in einem solchen Fall – gerade
vor dem Hintergrund einer sich noch enwickelnden
Staatspraxis – nicht restriktiv gehandhabt werden. Die
Gesamtmission bedarf daher der Zustimmung des Par-
laments.
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