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ID1400401500

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 I n h a l t : Nachträgliche Glückwünsche zu den Geburts- tagen der Abgeordneten Ulrike Mascher, Wolfgang Behrendt und Werner Lensing .... 131 A Erweiterung der Tagesordnung........................ 131 B Absetzung der Punkte 5 und 8 von der Tages- ordnung............................................................ 131 B Tagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS Bestimmung des Verfahrens für die Be- rechnung der Stellenanteile der Frak- tionen (Drucksache 14/21)......................... 131 C Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS Einsetzung von Ausschüssen (Drucksa- che 14/22)................................................... 131 C Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der Aussprache zur Regie- rungserklärung des Bundeskanzlers ...... 131 D Dr. Hermann Kues CDU/CSU......................... 131 D Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 135 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU............ 138 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 139 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 141 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU .................144 A, 153 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 146 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD.......................149 B, 153 C Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 154 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 155 A Johannes Singhammer CDU/CSU................... 156 D Peter Dreßen SPD ...................................... 157 D Adolf Ostertag SPD......................................... 159 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU................. 161 B Tagesordnungspunkt 6 (in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 1): Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetz- lichen Krankenversicherung (Drucksache 14/24) ......................................................... 162 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU ................................................................. 162 A Andrea Fischer, Bundesministerin BMG......... 163 D Dr. Dieter Thomae F.D.P................................. 167 B Rudolf Dreßler SPD......................................... 168 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU............................................................ 171 A Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 172 D Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 174 A II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 Gudrun Schaich-Walch SPD............................ 175 D Wolfgang Zöller CDU/CSU....................... 176 B Ulf Fink CDU/CSU ......................................... 178 A Ausschußüberweisung Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 179 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 182 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ CSU............................................................ 182 D Hubert Hüppe CDU/CSU........................... 184 A Ina Lenke F.D.P............................................... 186 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 187 B Petra Bläss PDS............................................... 189 B Maria Eichhorn CDU/CSU.............................. 190 C Hildegard Wester SPD..................................... 192 A Nächste Sitzung ............................................... 194 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 195 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 131 (A) (C) (B) (D) 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 Beginn: 9.00 Uhr
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    Hildegard Wester Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 195 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 11.11.98 Bulling-Schröter, Eva PDS 11.11.98 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 11.11.98 Hartnagel, Anke SPD 11.11.98 Homburger, Birgit F.D.P. 11.11.98 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 11.11.98 Kanther, Manfred CDU/CSU 11.11.98 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 11.11.98 Nolting, Günther Friedrich F.D.P. 11.11.98 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 11.11.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 11.11.98 Reichard (Dresden), Christa CDU/CSU 11.11.98 Schütze (Berlin), Diethard W. CDU/CSU 11.11.98 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.98 Vaatz, Arnold CDU/CSU 11.11.98 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.98 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 11.11.98
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Karl-Josef Laumann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
    Herr Arbeitsminister Riester, Sie haben eben gesagt, Sie
    fänden es nicht so gut, daß Herr Kues in seiner Rede die
    Oppositionsrolle eingenommen und kritisiert habe.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat er gar nicht gesagt!)


    Sie können von uns natürlich nicht erwarten, daß wir so-
    zusagen in ewiger Anbetung verharren. Wir müssen uns
    selbstverständlich mit dem auseinandersetzen, was der
    Bundeskanzler und Sie für den Bereich der Sozialpolitik
    in den nächsten Jahren vorschlagen.

    Wir haben allen Grund, uns mit Ihrer Politik ausein-
    anderzusetzen, denn wenige Wochen nach der Bundes-
    tagswahl haben wir – damit hatte ich im Falle eines
    SPD-Wahlsieges nun wirklich nicht gerechnet – eine
    große Sozialstaatsdebatte, weil ein sehr wichtiger Mann
    in Ihrer Partei, immerhin Ihr Bundesvorsitzender und
    Finanzminister, das Sozialversicherungsprinzip in die-
    sem Lande in Frage stellt. Das ist ein einzigartiger Vor-
    gang.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich hätte es einmal erleben wollen, was bei Ihnen los
    gewesen wäre und – vor allen Dingen – was Sie, Herr
    Riester, in den letzten Tagen in Frankfurt in der IG-
    Metall-Zentrale veranlaßt hätten, wenn ein ähnlich
    wichtiger Mann in der CDU, zum Beispiel unser Vorsit-
    zender, Herr Schäuble, einen solchen Vorschlag ge-
    macht hätte.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im übrigen bin ich in diesem Jahr 25 Jahre Mitglied der
    gleichen Gewerkschaft wie Sie. Ich kenne mich also in
    dieser Gewerkschaft aus.

    In dieser Sozialstaatsdebatte geht es um die Grund-
    sätze unseres Sozialstaates. Ich bin ein Politiker, der die
    Sozialversicherung für richtig hält. Ich will, daß Arbeiter
    durch Beiträge klare Rechtsansprüche haben, wenn sie
    arbeitslos werden. Ich will, daß die Menschen, die pfle-
    gebedürftig sind, durch Beiträge klare Rechtsansprüche
    haben, wenn der Pflegefall eintritt. Ich will nicht, daß
    der Fleißige sein Häuschen verkaufen muß, bevor er
    eine staatliche Leistung erhält, und daß der, der sein
    Geld in der Toskana ausgegeben hat, vom Staat von
    vornherein unterhalten wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


    Darüber werden wir natürlich schon wenige Wochen
    nach der Bundestagswahl miteinander streiten müssen.
    Sie werden nicht nur die Sozialflügel in meiner Partei,
    sondern auch die gesamte CDU/CSU-Fraktion als einen
    großen Kämpfer für dieses Versicherungsprinzip in
    Deutschland erleben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Lieber Herr Riester, wenn Sie die Sozialversicherung
    gegen die Vorstellungen von Lafontaine und gegen die
    Blütenträume der Grünen verteidigen, werden Sie uns an
    Ihrer Seite haben, denn wir stehen nahe bei den Arbeit-
    nehmern. Die Grünen und auch die Toskana-Fraktion
    Ihrer Partei dagegen sind mit ihrem Steuerprinzip weit
    von den Arbeitnehmern entfernt. Wir werden also sehr
    gespannt sein, was wir auf diesem Gebiet in den näch-
    sten Jahren erleben.

    Ein weiterer Punkt, der mir in der jetzigen Diskussion
    große Sorge bereitet, ist: Wenn wir das Sozialversiche-
    rungsprinzip wollen, dann müssen wir bei der Beitrags-
    bezogenheit bleiben und dürfen nicht immer mehr Steu-
    ergelder in die Systeme der Sozialversicherung hinein-
    pumpen, weil dadurch die Sozialversicherung immer
    mehr der Beliebigkeit der Haushaltspolitik unterworfen
    wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


    Ich warne sehr davor, einen solchen Weg über ein be-
    stimmtes Maß hinaus zu gehen.

    Während unserer Regierungszeit, lieber Herr Kollege
    Riester, haben wir den Bundeszuschuß zur Rentenver-
    sicherung auf einen Höchststand gebracht. Fast jede
    vierte D-Mark des Bundeshaushaltes geht heute in die
    Rentenversicherung – ein Höchststand. Ich bin ganz si-
    cher, daß wir damit die versicherungsfremden Leistun-
    gen in einem ganz starken Maß berücksichtigt haben.
    Die Rentenfinanzierung an eine Ökosteuer zu hängen,
    die doch den Sinn haben soll, daß mit der Energie spar-
    samer umgegangen wird – eigentlich müßten die Ein-
    nahmen aus dieser Ökosteuer auch immer geringer wer-
    den, wenn sie einen Sinn haben soll –, ist nicht die ver-
    läßliche Finanzierung, die wir in der Rentenversicherung
    brauchen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich glaube vielmehr, daß wir weiterhin auf Beitrags-

    bezogenheit setzen müssen. Das bedeutet auch unange-
    nehme Entscheidungen. Denn allgemeine staatliche
    Aufgaben, die über die Beiträge zur Rentenversicherung
    finanziert werden, gehören immer wieder auf den Prüf-
    stand. Es muß geprüft werden, ob sie nicht über einen
    anderen Weg finanziert werden können. Ansonsten wür-
    de ich mir große Sorgen machen.

    Sie sagen, Sie wollen die Rentenversicherung armuts-
    fest machen. Lieber Herr Riester, wir sollten uns doch
    bitte über den einen Punkt einig sein: daß unser Renten-
    versicherungssystem für fast alle Menschen in Deutsch-
    land das Problem der Altersarmut erfolgreich bekämpft
    hat. Ich kenne kein Alterssicherungssystem in der Welt,
    das so erfolgreich war wie unseres.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Darauf sollten wir stolz sein. Das sind Gemeinsamkei-
    ten, die wir eigentlich immer gehabt haben.

    Sicherlich muß uns noch etwas einfallen, wie wir ver-
    schämte Altersarmut wirksamer bekämpfen können. Es
    ist immer ein Problem, wenn jemand, der eine ganz






    (A) (C)



    (B) (D)


    kleine Rente hat, aus Scham nicht zum Sozialamt gehen
    mag. Das können wir statistisch ganz schwer erfassen.
    Da bin ich, weil wir die Menschen lieb haben, für jeden
    Vorschlag sehr dankbar, damit wir auch in diesem Be-
    reich etwas Vernünftiges finden.

    Sie sagen dann, die Rente müsse verläßlich sein. Wis-
    sen Sie, durch das Aussetzen der demographischen
    Formel erreichen Sie, daß die Rente im Juni um 0,3 bis
    0,4 Prozent stärker steigen wird, als wenn wir die Wahl
    gewonnen hätten. Das bedeutet 6 DM mehr Rente im
    Monat bei einer Rente von 2 100 DM; das ist die durch-
    schnittliche Rente bei der LVA in Münster nach 45 Ver-
    sicherungsjahren.


    (Zuruf von der SPD: Wer hat die?)

    Die Rentner werden dann vielleicht noch einmal 5 oder
    6 DM mehr bekommen, wenn Sie die Senkung der Sozi-
    alabgaben um 0,8 Prozent durchsetzen, weil dann ja 0,4
    Prozent auch auf die Rentenerhöhung gehen. Das sind
    dann zusammen vielleicht 12 oder 13 DM.


    (Zuruf von der SPD: Es wird immer mehr!)

    Gleichzeitig belasten Sie aber jeden Rentnerhaushalt

    mit einer Summe zwischen 40 und 50 DM mehr im Mo-
    nat für Heizöl, für Gas, für Benzin und für Strom durch
    die Ökosteuer.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das werden die Leute durch einen niedrigeren Steuer-
    satz und die Kindergelderhöhung nicht kompensieren
    können, weil ja in der Regel im Rentenalter, wenn es
    sich nicht gerade um Grüne handelt, keine Kinder mehr
    auf der Steuerkarte stehen.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bei den Arbeiterfamilien ist das in der Regel nicht so.
    Sie werden also große Probleme bekommen, auch in
    diesem Bereich zu sagen, wir hätten die Renten zu weit
    abgesenkt, wenn Sie den Rentnerhaushalt mit der Öko-
    steuer stärker belasten, als Sie ihn mit den 6 DM weni-
    ger Rentenbeitrag durch die Rücknahme der demogra-
    phischen Formel entlasten können.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Riester, auch eine andere Sache macht mir ganz

    große Sorge – und deswegen können wir nicht in Anbe-
    tung verharren, sondern müssen das hier aussprechen –:
    daß Sie die Grundlage der Rentenversicherung zerstören
    werden, wenn Sie nicht die Interessen der jüngeren Ge-
    neration, meiner Generation, die jetzt aktiv im Arbeits-
    leben steht, mit den Interessen der Älteren in Einklang
    bringen.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

    Es ist doch in jeder Familie so – ich bin noch in einer

    Großfamilie aufgewachsen –, daß die Älteren Rücksicht
    nehmen müssen auf die Jüngeren und daß wir Jüngeren
    auf die Älteren Rücksicht nehmen. So ist es auch in die-
    sem Verhältnis. Welche Leistung kann ich den Men-
    schen abverlangen? Da haben wir uns in der Koalition
    nach langem Überlegen – das ist uns doch nicht leicht-
    gefallen – gesagt: Die Rentenlaufzeiten werden auf

    Grund der steigenden Lebenserwartung durch den medi-
    zinischen Fortschritt – es ist ja auch sehr schön, daß das
    so ist – verlängert. Wir sind der Meinung, daß die Hälfte
    der Kosten, die diese Lebensverlängerung in der Rente
    letzten Endes verursacht, von der Rentnergeneration sel-
    ber getragen werden soll, die andere Hälfte von den
    Jungen. Hebeln Sie dieses Instrument nicht unvorsichti-
    gerweise aus! Denn wir brauchen den Generationenver-
    trag in der Rente, sonst ist das System auf die Dauer ka-
    putt, weil die Menschen in die innere Emigration gehen
    werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sehr verehrter Herr Riester, die SPD hat im Wahl-

    kampf ein Programm für Lehrstellen für 100 000 Ju-
    gendliche angekündigt, und Sie setzen es jetzt um. Eine
    gute Sache! In bezug auf die Lehrstellensituation gibt es
    regional große Unterschiede. Das wissen sicherlich auch
    Sie. Im Münsterland, wo ich herkomme, gibt es noch
    sehr viele freie Lehrstellen. Wenn Sie heute eine Firma
    besuchen, werden Sie erleben, daß dort für einen Büro-
    beruf hundert Bewerbungen vorliegen; sucht die Firma
    aber einen Schlosser oder Klempner, dann wird es en-
    ger. Auch das ist wahr. Also werden wir versuchen müs-
    sen, daß wir jedenfalls nicht am Ausbildungsmarkt vor-
    bei etwas machen, was später der Arbeitsmarkt nicht
    realisiert.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bin aber dafür, etwas zu tun, wenn es regionale Pro-
    bleme gibt.

    Unsere ganz große Sorge muß folgendem Punkt gel-
    ten: 10 bis 15 Prozent unserer jungen Menschen verlas-
    sen nach zehn Jahren das allgemeinbildende Schulsy-
    stem und haben in diesen zehn Jahren nicht soviel ge-
    lernt – das liegt auch an vielen sozialen Faktoren –, daß
    sie in der Lage sind, eine ganz normale Ausbildung zu
    beginnen.


    (Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)


    Wir sollten erst einmal mit den Ländern darüber spre-
    chen, was man im Schulsystem verbessern kann, damit
    das nicht so weitergeht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe mir in den acht Jahren als Mitglied des Sozi-

    alausschusses des Deutschen Bundestages viele überbe-
    triebliche Einrichtungen angeschaut. Das ist ja keine
    neue Erfindung. ABH und ähnliche Dinge machen wir ja
    heute auch. Arbeiten und Lernen miteinander zu verbin-
    den ist im übrigen eine gute Maßnahme. Ich habe mich
    manchmal gefragt: Warum setzen wir mit diesen Maß-
    nahmen erst dann an, wenn das Kind schon lange in den
    Brunnen gefallen ist, wenn die jungen Leute viele Jahre
    der Demotivation in einer theoretisch geprägten Schule
    hinter sich haben?


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr gut!)


    Wir müssen hier eher ansetzen. Es nützt nichts zu
    schimpfen. Familienstrukturen sind heute zum Teil ver-

    Karl-Josef Laumann






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    ändert. Kinder haben es dann schwerer, wenn sie aus
    schwierigen sozialen Strukturen kommen. Wir müssen
    früher ansetzen, als wir dies mit dem betreffenden Pro-
    gramm des Bundes tun können. Dies ist eine ganz wich-
    tige Frage für die Länder. Herr Schröder – im Gegensatz
    zu vielen von uns – hätte uns das ja in Niedersachsen
    acht Jahre lang vormachen können. Aber auch dort ist
    nichts passiert.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich glaube, daß wir so in diesem Bereich Probleme lö-
    sen.

    Am Ende wird es dann jedoch immer noch eine Rest-
    gruppe geben, die wir durch Qualifizierung möglichst
    kleinhalten müssen. Aber man wird nicht jeden Men-
    schen Gott weiß wohin qualifizieren können. Das wird
    auch in der Praxis so sein. Für diese Menschen müssen
    wir Arbeit finden. Ich will, daß derjenige, der acht Stun-
    den am Tag arbeitet, davon leben kann. Ich habe ein sol-
    ches Menschenbild.

    Aber es kommt immer wieder vor, daß manche Men-
    schen dies auf dem Arbeitsmarkt nicht erreichen kön-
    nen, weil keiner bereit ist, für ihre Leistungen soviel
    Geld zu bezahlen. Ich habe einen ganz konkreten Fall
    aus meinem Wahlkreis vor Augen, und zwar ein Mäd-
    chen, das lernbehindert ist und mit viel Liebe der Eltern
    die Prüfung als Hauswirtschafterin soeben bestanden
    hat. Ich bekomme sie nun nirgendwo unter, weil jedes
    Altenheim Tariflohn zahlen muß und sie nun eben ein-
    mal sehr langsam arbeitet. Es wäre doch viel besser, wir
    bekämen sie irgendwo in der Küche unter, wo sie einer
    Arbeit nachgehen könnte, sie bekäme vielleicht den hal-
    ben Lohn und wir würden die andere Hälfte des Lohnes
    zahlen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In diesem Fall wird folgendes passieren: Wenn wir nicht
    bald eine Stelle für dieses Mädchen, das ich ganz kon-
    kret vor Augen habe, finden, werden die Eltern irgend-
    wann sagen müssen: Das Kind muß in die Behinderten-
    werkstatt. Das kostet dann jeden Monat richtig Geld.

    Für die Grenzfälle zwischen Beschäftigung in einer
    Behindertenwerkstatt und einer auf dem normalem Ar-
    beitsmarkt – das müßte jedem, der denken und fühlen
    kann, klar werden; eine Lösung wird durch die Kompli-
    ziertheit der Welt schwerer – müssen wir eine Lösung
    finden. Wir sollten gemeinsam im Sozialausschuß dar-
    über nachdenken, was man da tun kann. Ich glaube, daß
    unsere Idee eines Kombilohnes eine tolle Sache ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Lassen Sie mich ganz zum Schluß einen weiteren
    Aspekt ansprechen. Man sollte jetzt nicht die Bilanzen
    verfälschen. Wir haben in Deutschland sehr niedrige
    Zinsen. Wir haben kaum noch eine Inflationsrate. Wis-
    sen Sie eigentlich, daß Rentner und Arbeiter die Profi-
    teure sind? Ein Prozent mehr Inflation bedeutet einen
    Verlust von Kaufkraft in Höhe von 18 Milliarden DM.
    Die Wirtschaft springt an. Wir haben 400 000 Arbeitslo-
    se wenige als vor einem Jahr. 400 000 Menschen – Vä-

    ter oder Mütter – haben durch unsere Politik, durch das,
    was Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble und Norbert
    Blüm hier in den letzten Jahren im Streit erreicht haben,
    wieder eine Perspektive. Auf diese Zahl bin ich schon
    ein wenig stolz.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sehen Sie zu, daß Sie es im Bereich der sozialen Si-

    cherungssysteme nicht mit den Ausgaben übertreiben.
    Wenn es am Ende wieder zu einer höheren Inflation
    kommt, sind die kleinen Leute die Gelackmeierten. Ei-
    nen Kaufkraftverlust könnten sie trotz der Rentenerhö-
    hungen nicht ausgleichen.

    Noch ein Satz zur Rente und zur demographischen
    Formel. Ihre Maßnahmen im Rentenbereich kosten uns
    im nächsten Jahr 900 Millionen und im Jahr darauf 2,4
    Milliarden DM. Betrachten Sie einmal den Aspekt der
    Erwerbsunfähigkeit. Ich weiß, daß das, was wir da ent-
    schieden haben, sehr schwerwiegend ist. Vergessen
    sollte man aber nicht, daß es natürlich im Rahmen der
    Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe An-
    rechnungen gibt. Wenn Sie unsere Entscheidungen zu-
    rücknehmen, werden Sie dafür 4 bis 5 Milliarden DM
    benötigen. Ich bin sehr gespannt, wie Sie das finanzieren
    wollen, wenn Sie gleichzeitig die Beiträge senken. Nach
    acht Jahren im Sozialausschuß weiß ich, daß es in die-
    sem Bereich nicht das Sterntalermädchen gibt, das das
    Geld, das vom Himmel kommt, auffängt. Sie können nur
    das ausgeben, was Sie haben. Ich bin gespannt, Herr
    Riester, wie Sie es bewerkstelligen wollen, daß man mit
    geringeren Beiträgen mehr bezahlen kann.

    Schönen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Riester, der Adam Riese! – Klaus Lennartz [SPD]: Alles Worte für das Protokoll! Herr Kollege, tut mir leid!)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat für die
Fraktion der PDS Frau Dr. Heidi Knake-Werner.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heidi Knake-Werner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident!
    Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bun-
    deskanzler hat hier gestern vorgetragen, daß er sich und
    seine Regierung am Umgang mit der Massenarbeitslo-
    sigkeit messen lassen will. Er hat die Verringerung der
    Arbeitslosigkeit auch zum wichtigsten Ziel seiner Regie-
    rungsarbeit erklärt. Herr Bundeskanzler, Sie können sich
    darauf verlassen: Wir werden Sie daran messen.


    (Zuruf von der SPD: Das klingt ja wie eine Drohung!)


    Aber wenn Sie sich in diesem Ziel selbst ernst neh-
    men, dann verlangt das eben, vieles ganz anders zu ma-
    chen als die alte Regierung und nicht nur einiges besser
    zu machen. Nach meinem Verständnis verlangt das, jetzt
    energisch Pflöcke einzusetzen für mehr Beschäftigung
    und dies nicht dem Ergebnis von Konsensgesprächen zu
    überlassen.

    Karl-Josef Laumann






    (A) (C)



    (B) (D)


    Ich will Ihre Hoffnung auf ein Bündnis für Arbeit
    nicht trüben, obwohl nach meinem Geschmack zu viele
    daran teilnehmen werden, die sogar die alte Bundesre-
    gierung bei Deregulierung und Sozialabbau vor sich
    hergetrieben haben. Wenn aber ein Bündnis für Arbeit,
    dann erwarte ich von einer rotgrünen Regierung, daß sie
    mit einem eigenen Konzept zur Beschäftigungspolitik in
    die Gespräche hineingeht und daß nicht schon das Ge-
    spräch selbst zum Konzept erklärt wird. Die vom Bun-
    deskanzler genannten Vorleistungen für diese Gespräche
    – wie die Steuerreform, die Senkung der Lohnnebenko-
    sten und das Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosig-
    keit, so gut und richtig ich das finde – reichen mir an
    dieser Stelle nicht.

    Haben wir es in der Bundesrepublik und in den ande-
    ren kapitalistischen Industrieländern wirklich damit zu
    tun, daß Arbeit zu teuer ist und billiger gemacht werden
    muß? Erinnern Sie sich doch an die Debatten in den
    letzten Jahren, die wir hier gemeinsam geführt haben.

    Haben wir es nicht vielmehr mit tiefgreifenden Um-
    brüchen der Arbeitsgesellschaft zu tun, die dazu führen,
    daß die Arbeit in den großen produzierenden Bereichen
    und in den traditionellen Dienstleistungssektoren – auf
    Teufel komm raus – weiter wegrationalisiert wird? Ha-
    ben wir es darüber hinaus nicht damit zu tun, daß sich
    der Staat zunehmend aus seiner Verantwortung für öf-
    fentliche Dienstleistungen, für Bildung und für Kultur
    zurückgezogen hat, was mit einem Abbau von Beschäf-
    tigung verbunden war? Ist es nicht so, daß unter der Re-
    gierung Kohl viel über die Dienstleistungsgesellschaft
    geredet worden ist, aber immer mehr öffentliche
    Dienstleistungen abgebaut wurden? Ich erwarte hier Ihre
    Alternativen zur Umkehr dieser Tendenz.

    Den Unternehmern die Lohnnebenkosten um 0,4 Pro-
    zent zu senken wird all diese Probleme nicht lösen.
    Wenn Sie wirklich die kleinen Unternehmen und die ar-
    beitsintensiven Handwerksbetriebe entlasten wollen,
    dann folgen Sie unserem Vorschlag: Berechnen Sie die
    Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber zukünftig
    nach der Wertschöpfung, nicht mehr nach der Lohn-
    summe.


    (Beifall bei der PDS)

    Daraus wird wirkliche Entlastung für diese Betriebe und
    werden möglicherweise auch die von Ihnen gewünsch-
    ten Beschäftigungseffekte entstehen.

    Ich bin zutiefst beunruhigt, daß mit Blick auf das
    Bündnis für Arbeit in der Regierungserklärung kein
    Wort zum Überstundenabbau und kein Wort zur Ar-
    beitszeitverkürzung vorkommt, daß nichts dazu gesagt
    wird, wie die Tarifverhandlungen, die zweifelsohne den
    Kern dieses Bündnisses bilden, mit sinnvollen gesetzli-
    chen Rahmenbedingungen begleitet werden sollen. Wer
    Massenarbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen will, wird
    um eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes nicht her-
    umkommen. Wir werden darum entsprechende Initiati-
    ven vorschlagen.


    (Beifall bei der PDS)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte auch er-

    wartet, daß die Regierung Schröder zur aktiven Ar-

    beitsmarktpolitik mehr zu sagen hat, als Norbert Blüm
    schon wußte. Die vielbeschworene Brückenfunktion der
    aktiven Arbeitsmarktpolitik hat bisher nicht funktioniert.
    Sie wird auch zukünftig nicht funktionieren. Das werden
    wir spätestens dann merken, wenn die sogenannten
    Wahl-ABM am Ende dieses Jahres auslaufen und viele
    Frauen und Männer gerade in Ostdeutschland um eine
    weitere Hoffnung betrogen sind.

    Wir brauchen die Verstetigung der aktiven Arbeits-
    marktpolitik, um dauerhaft Arbeitsplätze in einem öf-
    fentlich geförderten Beschäftigungssektor zu schaffen.
    Millionen Frauen und Männer könnten hier in sozialen,
    kulturellen und ökologischen Projekten Arbeit finden.
    Das sind Arbeiten, die jetzt brachliegen, aber für den
    notwendigen sozialen und ökologischen Umbau unserer
    Industriegesellschaft unverzichtbar sind.

    Schauen Sie doch einfach einmal nach Ostdeutsch-
    land. Dort sind mit öffentlich geförderter Beschäftigung,
    mit AB-Maßnahmen, mit Strukturanpassungsmaßnah-
    men eine neue Infrastruktur, neue soziale und kulturelle
    Angebote entstanden, gibt es erschwingliche Beratung
    und Dienstleistung sowie Jugendarbeit – Daueraufga-
    ben, die bisher leider an der mangelnden Kontinuität
    kranken. Das wollen wir durch eine Verstetigung in ei-
    nem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ändern.


    (Beifall bei der PDS)

    Natürlich werden das überwiegend Projekte sein, die

    sich nicht rechnen; da macht sich niemand Illusionen.
    Aber diese Projekte werden auch dem Wirtschaftsstand-
    ort Deutschland nutzen. Mehr noch – und das ist uns
    wichtig –: Sie sind für den Lebensstandort Deutschland
    unverzichtbar, und das wollen wir befördern.


    (Beifall bei der PDS)

    Meine Damen und Herren, die Regierung bekommt

    die Unterstützung der PDS immer dann, wenn sie die
    Rücknahme der größten sozialpolitischen Grausamkei-
    ten der Vorgängerregierung vorhat. Was die Erwerbstä-
    tigen anbetrifft, so haben Sie sich auch eine ganze Men-
    ge vorgenommen, bis hin – das will ich als kleine ironi-
    sche Anmerkung hinzufügen – zur Beibehaltung der Re-
    gelung bezüglich des Jahreswagens. Herr Bundeskanz-
    ler, die Kollegen von Daimler und VW werden es Ihnen
    danken.

    Weniger zufrieden werden allerdings die Betriebsräte
    sein, die Sie mit Ihrer Absicht der Besteuerung von Ab-
    findungen bei betriebsbedingten Kündigungen schok-
    kieren. Hier langen Sie gleich zweimal zu, wenn Sie
    nicht sofort die bestehenden Regelungen im SGB III zu-
    rücknehmen; das wissen Sie genau. Dann nämlich wer-
    den Sie die Abfindung nicht nur auf das Arbeitslosen-
    geld anrechnen, sondern sie zusätzlich noch besteuern.
    Damit ist der Schutzgedanke von Abfindungen bei be-
    triebsbedingten Kündigungen flöten. Dagegen werden
    wir auftreten.


    (Beifall bei der PDS)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts oder nichts

    Gutes von der neuen Regierung zu erwarten haben all
    diejenigen, die ohne Arbeit sind. Ich gebe aber un-

    Dr. Heidi Knake-Werner






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    umwunden zu: Im Verpacken sind Sie besser als die alte
    Regierung. Wo Ihre Vorgänger noch von sozialer Hän-
    gematte und nationalem Freizeitpark schwadronierten,
    spricht der Bundeskanzler Schröder vom sozialen Netz,
    das zum Trampolin werden müsse. Jede und jeder soll in
    ein eigenverantwortliches Leben zurückfedern können.
    Ein wunderschönes Bild, und wer wollte das nicht? Aber
    warum federn sie heute eigentlich nicht? Weil die so-
    zialen Sicherungssysteme sie in der berühmten Sozial-
    staatsfalle festhalten, oder weil sie zu sehr im Besitz-
    standsdenken verhaftet und unflexibel sind? Das sind die
    Argumentationsmuster von gestern. Welches aber sind
    Ihre? Von Armut, von sozialer Ausgrenzung habe ich in
    Ihrer Regierungserklärung nichts gehört.

    Natürlich sind wir uns einig in dem Vorschlag, Arbeit
    statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Die Frage ist nur:
    Welchen Weg wollen Sie da gehen? Ich muß gestehen:
    Was diesbezüglich der Kollege Arbeitsminister hier
    vorgetragen hat, macht mich nicht froh. Das riecht doch
    sehr nach Kombilohn, nach weiterer Ausweitung von
    Niedriglohnsektoren, nach Beibehaltung bestehender
    Formen von Zwangsarbeit, wie wir sie heute haben.
    Diesen Weg wollen wir nicht. Hier werden wir entspre-
    chenden Gegendruck entfalten.


    (Beifall bei der PDS)

    Wir haben wie viele Erwerbslose erwartet, daß Sie

    die schlimmsten Verschärfungen des Arbeitsförderungs-
    rechts im SGB III zurücknehmen. Leider Fehlanzeige!
    Noch vor wenigen Monaten haben wir hier gemeinsam
    der alten Regierung vorgeworfen, daß sie statt der Ar-
    beitslosigkeit vor allen Dingen die Arbeitslosen be-
    kämpft. Sie sind auf dem besten Wege, in das gleiche
    Fahrwasser zu geraten. Der Eindruck entsteht, daß Sie
    hier an neoliberaler Kontinuität festhalten, und er ver-
    stärkt sich, wenn man die von Oskar Lafontaine losge-
    tretene Diskussion zur Pflege- und Arbeitslosenversi-
    cherung hinzunimmt.

    Ich will ja dem SPD-Parteivorsitzenden nicht unrecht
    tun. Natürlich ist es erlaubt und notwendig, über die Zu-
    kunft der sozialen Sicherungssysteme nachzudenken,
    insbesondere dann, wenn durch die enge Koppelung an
    die Erwerbsarbeit ihre Finanzierung immer unsicherer
    wird, weil immer weniger Männer und Frauen – für sie
    galt das ja ohnehin nie – kontinuierliche Erwerbsverläu-
    fe haben. Die Auflösung der Regelmäßigkeit der Nor-
    malarbeitsverhältnisse, die ungerechte Verteilung von
    bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und
    Frauen machen in der Tat eine solche Diskussion not-
    wendig, und hier würden wir gern mittun.

    Das Problem bei Oskar Lafontaine ist auch nicht die
    Frage der Steuerfinanzierung. Auch wir wollen sie; wir
    haben das selber mit unserem Pflegeassistenzgesetz und
    mit einer Vorlage zur Grundsicherung vorgeschlagen.
    Wir wollen ebenfalls die Renten- und Arbeitslosenversi-
    cherung von Kosten entlasten, die gesamtgesellschaft-
    lich zu tragen sind und die nicht allein auf die abhängig
    Beschäftigten übergewälzt werden dürfen. Fatal an der
    Diskussion von Oskar Lafontaine finde ich, daß er die
    Bedürftigkeitsfrage mit hineingebracht hat


    (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Jawohl!)


    und nur jenen Leistungen zukommen lassen will, die ab-
    solut nichts mehr haben. Das ist nicht nur unsozial, son-
    dern vor allem frauenfeindlich, wie wir aus der Praxis
    der heutigen Bedürftigkeitsprüfungen längst wissen. Das
    ist eben nicht Zielgenauigkeit von sozialen Leistungen;
    das ist nichts anderes als Stammtischlogik.


    (Beifall bei der PDS)

    Wir wollen auch, daß die schlimmsten Verschärfun-

    gen für Arbeitslose im SGB III zurückgenommen wer-
    den, und dazu gehört für uns zuallererst die Zumutbar-
    keitsregelung, die binnen kürzester Zeit jede Qualifika-
    tion entwertet. Dazu gehören Vorschriften zur Melde-
    pflicht und zur Beschäftigungssuche – alles Maßnah-
    men, mit denen man Arbeitslose drangsaliert, statt sie zu
    fördern. Vor kurzem waren wir uns darin mit SPD und
    Bündnisgrünen noch sehr einig.

    Wir unterstützen natürlich Ihr Sofortprogramm für
    100 000 arbeitslose Jugendliche. Wir könnten hier
    vielleicht einen Schritt weiter sein, wenn Sie in der
    letzten Legislaturperiode unserem diesbezüglichen An-
    trag zugestimmt hätten. Wenn es aber darum geht, jun-
    gen Menschen eine wirkliche Perspektive zu geben,
    dann reicht es nicht aus, sie auszubilden; dann muß auch
    dafür gesorgt werden, daß sie über die Übernahme in ein
    Arbeitsverhältnis für mindestens ein Jahr den Fuß in die
    Tür des Erwerbslebens bekommen.


    (Beifall bei der PDS)

    In diesem Zusammenhang über die Chancen und

    Notwendigkeiten eines Generationenvertrages nachzu-
    denken, halten wir für dringend geboten. Formen des
    flexiblen Ausstiegs aus dem Erwerbsleben – freiwillig
    und sozial gesichert – sind hier ebenso wichtig wie die
    generelle Verkürzung der Lebensarbeitszeit, wie sie jetzt
    in der Diskussion ist.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierung hat
    die Rücknahme der Sozialkürzungen der Kohl-Ära bei
    der Rente angekündigt. Die Absenkung des Rentenni-
    veaus ist heute schon häufig genannt worden. Wir unter-
    stützen das, auch wenn uns nicht gefällt, daß das nur
    ausgesetzt werden soll. Wir meinen aber, die Erhöhung
    des Renteneintrittsalters für Frauen und für Schwerbe-
    hinderte gehört auch unbedingt zurückgenommen. Auch
    zurückgenommen gehören – darüber ist hier noch gar
    nicht gesprochen worden – die Regelungen, in den
    Spargesetzen der Kohl-Regierung mit denen Anrech-
    nungszeiten für Ausbildung zusammengestrichen wor-
    den sind. Gerade auch hier werden Frauen doppelt be-
    trogen, weil viele von ihnen die Bildungsoffensive der
    ersten sozialliberalen Koalition genutzt haben, um sich
    über den zweiten Bildungsweg zu qualifizieren. Sie
    heute dafür mit Rentenabstrichen zu bestrafen, halten
    wir für absolut unzumutbar.


    (Beifall bei der PDS)

    In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu den pre-

    kären Beschäftigungsverhältnissen, zur Scheinselbstän-
    digkeit, zu 620-DM- und 520-DM-Jobs. Sie haben un-
    sere Unterstützung immer dann, wenn Sie diese endlich
    sozialversicherungspflichtig machen und den massen-
    haften Ausstieg aus der Solidargemeinschaft eindämmen

    Dr. Heidi Knake-Werner






    (A) (C)



    (B) (D)


    wollen. Wir haben allerdings erhebliche Zweifel, daß
    der Weg, den Sie einschlagen, der richtige ist, weil wir
    fürchten – darin sind wir uns einig mit der stellvertre-
    tenden DGB-Vorsitzenden Ursula Engelen-Kefer –, daß
    die bei 300 DM angesiedelte Bagatellgrenze zu hoch ist.
    Sie fordert förmlich dazu heraus, Arbeitsverhältnisse
    weiter aufzusplitten.