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ID1400300500

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/3 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 3. Sitzung Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 I n h a l t : Gedenkworte für die Opfer der Naturka- tastrophe in den vier mittelamerikanischen Staaten El Salvador, Honduras, Guatemala und Nicaragua ................................................ 47 A Begrüßung des Beauftragten der OSZE für Medienfreiheit, Herrn Freimut Duve.............. 67 C Begrüßung des neuen Direktors beim Deut- schen Bundestag, Dr. Peter Eickenboom ..... 67 C Verabschiedung des Direktors beim Deut- schen Bundestag, Dr. Rudolf Kabel ............. 67 C Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache........... 47 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der NATO- Luftüberwachungsoperation über den Kosovo (Drucksache 14/16)....................... 47 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 47 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 67 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 80 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN............................................. 85 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 91 A Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 96 D Michael Glos CDU/CSU ................................. 102 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD ............ 102 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 103 A Joseph Fischer, Bundesminister AA................ 107 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 112 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 115 B Volker Rühe CDU/CSU .................................. 116 C Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ....................................................... 119 A Wolfgang Gehrcke PDS .................................. 121 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 122 D Jürgen Koppelin F.D.P.. .............................. 123 B Gernot Erler SPD............................................. 124 D Rudolf Bindig SPD.......................................... 127 A Nächste Sitzung ............................................... 128 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten .......... 129 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 47 (A) (C) (B) (D) 3. Sitzung Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Rudolf Bindig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 129 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Carstensen (Nordstrand), Peter Harry CDU/CSU 10.11.98 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 10.11.98 Hartnagel, Anke SPD 10.11.98 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 10.11.98 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 10.11.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 10.11.98 Reichard (Dresden), Christa CDU/CSU 10.11.98 Schulte (Hameln), Brigitte SPD 10.11.98 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.11.98 Vaatz, Arnold CDU/CSU 10.11.98 Verheugen, Günter SPD 10.11.98 130 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 (A) (C) (B) (D)
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()


    Wie viele Familien kann man um 2 700 DM entlasten,
    damit die Grenze von 15 Milliarden DM nicht über-
    schritten wird?


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist eine seltsame Bezugsgröße!)


    Das sind rund 5 Millionen Familien.

    (Bundesminister Oskar Lafontaine: Das ist viel!)

    – Ja, das ist viel. – Aber alle anderen werden nach Ihren
    eigenen Vorhersagen auch im Jahre 2002 nicht entlastet,
    und wir haben eine Bevölkerung von 80 Millionen Men-
    schen. Die Behauptung, die allermeisten würden entla-
    stet, ist auf Grund Ihrer eigenen Zahlen als wahrheits-
    widrig widerlegt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Und das gilt erst für das Jahr 2002!

    (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist Adam Schäuble! – Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist noch unter Adam Riese! – Weitere Zurufe von der SPD)


    – Es trifft Sie offenbar! Wenn Sie selber merken, was in
    Ihrer Regierungerklärung steht, dann ist die Erregung
    bei der SPD groß. Bisher waren Sie ziemlich schläfrig
    während der Rede Ihres Bundeskanzlers gewesen; jetzt
    sind Sie plötzlich wach geworden. Das ist die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Im Giftspritzen ist er immer stärker als im Rechnen!)


    Sie haben diese zwei Stunden auch kaum ausgehalten.
    Deswegen sind Sie am Schluß der Rede auch alle gleich
    aus dem Saal gegangen.

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Jetzt bleiben Sie ganz ruhig! Jetzt lassen Sie nach
    diesen zwei Stunden auch der Opposition die Chance, an
    ein paar Punkten ein bißchen Substanz zu bieten und
    nicht nur im Glanz der Überschriften zu bleiben. Mit der
    Regierungserklärung sind die Zeiten der Inszenierungen
    vorbei! Jetzt ist Substanz gefordert!


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Es ist wirklich wahr: Der Start ist Ihnen gründlich
    mißlungen.


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Der Neid der Besitzlosen!)


    Das sage ja nicht nur ich; wenn ich das sagen würde,
    dann würde jeder meinen, daß ich als Oppositionsführer
    das sagen muß.


    (Ernst Schwanhold [SPD]: Stimmt!)

    Es sagen aber alle Zeitungen, auch Ihre treuesten Hel-
    fershelfer. Sie werden – ich sage es Ihnen voraus – eine
    neue Gemeinsamkeit mit Ihrem Amtsvorgänger entwik-
    keln, Herr Bundeskanzler Schröder. Von Helmut Kohl
    wissen wir, daß er den „Spiegel“ ums Verrecken nicht
    gern gelesen hat. Wenn Sie diese Woche die Überschrift
    „Wo ist Schröder?“ lesen und sich im Nebel von Lafon-
    taine verschwinden sehen, dann sage ich Ihnen: Der
    „Spiegel“ wird Ihnen bald so widerwärtig sein, wie er
    Helmut Kohl es in den 16 Jahren gewesen ist.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Bundeskanzler Gerhard Schröder: Wenn es dann auch 16 Jahre dauert, soll's mir recht sein!)


    – Schauen Sie, das ist wieder typisch, Herr Bundes-
    kanzler: In öffentlichen Äußerungen haben Sie gesagt,
    eine Amtszeit von mehr als acht Jahren wäre falsch; jetzt
    wollen Sie 16 Jahre. Das ist wie mit der Koalitionsver-
    einbarung: Die haben Sie morgens unterschrieben, und
    abends haben Sie gesagt, sie müsse nachgebessert wer-
    den. Die Tinte war noch nicht trocken gewesen!


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Der Appetit kommt beim Essen! 16 Jahre!)


    Wenn ich in diesen Tagen erlebe, was in dieser Wo-
    che in erster Lesung auf die Tagesordnung des Hohen
    Hauses kommen soll und was nicht, so muß ich fest-
    stellen: Die Vorlagen werden zugesandt, dann werden
    sie wieder zurückgezogen. Dann heißt es, Herr Trittin
    und Herr Lafontaine hätten sich über die Ökosteuer ge-
    einigt. Wenn man aber nachliest, heißt es, sie hätten sich
    darauf geeinigt, daß sie eine Kommission einsetzen. Das
    hat ja das Niveau Ihrer Regierungserklärung. Selbst zum
    Thema Rente haben Sie gesagt, Sie wollten eine Kom-
    mission einsetzen, die alles prüfe – obwohl alle Zahlen
    auf dem Tisch liegen. Auch für die Reform des Finanz-
    ausgleichs im Bundesstaat wollen Sie bis zum Jahre
    2005 eine Kommission einsetzen. Herr Bundeskanzler,
    die Probleme unsres Landes sind angesichts der rasanten

    Veränderungen in der Welt um uns herum wie auch in
    der Arbeitswelt


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Und angesichts Ihrer Hinterlassenschaft!)


    dringlicher. Wir können nicht alles auf die lange Bank
    schieben. Sie müssen handeln und entscheiden! Sie sind
    schlecht vorbereitet.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Schwanhold [SPD]: Ihre Hinterlassenschaft! Ihre Erblast!)


    – Nein, nein.

    (Ludwig Stiegler [SPD]: Das sagen die Aussitzer, die uns die Sachen hinterlassen haben! Jetzt wird's plötzlich eilig! Jetzt pressiert's! – Weitere Zurufe von der SPD)


    – Nein, nein.

    (Anhaltende Zurufe von der SPD)


    – Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und
    Kollegen, die meisten Menschen, die die Plenardebatte
    an den Fernsehapparaten verfolgen – wenn es welche
    tun –, bekommen nicht mit, was im Plenarsaal so alles
    dazwischengerufen wird. Entweder muß ich deswegen
    sagen „Verehrte Zuschauer an den Fernsehgeräten, im
    Augenblick kann ich nicht weiterreden, weil die SPD ei-
    nen solchen Lärm macht“, oder Sie müssen leise genug
    sein, damit ich trotz meiner Erklärung die Chance habe
    weiterzureden. Wir haben Ihrem Bundeskanzler doch
    auch gut zugehört.


    (Weitere Zurufe von der SPD)

    – Nein, es geht so nicht. Sie können nicht ein solches
    Sperrfeuer von Zwischenrufen machen. Das akzeptiere
    ich nicht; und das sage ich dann immer, damit das je-
    dermann weiß und damit jedermann versteht, warum ich
    im Moment nicht weiterreden kann.

    Der Einwand, die Tatsache, daß die Probleme so
    dringlich seien, würde sich gegen uns richten, ist in der
    Sache durch Ihre eigene Regierungserklärung widerlegt.
    Ihre konkreten Ankündigungen bestehen doch nur darin,
    das, was wir auf den Weg gebracht haben, damit es mit
    der Arbeitslosigkeit in unserem Lande besser wird,
    rückgängig zu machen. Lassen Sie die Entwicklung, die
    wir auf den Weg gebracht haben, doch weitergehen!
    400 000 Arbeitslose weniger – das ist eine gute Ent-
    wicklung. Die sollten Sie nicht zurückschrauben. Das ist
    der Punkt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben die Schlachten doch oft geführt. Sie kön-

    nen uns doch nicht vorwerfen, daß die Steuerreform
    nicht zustande gekommen ist. Sie haben Sie doch mit Ih-
    rer Mehrheit im Bundesrat blockiert. Jetzt – mit eigener
    Mehrheit – zeigen Sie sich unfähig, eine dem Arbeits-
    markt gerecht werdende Steuerreform zustande zu brin-
    gen. Das ist das Elend für unser Land.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    Erst das Richtige blockieren und dann selber nicht in der
    Lage sein, das Richtige zu tun, das ist gefährlich für die
    Chancen unseres Landes. Das ist im Zusammenhang mit
    der Steuerreform das eigentliche Drama.

    Wenn Sie von den Lohnzusatzkosten reden, dann
    werden Sie doch nicht im Ernst glauben, daß Sie die
    Lohnzusatzkosten, die Staatsquote, die Abgabenquote in
    Deutschland dadurch senken können, daß Sie nur um-
    verteilen. Ich erinnere an das Gerede von der Ökosteu-
    er. Nach neuestem Stand ist die Vorlage dazu gerade
    wieder zurückgezogen worden. Über die Einzelheiten
    werden wir noch streiten, aber zunächst einmal geht es
    um das Prinzip. Wer die Umfinanzierung von Sozialab-
    gaben in Steuern – so ist der Sachverhalt – an Stelle von
    Einsparungen bei den Sozialausgaben durchführt, der
    wird die Staats- und Abgabenquote nicht senken und
    auch nicht mehr Arbeitsplätze bekommen, sondern das
    Gegenteil. Einsparungen sind durch nichts zu ersetzen.
    Wer klagt, die Staatsquote sei zu hoch – das haben Sie,
    Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung getan
    –, der muß auf der Ausgabenseite von öffentlichen
    Haushalten und Sozialversicherungen zu Einsparungen
    kommen. Sie aber wollen all diejenigen Einsparungen,
    die wir – zum Teil schmerzlich, aber richtig – zur Be-
    kämpfung der Arbeitslosigkeit durchgesetzt haben, wie-
    der rückgängig machen. Das ist der falsche Weg, wenn
    es darum geht, mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu
    bekommen, und Sie sind auf diesem falschen Weg.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Daher ist der entsprechende Vorwurf an uns unzutref-

    fend. Es gehört zur Eröffnungsbilanz, daß wir das Land
    in eine solide wirtschaftliche Entwicklung – Preisstabi-
    lität, niedrige Zinsen, rückläufige Arbeitslosigkeit – ge-
    bracht haben. Und Sie drehen jetzt mit Ihren falschen
    rotgrünen Maßnahmen diese Entwicklung wieder zu-
    rück. Es handelt sich also nicht um einen neuen Auf-
    bruch, sondern um eine Rolle rückwärts in eine falsche
    Vergangenheit. Das ist das Problem.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    So wird das nichts mit der „Neuen Mitte“. Und dann

    auch noch Ihr Gerede von der Berliner Republik! Herr
    Bundeskanzler, von Neuer Mitte habe ich weder in Ihrer
    Regierungserklärung noch in Ihrer Koalitionsvereinba-
    rung irgend etwas gefunden, aber von der alten Linken
    sehr viel und von Durcheinander bei Ihren rotgrünen
    Koalitionsvereinbarungen noch mehr!


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Man fragt sich ja, wer in Deutschland eigentlich regiert.

    (Bundesminister Oskar Lafontaine: Das ist die Preisfrage!)

    – Ja, das ist wahr, Herr Ministerpräsident Lafontaine. –
    Entschuldigung, es steckt noch so ein bißchen drin; Herr
    Bundesfinanzminister! Wenn es Ihnen gar nicht mehr
    passiert, sich zu versprechen, dann ist es ja gut.

    Herr Bundesfinanzminister, Ihre Politik ist eine Poli-
    tik des „leichten Geldes“.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    „Leichtes Geld“ klingt ja schön, bedeutet aber für die
    Menschen Inflation. Die haben verstanden, daß man
    nicht mehr Geld ausgeben und weniger einnehmen kann,
    ohne mehr Schulden zu machen. Man kann sich nicht
    gegen Adam Riese stellen; deswegen wird Ihre Politik
    dazu führen, daß die Staatsverschuldung steigt, die
    Preisstabilität abnimmt und die Inflation zunimmt. Das
    ist keine sozial gerechte Politik, sondern das Gegenteil!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil dies so ist, wollen Sie Druck auf die unabhän-

    gigen Notenbanken machen. Genau so ist der Zusam-
    menhang. Ich meine die Bundesbank und die künftige
    Europäische Zentralbank. Sie wollen, daß die Bundes-
    bank und künftig die Europäische Zentralbank an einer
    Politik des leichten Geldes, an einer Politik von mehr In-
    flation mitwirken.


    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! – Genau!)


    Nicht anders sind Ihr Gerede und Ihre konzentrischen
    Angriffe, von Ihren Beratern bis zu Ihnen selbst Tag für
    Tag systematisch angelegt, zu erklären. Die Zinsen sol-
    len nach unten gehen, obwohl wir schon das niedrigste
    Zinsniveau haben und obwohl wir die reale Zinsdiffe-
    renz in Europa in einer Weise auseinandertreiben wür-
    den, daß es unter dem Gesichtspunkt der beginnenden
    Währungsunion gar nicht zu verantworten wäre. Sie
    wollen die Zinsen nach unten manipulieren, eine höhere
    Neuverschuldung vornehmen und mehr Inflation her-
    vorbringen. Das ist der falsche Weg, um die Reformen
    unseres Landes weiter voranzubringen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Das wird nicht mehr Arbeitsplätze, sondern mehr Infla-
    tion in Deutschland verursachen. Sichere Arbeitsplätze
    entstehen nur bei Stabilität.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Sache ist übrigens noch viel bedenklicher; des-

    wegen muß das am Anfang dieser Legislaturperiode
    ausgetragen werden. Dies sollte nicht freundlich gesche-
    hen, denn daran ist nichts freundlich. Die Bundesrepu-
    blik Deutschland mußte große Anstrengungen unter-
    nehmen, um unsere Partnerländer in Europa von der
    Umsetzung der deutschen Stabilitätskultur auch im
    Maastricht-Vertrag und im Stabilitätspakt zu überzeu-
    gen. Andere – ich sage das mit vollem Respekt vor der
    Tradition und dem Verfassungs- und Staatsverständnis
    unserer Freunde und Partner in Europa – haben ein ganz
    anderes Verhältnis zu der Vorstellung von einer auto-
    nomen Notenbank. In Frankreich ist nach dem dortigen
    Staatsverständnis seit Jahrhunderten – bis zum Vertrag
    von Maastricht – die Politik die oberste Instanz gewe-
    sen, die letzten Endes über alle Entscheidungsbereiche
    verfügen kann. Herr Lafontaine, so hätten Sie es gern;
    aber so ist es in Deutschland nicht. Es ist auch besser,
    daß es in Deutschland nicht so ist, und es darf nicht so
    werden.

    Natürlich hat Geld eine politische Funktion, natürlich
    hat die Bundesbank eine politische Verantwortung. Aber

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    diese Verantwortung unterliegt nicht der Verfügung der
    jeweiligen parteipolitischen Mehrheit. Das ist der
    Grund, warum wir in Deutschland in diesen 50 Jahren
    mehr Stabilität hatten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nur dann, wenn wir uns diese Autonomie, diese Selb-

    ständigkeit, diese Eigenverantwortung, diese Nichtver-
    fügbarkeit der Geldpolitik der Zentralbank für Preissta-
    bilität, für Geldwertstabilität erhalten, können wir darauf
    vertrauen, daß die europäische Währung so stabil wird,
    wie es die D-Mark Gott sei Dank – auch dank unserer
    Politik – geworden ist.

    Das war das eigentlich Schwierige, und das war der
    weite Weg, den andere auf dem Weg zur Europäischen
    Union zurücklegen mußten. Das fordert von uns Re-
    spekt, wie es übrigens auch Respekt vor der politischen
    Führungsleistung und Staatskunst der bisherigen Bun-
    desregierung, des Bundeskanzlers, des Finanzministers,
    des Außenministers, fordert,


    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    daß es gelungen ist, die Unabhängigkeit der Notenbank,
    die Unverfügbarkeit der Geldwertstabilität für die je-
    weilige parteipolitische Mehrheit zum Prinzip auch der
    Europäischen Währungsunion zu machen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn das jetzt gleich zu Beginn, noch ehe die Wäh-
    rungsunion wirklich begonnen hat, ausgerechnet von
    Deutschland untergraben wird, dann fängt es in
    Deutschland schlecht an und wird in Europa noch
    schlechter enden, meine Damen und Herren. Deswegen
    werden wir dagegen jeden Widerstand leisten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Geldwertstabilität darf auch in der Europäischen
    Währungsunion nicht aufs Spiel gesetzt werden.


    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Zu einer fairen Behandlung Ihres Vorgängers und der

    Vorgängerregierung hätte – bei allen politischen Unter-
    schieden – übrigens auch gehört, nicht nur über die
    Notwendigkeit zu reden, Herr Bundeskanzler, die Fi-
    nanzierung der Europäischen Union entsprechend der
    jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ein Stück
    fairer zu ordnen, als sie im Laufe der Jahre seit 1992
    geworden ist. Das ist 1992 so vereinbart worden – hier
    haben Sie recht; das stimmt so –, weil seinerzeit eine be-
    sondere Situation bestand. Aber im nächsten Jahr muß
    eine Neuregelung der Finanzierung der Europäischen
    Union erreicht werden. Das wird schwierig zu erreichen
    sein. Sie werden dabei auf unsere Unterstützung rechnen
    können.

    Aber Sie hätten auch vermerken sollen, daß Sie nicht
    nur auf unsere Unterstützung bei diesem schwierigen
    Unterfangen rechnen können, sondern daß Sie vor allen
    Dingen auf die Vorarbeit des bisherigen Bundesfinanz-
    ministers Theo Waigel zählen können, der ja in Europa
    die Bereitschaft zu einer finanziellen Neuregelung in der
    Europäischen Union in den letzten Monaten in mühe-

    voller Arbeit erreicht hat. Das hätten Sie hier mit etwas
    Respekt vermerken sollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das wird übrigens nicht heißen, daß Deutschland als

    ein wirtschaftlich stärkeres Land, als es andere heute
    sind, nicht auch in Zukunft mehr an der Finanzierung
    der Europäischen Union tragen muß als andere. Das ist
    in Ordnung. Aber es muß ein faires Verhältnis zur Lei-
    stungsfähigkeit vorhanden sein. Dieses Verhältnis ist ein
    Stück weit unfair geworden. Daß inzwischen alle Fi-
    nanzminister anerkannt haben, daß die heutige Regelung
    jedenfalls nicht mehr den objektiven Gegebenheiten
    unter den Mitgliedsländern der Europäischen Union ent-
    spricht, ist ein großer Erfolg von Theo Waigel. Darauf
    läßt sich aufbauen, verehrte Damen und Herren der
    neuen Bundesregierung und der neuen Mehrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber wenn Sie als neue Bundesregierung in

    Deutschland die Grundlagen von Stabilität und Solidität
    in der Europäischen Union untergraben, dann werden
    Sie Europa auch nicht in die Lage versetzen, das drin-
    gende Projekt der Osterweiterung zustande zu bringen.
    Herr Bundeskanzler, wir haben ja – ich hoffe, es hält –
    mit einer gewissen Befriedigung vermerkt, daß Sie
    schnell Äußerungen wieder in Ordnung gebracht haben,
    die am Anfang nicht in Ordnung waren. Unseren Nach-
    barn in Osteuropa zu sagen, mit der neuen Regierung
    werde es jetzt ein wenig länger dauern, beschwor eine
    gefährliche Entwicklung herauf. Herr Fischer mußte
    dann gleich nach Warschau fliegen. Auch Sie waren dort
    und haben es in Ordnung gebracht. Ich hoffe, es bleibt
    dabei.

    Wir sollten uns als wiedervereintes Deutschland in
    der Mitte Europas unabhängig von der Frage, wer gera-
    de die Regierung und wer die Opposition stellt, darum
    bemühen, ganz Europa zu einem Kontinent zu machen,
    auf dem Frieden, Stabilität, wirtschaftliche, soziale
    und ökologische Prosperität herrschen. Das ist das
    wichtigste Projekt der Deutschen am Ende dieses und
    am Beginn des kommenden Jahrhunderts. Dafür müs-
    sen wir arbeiten; dazu werden wir auch in Zukunft ste-
    hen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das setzt aber voraus, daß jeder seinen Beitrag leistet.

    Stabilität beginnt immer zu Hause. Das gilt auch für die
    Zukunft.

    Wenn Sie glauben, die Arbeitslosigkeit könne durch
    den Europäischen Rat bekämpft werden, dann fürchte
    ich, daß Europa eine gefährliche Entwicklung nimmt.
    Wir werden Europa besser voranbringen, wenn wir das
    Subsidiaritätsprinzip in Europa stärker durchsetzen,
    das heißt, wenn wir uns darüber verständigen, welche
    Ebene in Europa – europäische Ebene, Mitgliedstaaten
    oder Regionen – für die Lösung welcher Probleme zu-
    ständig ist. Wer glaubt, europäische Beschäftigungs-
    politik würde in Europa mehr Arbeitsplätze schaffen, ist
    auf dem Holzweg. Am Ende werden in Europa nur mehr
    Steuern, mehr Abgaben, mehr Bürokratie und weniger

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    Arbeitsplätze herauskommen. Wir werden Sie auf die-
    sem Weg nicht unterstützen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Wir brauchen eine Steuerreform, die die Wachs-
    tumskräfte stärkt. Sie werden uns ja bei den steuerpoliti-
    schen Diskussionen der kommenden Tage und Wochen
    immer sagen – das ahne ich schon voraus –, diese und
    jene Maßnahme zur Verbreiterung der Bemessungs-
    grundlage habe auch die CDU/CSU-F.D.P.-Koalition
    einmal vorgesehen.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha! – Ernst Schwanhold [SPD]: So ist das!)


    – Sie sagen „Aha“, Frau Matthäus-Maier. Wären Sie
    doch einmal Fraktionsvorsitzende geworden, dann
    könnten Sie gleich im Anschluß reden.


    (Dr. Peter Struck [SPD]: Machen Sie mal so weiter, Herr Schäuble! Dann fangen auch wir gleich so an!)


    – Sie fangen ja wirklich gut an, indem Sie hier dauernd
    dazwischenrufen.


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Erst loben Sie, und dann beleidigen Sie!)


    – Wenn Sie vorhaben, wie Sie es mit solchen Zwischen-
    rufen schon bestätigen, die Unterschiede zweier völlig
    verschiedener steuerpolitischer Konzepte, nämlich Ihr
    falsches und unser richtiges, in der Öffentlichkeit zu
    verwischen


    (Lachen bei der SPD)

    dann muß ich es Ihnen entsprechend zurückgeben. Das
    können Sie doch nicht anders erwarten.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Nach unserem Konzept sollen die Steuersätze und

    zwar jetzt, nicht irgendwann – deutlich gesenkt werden.
    Alle Steuersätze –


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sechzehn Jahre habt ihr Zeit gehabt!)


    Spitzensteuersatz, Eingangssteuersatz und alle Sätze da-
    zwischen, Thesaurierungssatz und Ausschüttungssatz
    bei der Körperschaftsteuer – sollen etwa um ein Drittel
    gesenkt werden. Dazu ist eine Nettoentlastung erforder-
    lich, nicht irgendwann im nächsten Jahrhundert, sondern
    jetzt. Danach können Sie auch die Bemessungsgrund-
    lage verbreitern und Ausnahmeregelungen bei der Be-
    steuerung beseitigen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber nur dann!)

    Wenn Sie aber die Steuersätze nicht senken und keine

    Nettoentlastung ermöglichen, sondern nur die Bemes-
    sungsgrundlage verbreitern, dann nehmen Sie Steuerer-
    höhungen vor. Diese sind Gift für die Wirtschaft und
    den Arbeitsmarkt in Deutschland. Das ist der Unter-
    schied.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Jedesmal, wenn Sie in Zukunft versuchen, unter Ver-
    drehung der Wahrheit die Menschen darüber zu täu-
    schen, werden wir uns in aller Entschiedenheit dagegen
    wehren und der Öffentlichkeit die Wahrheit sagen. Es
    handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Konzepte.

    Letztendlich wollen Sie doch die Staatsquote gar
    nicht senken, sondern erhöhen. An keiner Stelle sehen
    Sie Einsparungen vor. In Ihrem Programm ist bisher le-
    diglich vorgesehen, beschlossene Einsparungen rück-
    gängig zu machen und mehr Geld auszugeben. Ich sage
    es Ihnen vorher: Der Sozialversicherungsbeitrag wird
    nicht sinken, wie sehr Sie den Benzinpreis auch erhö-
    hen. Dabei berücksichtigen Sie übrigens nicht, was das
    sozial bedeutet.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie haben doch 50 Pfennig draufgelegt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Waren Sie nicht auch einmal für die Ökosteuer?)


    – Frau Matthäus-Maier, Sie wollen immer, daß ich nett
    zu Ihnen bin. Das würde ich auch sein, wenn Sie nicht
    immer so irreführende Zwischenrufe machten.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das habe ich gar nicht gemacht! Haben Sie ihn erhöht oder nicht?)


    – Wir haben jetzt vier Jahre Zeit, uns zu streiten, aber
    dabei wollen wir doch freundlich bleiben.

    Lassen Sie uns also die Argumente austauschen: Un-
    ser Konzept war und bleibt, die Steuersätze zu senken,
    die Steuerbelastung insgesamt netto zu reduzieren und
    im Zuge dessen auch Ausnahmen zu beseitigen. Ihr
    Konzept bringt keine Nettoentlastung, keine Senkung
    der Steuersätze. Sie wollen nur Ausnahmen von der Be-
    steuerung abschaffen. Das sind Steuererhöhungen. Das
    ist das Gegenteil unserer Politik. Das Ergebnis wird
    mehr Arbeitslosigkeit und weniger Wachstum sein.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ihr Konzept ist, die beschlossenen und in Kraft ge-
    setzten Maßnahmen zur Reduzierung des Anstiegs der
    Ausgaben in der Renten- und der Krankenversiche-
    rung rückgängig zu machen. Sie werden nicht Beitrags-
    satzstabilität bei der gesetzlichen Krankenversicherung
    ernten, sondern Sie haben mit dem, was Sie ankündigen,
    drastische Beitragssteigerungen in der gesetzlichen
    Krankenversicherung zu erwarten.

    Wenn Sie jetzt die Ausgaben erhöhen, dann können
    Sie noch so viel Ökosteuer machen, wie Sie wollen, sie
    dient allenfalls dazu, die Beitragssatzsteigerungen zu
    vermeiden, die durch erhöhte Ausgaben entstehen; sie
    wird aber nicht zu dauerhaften Beitragssenkungen füh-
    ren. Deswegen ist Ihre Politik falsch.

    Sie können Umschichtungen nicht an Stelle von
    Einsparungen machen; denn wir brauchen zuerst
    die Einsparungen. Über zusätzliche Umschichtungen
    können wir dann reden, sie sind aber nicht ohne Einspa-
    rungen möglich. Das ist der grundsätzliche Unterschied.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Ich möchte zur Ökosteuer noch folgendes sagen: Ich
    glaube nicht – ich habe die Berechnungen gesehen –,
    daß sie letzten Endes zu der Entlastung führen wird, von
    der Sie sprechen. Erstens werden wir keine Beitragssen-
    kung bekommen, und zweitens habe ich die „Frankfurter
    Allgemeine Zeitung“ von heute gelesen, wo es heißt:

    Nach Berechnungen des Finanzministeriums hat
    die ökologische Steuer- und Abgabenreform für ei-
    nen Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresein-
    kommen von 70 000 Mark brutto folgende Auswir-
    kungen: Bei der Rentenversicherung ergibt sich

    – durch die Beitragssatzsenkung –
    eine Ersparnis von 280 Mark. Die Energiebesteue-
    rung führt dagegen zu einer Belastung von 301
    Mark:

    Sie müssen den Menschen erklären, wie Sie die Fa-
    milien entlasten, wenn sie für 280 DM Entlastung 301
    DM mehr bezahlen müssen. Das sind nach Berechnun-
    gen Ihres Hauses 21 DM mehr. Das Wort Entlastung
    sollte Ihnen wirklich nicht mehr über die Lippen kom-
    men.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Sie machen Steuererhöhungen, um Ihre Unfähigkeit
    zu Einsparungen finanzieren zu können. Im übrigen
    wollen Sie mehr Schulden machen und die Inflation be-
    schleunigen. Das ist der falsche Weg, und auf diesem
    Weg werden Sie mit unserer scharfen Kritik rechnen
    müssen.

    Die Steuerreform ist falsch, die Abgabenpolitik ist
    falsch, die Stabilität in Europa wird untergraben, und Sie
    machen nationale Alleingänge in der Energie- und Um-
    weltschutzpolitik.


    (Zuruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    – Ach, die Grünen. Wie war das mit den Grünen, Herr
    Kollege Schlauch? Mit was für großen hehren Vorsätzen
    sind Sie einmal angetreten?


    (Lachen bei der CDU/CSU)

    In dem Maße, in dem aus Turnschuhen Nadelstreifen
    wurden, ist aus Grundsätzen hemmungsloser Opportu-
    nismus geworden. Posten statt Ideen!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS – Ludwig Stiegler [SPD]: Und mit denen wollen Sie koalieren!)


    „Global denken, lokal handeln“ hat der Wahlspruch
    geheißen. Jetzt machen Sie in der Energie- und Umwelt-
    schutzpolitik nationale Alleingänge. Als ob irgendein
    Kernkraftwerk in Osteuropa durch einen nationalen Al-
    leingang Deutschlands sicherer würde! Das schafft doch
    nicht mehr Sicherheit.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völliger Kappes! Wieso ist die Ökosteuer ein nationaler Alleingang? Die anderen machen es doch vor! – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Was ist das für eine Ökosteuer? – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das verschlafen!)


    – Der Zwischenruf des Kollegen Schlauch veranlaßt
    mich, auf einen weiteren der kleinen Kniffe in der Re-
    gierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers noch ein-
    mal zu sprechen zu kommen, den wahrscheinlich, weil
    die Rede relativ glatt dahinplätscherte, nicht alle be-
    merkt haben. Die ganze rotgrüne Inszenierung vor und
    nach der Wahl hat doch suggeriert, Sie fangen jetzt
    richtig kräftig an mit dem, was Sie Ökosteuer nennen.
    Ich habe den Begriff immer für falsch gehalten, weil er
    nämlich verschleiert, daß Sie in Wahrheit nicht sparen
    wollen. Aber ohne Sparen kommen Sie nicht hin. Daß
    man darüber, wie man sparsamen Energieverbrauch
    sicherstellt, trefflich streiten und miteinander ringen
    kann, ist völlig in Ordnung. Aber Sie dürfen das nicht
    zur Grundlage der Finanzierung von Mehrausgaben in
    der Sozialversicherung machen. Das ist der falsche Weg,
    der verschüttet die Milch.

    Rotgrün kündigt also an – auch in Ihrer Regierungs-
    erklärung, Herr Bundeskanzler; Sie sehen, ich habe zu-
    gehört –, das wird jetzt kräftig gemacht. Dann kommt
    das mit den sechs Pfennig – energieintensive Betriebe
    ausgenommen oder nicht; lassen wir den Koalitionsstreit
    mal auf sich beruhen –, es wird aber gesagt: Das ist nur
    der erste Schritt, und in den nächsten Jahren geht es
    kräftig weiter. Denn sonst wäre es ja herzlich beschei-
    den. Da waren wir schon mal weiter in unseren Überle-
    gungen; allerdings haben Sie dann die notwendigen Ein-
    sparungen blockiert. Das war der Punkt, warum es nicht
    zustande gekommen ist.


    (Widerspruch des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Jetzt sagen Sie, Herr Bundeskanzler, die nächsten
    Schritte können nur in Europa kommen. Das heißt, Sie
    haben – wer von Ihren rotgrünen Genossen zugehört hat,
    weiß das – schon gesagt: Genossinnen und Genossen,
    laßt alle Hoffnung fahren; es gibt keine weiteren Schrit-
    te! Ich sage Ihnen: Die sechs Pfennige werden vorne und
    hinten nicht ausreichen, um die Ausgabensteigerungen
    in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung
    aufzufangen. Deswegen ist Ihr Programm ein Programm
    zur Erhöhung des Sozialversicherungsbeitrags in
    Deutschland. Das ist die Wirklichkeit!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Man kann in der Erwiderung auf die Regierungser-

    klärung, die alle Themen abdecken muß – wir werden
    noch die ganze Woche debattieren –, in dem ersten Bei-
    trag nicht bereits zu allen Themen Stellung beziehen.
    Das ist auch in Ordnung, und das ist parlamentarischer
    Brauch.

    Ich will aber noch wenige Bemerkungen zum Thema
    der inneren Sicherheit machen.


    (Zuruf von der SPD)

    – Ja, daran müssen Sie sich gewöhnen. Machen Sie nicht
    solche Zwischenrufe wie „Gott sei Dank“! Sie müssen
    auch in Ihrer Machtbesoffenheit schon ertragen, daß es

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    andere Meinungen in Deutschland gibt und daß diese
    vorgetragen werden.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen und Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie haben die Wahl gewonnen. Sie haben jetzt eine

    Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Das gibt Ihnen
    eine besondere Verantwortung. Aber ich rate Ihnen
    dringend: Gehen Sie damit – im Respekt vor der Mei-
    nung anderer – mit ein bißchen mehr Bescheidenheit
    um!


    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Und das sagen Sie! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Belehrung brauchen wir nicht!)


    Es fängt schon damit an, wie Sie den ersten Oppositi-
    onsbeitrag in dieser Debatte nicht ertragen wollen.

    Und jetzt sage ich Ihnen: Die Art, wie Sie in Ihre Ko-
    alitionsvereinbarung hineingeschrieben haben: Stimmt
    ihr für den Bundespräsidenten, kriegt ihr den Kommis-
    sar für Europa, das ist ein nicht angemessener Umgang
    mit den höchsten Ämtern in unserem Staat und in Euro-
    pa.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Das paßt ganz prima zu den Lafontaineschen Bemü-
    hungen in bezug auf Bundesbank und europäische No-
    tenbank.


    (Widerspruch bei der SPD)

    Ich sage Ihnen: Hochmut kommt vor dem Fall.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Darum sind Sie auch in der Opposition!)


    Die Arroganz der Macht ist die größte Versuchung.
    Dann sage ich Ihnen noch einmal das mit Herrn

    Schily, weil Sie es immer noch nicht verstanden haben:
    Es geht nicht an, daß ein Innenminister der Bundesrepu-
    blik Deutschland, wenn er ein Problem darin sieht, daß
    eine Partei, die Gegenstand der Beobachtung durch den
    Verfassungsschutz ist, nun in einer Landesregierung
    beteiligt ist, sagt: Dann dürfen wir sie nicht mehr beob-
    achten. Er müßte dafür eintreten, daß sie nicht Mitglied
    einer Landesregierung wird. Das wäre die einzig richtige
    Antwort!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, ihr hättet die roten Socken weggepackt!)


    Herr Kollege Schlauch, jetzt komme ich auf den Be-
    richt des Bonner „Generalanzeigers“ vom 26. Oktober
    zu sprechen. Er hat mich so empört, daß ich ihn heute
    erwähnen muß. Der Bericht handelt über gewalttätige

    Krawalle in Bonn, bei denen die Polizei eine Reihe von
    Gewalttätern festgenommen hat.


    (Zuruf von der Regierungsbank)

    – Entschuldigung, die Landesregierung von Nordrhein-
    Westfalen, die für den Polizeieinsatz in Bonn zuständig
    ist, wird doch von SPD und Grünen getragen. – Was ist
    passiert? Ich könnte jetzt den gesamten Bericht vorlesen.


    (Zuruf von der SPD: Nein!)

    In der Menge sollten nach Angaben eines Polizei-
    sprechers 20 Gewalttäter sein, die die Beamten mit
    Flaschen, Steinen und anderen Gegenständen be-
    worfen hatten. ... Als Politiker von Bündnis 90/Die
    Grünen auf ihrem Parteitag in der Beethovenhalle
    davon erfuhren, bahnte sich Ärger an. NRW-
    Bauminister Michael Vesper, mehrere Bundestags-
    abgeordnete und der Bonner Landtagsabgeordnete
    Roland Appel schalteten sich ein. Während Vesper
    vor Ort mit dem Einsatzleiter über eine Freilassung
    der Festgehaltenen verhandelte, fuhr Appel ins Prä-
    sidium.

    So wollen wir in Deutschland nicht anfangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Die Polizei verrichtet in allen Ländern einen schwe-
    ren Dienst. Wir schulden den Polizeibeamten der Länder
    Dank und Unterstützung. Was wir unter gar keinen Um-
    ständen als Politiker – ob wir Regierungsverantwortung
    tragen oder als Abgeordnete tätig sind – machen dürfen:
    Wenn die Polizei bei gewalttätigen Krawallen – das ist
    für die Polizei eine schwierige Situation – Gewalttäter
    festnimmt, dürfen Abgeordnete von Bundestag und
    Landtag – oder sogar Minister der Regierung, die der
    Dienstherr dieser Polizeibeamten ist – nicht mit der
    Polizeieinsatzleitung darüber verhandeln, ob man die
    Gewalttäter wieder freiläßt, so geht der Rechtsstaat vor
    die Hunde. Das sollte man nicht anfangen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich glaube nicht, daß Sie so die innere Sicherheit ver-
    bessern werden.

    Übrigens: Zur Eröffnungsbilanz Ihrer Regierung ge-
    hört auch, daß die Kriminalität in Deutschland in den
    letzten Jahren deutlich abgenommen hat und die Aufklä-
    rungsquote gestiegen ist.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat im Wahlkampf anders geklungen!)


    – Nein, überhaupt nicht. Aber die Verbesserung reicht
    noch nicht aus. Deshalb müssen Sie Ihren Parteifreund
    Vesper an die Leine nehmen, Herr Kollege Schlauch. Es
    geht nun wirklich nicht, als Minister einer Landesregie-
    rung die Gewalttäter zu Verhandlungsführern zu ma-
    chen. – Die Kriminalität hat durch die Anstrengungen
    von Bund und Ländern abgenommen. Das ist in erster
    Linie das Verdienst der Polizeibeamten. Wir müssen sie
    bei ihrer Arbeit unterstützen und dürfen ihnen nicht in
    den Rücken fallen. Dafür appelliere ich, darum werbe
    ich.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Aber ich sage auch: Neben vielen wichtigen und
    schwierigen Aufgaben ist die Bewahrung von innerer
    Sicherheit in der modernen Welt eine der großen Her-
    ausforderungen, für deren Bewältigung es kein Patentre-
    zept gibt.


    (Zuruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    – Herr Kollege Schlauch, wenn Sie in diesem Zusam-
    menhang noch einen Zwischenruf machen, muß ich über
    einen Vorgang berichten, bei dem Sie sich entschuldigen
    mußten. Meine Kenntnisse über Ihren Umgang mit ba-
    den-württembergischen Polizeibeamten sind noch gut
    genug, um Sie zu warnen: Seien Sie an dieser Stelle
    ganz ruhig!


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Die Bewahrung der inneren Sicherheit wird nicht ge-
    lingen, wenn wir nicht eine vernünftige Mischung von
    verschiedenen Maßnahmen finden. Herr Bundeskanzler,
    wir stimmen mit dem überein, was Ihr Innenminister im
    Zusammenhang mit Maßnahmen zur Prävention – Ju-
    gendarbeit, Musikschulen und dergleichen – gesagt hat.
    Diese Art von Prävention muß sich aber vor Ort, in der
    Kommunal- und Landespolitik abspielen. Je mehr es
    gelingt, mit Hilfe von Ehrenamtlichen – Herr Bundes-
    kanzler, da haben Sie mich völlig falsch verstanden, ich
    hatte etwas anderes gesagt; ich wollte Sie gar nicht är-
    gern, sondern mich nur mit Ihnen politisch auseinander-
    setzen – präventive Arbeit zu leisten, um so besser ist es.
    Aber alle Prävention und alle Sozialtherapie wird den
    Staat am Ende nicht der Verantwortung entheben, das
    Gewaltmonopol durchsetzen zu müssen. Dafür brauchen
    wir klare Gesetze, eine einsatzfähige Polizei und Ge-
    richte, die den Rechtsstaat durchsetzen. Das eine kann
    nicht durch das andere ersetzt werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ich glaube übrigens, daß uns die Prävention und die
    Gewaltfreiheit um so besser gelingen werden, je mehr
    wir uns daran erinnern, daß grundlegende Werte und das
    Bekenntnis dazu Grundlage jeder Freiheitsordnung sein
    müssen und daß wir Institutionen brauchen, die Werte
    vermitteln. Anders wird es nicht gehen.

    Rotgrün ist auf dem falschen Weg, wenn es die vor-
    rangige Schutzfunktion von Ehe und Familie dadurch
    untergräbt, daß es Ehe und Familie jeder anderen Form
    menschlichen Zusammenlebens gleichsetzen will. Nach
    Artikel 6 des Grundgesetzes genießen Ehe und Familie
    vorrangigen Schutz. Diesen Schutz brauchen sie auch.
    Wir respektieren jede Lebensform der Menschen. Wir
    schreiben niemandem etwas vor. Aber wir brauchen
    Leitbilder und eine Wertorientierung, damit unsere Ge-
    sellschaft auch im 21. Jahrhundert freiheitlich, tolerant
    und menschenwürdig bleibt.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Wir brauchen die richtigen Entscheidungen. Wir sind
    uns einig, daß das Zusammenleben mit ausländischen

    Mitbürgern, die auf Dauer in Deutschland leben und von
    denen viele von uns einmal angeworben wurden – auch
    das gehört zur Wahrheit und muß den Menschen immer
    wieder gesagt werden –, also mit Menschen, die ganz
    unterschiedlich sind, alle modernen Demokratien vor
    große Herausforderungen, vor große Bewährungsproben
    stellt. Das ist richtig; da sind wir uns einig.

    Deswegen muß unser aller Ziel sein – ich hoffe, daß
    es hierbei in diesem Hause keine Unterschiede gibt –,
    die auf Dauer rechtmäßig in Deutschland lebenden aus-
    ländischen Mitbürger – vor allen Dingen die Kinder, die
    hier geboren werden – so gut und so schnell wie mög-
    lich zu integrieren. Zur Verwirklichung dieses Ziels
    müssen wir auf allen Ebenen, also im Bund, in den Län-
    dern und in den Gemeinden, sehr viele Anstrengungen
    unternehmen. – Ich wiederhole: Kein Bundesland hat in
    den Schulen mehr Stellen für die Integration von Kin-
    dern ausländischer Eltern eingerichtet als der Freistaat
    Bayern. Auch das gehört zur Wahrheit, wenn man fair
    miteinander umgeht. –


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir müssen also gemeinsam auf allen Ebenen jede

    Anstrengung zur Förderung von Integration unterneh-
    men. Die Union wird sich darin von niemandem über-
    treffen lassen.

    Aber die ausnahmslose Hinnahme einer doppelten
    Staatsangehörigkeit ist der falsche Weg. Sie wird die
    Integration nicht fördern, sondern behindern. Deswegen
    appelliere ich an Sie: Kehren Sie auf diesem falschen
    Weg um! Das Ergebnis wird nicht mehr Toleranz und
    mehr Ausländerfreundlichkeit, sondern das Gegenteil
    sein. Wenn Sie die ausländischen Mitbürger mit dem
    Privileg versehen, zwei Staatsangehörigkeiten haben zu
    können, während die Deutschen nur eine haben, wenn
    Sie die Staatsangehörigkeit nicht mehr als Abschluß
    eines Integrationsprozesses verstehen, dann geht das am
    Kern des Problems vorbei, Herr Bundeskanzler. Es ist
    die freie Entscheidung der Menschen, ob sie die deut-
    sche Staatsangehörigkeit erwerben wollen, ob sie Deut-
    sche sein wollen oder nicht. Wir zwingen niemanden,
    Deutscher zu werden. Aber wer Deutscher werden will,
    muß die Entscheidung dazu treffen. Deswegen ist die
    ausnahmslose Hinnahme einer doppelten Staatsangehö-
    rigkeit im Ergebnis nicht ein Programm zur Förderung
    von Integration, sondern zur Förderung von Ausländer-
    feindlichkeit. Deswegen werden wir sie bekämpfen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der grundsätzliche Unter-

    schied zwischen dieser Regierung, der rotgrünen Koali-
    tion, und der Union – über alle Einzelheiten und Einzel-
    fragen hinweg, über die wir uns Tag für Tag und Woche
    für Woche kämpferisch auseinandersetzen müssen und
    auseinandersetzen werden – besteht letzten Endes in der
    Frage – in den Zielen sind wir uns ja häufig einig: Inte-
    gration, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Wohlstand
    für alle, soziale Sicherheit, Frieden nach außen und in-
    nere Sicherheit; über all das gibt es keinen Streit –: Wie
    erreichen wir diese Ziele? Bei der Beantwortung dieser
    Frage setzen Sie, wenn es ernst wird, trotz aller schönen
    Formulierungen in Ihrer Regierungserklärung immer auf

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    staatliche, zentralistische Regulierung und Reglementie-
    rung und im Ergebnis auf Steuern, Abgaben und Büro-
    kratie.

    Das ist nach unserer Überzeugung der falsche Weg.
    Wir trauen den Menschen, und wir trauen ihnen etwas
    zu. Deswegen wollen wir die Kräfte von Eigenverant-
    wortung, Freiheit, freiwilliger Solidarität, von Werten
    und wertvermittelnden Institutionen stärken. Das ist der
    grundsätzliche Unterschied. Dieser Unterschied wird
    sichtbar in der Sozialpolitik, in der Wirtschaftspolitik, in
    der Finanzpolitik, in der inneren Sicherheit und bei der
    Integration ausländischer Mitbürger.

    Dies ist letzten Endes eine Frage des Menschenbil-
    des. Nach unserer Überzeugung kann der Staat nicht al-
    les, und er darf auch nicht alles können. Staatliche All-
    macht war in der Menschheitsgeschichte immer die Vor-
    stufe zur Hölle. Deswegen sind Machtbegrenzung, De-
    zentralisierung, Föderalismus, Autonomie und Wettbe-
    werb der bessere Weg, um Freiheit und eine gute Zu-
    kunft zu sichern. Das ist der Weg der Union.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen einen handlungsfähigen Staat, der sein

    Gewaltmonopol ernst nimmt und durchsetzt. Wir brau-
    chen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Herr Lafontai-
    ne, es hilft alles nichts: Die wirtschaftliche Entwicklung,
    die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft richtet sich
    nach den Regeln von Markt und Wettbewerb im Zeital-
    ter der Globalisierung. Wer die bestehenden Regeln des
    weltweiten Wettbewerbs bestreitet, kann Deutschland
    nicht in eine gute Zukunft führen. Für die Wettbewerbs-
    fähigkeit der Wirtschaft muß man die Regeln von Markt
    und Wettbewerb akzeptieren.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Aber das ist nicht alles. Wirtschaft und Wirtschaften
    sind nie Selbstzweck. Ziel ist vielmehr, für die Men-
    schen mehr Erfüllung, mehr Glück, mehr Wohlstand,
    mehr soziale Sicherheit sowie mehr Frieden und Freiheit
    zu bewirken. Deswegen wollen wir eine sozial starke
    Gesellschaft. Wir müssen um die Frage „Wirtschaft wo-
    zu?“ ringen, um die richtigen Antworten zu geben. Wirt-
    schaftliche Leistungsfähigkeit, eine aktive, starke Ge-
    sellschaft, Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Wärme
    – das ist der Wettstreit, um den es geht. Angesichts des-
    sen versagen Sie, indem Sie schon die Regeln von Markt
    und Wettbewerb nicht akzeptieren können.

    Herr Bundeskanzler, Sie haben in zwei Reden – am
    1. September und am 3. Oktober dieses Jahres, noch als
    Bundesratspräsident – davon gesprochen, der Födera-
    lismus dürfe nicht zu einem Wettbewerb zwischen den
    Bundesländern werden.

    Ich sage: In dieser Frage ist die CDU/CSU grund-
    sätzlich gegenteiliger Auffassung.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wenn dezentrale Systeme, die kommunale Selbstver-
    waltung, der Föderalismus, die Gliederung staatlicher
    Macht und Zuständigkeit in Bund und Ländern, einen
    Sinn machen sollen, muß es einen Wettbewerb um die

    bessere Lösung, zum Beispiel zwischen Kommunen und
    zwischen Bundesländern, geben. Diese bessere Lösung
    muß dann Vorbild für die anderen sein. Die Ausgleichs-
    systeme dürfen nicht dazu führen, daß am Schluß dieje-
    nigen mit den schlechtesten Ergebnissen an der Spitze
    stehen. Deswegen muß unser System des Föderalismus
    reformiert werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Wer den Wettbewerb nicht akzeptiert, hat die Grundre-
    geln für Innovations- und Zukunftsfähigkeit einer Wirt-
    schafts- und Gesellschaftsordnung nicht verstanden. Mit
    dieser grundsätzlichen Alternative werden Sie sich in
    den kommenden Jahren auseinandersetzen müssen. Wir
    streiten mit Ihnen um den besseren Weg in eine gute
    Zukunft, und wir nehmen unsere Verantwortung ernst.

    Ich sage noch einmal, weil ich ja weiß, daß Sie Ihre
    Wahlversprechungen schnell vergessen machen wol-
    len – deswegen muß es am Anfang und am Ende des er-
    sten Diskussionsbeitrags zu dieser Regierungserklärung
    gesagt werden –: Das Haus ist wohl bestellt, das Sie
    nach 16 Jahren CDU/CSU-FDP-Regierung übernommen
    haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Niemand hat je bestritten, daß wir eine Menge Probleme
    haben. Sie haben uns doch in den letzten Jahren immer
    wieder daran gehindert, die Probleme noch besser zu lö-
    sen, als wir sie ohnehin schon gelöst haben. Aber es
    bleibt festzuhalten: Das Haus ist wohl bestellt. Wir ha-
    ben eine rückläufige Arbeitslosigkeit; es gibt 400 000
    Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Es sind über
    800 000 Arbeitsplätze im Verlauf dieses Jahres hinzuge-
    kommen. Wir haben stabile Preise und die niedrigste
    Preissteigerungsrate seit vielen Jahren. Wir haben die
    niedrigsten Zinsen. Wir haben ein solides Wirtschafts-
    wachstum. Wir haben weniger Kriminalität und eine hö-
    here Aufklärungsquote. Wir haben in den letzten Jahren
    weniger Zuwanderung nach Deutschland gehabt. All
    dies stellt die Ausgangslage dar, in der Sie anfangen.


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine Erfolgsbilanz!)


    Wenn sich in den kommenden Jahren die Entwick-
    lung zum Schlechteren verändert, dann sind das, Herr
    Bundeskanzler, Ihre Zahlen. Wenn die Arbeitslosigkeit
    und auch die Inflation steigen und das Wirtschafts-
    wachstum zurückgeht, dann ist das in der Verantwor-
    tung Ihrer Politik.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Daran werden Sie sich messen lassen müssen. Sie haben
    gesagt, Sie wollen sich daran messen lassen; wir werden
    Sie daran messen.


    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der
Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.

Dr. Wolfgang Schäuble






(B)



(A) (C)



(D)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Peter Struck


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Da-
    men und Herren! Es gibt verschiedene Möglichkeiten,
    im Parlament das Verhältnis zwischen den Koalitions-
    fraktionen und den Oppositionsfraktionen zu regeln.
    Eines will ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, Herr
    Kollege Schäuble: Wer wie Sie uns „Machtbesoffen-
    heit“ vorwirft,


    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat recht!)

    der darf sich dann nicht darüber wundern, daß ich ihm
    entgegenhalte: Ihre Tiraden sind nur dadurch zu erklä-
    ren, daß Sie die Regierungsmacht verloren haben und
    daß Sie selbst nicht Bundeskanzler der Bundesrepublik
    Deutschland werden konnten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich sage Ihnen noch eines, Herr Kollege Schäuble:
    Sie brauchen hier keine Reden wie vor der Wahl zu
    halten, nach dem Motto: Wir übergeben ein wohl be-
    stelltes Haus. Wenn das denn so wäre, so müßte man
    fragen: Wieso sind Ihnen denn die Bürger, zum Beispiel
    die Mieter, weggelaufen? Können Sie mir das einmal
    erklären? Das ist ja geradezu absurd.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich sage Ihnen auch noch klipp und klar: Wir können
    vernünftig miteinander umgehen. Das sollten wir im In-
    teresse unserer parlamentarischen Demokratie tun. Aber
    dann müssen Sie, verehrter Herr Kollege Schäuble, es
    auch ertragen, daß Zwischenrufe gemacht werden. Da-
    bei müssen Sie nicht immer den Schutz des Präsidenten
    in Anspruch nehmen. Wenn Sie die SPD-Fraktion so
    angreifen, wie Sie das getan haben, dann werden wir uns
    wehren, und dabei wird es bleiben. Nehmen Sie das zur
    Kenntnis!


    (Beifall bei der SPD)

    Ich war ja sehr gespannt auf die Rede, die Sie halten

    würden, weil ich dachte: Was kommt denn nun? Ich ver-
    stehe – weil wir das ja selbst 16 Jahre lang als Opposi-
    tion ertragen mußten –, daß der Vorsitzende einer Oppo-
    sitionsfraktion versuchen muß, die eigenen Leute zu
    mobilisieren.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Scharping hat das immer gemacht!)


    Ich kann nachvollziehen, wie schwer das für Sie ist und
    daß man dann natürlich versuchen muß, auch kräftige
    Worte zu finden. Aber, Herr Kollege Schäuble, Ihre
    heuchlerischen Ausführungen zu der Frage des Ver-
    hältnisses zwischen PDS und SPD


    (Michael Glos [CDU/CSU]: „Heuchlerisch“? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    gehen weit über die Grenze hinaus.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wir wissen doch ganz genau, daß in 44 Gemeinden und
    Landkreisen in den neuen Ländern die CDU Koalitionen

    mit der PDS eingegangen ist. Uns dann hier Zusammen-
    arbeit vorzuwerfen ist lächerlich.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn Sie, Herr Kollege Schäuble, uns auch noch anla-
    sten wollen, daß die PDS in den Bundestag eingezogen
    ist, dann sage ich Ihnen klipp und klar: Wir wollten
    nicht – Verzeihung, Herr Kollege Gysi –, daß diese
    Partei in den Deutschen Bundestag einzieht. Sie ist ein-
    gezogen, weil Sie, meine Damen und Herren von der
    Opposition, in den neuen Ländern eine falsche Politik
    gemacht haben. Sie haben das zu verantworten, nicht
    wir.


    (Beifall bei der SPD)

    Es macht mich sehr stolz, hier für die größte SPD-

    Bundestagsfraktion sprechen zu dürfen, die je in diesem
    Hause gearbeitet hat.


    (Zurufe von der CDU/CSU)

    – Entschuldigen Sie; ich höre Zurufe von Herrn Waigel
    und Herrn Glos. Ich will nur Herrn Kollegen Waigel sa-
    gen – Herr Hintze hat sich schon verzogen –: Sie sind
    nun absolut ungeeignet, in irgendeiner Weise Zurufe zu
    machen, Sie als völlig gescheiterter Finanzminister der
    Bundesrepublik Deutschland.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die SPD-Kandidatinnen und -Kandidaten haben 212
    Wahlkreise direkt gewonnen, 109 mehr als bei der Wahl
    zum vergangenen Bundestag. Das hat es noch nie gege-
    ben: 20 181 269 Wähler haben der SPD und Gerhard
    Schröder ihre Zweitstimme gegeben. Meine Damen und
    Herren, Herr Bundeskanzler, wir werden dieses Vertrau-
    en rechtfertigen.


    (Beifall bei der SPD)

    Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik

    Deutschland ist – das ist der tiefere Grund für die Ver-
    bitterung und für die teilweise unsinnigen Tiraden Ihres
    Fraktionsvorsitzenden – eine Regierung komplett ab-
    gewählt worden. Zum erstenmal haben Oppositionspar-
    teien per Wahl das Kanzleramt errungen. Ihnen mag das
    nicht passen, aber es sollte Sie freuen; denn es ist ein
    Beleg dafür, wie demokratisch und lebendig unsere
    Bürger entscheiden können, wenn es um die Frage geht,
    wer politische Verantwortung in unserem Land haben
    soll.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir, die SPD-Fraktion, werden uns – trotz dieses sehr
    schlechten Anfangs von Ihrer Seite, Herr Kollege
    Schäuble –


    (Lachen bei der CDU/CSU)

    durch die gewonnene Stärke nicht zu Arroganz verleiten
    lassen. Allen Fraktionen bieten wir eine faire, konstruk-
    tive Zusammenarbeit an, schon deshalb, weil wir aus
    16 Oppositionsjahren wissen, wie es ist, wenn alle Ei-
    geninitiativen von der Dominanz der Regierungsfraktio-
    nen vom Tisch gefegt werden.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Wo ich gerade die F.D.P. sehe

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wir waren die ganze Zeit hier!)

    – ja, ich weiß –: Der arme Herr Gerhardt muß jetzt ganz
    alleine da vorne in der ersten Reihe sitzen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich bin in guter Gesellschaft!)


    Als wir – das muß ich Ihnen einmal sagen, Herr Ger-
    hardt; vielleicht wissen Sie das nicht – in der Situation
    waren, in der Sie jetzt sind, ging es um die Frage, wie
    viele Stühle in der ersten Reihe die Fraktionen haben
    dürfen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat damals der
    Fraktion Bündnis 90/Die Grünen freundlicherweise ei-
    nen ihrer Plätze zur Verfügung gestellt. Daran, daß Sie
    jetzt dort alleine sitzen müssen, sehen Sie, wie Ihr ehe-
    maliger Koalitionspartner mit Ihnen umgeht.


    (Beifall bei der SPD)

    So ist das, wenn man nicht mehr gebraucht wird.

    Ihre Fraktion ist ein bißchen kleiner geworden, und
    die Anreden in Ihrer Fraktion müssen sich auch ändern:
    Sie können nicht mehr „Herr Minister“ und „Herr
    Staatssekretär“ sagen. Sie regieren zum erstenmal seit
    29 Jahren nicht mehr mit, aber – das muß ich Ihnen ehr-
    lich sagen, Herr Gerhardt – ich habe überhaupt kein
    Mitleid mit Ihnen. Es freut mich geradezu.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wir haben auch kein Problem damit!)


    Da ich nun gerade meinen Blick schweifen lasse:
    Herr Altbundeskanzler Kohl, es ist viel davon gespro-
    chen worden, in welch würdiger Art und Weise der
    Amtswechsel vollzogen worden ist und wie Sie diese
    Wahlniederlage hingenommen haben. Ich will das nicht
    wiederholen; ich finde, das ist nun oft genug gesagt
    worden. Aber ich möchte sagen – Sie werden es mir per-
    sönlich nicht übelnehmen, Herr Altkanzler Kohl –: Mir
    wäre es lieber gewesen, wenn Sie diese würdige Art, ei-
    ne Wahlniederlage hinzunehmen, schon viel früher als
    1998 hätten zeigen können.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Arroganz der Macht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    – Ja, die Wahrheit hört man nicht gerne. Herr Waigel,
    setzen Sie sich mal lieber ganz nach hinten; dort stören
    Sie am wenigsten. Ihre Zeit ist sowieso schon lange vor-
    bei.

    Wer hätte erwartet, daß diese Koalition der Erneue-
    rung in Rekordzeit einen vertragsfähigen Handlungs-
    rahmen abstecken würde? Das sind keine Blütenträume,
    sondern das Konzept, wie es der Herr Bundeskanzler für
    die nächsten vier Jahre vorgestellt hat, ist sehr reali-
    stisch. Manchem Bürger geht das nicht weit genug;
    mancher hätte mehr Aufbruch erwartet. Ich glaube aber,
    daß Rot und Grün das rechte Augenmaß für Kontinuität
    und Erneuerung hatten. Für unseren Start in Jahre har-
    ter Arbeit gilt, was die Chinesen mit einem Sprichwort

    sagen: Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten
    Schritt.

    Sie können sicher sein, daß wir es ernst meinen mit
    der Erkenntnis, die der Vorsitzende der Unionsfraktion,
    Kollege Schäuble – er ist gerade nicht im Saale anwe-
    send –,


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er kommt gleich wieder!)


    1994, bei der letzten Regierungserklärung Helmut Kohls
    zum Anfang einer Legislaturperiode, hier zum Besten
    gegeben hat: „Wir wissen nicht alles, und wir wissen
    nicht alles besser.“ Das ist eine richtige Erkenntnis. Ich
    werde ihn noch persönlich darauf ansprechen, wenn er
    Gelegenheit hat, wieder hier im Plenum zu sein.

    1994 war dies eine kluge Einschätzung. Wie recht er
    damit hatte, hat das Wählervotum gezeigt. Das war auch
    die Antwort darauf, daß die Unionsfraktion entgegen ih-
    rer vorgetragenen Einschätzung glaubte, das Land mit
    ihrer Besserwisserei überziehen zu können. Das glauben
    Sie heute übrigens – wie die Rede von Herrn Schäuble
    gezeigt hat – noch immer. Wie anders ist zu verstehen,
    daß Sie auf Ihrem Parteitag und auch eben wieder eine
    vermeintliche Erfolgsbilanz vorlegten? Nehmen Sie
    doch den Rat an, der Ihnen in den Medien erteilt wird.
    Sie machen sich lächerlich, wenn Sie, Herr Waigel, Herr
    Glos und andere, sich nach einer so heftig verlorenen
    Wahl auf die Schulter klopfen. Was Sie hinterlassen ha-
    ben, ist kein Fundament für eine gute Zukunft, wie Sie
    es kürzlich und gerade eben wieder behauptet haben.


    (Beifall bei der SPD)

    Meine Aufgabe ist es nicht, Ursachenforschung für

    das Desaster der Union zu betreiben. Das machen Leute
    wie Rüttgers, Blüm, Geißler, Biedenkopf oder angeb-
    liche „Junge Wilde“ – was daran wild sein soll, ist mir
    noch nie aufgegangen – mit weit intimerer Kenntnis.

    Die Kirchen haben Sie gewarnt; die Gewerkschaften
    haben Sie gewarnt. Dennoch haben Sie eine Politik be-
    trieben, die gegen die Interessen der großen Mehrheit
    der Bevölkerung gerichtet war. Das ist jetzt sogar Nor-
    bert Blüm aufgefallen. Er sagt – ich zitiere –: „Vielleicht
    haben wir den Eindruck erweckt, unsere Vorschläge
    stammten aus dem sozialen Kühlhaus.“ – Herr Kollege
    Blüm, das war nicht nur irgendein Kühlhaus. Manchmal
    hat Ihre Regierung den Eindruck erweckt, als sei ihr so-
    ziales Gewissen tief im ewigen Eis Grönlands eingefro-
    ren.


    (Beifall bei der SPD)

    Inzwischen aber tauen selbst die sozialen Gefühle des

    neuen CDU-Vorsitzenden auf. Fast anrührend gab er
    am 29. Oktober zu Protokoll, daß wir wieder eine Ge-
    sellschaft brauchen, in der niemand sich selbst überlassen
    bleibt, eine Gesellschaft – so Herr Kollege Schäuble –,
    in der soziale Gerechtigkeit herrscht. – Ich glaube,
    Herr Schäuble, Sie verwechseln da eine Kleinigkeit: Sie
    müssen jetzt Opposition gegen Rotgrün machen, oppo-
    nieren im Augenblick aber gegen Ihre Thesen von ge-
    stern aus dem Kühlhaus. Lesen Sie doch nach, was Sie

    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    vor zwei Jahren in der Akademie in Tutzing gesagt ha-
    ben:

    Das Desaster der Union ist nicht mein Thema.
    Mein Thema ist die Frage, wie eine Regierung so
    sehr die Notwendigkeit des Zusammenhalts dieser
    Gesellschaft aus den Augen verlieren konnte.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    In den CDU-Sozialausschüssen bemängelt man, die

    Bundesregierung habe nicht leidenschaftlich genug für
    den Konsens gekämpft und sei – Zitat – in die Kon-
    fliktfalle geraten. – Das stimmt nur zum Teil. Die ehe-
    malige Regierung Kohl hat sich nicht in die Kon-
    fliktfalle verirrt. Das Scheitern des „Bündnisses für Ar-
    beit“ war die logische, wenn auch absolut falsche Kon-
    sequenz einer Politik, die immer nur die alttestamentari-
    sche Alternative im Auge hatte: Wer nicht für mich ist,
    ist wider mich.

    In diesem Land ist von Ihnen zu lange ein Freund-
    Feind-Schema gezüchtet worden. In diesem Land ge-
    hörte nur der zu den Guten, der Ihrer Meinung war. In
    diesem Land wurde nicht zusammengeführt, sondern ge-
    spalten.


    (Beifall bei der SPD)

    Da wurden einzelne Menschen wie der Schriftsteller

    Günter Grass an den Pranger gestellt, weil sie unbeque-
    me Meinungen zum Beispiel in der Ausländerpolitik
    hatten. Da wurden Fernsehjournalisten mit sanftem
    Druck aus dem Kanzleramt kaltgestellt, weil sie Kohls
    Weg in die Einheit kritisch begleiteten. Da wurden
    Gruppen wie Atomkraftgegner mitunter wie Staatsfeinde
    behandelt.

    Fast ein Viertel der Wähler in den neuen Ländern ha-
    ben Sie mit Ihren Polarisierungen in die Hände der PDS
    getrieben. Sie finden es jetzt aber absurd, daß diese Par-
    tei am politischen Prozeß beteiligt werden muß.

    Zur PDS hat der Kollege van Essen in der für die
    Union fürchterlich peinlichen Geschäftsordnungsdebatte
    zu Beginn der Arbeit dieses Bundestages zwei richtige
    Sätze gesagt, die ich nur unterstreichen kann. Ich zitiere:

    Die PDS lebt doch gerade davon, sich als verfolgt,
    als benachteiligt darzustellen. Wir sollten ihr genau
    diesen Gefallen nicht tun.

    So ist es. Wir werden die PDS ordentlich in die Parla-
    mentsarbeit einbeziehen.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: So wie in Mecklenburg!)


    – Ich komme auf das Thema noch zu sprechen, Herr
    Kollege Glos.

    Meine Damen und Herren, Gerhard Schröder und
    Oskar Lafontaine haben immer wieder klargemacht,
    worauf es auch und vor allem ankommen wird. Oskar
    Lafontaine hat das auf einen einfachen Satz aus dem
    Volksmund gebracht: „Was du nicht willst, daß man dir
    tu', das füg' auch keinem andern zu.“ Das ist banal. Aber
    auf dieser Banalität beruht alles vernünftige Miteinander
    von Menschen in unserem Lande. Sie haben aber nicht
    nur billigend in Kauf genommen, daß dieser Erkenntnis

    nicht mehr Rechnung getragen wurde, Sie haben aktiv
    dazu beigetragen, indem Sie gesellschaftliche Gruppen
    gegeneinander ausgespielt und in weiten Teilen Klien-
    telpolitik betrieben haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Meine Damen und Herren, genau das wollen wir
    nicht. Wir wollen die Gerechtigkeitslücke schließen.
    Wir haben keine großen Versprechungen, wir haben
    vor allen Dingen keine falschen Versprechungen ge-
    macht, Herr Kollege Kohl. Wir halten Wort und werden
    deshalb unverzüglich die von der Regierung Kohl vor-
    genommenen Verschlechterungen beim Kündigungs-
    schutz, bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall,
    beim Schlechtwettergeld der Bauarbeiter und bei den
    Renten korrigieren.


    (Beifall bei der SPD)

    Nur ein Beispiel daraus: Das Schlechtwettergeld,

    das 1959 als soziale Errungenschaft am Bau gefeiert
    wurde, wird 1999 mit uns wieder eingeführt. Wir korri-
    gieren den Wahnsinn einer sogenannten Reform, mit der
    im Winter massenhaft Bauarbeiter entlassen wurden und
    auch im Frühjahr auf der Straße standen. Winterrisiko
    darf kein Arbeitsplatzrisiko sein.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ich warte eigentlich immer noch auf den Kollegen
    Schäuble, weil ich einige Worte an ihn richten will.
    Vielleicht könnte die Geschäftsführung mir einmal mit-
    teilen, ob er noch zu kommen beabsichtigt. Ich möchte
    auf ihn eingehen. Er hat ja gerade gesagt: Wir wollen
    eine Debatte haben. Aber wie kann ich mit ihm eine De-
    batte führen, wenn er nicht da ist?


    (Beifall bei der SPD)

    Union und F.D.P. kritisieren die Finanzpolitik der

    neuen Regierung und unsere Steuerreform – Herr
    Schäuble hat das eben auch getan –, offensichtlich ohne
    genau hingesehen zu haben. Ein Satz von Herrn
    Schäuble ist absolut rekordverdächtig: „Unsere Bundes-
    regierung“, so hat er gesagt, „hinterläßt geordnete
    Staatsfinanzen.“


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo denn?)


    Dieser Satz qualifiziert Herrn Schäuble aus meiner Sicht
    sofort und unwiderruflich und ohne jeden Gegner als
    nächsten Kandidaten für den Orden wider den tierischen
    Ernst.


    (Beifall bei der SPD)

    Es ist bei den Löchern, die uns Herr Waigel hinterlassen
    hat, absolut lächerlich, von „geordneten Staatsfinanzen“
    zu sprechen. Er hat, wie man sehen kann, inzwischen
    den Raum auch fluchtartig verlassen.

    Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinsti-
    tute sagen in ihrem Herbstgutachten:

    Die bisher vorliegenden Ergebnisse der Koalitions-
    verhandlungen deuten auf eine leichte Lockerung

    Dr. Peter Struck






    (A) (C)



    (B) (D)


    der Konsolidierung hin, trotz veränderter finanzpo-
    litischer Akzente, aber nicht auf einen generellen
    Kurswechsel.

    Und ein anderes Zitat:
    Die künftige Bundesregierung scheint nach den
    bisherigen Verlautbarungen an der mittelfristigen
    Rückführung des Budgetdefizits festhalten zu wol-
    len. Dies ist zu begrüßen.

    Was ist denn nun? Ist die Finanzpolitik katastrophal
    oder eine Fortsetzung der alten? Ich sage: Weder Sie,
    die Unionsfraktion, noch die Institute haben recht. Die
    Finanzpolitik vollzieht einen längst fälligen Kurswech-
    sel zu mehr Gerechtigkeit, zu mehr Investitionen. Sie
    entlastet die Arbeitnehmer und die Leistungsträger und
    stärkt die Nachfrage.


    (Beifall bei der SPD)

    Sie bekämpfen unseren Einstieg in die ökologische

    Steuerreform, obwohl Herr Schäuble es besser weiß
    und das in Sonntagsreden auch sagt oder in Büchern
    schreibt. Ich will Ihnen noch einmal vorhalten, was die
    wirtschaftswissenschaftlichen Institute dazu sagen:

    Ein ökologisch orientierter Umbau des Abgabesy-
    stems mit einer höheren Belastung des Faktors
    Energie bei gleichzeitiger Entlastung des Faktors
    Arbeit kann sowohl positive Umwelteffekte als
    auch positive Wirkung auf die Beschäftigung ha-
    ben.

    Genau das wollen wir.
    Wir wollen darüber hinaus eine Steuerreform, die

    sozial gerecht und solide finanziert ist. Wir werden
    eine Reform vorlegen, mit der Bürgerinnen und Bür-
    ger in drei Stufen in einem Gesamtvolumen von
    54 Milliarden DM entlastet werden. Wir werden über
    die Steuerreform am Freitag noch ausführlich diskutie-
    ren.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
    uns auch sehr intensiv mit der Frage beschäftigen müs-
    sen, wie wir in den nächsten vier Jahren jeweils unsere
    Aufgaben erfüllen werden, Sie als Opposition, als deut-
    lich kleiner gewordene CDU/CSU-Fraktion, was mich
    herzlich freut – Sie haben 47 Abgeordnete verloren –,
    wir als Regierungskoalition.


    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Herr Struck, jetzt reicht es!)


    Sie tun so, als sei die Opposition eine Episode.

    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Ach was!)


    – So war die Rede von Herrn Schäuble.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Eine ernst zu nehmende Rede!)

    Wenn Sie diesen Eindruck erwecken wollen, kann ich

    das verstehen. Aber wenn Sie bei sich zu Hause, partei-
    intern, kaum ein Wort über die Ursachen Ihrer Niederla-
    ge verlieren, irritiert das doch.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Wen?)


    Denn schließlich sind bekanntlich fehlende und falsche
    Analysen von Wahldebakeln das Schlimmste an Ihnen.
    Das einzige, was beim neuen CDU-Vorsitzenden außer
    der bekannten und auch hier wieder praktizierten Pole-
    mik deutlich geworden ist: Herr Schäuble hofft, daß die
    Oppositionszeit schnell vorüber ist.


    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Viele andere auch!)


    Das kann ich verstehen. Ich weiß aber, auch aus eigener
    leidvoller Erfahrung: So schnell vergehen Oppositions-
    zeiten nicht.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das muß ja ein schlimmes Trauma sein!)


    Jetzt aber zu Ihrer Bewertung unseres Koalitionsver-
    trages. Er habe, so sagte Herr Schäuble eben, nur schö-
    ne Überschriften gelesen, sonst nichts. Wenn er nur
    Überschriften liest, ist das sein Problem. Ich helfe ihm
    bei zwei Punkten einmal nach, bei denen es die
    CDU/CSU-Fraktion aus unterschiedlichen Gründen be-
    sonders schmerzt.

    Zum Beispiel die Familienpolitik.

    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Jetzt hören wir zu!)

    Da klagen Sie beredt, daß die Zukunft unserer Kinder
    bei Rotgrün in schlechter Hand sei. Ihr Fraktionskollege,
    Herr Laumann, Sprecher der Arbeitnehmergruppe Ihrer
    Fraktion – ich weiß nicht, ob er da ist; er macht viel-
    leicht schon Mittagspause –, sieht das ganz anders.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ihre Fraktionskollegen wären auch schon gegangen, wenn sie dürften!)


    – Ist ja gut! – Herr Laumann glaubt offensichtlich, daß
    in den letzten 16 Jahren nicht genug für Familien getan
    worden ist. Denn wie anders ist es zu verstehen, daß er
    gerade jetzt fordert, die Unterstützung der Familien
    müsse wieder – so das Zitat – „ins besondere Licht der
    Öffentlichkeit“ gerückt werden? Wir tun das, meine
    Damen und Herren. Das hat der Bundeskanzler eben ge-
    rade vorgetragen.


    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Aber wir haben das permanent getan!)


    Lesen Sie auch bitte einmal das Kleingedruckte im
    Koalitionsvertrag. Wenn Herr Schäuble nur Zeit hat,
    Überschriften zu lesen, dann empfehle ich Ihnen: Lesen
    Sie die Seiten 41 und 42 des Koalitionsvertrages zu die-
    sem Thema. Dort heißt es:

    Wir sorgen dafür, daß sich die wirtschaftliche und
    soziale Lage der Familien spürbar verbessert. . .
    Mit der Steuerreform wird mehr Steuergerechtig-
    keit für Familien geschaffen. Eine durchschnittlich
    verdienende Familie mit zwei Kindern wird um
    rund 2 700 DM entlastet.


    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Bei 50 000 DM!)


    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Das Kindergeld für das erste und zweite Kind wird
    1999 auf 250 DM und im Jahr 2002 auf 260 DM. . .
    angehoben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Mit welchem Jahreseinkommen? 50 000!)


    Ist das nichts, meine Damen und Herren? Natürlich ist
    dies nicht alles, aber jedenfalls mehr als Sie, Herr Lau-
    mann, seinerzeit von Ihrer eigenen Regierung erwarten
    durften. Sie, Herr Altkanzler Kohl, sind nie in der Lage
    gewesen, das Kindergeld von 220 DM auf 250 DM zu
    erhöhen. – Wenn Sie zustimmend nicken, dann sagen
    Sie, daß ich recht habe.

    Jetzt will ich etwas zu dem Thema der doppelten
    Staatsbürgerschaft sagen. Ich finde es schon merkwür-
    dig,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr!)

    wie Herr Schäuble über unseren Vorstoß zur doppelten
    Staatsbürgerschaft gesprochen hat. Er hat nur die Flos-
    kel verwandt – so Herr Schäuble am vergangenen
    Samstag auf dem Parteitag –, Integration werde nicht
    dadurch gefördert, daß die Staatsbürgerschaft zur Belie-
    bigkeit werde.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Das war eine angemessene Antwort!)


    Auch hier empfehle ich: Lesen Sie mehr als nur Über-
    schriften!

    Im übrigen, meine Damen und Herren, finde ich diese
    abschätzige Bemerkung gegenüber all jenen ausländi-
    schen Mitbürgern schäbig, die seit Jahren gerade auf
    diese Chance gehofft haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Für sie ist die Entscheidung zwischen deutscher und
    – sagen wir – türkischer Staatsbürgerschaft keine belie-
    bige Frage.

    Herr Schäuble, Ihre Bemerkung ist aber auch schäbig
    gegenüber all den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer ei-
    genen Fraktion, die ähnliche Regelungen beim Staats-
    bürgerschaftsrecht für geboten halten. Wir kennen doch
    die Diskussion aus der vergangenen Legislaturperiode.
    Wie gehen Sie denn mit diesen Kollegen um? Einmal
    haben Sie den Eindruck vermittelt, daß Sie ein solches
    Projekt unterstützen würden. Dann sind Sie wegen der
    ablehnenden Haltung der CSU zurückgeschreckt. Jetzt
    haben Sie den Kollegen auf Ihrem Parteitag am Samstag
    gesagt, das sei keine Frage von Belang. Sie werden sich
    täuschen. Während Sie noch Ihre vermeintlichen Erfolge
    von gestern feiern, sind Sie gerade in dieser Frage dabei,
    Ihre Fehler von morgen zu machen.


    (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Mühsamer Beifall! – Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU] kehrt zurück in den Saal)


    – Herr Kollege Schäuble, ich hatte Sie mehrfach ange-
    sprochen; mir wurde gesagt, daß Sie zurückkommen.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jeder muß einmal raus!)


    – Ja, natürlich, selbstverständlich. – Aber ich möchte
    jetzt die Gelegenheit nutzen, Herr Kollege Schäuble,
    trotz der Schärfe, die wir hatten, Ihnen auch im Namen
    der SPD-Bundestagsfraktion herzlich zu Ihrer Wahl zum
    CDU-Parteivorsitzenden zu gratulieren. Das tue ich
    gerne.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ich weiß, Herr Kollege Schäuble, das ist ein schwieriges
    Amt. Es würde mich reizen, ein paar Personalentschei-
    dungen Ihres Parteitages zu kommentieren. Meinen Sie,
    ich sollte es nicht machen? Dann sage ich nur den einen
    Satz – den werden Sie mir noch gestatten, Herr Kollege
    Schäuble –: Wie jetzt jemand, der wie der Kollege
    Wulff zweimal Landtagswahlen verloren hat, plötzlich
    der große Hoffnungsträger sein soll, müssen Sie mir erst
    einmal erklären. Ich verstehe es nicht so richtig, aber Sie
    vielleicht schon.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Ich war bei der doppelten Staatsbürgerschaft stehen-

    geblieben. Ich möchte Sie daran erinnern, daß diese vor-
    schnell eingenommene Ablehnung beim Ausländerrecht
    Sie in das Dilemma bringt, das Sie in den 70er Jahren
    mit Ihrer Haltung zu den Ostverträgen hatten. Ihre heu-
    tige Haltung zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft
    könnte Ihnen wie damals über etliche Jahre den Verlust
    der politischen Mitte und der Politikfähigkeit der Union
    bescheren. Damals ging es um eine Öffnung nach außen.
    Heute geht es um eine Öffnung, die dem inneren Frieden
    in unserem Lande dient.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Macht es Sie gar nicht stutzig, daß Sie in dieser Frage
    im ganzen Haus isoliert dastehen? Wir jedenfalls bieten
    Ihrem ehemaligen Koalitionspartner F.D.P. an: Machen
    Sie mit! Lassen Sie uns das Staatsbürgerschaftsrecht so
    gestalten, Herr Kollege Gerhardt, daß es den Bedingun-
    gen des neuen Jahrhunderts gerecht wird! Wir sind zur
    Zusammenarbeit bereit. Lassen wir die CDU da stehen,
    wo sie hingehört, nämlich in der Ecke der sich verwei-
    gernden Opposition.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Daß es in der Politik immer auch um Macht geht und
    daß eine Regierung um den Machterhalt kämpft, ist klar.
    Aber Machterhalt darf nicht alles sein. Erhard Eppler
    hat dazu in seinem Buch „Die Wiederkehr der Politik“
    geschrieben:

    Wer Politik auf ein steriles Spiel mit der Macht und
    um die Macht reduziert, wer sie löst von der Frage,
    wie Menschen leben wollen und leben sollen, läßt
    in der Tat nur etwas übrig, was für die übrige Ge-
    sellschaft ohne Belang ist, einen Kampfplatz oder

    Dr. Peter Struck






    (A) (C)



    (B) (D)


    auch nur einen Spielplatz, bei dem es um Ränge
    und Medaillen geht, um die Befriedigung von Gel-
    tungsbedürfnis und Machthunger . . .

    Herr Schäuble, dem Machterhalt haben Sie in der
    vergangenen Legislaturperiode alles untergeordnet. Aus
    Machterhalt haben Sie noch vor wenigen Wochen Jür-
    gen Trittin als Altkommunisten beschimpfen lassen, die
    Grünen als Chaostruppe abgetan. Jetzt reden Sie von
    Schwarzgrün in den Landesparlamenten. Für wie dumm
    halten Sie eigentlich die Wähler, Herr Kollege
    Schäuble?


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Maritta Böttcher [PDS])


    Der 27. September 1998 war für Sie mehr als der
    Machtverlust in Bonn. Er hat bloßgelegt, was der Kolle-
    ge Helmut Kohl mit seiner mächtigen Figur lange ver-
    bergen konnte. In Sachen Macht ist die CDU am Ende
    und in Sachen politischer Kompetenz genauso. In den
    Ländern und Kommunen ist sie fast überall auf das Maß
    zurückgestutzt, das sie jetzt auch im Bund erreicht hat.
    Sie haben noch so getan, als spielten Sie überall die erste
    Geige, als Sie in den Ländern und Kommunalparlamen-
    ten längst im zweiten oder dritten Glied gelandet waren.
    Jetzt ist offensichtlich, wie wenig Ihr selbstgerechtes
    Auftreten hier im Parlament mit den wahren Verhältnis-
    sen im Lande zu tun hat. Ich bin stolz darauf: Die SPD
    regiert in 13 von 16 Bundesländern mit. Wir stellen elf
    Ministerpräsidenten. Das ist ein klarer Beweis für die
    Stärke der sozialdemokratischen Idee in Deutschland.


    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Herr Kollege Schäuble hat ein Thema angesprochen,
    auf das ich gewartet habe. Was Sie gesagt haben, ist
    auch nichts Neues gewesen. Deshalb konnte man sich
    darauf vorbereiten. Es geht um die Frage des Bundes-
    präsidenten. Herr Kollege Kohl, wir Sozialdemokraten
    haben nicht vergessen, welch schäbiges Spiel Sie in der
    Präsidentschaftsfrage mit Johannes Rau getrieben haben.


    (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Was?)


    Erst haben Sie ihm das Amt angeboten.

    (Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Das ist un wahr, was Sie sagen!)

    – Nein, das ist nicht unwahr. – Dann wollten Sie nichts
    mehr davon wissen, zogen Steffen Heitmann aus dem
    Hut und haben schließlich Roman Herzog zum Präsi-
    denten gemacht. Wir haben noch den Satz im Ohr, den
    Sie, Herr Kollege Kohl, in der letzten Legislaturperiode
    über Rau gesagt haben: „Der wird das nie!“ – Er wird
    es, Herr Ehrenvorsitzender der CDU,


    (Beifall bei der SPD)

    denn wir leben nicht in einer Halbmonarchie, wie Sie
    zwischenzeitlich vielleicht geglaubt haben. Wir leben in
    einer Demokratie, in der nicht der Wille eines einzelnen
    den Ton angibt. Meine Damen und Herren, Johannes

    Rau wird nach Gustav Heinemann der zweite sozial-
    demokratische Bürgerpräsident der Bundesrepublik
    Deutschland.


    (Beifall bei der SPD)

    Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, den ich

    für mitentscheidend für das Scheitern der bürgerlichen
    Koalition halte. Wir Sozialdemokraten – und ich denke,
    auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen – werden
    diesen Fehler nicht wiederholen. Ich meine das man-
    gelnde konstruktive Zusammenspiel zwischen der Re-
    gierung und den Fraktionen von Union und F.D.P.
    Kollege Schäuble, bei Ihrem Amtsantritt 1994 haben Sie
    zwar den Eindruck erweckt, Ihre Fraktion zu einem
    Machtzentrum auszubauen, aber wie die Praxis aussah,
    wissen viele Frauen und Männer Ihrer Fraktion aus ei-
    genem Erleiden: Gerade bei wichtigen Reformvorhaben
    sind Entscheidungen an den Regierungsfraktionen vor-
    bei in sogenannten Spitzengesprächen gefällt und die
    Fraktionen vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
    Sie, Herr Schäuble, waren an diesem „Kungelrundenver-
    fahren“ maßgeblich beteiligt und haben Ihre Abgeord-
    netenkollegen zu bloßen Erfüllungsgehilfen degradiert.
    Mit dieser einseitigen Instrumentalisierung der Fraktion
    haben Sie dem Parlamentarismus geschadet und Ihrer
    Regierung letztlich keinen Gefallen getan.


    (Beifall bei der SPD)

    Denn nur wenn sich eine Fraktion nicht als bloßer
    Mehrheitsbeschaffer der Regierung versteht, kann sie
    ein verläßlicher Seismograph sein – ein Seismograph,
    der aufnimmt und wiedergibt, was möglich ist und was
    noch getan werden muß.

    Diese SPD-Fraktion, für die ich spreche, wird die Re-
    gierung Gerhard Schröders tragen. Das ist überhaupt
    keine Frage. Im Zweifel – und darin unterscheiden wir
    uns von den alten Koalitionsfraktionen – werden wir
    diese Regierung allerdings auch treiben, wenn wir es für
    nötig halten. Wir werden das loyal, konstruktiv und
    selbstbewußt tun. Wir werden gemeinsam mit dieser
    Regierung erfolgreich sein; wir werden Innovationen
    durchsetzen, soziale Gerechtigkeit und eine nachhaltige
    Entwicklung fördern.

    Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)