Rede von
Graf
Alois
von
Waldburg-Zeil
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich befinden wir uns nicht am Anfang der Menschenrechtsdebatte, sondern mittendrin; den ersten Teil haben wir soeben hinter uns, und ich würde das Fazit ziehen: Demokratie und Menschenrechte gehören zusammen.
Wenn wir jetzt Menschenrechte und Menschenwürde erneut aufgreifen, dann deshalb, weil es sich nicht nur um eine der wichtigsten geistes- und verfassungsgeschichtlichen Traditionen Europas handelt, sondern weil dadurch, daß die Vereinten Nationen nach den beiden Weltkriegen den Schutz der Menschenrechte zu einem ihrer vier Hauptziele erklärt und am 10. Dezember 1948 eine 30 Artikel umfassende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erlassen haben, diese Tradition Weltstandard erhalten hat.
50 Jahre später, an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend, stellen sich hier Fragen von beiden Seiten, von jener der europäischen Tradition und von jener der universellen Geltung.
Die ideengeschichtliche Entwicklung der Menschenrechte in Europa beginnt mit den Sophisten im griechischen Altertum, die bereits eine individualisierte Sicht von Freiheit und Gleichheit aller Menschen betonten und wie Hippias naturrechtliche Ideen vertraten.
Die römische Antike verstärkte mit der Stoa von Cicero bis Seneca die Idee der metaphysischen Würde des Menschen und seiner individuellen Selbstbestimmung bis hin zu einer kosmopolitischen Vision. Die christliche Phase Europas verstärkt insbesondere in der scholastischen Philosophie diesen Denkansatz mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und seiner daraus resultierenden Würde.
Die Aufklärung hat schließlich diese naturrechtlichen Ideen säkularisiert, die liberale Idee der Gewissensfreiheit hinzugefügt und in die Verfassungsdebatte im Rahmen der amerikanischen Unabhängigkeit und der Französischen Revolution getragen. Schließlich hat der Kampf um die tatsächliche Realisierung der Menschenrechte - von der Sklavenfrage in den Vereinigten Staaten bis zur sozialen Frage in
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Europa - die Umsetzung in konkrete Politik als stete Aufgabe erkennen lassen.
Um diese Tradition wissen heißt aber zugleich, einen nicht zu vereinbarenden Gegensatz zu kennen: vom Widerstand gegen die Tyrannis in der Spätantike über die Virginia Bill of Rights als Kampfmittel gegen die englische Kolonialherrschaft zur Erklärung von 1789 als Protest gegen den französischen Absolutismus.
Die Idee der Staatsallmacht ist mit der Menschenrechtsidee unvereinbar, nicht nur in ihrer totalitären Spielart, sondern auch in der Form eines Rechtspositivismus, der Menschenrechtsverletzungen dann zulassen würde, wenn sie nur mehrheitlich beschlossen würden. Hier greift die wichtigste im Grundgesetz verankerte Einsicht, nämlich daß der Gesetzgeber keine Gesetze beschließen darf, die ein Grundrecht verletzen. Ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte kann zum Widerstand des Bürgers gegen den eigenen Staat berechtigen.
Es gibt neben der Unvereinbarkeit von Staatsallgewalt und Menschenrechten noch eine zweite Unvereinbarkeit, nämlich mit der absoluten staatlichen Souveränitätslehre, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten. Das Interventionsrecht fremder Staaten bei Verletzung von Menschenrechten hat bereits der spanische Theologe Vitoria im 16. Jahrhundert postuliert. Die konsequente Weiterentwicklung dieses internationalen Widerstandsrechts wird das beherrschende Thema des nächsten Jahrhunderts beim Zusammenwachsen der Welt sein. Gerade weil in Deutschland Nationalismus, Positivismus, Totalitarismus und Menschenrechtsverletzungen schrecklichster Art durchlebt und durchlitten wurden, müssen wir uns der Gegensatzpaare ideengeschichtlicher Entwicklungen bewußt bleiben. Ich hoffe, daß im nächsten Jahr - beim Jubiläum „50 Jahre Grundgesetz" - auch dieser Aspekt gebührend deutlich werden wird.
Die Kehrseite der Medaille der Diskussion um Menschenrechte ist die Frage der Universalität. Fraglos hat zwar die ideengeschichtliche Entwicklung Europas nicht nur über die Vereinten Nationen, sondern auch über die Verfassungsgeschichte aller Länder dieser Welt universelle Auswirkungen gehabt. Das Selbstbewußtsein staatlicher Führungseliten anderer Kulturen hat aber dazu geführt, diesen ideengeschichtlichen Siegeszug mit Skepsis zu betrachten, sozusagen als philosophischen Kolonialismus. Die Debatte um die Definition von Menschenrechten aus der Sicht der jeweils eigenen Kultur haben wir heute nicht nur in fundamentalistisch-islamischen Staaten, sondern etwa ebensosehr in China.
Ich warne davor, diese Reaktionen zu leicht zu nehmen. Natürlich können Menschenwürde und Menschenrechte nicht nach Staaten und Kulturen unterschiedlich interpretiert werden. Was ich meine, ist etwas anderes: Auch in Europa ist Menschenrechtsbewußtsein sehr langsam entstanden. Während das Christentum einen entscheidenden Impuls, wie gesagt, über die Gottesebenbildlichkeit der Menschen beisteuerte, haben die Kirchen im Kampf um die Idee der Wahrheit - sei es in Religionskriegen, sei es in der Inquisition - zu schwersten Menschenrechtsverletzungen beigetragen.
Trotz Jeffersons Satz über die Menschenrechte bei der Unabhängigkeitserklärung von 1776 dauerte es fast 100 Jahre, bis in den Vereinigten Staaten die Sklaverei abgeschafft werden konnte. Trotz der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 kam es im Zuge der Französischen Revolution zu den entsetzlichsten Menschenrechtsverletzungen. Die größte Schwierigkeit gab es bei der Umsetzung der sozialen Menschenrechte im 19. Jahrhundert - von den totalitären Entgleisungen unseres Jahrhunderts ganz zu schweigen.
Die Durchsetzung der Menschenrechtsidee ist bei uns Ergebnis von Nachdenken und Erleben, von Versuch und Irrtum, von Spannung und Kompromiß. Genau diese Entwicklungen finden wir natürlich auch in den großen Weltkulturen.
Vor einigen Wochen konnte ich an einem Seminar des Instituts für Auslandsbeziehungen „Deutsch-islamischer Mediendialog" in Jordanien teilnehmen, das in beeindruckender Weise Spiegelbilder unserer eigenen Entwicklung in der islamischen Geschichte zeigte.
Unsere stereotype Vorstellung des fundamantalistischen, unbeweglichen Islams ist falsch.
Auch hier gibt es ideengeschichtliche Stränge, die zu Toleranz, Menschenwürde und Menschenrechten führen bis hin zu Männern und Frauen, die dafür gestorben sind.
Ich glaube, daß der Kulturdialog unerläßlich ist, wenn Menschenrechtspostulate und ihre Umsetzungen weltweit verinnerlicht werden sollen.
Das müssen wir mit bedenken, wenn wir heute früh lesen konnten, daß Amnesty International über Menschenrechtsverletzungen in 141 Staaten der Welt berichtet, wenn wir heute über 14 Vorlagen mit 24 Drucksachen debattieren, wenn wir uns bemühen, uns Gedanken über Reaktionen von der Konfliktschlichtungshilfe über Interventionen bis hin zur internationalen Menschenrechtsgerichtsbarkeit, einer der wichtigsten Durchsetzungsmethoden, zu machen.
Mir war es nur ein Anliegen, auch diesen Aspekt in unsere Diskussion einzubringen. Er hat Konsequenzen für die deutsche auswärtige Kulturpolitik und die Arbeit ihrer Mittlerorganisationen.
Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken anschließen. Wir werden in dieser Woche noch eine entwicklungspolitische Diskussion bestreiten - wenn auch zu spätnächtlicher Stunde.
Ich habe in der ideengeschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Menschenrechte die Schwierigkeit aufgezeigt, von der Deklaration zur Realisierung zu gelangen, insbesondere im sozialen Bereich. Die-
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selbe Frage stellt sich heute auf Weltebene. Wenn wir die Idee von Menschenwürde und Menschenrechten von unserer Verfassung her als akzeptierte Wertgrundlage ansehen, dann kann der Versuch, diese Rechte universell durchzusetzen, natürlich nicht bei der Deklaration enden und die soziale Frage auf Weltebene ausklammern.
Natürlich hat Entwicklungspolitik auch Komponenten eigenstaatlichen Interesses, die man der Akzeptanz halber im eigenen Land nicht unter den Teppich kehren sollte. Die Grundlage aber ist eine Auffassung von der Würde des Menschen, die nicht nur jedem Deutschen, nicht nur jedem Europäer, sondern jedem Menschen zusteht, der Menschenantlitz trägt.
Ich danke Ihnen.