Rede von
Elke
Ferner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Lassen Sie mich zu Beginn außerhalb meiner Redezeit noch eine Korrektur zu der Beschlußempfehlung zum Straßenverkehrsgesetz vortragen, auf die wir uns einvernehmlich geeinigt haben, weil der gleiche Sachverhalt auch im Ordnungswidrigkeitengesetz enthalten ist. In der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Drucksache 13/7888, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, Drucksache 13/6914, haben in Art. 1 Nr. 14 die Buchstaben b - das betrifft § 25 Abs. 2 a neu StVG - und f - das betrifft § 25 Abs. 8 StVG - zu entfallen, da die betreffenden Regelungen in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, Drucksache 13/8655, zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, Drucksache 13/5418, ihrerseits getroffen worden sind.
Das ist die Korrektur der Beschlußempfehlung, Frau Präsidentin.
Nun eine Vorbemerkung zur heutigen Debatte. Wir sollen heute in einer Stunde - zunächst war nur eine halbe Stunde vorgesehen - vier höchst komplexe Themen behandeln, die für die Verkehrssicherheit und die künftige Verwaltungs- und Gerichtspraxis von entscheidender Bedeutung sind. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, über Peinlichkeiten sprechen Sie natürlich nicht gerne.
Zur Umsetzung des EU-Führerscheins kann ich deshalb nur wenige Bemerkungen machen. Die nationale Umsetzung war schon 1994 fällig. Man mußte sich aber zuerst über die letzte Bundestagswahl und dann noch über verschiedene Landtagswahlen retten, bevor man mit der Umsetzung begonnen hat. Im März haben wir Berichterstatter begonnen, die parlamentarische Beratung aufzunehmen, und waren vor der Sommerpause soweit, daß man darüber hätte eigentlich abstimmen können. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich beim Ausschußsekretariat und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die gute Vorbereitung bedanken.
Die Mehrheit dieses Hauses war dann aber zu feige, über einen Änderungsantrag meiner Fraktion abzustimmen, und hat den ganzen Gesetzentwurf schlicht und ergreifend abgesetzt. Jetzt haben Sie ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission am Hals.
Das ist die Quittung für Ihre taktischen Spielchen, die Sie auch mit anderen Gesetzen permanent treiben.
Der Gesetzentwurf selber enthält in wesentlichen Teilen wichtige und positive Neuregelungen, die wir ausdrücklich begrüßen. Aber Sie schütten natürlich wieder einmal das Kind mit dem Bade aus. Die Verkehrssicherheit wird durch zahlreiche Regelungen wie mit einer Dampfwalze plattgemacht, zum Beispiel durch die Begünstigung von Amokfahrern im Punktesystem. Wer also innerhalb kürzester Zeit rote Ampeln überfährt, zu schnell und mit kurzem Abstand fährt, soll im Ergebnis dann besser dastehen als diejenigen, die ihre Punkte langsam angesammelt haben.
Ein anderes Beispiel ist der Einstieg in eine freiwillige zweite Fahrausbildung. Sie wird vom Minister
Elke Ferner
gewollt, von Experten gefordert, von Union und SPD unterstützt und von der F.D.P. blockiert.
Ich hätte mir gewünscht, daß die Koalition die notwendigen Konsequenzen aus der Anhörung „Junge Fahranfänger" zieht, Herr von Stetten. Aber Sie sind überhaupt nicht mehr in der Lage, ein einziges Problem in dieser Republik positiv zu regeln.
Das Ganze gipfelt darin, daß dieses Parlament aus der Zeitung weitere Schritte des Ministeriums und der Koalition gegen die Verkehrssicherheit erfahren muß. Der Ministerpräsident kündigt nämlich an, Raser für ihren Nervenkitzel damit zu entschädigen, daß im Wiederholungsfall einer Überschreitung zwischen 26 und 31 km/h innerorts beispielsweise kein Fahrverbot mehr verhängt werden soll. Die Koalition entblödet sich auch nicht, diesen Vorschlag in ihrem Entschließungsantrag aufzugreifen.
Damit ist es aber noch nicht genug. Tempo-30-Zonen behindern die Raser. Also ändern Sie kurzerhand die Regeln, damit die Kommunen, in denen bereits Tempo-30-Zonen eingerichtet wurden, diese wieder raserfreundlicher gestalten. Da kommt bei Eltern kleiner Kinder und sicherlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen in den Stadt- und Gemeinderäten richtiggehend Freude auf.
Sie können aus unserem Änderungsantrag und auch aus unserem Entschließungsantrag ersehen, welche konkreten Vorschläge wir zum Führerschein und zur Verkehrssicherheit haben. Aber Sie werden das wahrscheinlich wie immer blockieren, weil der Schwanz wieder einmal mit dem Hund wedelt.
Bei den Änderungs- und Entschließungsanträgen scheint der Koalition und auch den Grünen weitgehend der Überblick dafür verlorengegangen sein, zu welchem Gesetzentwurf man welche Änderungsanträge stellt.
Was hat beispielsweise der Gesetzentwurf zu Drogen im Verkehr mit Tempo-30-Zonen zu tun? Bei dem Änderungsantrag der Grünen zur Senkung der Promillegrenze auf 0,0 Promille wird die Zahl „0,8" lediglich durch „0,0" ersetzt, aber alles, was dahinter kommt, die Koalitionsregelung zu 0,5 Promille und die Regelung zur Atemalkoholanalyse, wird unangetastet gelassen. Insofern werden wir dieses ganze Sammelsurium an Änderungsanträgen ablehnen.
Jetzt zur unendlichen Geschichte der Absenkung der Promillegrenze. Unsere Vorschläge liegen seit mehr als fünf Jahren auf dem Tisch. Mit dubiosen Verfahrens- und Geschäftsordnungstricks blockiert die Koalition seit Jahren jede Abstimmung. Herr Kollege von Stetten schreibt in einem Brief an seinen Parteifreund Wissmann, daß er seit Jahren „immer
wieder bei den Verzögerungen zur Verhinderung der Abstimmung aktiv mitgewirkt" hat.
Das zeigt die Blockadehaltung dieser Koalition insgesamt.
Die gesamte Verkehrswissenschaft, die Autoversicherer, die Verkehrssicherheitsverbände, der Verkehrsgerichtstag und nicht zuletzt die große Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen schütteln ihre Köpfe über die Selbstblockade der Koalition.
Wenn es eine freie Abstimmung gegeben hätte, wäre die Promillegrenze längst nach unseren Vorschlägen abgesenkt.
Wir wissen alle, daß schon ab 0,5 Promille die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit so deutlich herabgesetzt ist, daß das Unfallrisiko nicht mehr tolerabel ist.
Die jetzige 0,8-Promille-Grenze ist eindeutig zu hoch. Schon ab 0,5 Promille treten regelmäßig gefährliche Ausfallerscheinungen auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier um das Leben und die Unversehrtheit von Menschen, um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.
Ihre Gegenargumente ziehen einfach nicht.
Zwar wird die Mehrzahl der schweren Verkehrsunfälle bei Werten weit oberhalb von 0,8 Promille begangen, aber die Absenkung der Promillegrenze führt dazu, daß man sich nicht mehr so schnell an die höheren Werte herantrinkt. Sie setzt außerdem ein eindeutiges politisches Signal, das von der großen Mehrheit der Bevölkerung mit Sicherheit auch richtig verstanden wird.
- In den Niederlanden, lieber Kollege Friedrich, ist nämlich nach Einführung der 0,5-Promille-Grenze die Zahl der alkoholbedingten Unfälle deutlich zurückgegangen. Sie stieg dann zwar wieder etwas an, hat aber nie mehr das Niveau erreicht, das sie vor der Gesetzesänderung hatte. Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag, jeder Verkehrstote sei einer zuviel. Handeln Sie endlich danach, statt die Probleme auszusitzen!
Elke Ferner
Auch viele unserer europäischen Nachbarn haben die Grenzwerte abgesenkt, zuletzt Frankreich. Aber Sie begeben sich lieber wieder einmal in die internationale Isolation.
Noch eine kurze Anmerkung zum absoluten Alkoholverbot. Das scheint zunächst logisch, wirft aber in der Praxis Probleme auf. 0,0 Promille wäre sicher eine Idealregelung. Wir als Gesetzgeber verordnen aber kein Idealverhalten, sondern ahnden schuldhaftes, vorwerfbares Verhalten. Das ist bei 0,5 Promille auch klar nachweisbar. Bei 0,0 Promille hingegen würden sonst weitgehend gesetzestreue Bürger kriminalisiert. Das verstieße gegen das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel, und ein solches Verbot würde auch weitgehend nicht beachtet werden. Dabei spielt dann oft nicht einmal der Vorsatz eine Rolle. So wäre etwa bei geringem Restalkohol am Morgen, den der Fahrer gar nicht bemerkt und der sich auch nicht negativ auswirkt, bereits eine Bestrafung angesagt. Der Gesetzgeber müßte also von vornherein massenhafte Übertretungen dieser Vorschrift in Kauf nehmen oder sogar tolerieren. Damit stünde aber seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Insofern können wir diesen Anträgen auch nicht zustimmen.
Ich fasse zusammen: 0,5 Promille ist der wissenschaftlich akzeptierte und geforderte Grenzwert. Er setzt sich europaweit immer mehr durch und ist zur Wahrung der Verkehrssicherheit auch dringend notwendig.
Ihr fauler Kompromiß, meine Damen und Herren von der Koalition, wird diesem Anspruch nicht gerecht, sondern dient lediglich dem inneren Frieden der Koalition.
Außerdem vergrößert er die Verwirrung. Sie führen eine fünfte Promille-Grenze ein, deren Überschreitung mit 200 DM und zwei Punkten in Flensburg geahndet wird. Den Autofahrern wird damit quasi augenzwinkernd signalisiert, zwischen 0,5 und 0,8 Promille sei das alles gar nicht so schlimm. Das einzig wirksame Mittel, nämlich das Regelfahrverbot, droht nach wie vor erst ab 0,8 Promille. Das ist inkonsequent, meine Kollegen und Kolleginnen.
Wenn ab 0,5 Promille die Unfallwahrscheinlichkeit drastisch höher ist, dann muß man auch die Konsequenzen ziehen. Wenn wir ein Verhalten als gefährlich für Leib und Leben Dritter erkennen, dann müssen wir Verstöße gegen gesetzliche Verbote auch mit spürbaren Konsequenzen ahnden. Polizei und Ordnungsbehörden wissen, wovon ich spreche. Das einzig wirksame Mittel ist das Fahrverbot.
Außerdem haben wir, wenn sich Ihr fauler Kom- promiß durchsetzt, fast ein halbes Dutzend verschiedener Promille-Grenzen: 0,3, wenn es zu einem Unfall oder zu schweren Fahrfehlern kommt, 0,5, ohne daß irgend etwas Großartiges passiert, 0,8 mit Fahrverbot und hohem Bußgeld, 1,1 mit Gerichtsverfahren und Führerscheinentzug und 1,6 mit der Konsequenz einer MPU vor Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis.
Wer soll das eigentlich überhaupt noch verstehen?
Die Wahrheit steht in Ihrer Pressemitteilung, wo es heißt: „Die 0,8-Promille-Grenze wird beibehalten." Das wollen Sie eigentlich. Sie wollen das Thema nach der Melodie „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" vom Tisch haben.
Deshalb appelliere ich an Sie: Machen Sie wenigstens einmal Nägel mit Köpfen,
springen Sie einmal in dieser Wahlperiode über Ihren eigenen Schatten und zeigen Sie ein einziges Mal Rückgrat. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Ihr Vorschlag ist kein Beitrag zur Lösung der Probleme.