Rede von
Dr.
Dagmar
Enkelmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Reform, nein, eigentlich eine Revolution erschüttert das Hohe Haus. Gewaltige Umwälzungen werfen ihre langen Schatten voraus. Nichts wird mehr sein wie früher. Mit der Verkleinerung des Parlaments wird das politische System in seinen Grundfesten getroffen. Endlich, endlich werden die Bürgerinnen und Bürger wieder voller Ehrfurcht auf dieses Hohe Haus blicken.
Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man die ersten Reden hier verfolgt hat. Ich will allerdings daran erinnern, was der Ausgangspunkt für die Arbeit der Reformkommission gewesen ist. Der Ausgangspunkt war immerhin das hehre Ziel einer grundlegenden Reformierung des Parlaments. Man muß sich heute ernsthaft fragen, was davon tatsächlich übriggeblieben ist:
eine vollmundige Ankündigung, die wie Seifenblasen geplatzt ist. Nein, die kräftige Diätenerhöhung darf ich natürlich nicht vergessen.
Um nicht mißverstanden zu werden: Die PDS ist nicht unbedingt gegen eine Verkleinerung des Parlaments; denn auf den Hinterbänken der großen Fraktionen sitzen viel zu viele Leute ihre Zeit ab.
Das aber als Reform des Parlaments, besser: des parlamentarischen Systems zu verkaufen ist letztlich nur ein Griff in die politische Trickkiste.
Ich will unsere Kritik an der Verkleinerung des Deutschen Bundestages in der Form, wie sie vorgenommen werden soll, noch einmal vortragen. Sie bedeutet eben keineswegs eine Parlamentsreform im Sinne der Erweiterung und Verbesserung der parlamentarischen Demokratie, nämlich der parlamentarischen Vertretung der Bevölkerung.
Dies zeigt sich unter anderem auch darin, daß die Wahlkreise erheblich vergrößert werden sollen und so den Abgeordneten der unmittelbare Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Wahlkreisen erschwert werden soll. Offenkundig ist das aber auch so gewollt. Zudem bleibt der bürokratische Apparat des Bundestages und der Regierung das, was er ist.
Das bedeutet, daß ohne eine grundlegende Reform und Stärkung der Abgeordnetenkompetenzen und der Kompetenzen des Parlaments überhaupt - insbesondere gegenüber der Regierung - die Regierungslastigkeit des Bundestages weiter zunehmen wird. Gestern stand unter anderem das Problem der Anzahl Bundesminister und der Parlamentarischen Staatssekretäre zur Debatte. Da sollte man anfangen; aber man sollte wesentlich weiter gehen.
Nicht einmal mehr eine Regelung zur Kompensation der Überhangmandate wird empfohlen. Da beruft man sich nun auf die Mehrheitsentscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, ob-
Dr. Dagmar Enkelmann
wohl die Mehrheit des Senates ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate bei der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag keine Vorentscheidung über die generelle Frage nach deren politischem Sinn oder Unsinn bedeutet.
Wir bleiben dabei, daß eine Kompensation politisch dringend geboten wäre. Die große Zahl der Überhangmandate bei der letzten Wahl hat letztlich den Willen der Wählerinnen und Wähler ignoriert und im Ergebnis verfälscht.
Nahegelegt wird eine solche Kompensation durch das Minderheitenvotum des Zweiten Senats. Offenkundig sind solche Entscheidungen durchaus sehr unterschiedlich auslegbar.
Mich wundert ein wenig die Zaghaftigkeit der SPD. Die heutige Ankündigung, daß jetzt gehandelt werden soll, kann man nur begrüßen.
Die Empfehlungen der Reformkommission bestätigen, daß eine grundlegende Parlamentsreform nicht gewollt ist. Wenn man sich wirklich um Effektivität der parlamentarischen Arbeit sorgte, dann müßte man dort anfangen, wo aus Gründen einer Beschäftigungstherapie für anderweitig nicht zu beschäftigende Abgeordnete inzwischen mehr als 250 Gremien eingerichtet wurden, und zwar einschließlich Apparaten und entsprechender finanzieller Mittel. Ich denke, hier könnte in ganz anderen Größenordnungen gespart werden.
Wenn es tatsächlich um mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit parlamentarischer Entscheidungen geht, muß man bei einer grundsätzlichen Öffentlichkeit parlamentarischer Gremien ansetzen, bei der Ausweitung der Kontrollrechte gegenüber der Regierung, dem Ausbau des Petitionsrechts usw., usf. Entsprechende Vorschläge sind an vielen Stellen auch von der PDS gemacht worden.
Wenn man sich wirklich Sorgen um die Politikverdrossenheit macht - vielleicht sollte man besser „Politikerverdrossenheit" sagen -, dann wird es wenig helfen, daß statt 672 Abgeordneten dann nur noch 598 Abgeordnete im Plenum sitzen oder eben auch nicht.
Die PDS fordert eine deutliche Wende hin zu unmittelbarer und verbindlicher Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Entscheidungsprozessen. Eine solche Wende würde bei Veränderungen des Wahlrechts beginnen - auch hierzu liegen unsere Vorschläge vor -, ginge über die Ausgestaltung einer Volksgesetzgebung - wir fordern auch den Volksentscheid auf Bundesebene -
und reichte bis zur Einrichtung des Amtes eines Bürgerbeauftragten; auch darüber wird momentan diskutiert.
Das wäre eine wirkliche Reform; das würde zu mehr Glaubwürdigkeit des Parlaments und letzten Endes seiner Abgeordneten führen. Das würde parlamentarische Demokratie stärken, aber genau dieses Signal, Herr Kollege Schmidt, ist hier heute ausgeblieben.