Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorwort des Zwischenberichts der Enquete-Kommission ist mit dem Satz aus „Alice im Wunderland" überschrieben: „Bitte sage mir, welchen Weg ich gehen soll!" Die Antwort lautet: „Das hängt davon ab, wohin du willst."
Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" tagte zwar im Deutschen Bundestag und nicht im Wunderland,
obwohl man über manche Entwicklungen hier im
Bundestag immer wieder ins Staunen gerät; das Zitat
Marion Caspers-Merk
ist dennoch ein Schlüssel für unsere Arbeit. Deshalb hat es in dem Vorwort seinen Platz.
Wir haben nach rund zweijähriger Tätigkeit einen gemeinsamen Zwischenbericht vorgelegt. Bei unserer Arbeit geht es darum, daß wir einen Weg in eine zukunftsfähige, nachhaltige Gesellschaft aufzeigen wollen. Wir wollen diesen Weg finden und beschreiben.
Wir stehen im Moment an einer entscheidenden Wegekreuzung. Weitermachen wie bisher ist angesichts unserer Umweltsituation keine Perspektive. Unser Wirtschafts- und Wohlstandsmodell ist schon bei uns nicht zukunftsfähig. Es kann auch kein Modell dafür sein, wie andere Länder ihre Zukunft gestalten sollen.
Nachhaltigkeit beschreibt das Leitbild, daß wir zukünftigen Generationen die gleichen Lebenschancen einräumen wollen, wie wir sie heute haben. Es geht also darum, von den Zinsen der Natur statt vom Naturkapital zu leben.
In Zeiten eines sich verschärfenden Wettbewerbs und immer enger werdender weltwirtschaftlicher Verflechtungen haben Umweltbelange in der Politik einen schweren Stand. Manche stellen sich die Frage, ob Umweltpolitik in der globalisierten Wirtschaft zur Illusion wird. Ich meine, das Gegenteil ist der Fall: Wir haben globale Herausforderungen; denken wir nur einmal an die derzeitige Situation in Malaysia. Die Globalisierung bietet uns auch Chancen; denn es globalisieren sich nicht nur die Wirtschafts-, Waren- und Geldströme, sondern auch die Umweltstandards. Wir müssen gemeinsam eine Weltinnenpolitik gestalten.
Wir haben in New York aber auch gelernt, daß es töricht wäre, allein auf die internationale Seite zu hoffen und nicht auch auf nationaler Ebene das zu tun, was wir tun könnten und sollten. Das heißt, wir brauchen dringend eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, um zu zeigen, mit welchen Instrumenten, Maßnahmen und Zielen wir die Weichen für die Zukunft stellen können.
Ich finde es bemerkenswert, daß sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble, in einer vielzitierten Rede vor der CSU in Ingolstadt eindeutig positiv zum Thema nachhaltige Entwicklung geäußert hat. Wir können dem, was dort gesagt wurde, in vielen Punkten eigentlich nur zustimmen.
Es ist aber wichtig, daß dies auch in den entsprechenden Fraktionen so gesehen wird. Vielleicht haben wir da eine Chance, dies gemeinsam zu gestalten.
Herr Fritz, ich hätte erwartet, daß Sie für Ihren Fraktionsvorsitzenden klatschen. Aber gut, das war ein Angebot zur Zusammenarbeit auch hier im Plenum.
Es ist ganz interessant, daß immer nur ein Teil der Rede von Herrn Schäuble zitiert wird.
Ich fand die Aspekte Globalisierung und Regionalisierung sowie die Frage, was man in der Politik eigentlich noch gestalten kann, sehr bemerkenswert. Wir müssen uns fragen: Warum gelingt es uns bislang so wenig, dieses Thema bei uns in der Bundesrepublik zu verankern?
Wir haben uns in der Enquete-Kommission überlegt, daß es wenig Sinn macht, den Schadstoff der Woche oder den Skandal des Monats in den Mittelpunkt zu stellen. Wir brauchen vielmehr eine langfristige Weichenstellung und Orientierung. Deshalb ist es notwendig, Zielvorgaben zu entwickeln. Wir haben die Erarbeitung von Umweltzielen in den Mittelpunkt unserer Tätigkeit gestellt.
Das beste Beispiel hierfür ist der Flächenverbrauch. Jeder im Saal wird mir zustimmen, daß der Flächenverbrauch von täglich 100 Fußballfeldern alles andere als nachhaltig ist und daß es gelingen muß, hier zu einem gemeinsam erarbeiteten Umweltziel zu kommen.
Wir haben im Zwischenbericht 30 Ziele für den Bereich Boden und Fläche angedacht und diskutiert. Wir werden uns im Abschlußbericht bemühen, diese Ziele zu quantifizieren. Hierbei - das können Sie der Frau Umweltministerin ausrichten, Herr Hirche - stehen wir an der Seite der Frau Umweltministerin, die in dieser Woche gefordert hat, daß Umweltziele politisch quantifiziert werden müssen, um eine politische Richtung vorzugeben, in die man dann gemeinsam geht. Hier gibt es überhaupt keinen Unterschied in der Bewertung. Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, diese Umweltziele im Endbericht zu beschreiben.
Wir wollen in unserem Endbericht aber auch beschreiben, wie wir diese Umweltziele erreichen und wie wir eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten können. Wir glauben, daß es nicht genügt, ein Umweltziel zu beschreiben - ich denke in diesem Zusammenhang nur an das CO2-Reduktionsziel der Bundesregierung -, sondern daß man dann eben auch über Instrumente und Maßnahmen diskutieren muß, mit denen man diese Ziele zu erreichen glaubt. Wir müssen feststellen, daß es teilweise an politischem Mut fehlt, die Empfehlungen, die die Enquete-Kommission als Instrument der Politikberatung für den Deutschen Bundestag erarbeitet hat, dann auch umzusetzen. Ich hoffe, daß wir es angesichts eines gemeinsamen Zwischenberichts und eines dann gemeinsam zu erstellenden Endberichts zusammen schaffen werden, den Mut aufzubringen, die Empfehlungen in politisches Handeln umzusetzen. Denn es macht ja wenig Sinn, immer nur neue Berichte zu schreiben, ohne daß das wirklich umgesetzt wird.
Wir haben im Zwischenbericht auch Themen aufgegriffen, bei denen wir glauben, daß es in der Bun-
Marion Caspers-Merk
desrepublik Deutschland einen Handlungsbedarf gibt. Ich nenne in diesem Zusammenhang ganz bewußt das Thema „Lokale Agenda 21". Sie bietet die Chance, in der Kommunalpolitik einen neuen Meinungsbildungs- und Partizipationsprozeß anzustoßen. Wir glauben, daß wir hier nach dem Motto handeln müssen: Global denken, lokal handeln. Nur frage ich: Wo bleibt dieses Prinzip, wenn bislang nur 10 Prozent der deutschen Städte und Gemeinden eine lokale Agenda 21 erarbeitet haben? Unsere Enquete-Kommission hat die erste bundesweite Anhörung dazu gemacht und hat damit, glaube ich, einen sehr wichtigen Prozeß angestoßen. Ich bin sehr froh, daß sich mittlerweile ausweislich einer zweiten Umfrage des Deutschen Städtetages wesentlich mehr Kommunen auf diesen Schritt eingelassen haben. Ich appelliere in diesem Zusammenhang nochmals an die Bundesregierung, die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker bei diesem Prozeß adäquat zu unterstützen.
Ich finde es nicht in Ordnung, daß Tony Blair bei der Sondergeneralversammlung in New York angekündigt hat, daß bis zum Jahr 2000 100 Prozent der Kommunen in England ein solches Konzept für eine zukunftsfähige Kommunalentwicklung erarbeiten werden und daß wir bei dieser Entwicklung im hinteren Mittelfeld - um nicht zu sagen: abgehängt - sind. Deswegen bedarf es großer Anstrengungen von seiten des Bundes, aber auch der Länder, um die Kommunen bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen.
Wir haben in der Enquete-Kommission gemeinsam einen langen Weg zurückgelegt. In der 12. Legislaturperiode stand noch das Thema der Schadstoffminderung und der Chemiepolitik im Zentrum unserer Diskussionen. Heute geht es um die Frage der Zukunftsfähigkeit allgemein und auch darum, wie wir diese Weichenstellung in Richtung Zukunftsfähigkeit hinbekommen können.
Wir haben festgestellt, daß es Instrumente für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie gibt, die zentral sind. Das Konzept für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie und einen nationalen Umweltplan darf nicht das Konzept einer Partei oder einer Interessengruppe sein. Es muß gegebenenfalls - so steht es in meinem Manuskript; ich füge hinzu: hoffentlich - auch einen Regierungswechsel überstehen. Es muß so angelegt sein, daß es ressortübergreifend verankert ist. Wir brauchen endlich einen breiten gesellschaftlichen Diskurs; dieser fehlte bislang. Auf der einen Seite gibt es Regierungsprogramme, die erarbeitet wurden, und auf der anderen Seite gibt es Empfehlungen der Enquete-Kommission. Aber es gab niemals eine systematische Einbeziehung der gesellschaftlichen Gruppen. Ich glaube, daran fehlt es.
Ich will an die Debatte über den Bericht der Reformkommission, die wir eben geführt haben, ausdrücklich anknüpfen. Wir merken doch, daß es einen Reformbedarf auch bei unseren Institutionen gibt. Nirgendwo ist in unseren Institutionen des Parlamentarismus das Prinzip der Nachhaltigkeit bislang verankert.
Vielmehr haben wir diese Querschnittsaufgabe aufgespalten und auf die unterschiedlichsten Ressorts verteilt. Es gibt unterschiedliche Sachverständigenräte, zum einen solche für Wirtschaftsfragen und zum anderen solche für Umweltfragen. Es gibt keine Querschnittsorientierung und keine Zusammenarbeit. Wo der Ressortegoismus überwiegt, bleibt die Nachhaltigkeit auf der Strecke. Deswegen müssen wir im Abschlußbericht - wir werden dies auch tun - ganz klar auch zu dem Thema institutionelle Reformen Vorschläge unterbreiten.