Rede von
Dr.
Max
Stadler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Häfner, die letztgenannte Hoffnung, die Sie hier vermutlich vergebens ausgesprochen haben, ist jedenfalls nicht Inhalt des Schlußberichts der Reformkommission.
Zu der von Ihnen beschriebenen Situation wird es nicht kommen.
Wenn ich richtig gerechnet habe, steht das Thema „Verkleinerung des Bundestages" in dieser Wahlperiode bereits zum siebten Male auf der Tagesordnung. Das bedeutet dennoch nicht, daß die Verkleinerung strittig wäre. Im Gegenteil: Wir sind uns einig. Nicht nur die Verwaltung, auch das Parlament muß schlanker werden. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf den bevorstehenden Umzug nach Berlin. Die Zahl der Abgeordneten im 15. Deutschen Bundestag wird deutlich reduziert werden.
Wir haben im Oktober letzten Jahres mit der 13. Änderung des Bundeswahlgesetzes die Zahl der Abgeordneten auf künftig 598 festgelegt. Das bedeutet 299 direkt in Wahlkreisen gewählte Abgeordnete und dieselbe Zahl von über Landeslisten zu wählenden Abgeordneten. Manche halten die Verkleinerung für zu gering. Sie wollen deutlich weniger Abgeordnete. Es heißt immer wieder, der Bundestag sei im Vergleich zu anderen demokratischen Parlamenten zu groß. Dies ist falsch. In einer repräsentativen Demokratie darf die Zahl der Repräsentanten nicht zu klein sein, sonst geht die vielbeschworene Bürgernähe erst recht verloren.
Das britische Unterhaus, oft zitiertes Vorbild für die parlamentarische Demokratie, zählt 650 Abgeordnete. In Italien sind es 630 und in Frankreich 577 Abgeordnete. Aber die Zahl der Wahlberechtigten ist in diesen Ländern geringer. Schon jetzt hat der Bundestag nach Rußland, Japan und den USA mit einem Abgeordneten für 92 000 Wahlberechtigte eines der ungünstigsten Verhältnisse. Nach der Verkleinerung sind es über 100000 Wahlberechtigte je Abgeordneten. Diese Zahl ist doppelt bis dreifach so hoch wie die Zahl der Wahlberechtigten je Landtagsabgeordneten in den Bundesländern. Weder während der Weimarer Republik - anfangs mit 423, später sogar mit 647 Abgeordneten - noch in der Anfangszeit der Bundesrepublik mit damals 410 Abgeordneten gab es ein so ungünstiges Verhältnis von Abgeordnetenzahl zur Zahl der Repräsentierten.
Für eine weitergehende Verkleinerung des Bundestages wird ferner das Argument benutzt, ein kleinerer Bundestag wäre wesentlich arbeitsfähiger. Auch dies trifft nur scheinbar zu und hält einer
Dr. Max Stadler
genaueren Betrachtung nicht stand. Denn die Größe zum Beispiel der Ausschüsse und Gremien richtet sich nicht nach der Gesamtzahl der Abgeordneten, sondern nach dem Parteienproporz. Wenn eine kleine Fraktion im Ausschuß zumindest mit einem Abgeordneten vertreten sein soll - das muß ja wohl so sein -, dann ergibt sich auf Grund der zu wahrenden Mehrheitsverhältnisse automatisch die Größe der Gremien. Umgekehrt würde eine zu starke Verkleinerung die kleinen Fraktionen faktisch von einer effektiven Teilhabe an den parlamentarischen Willensbildungsprozessen ausschließen.
Rund 30 Ausschüsse, Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen gilt es allein derzeit zu beschicken. Es darf aber nicht so weit kommen, daß eine zum Beispiel mit 10 Prozent in den Bundestag gewählte Partei - Sie sehen, ich spreche jetzt gar nicht von der F.D.P. -
allein schon durch die Überlastung der einzelnen Abgeordneten mit Aufgaben und Funktionen an der effektiven Mitwirkung in diesen Gremien gehindert wird. Im Sinne der politischen Meinungsvielfalt ist es schließlich wünschenswert, daß auch die kleineren Parlamentsparteien aus allen Bundesländern mit Bundestagsabgeordneten vertreten sind. Die Gesamtzahl der Abgeordneten muß daher so bemessen sein, daß auch eine Partei mit einem Wählerreservoir von etwa 10 Prozent zumindest die Chance hat, aus möglichst allen Bundesländern Abgeordnete in den Bundestag zu entsenden. Denn eine Repräsentanz in der Fläche ist nicht nur für die einzelne Partei von Bedeutung, sondern für die Akzeptanz des parlamentarischen Systems insgesamt. Wäre sie nicht mehr gewährleistet, geriete unser ganzes Wahlrecht schnell in eine Schieflage.
Im übrigen kann auch das zum Beispiel vom Bund der Steuerzahler immer wieder angemahnte Kostenargument nicht überzeugen. Nicht nur, daß die Kosten umgerechnet pro Kopf der Bevölkerung und Jahr lediglich bei gut 10 DM liegen, ist hier von Bedeutung, sondern auch folgende Überlegung: Eine Verringerung der Zahl der Abgeordneten würde natürlich zu Einsparungen bei der Gesamtsumme der Diäten führen. Doch wenn es Abgeordnete zeitlich und arbeitsmäßig nicht mehr schaffen können, eine ordentliche Arbeit für einen zu großen Wahlkreis und für zu viele Themen und Gremien im Parlament zu leisten, würde der Druck zwangsläufig größer, den Mitarbeiterstab zu erhöhen und bestimmte Aufgaben an diesen zu delegieren. Gerade wer das Beispiel USA anführt, sollte auch wissen, daß dort die Abgeordneten ein Vielfaches an Mitarbeitern haben. Das käme dem Steuerzahler aber erst recht teuer.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. tritt daher für die angemessene Reduzierung des Bundestags auf 598 Sitze ein. Für ein Herummanipulieren am Wahlrecht steht die F.D.P. nicht zur Verfügung. Das haben wir vor einem Jahr anläßlich der Verabschiedung des 13. Wahlrechtsänderungsgesetzes deutlich gemacht. Dazu stehen wir auch jetzt. Denn gerade in diesen Tagen, in denen Reformen blockiert werden und mutige politische Neuansätze im Parteienclinch steckenbleiben, wird der Ruf nach einer Wahlrechtsänderung schnell wieder laut.
Von einem Mehrheitswahlrecht versprechen sich manche den Ausweg aus der Entscheidungsblokkade. Davor können wir, wie Sie verstehen werden, nur warnen.
Deutschland würde um ein großes Stück politischer Vielfalt gebracht. Daß die F.D.P. und etwa auch die Grünen dieser Meinung sind, ist klar. Aber auch Bundespräsident Roman Herzog sieht dies so. In der „Berliner Zeitung" vom 17. September dieses Jahres erklärt er - ich zitiere -:
Aber ich habe schon in den 60er Jahren darauf hingewiesen, daß eine Verbitterung der Bürger entstehen würde, wenn durch ein Wahlsystem, also durch einen juristischen Federstrich, die bestehenden kleinen Parteien herauskatapultiert würden.
Dem ist, so glaube ich, nichts hinzuzufügen.
Das Mehrheitswahlrecht wäre also der falsche Weg zur Lösung der Strukturprobleme unseres politischen Systems. Nicht die Größe des Bundestags, nicht das Wahlrecht, sondern auch das inzwischen entstandene Maß an Vermischung der Verantwortung zwischen den Institutionen, vor allem zwischen den Ländern und dem Bund, hat die derzeitige Blockadesituation maßgeblich mit beeinflußt.
Wir brauchen zur Lösung der dringenden Probleme daher klare Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Die Zahl der Länder werden wir vermutlich nicht so leicht verringern können. Aber Graf Lambsdorff hat recht: Wir brauchen eine Reform des föderalen Systems der Bundesrepublik. Dazu muß zwingend gehören: erstens eine deutlichere Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz und Aufgabenverantwortlichkeiten des Bundes und der Länder, zweitens eine klarere Verteilung der Einnahmequellen in der Finanzverfassung zwischen Bund und Ländern
und schließlich drittens die Schaffung leistungsstarker Bundesländer. Denn Voraussetzung für einen funktionsfähigen Föderalismus sind Länder mit vergleichbarer Wirtschafts- und Finanzstärke.
Wir wollen starke Länder mit klaren Kompetenzen und ausreichender Finanzausstattung. Wir wollen aber auch klare Entscheidungsbefugnisse des Bundes. Aus einem klassischen System der horizontalen Gewaltenteilung ist unser Föderalismus allmählich zu einem System der Gewaltenhemmung geworden. Können wir uns das in der augenblicklichen Situation wirklich leisten? Das ist die Frage.
Diese Strukturprobleme müssen wir angehen. Mit einer Änderung des Wahlrechts dagegen wären wir keinen Schritt weiter.
Dr. Max Stadler
Vor diesem Hintergrund begrüßt die F.D.P. ausdrücklich die jetzt vorgelegten Empfehlungen der Reformkommission. Danach bleibt es auch künftig so, daß die Bevölkerungszahl die maßgebliche Bemessungsgrundlage für die Wahlkreiseinteilung ist. Es wird nichts am Verhältnis der Zahlen von Direkt- und Listenmandaten geändert. Es wird nichts an der Fünfprozentklausel geändert. Es wird nichts an der Grundmandatsklausel und der Regelung der Überhangmandate geändert. Wir sehen uns darin auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres bestätigt. Dies gilt im übrigen auch für die von der Reformkommission vorgeschlagenen Abweichungen, bei denen ein Neuzuschnitt von Wahlkreisen vorgenommen werden muß. Künftig werden Abweichungen von über 25 Prozent nicht mehr geduldet. Auch dies ist ein wesentliches Element, Herr Kollege Häfner, um schon für die Wahl 1998 und erst recht für die späteren Wahlen Verfälschungen von Wahlergebnissen - das sage ich bewußt - durch Überhangmandate weitgehend auszuschließen.
Meine Damen und Herren, bei der Verkleinerung des Bundestags und damit bei' der Veränderung der Wahlkreise tut sich eine Parallele zu anderen Veränderungen auf, die wir schon vollzogen haben. So wurden etwa bei der Verkleinerung der Bundeswehr aus Demonstranten gegen die Bundeswehr plötzlich Kämpfer für die Erhaltung der jeweiligen Standorte. Ähnliches erleben wir jetzt beim Bundesgrenzschutzkonzept. Viele Sparapostel werden nun zu rastlosen Briefeschreibern, da es um ihren Wahlkreis und dessen Zuschnitt geht. Plötzlich geht es nicht mehr um „die da oben in Bonn", sondern um „unseren Abgeordneten im Wahlkreis". Nicht von ungefähr haben daher eine Reihe von Bundesländern lange gezögert, überhaupt eigene Vorschläge für die Reduzierung beizusteuern.
Wir sind froh, daß mit der von der Reformkommission vorgeschlagenen Wahlkreiseinteilung die Voraussetzung dafür geschaffen ist, daß wir auch dieses Problem in absehbarer Zeit, das heißt noch in diesem Jahr im Innenausschuß einer vernünftigen Lösung zuführen werden.
Bei dieser Gelegenheit - dies ist mein Schlußgedanke - sollten wir uns auch darauf verständigen, ob nicht Art. 39 des Grundgesetzes so geändert werden kann, daß der Wahltermin künftig nicht immer weiter im Jahr zeitlich zurückwandert, bis er schließlich in die Sommerferien fällt, wo er sicher nicht hingehört. Wir sollten Art. 39 im Zuge dieser gesamten Reform so gestalten, daß der Wahltermin im Herbst bleibt, wie er von den Wählern gut akzeptiert wird.
Ich schließe mit dem Dank an alle, die an der Abfassung des vorzüglichen Abschlußberichts beteiligt waren.