Rede von
Gerald
Häfner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen einen Dank an den Vorsitzenden, an die Mitglieder und Sachverständigen, aber auch - und weiß Gott nicht zuletzt - an die Mitarbeiter der Reformkommission stellen. Wir haben zwei Jahre intensiver
Gerald Häfner
und auch kollegialer Beratungen hinter uns gebracht und dabei zu einigen wichtigen Weichenstellungen gefunden, dabei allerdings auch - darauf werde ich noch zurückkommen - ein ganz zentrales Problem unseres Wahlrechtes ungelöst gelassen.
Zunächst das wichtigste Ergebnis: Der Bundestag hat eine Verkleinerung auf 598 Abgeordnete zur 15. Wahlperiode beschlossen. Wir begrüßen diesen Beschluß. Wir haben ihn ja von Anfang an mit eigenen Anträgen gefordert und mit herbeigeführt. Der Beschluß kann die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes stärken und dessen Effizienz fördern. Allerdings muß er das nicht.
Das ist schon einmal ein Punkt, an dem die Kommission meines Erachtens ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die Effizienz, die Transparenz, die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes leiden unter vielen anderen Dingen weit mehr als unter der Größe dieses Hauses. All unsere Vorschläge zu Fragen einer weitergehenden Parlamentsreform wie der Straffung des Gesetzgebungsverfahrens oder einer Erweiterung der Rechte des einzelnen Abgeordneten sind bereits bei der Einsetzung der Kommission abgelehnt worden.
Aber noch etwas zur Verkleinerung. Der Bundestag war ja nicht deshalb zu groß, weil wir das deutsche Parlament willkürlich aufgebläht hätten, sondern weil die glückliche Vereinigung der über 40 Jahre getrennten Teile Deutschlands zu einem Anwachsen der Bevölkerungszahl und damit auch der Anzahl der Abgeordneten geführt hat. Die Verkleinerung war jetzt trotzdem oder gerade deshalb notwendig, so wie viele andere Reformen im vereinten Deutschland zur Herstellung von Effizienz, Arbeitsfähigkeit, Transparenz und auch mehr demokratischer Legitimation erforderlich wären. Ich würde mir wünschen, wir hätten die Kraft zu noch sehr viel weitergehenden Reformen im Bereich der Festigung und Verbesserung der Demokratie als nur zur Verkleinerung des Bundestages.
Dann ist uns als zweites gelungen - darüber bin ich sehr froh -, die Toleranzgrenzen im Wahlgesetz zu verändern. Die bisherige Regelung hat dazu geführt, daß einzelne Wahlkreise doppelt so viele Wahlberechtigte umfassen konnten wie andere Wahlkreise, ohne daß es zu einer Änderung der Wahlkreisabgrenzung hätte kommen müssen. Daß in Zukunft eine Neuabgrenzung bereits bei einer Abweichung der einzelnen Wahlkreise gegenüber dem Wahlkreisdurchschnitt in Höhe von 15 Prozent stattfinden soll und bei einer Abweichung von 25 Prozent stattfinden muß, entspricht der Forderung meiner Fraktion und fand erfreulicherweise ebenfalls Konsens in der Kommission.
Konsens hatten wir auch in der Frage der Grundmandate; darauf ist schon eingegangen worden. Die PDS ist - das will ich hier deutlich sagen - unser politischer Gegner. Aber sie ist in den neuen Bundesländern von zum Teil über 20 Prozent der Bevölkerung gewählt. Es wäre gänzlich absurd, diese Partei nun mit Veränderungen im Wahlrecht aus dem deutschen Parlament katapultieren zu wollen. Ich bitte Sie, zu bedenken: Damit wären ja nicht nur den Abgeordneten der PDS sozusagen die Stühle vor die Tür gesetzt, sondern vor allem auch den zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern, die sie gewählt haben und die hier von ihr vertreten werden. Das ist es, was mir manchmal in unseren Debatten zu kurz gekommen zu sein scheint.
Wir sollten nie vergessen: Im Kern geht es beim Wahlrecht nicht um uns, nicht um die Abgeordneten, nicht um die Parteien, sondern im Kern geht es beim Wahlrecht um die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Das Wahlrecht ist eben ein elementares Recht der Bürger. Bürgerinnen und Bürger sind in der Demokratie der Souverän. Von ihnen geht alle Staatsgewalt aus, und sie wird laut Grundgesetz von ihnen in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Solange der Gesetzgeber weiterhin die von den Eltern unseres Grundgesetzes vorgesehene Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid verweigert, bleibt das Wahlrecht das einzige Instrument, mit dem die Bürgerinnen und Bürger ihre Souveränität ausüben, ihrem politischen Willen Ausdruck verleihen können.
Deshalb ist das Wahlrecht eine sehr fragile Angelegenheit. Es beinhaltet die Spielregeln, nach denen in der Demokratie gespielt wird, und diese sollte man im Konsens zwischen den beteiligten Politikern, aber nicht nur im Konsens zwischen diesen, sondern auch im Konsens zwischen den Sachverständigen und der Bevölkerung verändern und nicht, wie es hier geschehen ist, mit knappen Mehrheiten.
Ich halte das für ein sehr trauriges Resultat unserer Arbeit in der Kommission, daß in der weiß Gott möglicherweise wahlentscheidenden Frage der Überhangmandate kein Konsens besteht. - Der Grund, Herr Schmidt - ich glaube, das darf man Ihnen zu Recht unterstellen -, warum Sie hier eine Änderung, wie von uns vorgeschlagen, abgelehnt haben, ist, daß Sie schon jetzt nur mit einer großen Zahl von Überhangmandaten Ihre Mehrheit im Deutschen Bundestag absichern können und daß Sie natürlich Angst vor der Wahl 1998 haben.
Es macht Ihnen gar nichts aus, daß Sie einen Übergangskanzler stellen. Aber ich sage Ihnen: Eine Überhangregierung hat dieses Land nicht verdient.
Sie sind jetzt nur noch eine Übergangsregierung, aber eine Überhangregierung wollen wir in Zukunft nicht.
- Das ist keine Entgleisung. Wenn es eine Entgleisung ist, dann ist es eine Entgleisung von Ihrer Seite.
Das oberste Prinzip beim Wahlrecht ist der gleiche Erfolgswert aller Stimmen. One person - one vote, das müßte das Prinzip sein. Sie wissen, daß schon bei der vergangenen Wahl die CDU für die Wahl eines
Gerald Häfner
CDU-Abgeordneten um einige Tausend Stimmen weniger brauchte als die Grünen für die Wahl eines ihrer Abgeordneten. Das heißt, daß Stimmen von Wählerinnen und Wählern der Grünen weniger gezählt haben als CDU-Wählerstimmen und das Ergebnis, wie es von den Bürgerinnen und Bürgern gewollt wurde, verfälscht worden ist.
Das führt zu abstrusen und, wie ich meine, auch demokratieschädlichen Ergebnissen. Überlegen Sie sich doch einmal, was es bedeutet, wenn möglicherweise nach der nächsten Wahl eine erkennbare Mehrheit nach den Zweitstimmen errechnet wird und allen klar ist: Es regiert zum Beispiel wieder Ihre Koalition, obwohl sie abgewirtschaftet hat, aber dann durch Überhangmandate. Es wird nicht so kommen; es wird andersherum kommen. Das wissen Sie.
Sie haben es bei der irrsinnigen Regelung belassen, daß durch Überhangmandate die Mehrheitsverhältnisse gekippt werden können und vier Jahre lang eine andere Bundesregierung, als von den Bürgerinnen und Bürgern gewollt ist, regieren kann. Das kann doch nicht im Sinne der Demokratie sein. Was bedeutet das für die Akzeptanz der Demokratie, aber auch der politischen Entscheidungen dieses Hauses? Daß Sie so etwas sehenden Auges beibehalten und dabei mitmachen, finde ich erschreckend.
Herr Schmidt, ich muß ihnen deutlich sagen: Sie haben den Konsens durch offenkundigen - wenn ich dieses Wort aufgreifen darf - Nonsens ersetzt.
- Das war der CDU-Schmidt. Ich kann Sie beide noch immer deutlich unterscheiden, auch wenn Sie häufig das „Schmidteinander" in erkennbarer Weise gepflegt haben. - Aber Sie haben wirklich Konsens durch Nonsens ersetzt. Das ist ärgerlich nicht nur für uns; das ist ärgerlich für dieses Land. Wir haben schon jetzt nur noch einen Überhang-, Übergangkanzler.
- Beides stimmt! Darum verwechsle ich die beiden im Alphabet nebeneinanderstehenden Laute so leicht. Überhang und Übergang sind nahe beieinander. - Aber nur mit den Überhangmandaten haben Sie überhaupt noch eine Chance, sich zu retten.
Ich hoffe auf einen so deutlichen Wahlsieg für RotGrün bei der nächsten Bundestagswahl, daß Ihnen auch die Überhangmandate nicht mehr helfen werden, Ihre verfehlte Politik weiter zu betreiben.
Ich danke Ihnen.