Sehr geehrte Herren und Damen! Ich wünsche den Tag herbei, an dem in diesem Bundestag Taten und Reden übereinstimmen.
Vor drei Jahren trat die Regierungskoalition mit dem Versprechen an, die Ausgaben für Bildung und Forschung überproportional zu steigern. Damals, 1994, belief sich das Haushaltssoll einschließlich der damals noch im Einzelplan 60 eingestellten Mittel auf rund 15,79 Milliarden DM. Für das kommende Jahr sieht der Regierungsentwurf rund 14,95 Milliarden DM vor, mithin 844 Millionen DM weniger als zu Beginn der Amtszeit von Herrn Rüttgers.
Daß man diese Sparpolitik auch noch als schönen Erfolg verkauft, auf den Herr Dr. Rüttgers zu Recht stolz sein könne, zeigt, wie weit der Realitätsverlust in der Koalition vorangeschritten ist
und wie ernst Sie Ihre eigenen Koalitionsvereinbarungen von 1994 nehmen.
Die mittelfristige Finanzplanung entlarvt die Vereinbarung vollends als hohle Phrase. Vorgesehen ist, daß der BMWF-Haushalt bis zum Jahre 2001 auf 14,36 Milliarden DM um 4 Prozent gekürzt werden soll, während der Bundeshaushalt insgesamt um 4,1 Prozent steigen soll.
Selbst nominal lägen dann die Ausgaben für Bildung und Forschung im Jahre 2001 deutlich niedriger als in jedem anderen Jahr seit der deutschen Einheit. Das - und nicht irgendwelche Sonntagsreden - zeigt, welche Wertschätzung die Bundesregierung Bildung und Ausbildung, Forschung und Innovation einräumt.
In keiner Regierungsperiode ist der Bildungs- und Forschungshaushalt so heruntergewirtschaftet worden wie unter dieser Bundesregierung. Von 1982 bis 1998 sinkt der Anteil des BMWF am Bundeshaushalt von 4,7 Prozent auf 3,2 Prozent. Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann man nicht einfach mit allgemeinen Haushaltsproblemen erklären.
Seit 1982 weisen die Forschungsausgaben keinerlei reales Wachstum mehr auf, und das, obwohl die Anstoßwirkung staatlicher Förderung auf innovative, risikoreiche Forschungs- und Entwicklungsleistungen eindeutig nachgewiesen worden ist. Wo staatliche Gelder versiegen - das wissen wir -, zieht sich die Wirtschaft zurück - mit verheerenden Auswirkungen für die Arbeitsplätze.
Wenn wir in Deutschland unser Lohnniveau und unseren sozialen Standard halten wollen, wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Zukunft eröffnen wollen, dann haben wir keine andere Wahl - ich hoffe, daß das endlich jeder begreift -, als wieder mehr in Bildung und Ausbildung, in Wissenschaft und Forschung zu investieren.
Zukunftsinvestitionen sind Investitionen für die Zukunft, aber sie sind keine Investitionen - so verfahren Sie -, die irgendwann in der Zukunft getätigt werden müssen. Sie müssen vielmehr jetzt getätigt werden, damit sie in der Zukunft Früchte tragen.
Sicherlich müssen wir sparen. Wir müssen Haushaltsdefizite, aber auch die Steuer- und Abgabenlast zurückführen. Es ist aber kein Zeichen der Zukunftsvorsorge, wenn die F- und E-Ausgaben und die Bildungsausgaben, so wie geschehen, kontinuierlich abgesenkt werden und auch jetzt wieder real nicht steigen. Die Einsparungen im Bildungs- und Forschungshaushalt waren schon in den 80er Jahren grundfalsch. In Anbetracht der Globalisierung der Märkte, des sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs, angesichts überalterter Industriestrukturen, die wir in der Bundesrepublik haben, angesichts einer skandalös hohen Massenarbeitslosigkeit, angesichts der aktuellen Lehrstellenkrise, die wir in diesem Jahr haben, und angesichts der fortschreitenden Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen ist dieses Verhalten, das Sie an den Tag legen, katastrophal. Es ist grundfalsch.
Bildung und Qualifikation, Wissenschaft und Forschung leisten den entscheidenden Beitrag zur Unterstützung des Strukturwandels und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Globalisierung stellt uns vor neue Aufgaben und Fragen, für die Wissenschaft und Forschung zukunftsweisende und gesellschaftlich tragfähige Antworten entwickeln müssen. Dazu bedarf es eines staatlichen Innovationsprogramms, das Hochschul- und Forschungseinrichtungen endlich einmal in die Lage versetzt, diese Aufgaben auch adäquat zu bearbeiten. Es ist doch nicht zu fassen, daß die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Kreativität und ihr Know-how nicht ausrei-
Edelgard Bulmahn
chend für die Lösung der Probleme, vor denen wir stehen, ausschöpfen.
Die Politik der Bundesregierung konterkariert die Notwendigkeit, endlich das zu nutzen, was wir an Ressourcen in der Bundesrepublik haben.
Jeder und jede weiß, daß Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung zentrale Elemente der Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung sind. Aber ich muß einfach feststellen, daß dieser Haushalt weder von seinem Umfang noch von seinen Weichenstellungen her diesem Anspruch genügt. Er stellt die Weichen falsch. Er steht zudem im deutlichen Widerspruch zu den Reden und Ankündigungen des Bildungs- und Forschungsministers.
In öffentlichen Verlautbarungen beklagt der Minister, daß Deutschland vom ersten Platz im Welthandel mit Umweltgütern verdrängt worden sei. Sie haben vorhin selbst gesagt, daß Sie in diesem Bereich Weltspitze sein wollen. Ich stimme Ihnen zu: Das Ziel ist richtig. Aber in der Realität, bei den haushaltspolitischen Entscheidungen, werden die Ausgaben für die Umweltforschung und für die Umweltschutztechnologie erneut abgesenkt.
Was ist das eigentlich für eine Politik? Die Projektförderung im Bereich der erneuerbaren Energien soll mit 240 Millionen DM abermals deutlich unter das Niveau von 1982 fallen, als noch 300 Millionen DM dafür ausgegeben wurden.
Sie sagen, Herr Minister Rüttgers, in der Biotechnologie wollen wir Spitze sein; in der Forschung sind wir es schon lange. Aber wenn ich mir die Arbeitsplätze in diesem Bereich anschaue, dann muß ich angesichts der Zahlen, die Sie genannt haben, feststellen, daß es schon vor drei Jahren 45 000 Arbeitsplätze in dieser Branche gab. Wo ist da der große Fortschritt?
Zum Bereich Multimedia. Wir von seiten der SPD haben immer gesagt: Das ist eine Schlüsseltechnologie; hier müssen wir Forschungsanstrengungen konzentrieren. Es kommt entscheidend darauf an, daß wir in diesem Bereich weltweit an der Spitze stehen, weil dies Effekte für die gesamte Volkswirtschaft hat.
Wenn Sie hier zitieren, daß wir 62 Prozent mehr Internetanschlüsse haben, dann finde ich das gut. Es ist an der Zeit, daß dies so ist. Nur, um ganz offen zu sein, das ist nicht Ihr Verdienst.
Ich kann nur sagen: Ich bin froh, daß die Bevölkerung nicht so immobil ist wie diese Bundesregierung.
Zu den Posterioritäten zählt der Minister - zumindest in Presseerklärungen - die Ausgaben für Kernenergie. Tatsächlich weisen die Ausgaben für die Kernenergie die höchste Zuwachsrate überhaupt auf, da für den neu geschaffenen Haushaltstitel „Gesetzliche Endlageraufwendungen" allein im kommenden Jahr 65,8 Millionen DM vorgesehen sind.
Insgesamt sollen für diesen Zweck bis 2001 im Vergleich zur bisherigen Finanzplanung zusätzliche Mittel in Höhe von 275,8 Millionen DM - dies bei insgesamt geringeren Mitteln für diesen Haushalt - bereitgestellt werden. Dies, Herr Minister Rüttgers, ist die einzige Priorität, die Sie in diesem Forschungshaushalt setzen.
Was das mit Forschung und Entwicklung zu tun hat, kann nicht nur ich nicht nachvollziehen. Das versteht niemand - weder hier in diesem Hause noch in der Republik.
Zu Recht wird in den Erläuterungen zum Haushaltsentwurf darauf hingewiesen, daß die Leistungsfähigkeit der industriellen Produktion auch künftig unsere Wettbewerbsfähigkeit, unseren Lebensstandard und unsere Lebensqualität wesentlich bestimmen wird und zur Sicherung der Arbeitsplätze zwingend notwendig ist. Doch welche Konsequenz zieht der Minister aus dieser Einsicht? Die Ausgaben erreichen nicht einmal das Niveau der 80er Jahre.
Nur noch mit ideologischer Verbohrtheit ist die aktuelle erneute Kürzung im Bereich der Technikfolgenabschätzung zu erklären. Die Bundesregierung ignoriert einfach, daß Technikfolgenabschätzung die Chancen neuer Entwicklungen ausloten und technologische Fehlentwicklungen vermeiden kann und dabei sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Entwicklungslinien aufzeigt. Ich finde, daß wir uns gerade in Zeiten knappen Geldes Fehlentwicklungen nicht leisten können und daß deshalb dieser Forschungsbereich Unterstützung verdient.
Faktisch halbiert haben sich in den letzten Jahren die Mittel für die Forschung im Bereich Arbeit und Technik. Dabei hat unsere Anhörung im Ausschuß bewiesen - unter Fachleuten ist das sowieso unumstritten -, daß die Forschung und Entwicklung einer menschengerechten und innovativen Arbeits- und Technikgestaltung einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Beschäftigungskrise leisten kann.
An der instrumentellen Schieflage im Haushalt ändert sich abermals nichts. Während die institutionelle Förderung erneut zulegen kann, geht die Projektförderung weiter zurück. Seit 1982 ist ihr Anteil am Haushalt von 41,1 Prozent auf 28,9 Prozent gesunken. Diese Entwicklung ist nicht länger vertretbar. Sie verschärft nämlich erheblich die Umsetzungsprobleme, die wir in der deutschen Volkswirtschaft haben, und läßt angesichts fehlender Handlungsspielräume ein flexibles Reagieren auf neue Problemlagen, nämlich ein Setzen neuer Schwerpunkte und ein Aufgreifen neuer Themen, nicht zu. Was bleibt,
Edelgard Bulmahn
sind Immobilität, mangelnde Innovationsfähigkeit, das Verwalten und das Stopfen von Haushaltslöchern.
Eine wirklich kaum noch zu ertragende Verkalkung zeigt die Bundesregierung bei der Reform des BAföG. Für die SPD-Bundestagsfraktion stelle ich hier in aller Klarheit fest - mein Kollege Tilo Braune wird darauf näher eingehen -, daß die Reform der Hochschulen und die Fragen der Hochschul- und der Ausbildungsfinanzierung untrennbar miteinander verknüpft sind. Ich fordere den Bundesbildungsminister unmißverständlich auf: Herr Minister Rüttgers, arbeiten Sie endlich konstruktiv in der Bund-LänderArbeitsgruppe mit, und tragen Sie selber auch persönlich Sorge dafür, daß die Verhandlungen endlich auch seitens des Bundes mit der nötigen Kompetenz und der gebotenen Sachlichkeit zügig vorangebracht werden!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn zukünftig alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten sollen, dann muß jetzt gehandelt werden.
Am vergangenen Montag mußte Bundesminister Rüttgers allerdings einräumen, daß noch immer 152 000 Lehrstellen fehlen. Im Haushalt schlägt sich dies so nieder, daß die Ausgaben für berufliche Bildung um 11,8 Prozent gekürzt werden sollen. 152 000 Jugendliche ohne Lehrstellen, das ist die größte Lehrstellenkrise in der Nachkriegszeit. Sowohl der Deutsche Bundestag, das heißt wir, wie auch die Bundesregierung stehen in der Verantwortung gegenüber den Jugendlichen, alles zu tun, damit alle Ausbildungsplatzsuchenden einen Ausbildungsplatz erhalten. Ich finde es gut, Herr Rüttgers, daß Sie diese Verantwortung hier auch deutlich formuliert haben. Aber ich muß gleichzeitig feststellen, daß zum Beispiel die SPD bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen hat, ausbildende Betriebe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu bevorzugen.
Es wäre doch angebracht, gelegentlich etwas schneller zu reagieren und zu agieren.
Notwendig - das ist völlig unbestritten - sind die Weiterentwicklung von Strukturreformen, die Schaffung neuer Berufe, die Modernisierung bereits bestehender Berufe, die Unterstützung und Schaffung von Ausbildungsverbünden, die qualitative Verbesserung der dualen Ausbildung, eine bessere Abstimmung zwischen Berufsschule und Betrieb und auch das persönliche Werben um Ausbildungsplätze. All dies ist wichtig, und all das ist von der SPD immer wieder gefordert und angemahnt worden.
Ich muß aber leider feststellen, daß alle Bemühungen und Veränderungen nicht dazu geführt haben, daß genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Im Gegenteil, die Situation hat sich von Jahr zu Jahr verschärft. Die Ausbildungsbereitschaft in der Wirtschaft nimmt ab, während andererseits die Zahl der Jugendlichen zunimmt. Deshalb hat die SPD einen Gesetzentwurf erarbeitet, mit dem den Arbeitgebern massive Anreize gegeben werden sollen, neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Nur wenn es uns gelingt, mehr Betriebe dazu zu bringen, ihre Ausbildungskapazitäten wirklich auszuschöpfen und neue Ausbildungsplätze zu schaffen, wird das Ziel, allen Jugendlichen eine Ausbildungsstelle zu gewährleisten, erreicht. Das ist unser Ziel.
Nur wenn die Arbeitgeber nicht von sich aus ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, gelangt das Gesetz zur Anwendung.
Sobald eine ausgeglichene Bilanz vorliegt, ruht das Gesetz. Die Arbeitgeber, Herr Kampeter, haben es von daher selbst in der Hand, ob das Gesetz angewandt wird oder nicht.
Sollten zuwenig Ausbildungsplätze angeboten werden, so werden die Arbeitgeber, die nicht oder zuwenig ausbilden, zu einer Abgabe herangezogen. Die Betriebe, die überdurchschnittlich ausbilden, erhalten dagegen einen Bonus. Wir wollen damit endlich erreichen, daß eine überdurchschnittliche Ausbildungsleistung anerkannt und belohnt wird, was nämlich zur Zeit nicht der Fall ist, was ich für skandalös halte.
Über die näheren Einzelheiten in unserem Gesetz werden wir in diesem Hause sicherlich ausführlich beraten und miteinander diskutieren. Es geht uns um das Ziel, allen Jugendlichen eine Ausbildungsstelle zu gewährleisten und sicherzustellen. Wir sind es den Jugendlichen schuldig, daß eine vorurteilsfreie sachliche Prüfung aller Vorschläge stattfindet. Scheuklappen anzulegen und einen erfolgversprechenden Weg aus rein ideologischen Gründen abzulehnen ist verantwortungslos.
Wir wollen die Jugendlichen nicht im Stich lassen, und ich hoffe, auch Sie nicht. Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Vielen Dank.