Rede von
Norbert
Geis
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, der Erlaß liegt vor. Nur, Sie sind nicht damit einverstanden - aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann. Ich bin der Auffassung, daß der Erlaß sich ganz und gar nach der Entschließung richtet. Danach hat er sich auch zu richten.
Es können in den Erlaß keine Dinge aufgenommen werden, die nichts mit der Entschließung zu tun haben.
Aber wir können darüber vielleicht noch einmal in aller Ruhe reden. Ich will jetzt dazu nur deshalb Stellung nehmen, weil Sie das Thema aufgegriffen haben.
Lassen Sie mich aber zu einem anderen Gedanken kommen. Es geht um die Prozesse in Berlin gegen die Mitglieder des Politbüros, Herr Heuer. Es kam das Wort von der „Siegerjustiz" auf. Wahrheit ist, daß sich die Bevölkerung der damaligen DDR in einer unblutigen Revolution gegen Lug und Trug und gegen die Gewaltherrschaft der SED gewandt hat und die Machthaber aus dem Amt vertrieben hat. Jetzt haben sich diese Machthaber wegen ihrer Taten zu verantworten.
Das ist gerecht. Anders kann sich der Rechtsstaat nicht verhalten. Das hat nichts mit Rache, das hat nichts mit Revanche zu tun. Das hätte nicht anders sein können, wenn sich die DDR nicht mit der damaligen Bundesrepublik vereinigt hätte, sondern ein selbständiger, aber demokratischer Staat geworden wäre. Deswegen ist dieses Wort von der sogenannten „Siegerjustiz" so falsch.
Es ist schwer genug, diese Regierungskriminalität aufzuarbeiten, doch schon allein deshalb, weil auf Grund des Rückwirkungsverbotes in Art. 103 des Grundgesetzes nicht unser Strafrecht angewendet werden kann. Vielmehr können die damaligen SED-Funktionäre nur nach den damaligen Gesetzen der DDR bestraft werden. Nur wenn nachgewiesen wird, daß sie gegen diese Gesetze verstoßen haben, ist ein Urteil überhaupt möglich.
Norbert Geis
Das erklärt auch - das muß man der Bevölkerung sagen -, warum so viele Taten, die wir als Unrecht empfinden, gar nicht zur Anklage kommen können: weil unser Strafrecht keine Geltung hat. Unser Strafrecht gilt nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nur für die Fälle, für die es milder als das vormalige DDR-Recht ist. Das ist nicht ganz so oft der Fall. Aber es ist schon einmal bei den Mitgliedern des Verteidigungsrates angewendet worden, bei Herrn Keßler, Herrn Albrecht und Herrn Streletz. In diesem Fall ist westdeutsches Strafrecht angewendet worden, weil es in diesen Fällen milder als das DDR-Recht war.
Nur dann, wenn die begangene Tat in Übereinstimmung mit dem DDR-Recht kraß gegen die Gerechtigkeit verstoßen hat, ist nach der Radbruchschen Formel aus dem Jahre 1946 eine Verurteilung möglich. Das hat Krenz zu spüren bekommen. Deswegen ist das Urteil gegen Krenz auch nach meiner Auffassung richtig. Wie auch immer: Die Justiz hat es in den Händen. Über das Urteil mag ein Revisionsgericht befinden. Aber wir sollten hier nicht von „Siegerjustiz" sprechen. Wir sollten dieses Urteil nicht als nicht verfassungsgemäß bezeichnen.
Eine ganz andere Frage ist die Frage der Amnestie und des Schlußstriches, der gefordert wird. Ich bin nicht dafür. Wenn überhaupt eine Gelegenheit bestand, einen solchen Gedanken durchzusetzen, dann war es in der Zeit der Revolution oder in der Zeit danach, als der Westen und der Osten die Einigungsverträge ausgehandelt und durchgesetzt haben. Da hätte man vielleicht eine Amnestie erlassen und einen Schlußstrich ziehen können. Jetzt aber, wo es den Rechtsstaat gibt, müssen wir uns daran erinnern, was der Rechtsstaat tun muß. Er muß nämlich dafür sorgen, daß Recht und Ordnung Geltung haben und daß sich die Gerechtigkeit durchsetzt. Das kann er mit einem demokratisch legitimierten Strafrecht, das sich den Einzelfall anschaut und das dem Einzelfall entsprechend sein Urteil spricht.
Eine weitere Frage ist, ob wir die Verjährungsfrist für Straftaten, die jetzt am 31. Dezember verjähren, verlängern. Das muß überlegt werden. In diesem Punkt müssen wir die dafür zuständigen Länderminister hören. Wir müssen aber auch die Staatsanwaltschaft hören, die in Berlin diese Taten von Regierungskriminalität verfolgt. Erst dann sollten wir dem Gedanken nähertreten. Es stehen aber viele andere gewichtige Argumente dagegen. Auch das darf man nicht übersehen.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtspolitik bleibt die innere Sicherheit. Das ist heute oft genug gesagt worden. Wir haben einen Anstieg der organisierten Kriminalität, der Gewalt-, der Ausländer- und der Jugendkriminalität. Das hat viele Gründe.