Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte zeigt in jedem Jahr wieder in gleicher Weise erstens, daß wir nicht ganz so giftig miteinander sind wie andere, und zweitens: Herr Kleinert kann sein Wort von der „fleet in being" loswerden. Drittens geht es gelegentlich auch um Zahlen, wenn es um den Haushalt geht, nicht nur um den Versuch, in der einen oder anderen grundsätzlichen Frage miteinander zu reden oder sie zumindest anzusprechen.
Ich möchte zunächst einige Bemerkungen zu den Zahlen machen. Ich glaube, es ist durchaus wichtig, daß wir uns in Erinnerung holen, was Gunter Weißgerber zur Wehrstrafgerichtsbarkeit gesagt hat: Die Institution ist töter als tot. Kein Mensch will sie, jedenfalls keiner, der seine Sinne beisammen hat.
Wir sind auch durch niemand gezwungen, sie zu machen. Im Haushalt ist auch kaum mehr Geld dafür. Ich bin der Meinung, man sollte die jetzigen Haushaltsberatungen dazu benutzen, dieses Kapitel zu streichen. Ich glaube, es sind zweimal 5000 DM. Diese könnten Sie doch hervorragend woanders unterbringen. Wenn Sie dazu Anregungen brauchen, würde ich mir gestatten, eine zu machen. Die Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, den Staaten Mittel- und Osteuropas, ist eine nützliche Sache.
Wohin wir auch immer kommen, sagen uns unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, daß sie an sehr viel mehr Aufbauhilfe und Unterstützung interessiert wären. Hier könnte man mühelos etwas sinnvoller unterbringen, was jetzt von der Symbolik und vom Geld her -10 000 DM zuviel - falsch ist.
Weiter möchte ich noch einmal die Not des Bundesgerichtshofs unterstreichen, der nun wirklich teil-
Dr. Herta Däubler-Gmelin
weise in Karnickelställen sitzt, die nicht nur polizeiwidrig sind, sondern auch eindeutig nicht der Rechtsfindung dienen.
Wir alle wissen, daß 2,8 Millionen DM Planungs- und Projektierungsmittel gefunden werden müssen. Die Stellungnahmen des Rechnungshofes sind uns auch bekannt. Ich glaube, daß wir in den Haushaltsberatungen jetzt einen Weg finden müssen, diese Projektierungsmittel freizusetzen, damit angefangen werden kann. Ich bitte Sie ganz ausdrücklich darum, mit uns zu versuchen, einen Weg zu finden.
Lassen Sie mich aber auch noch einige andere Anmerkungen machen. Sie, verehrter Herr Bundesjustizminister, haben eine große Zahl von Einladungen zu Ihrem Lob ausgesprochen. Nun will ich gar nicht so unkameradschaftlich sein und mich da mehr als nötig zieren, zumal Sie wissen, daß ich einiges von dem, was Sie sagen, außerordentlich sympathisch finde, das um so mehr, als Sie freundlicherweise durchaus auch zugegeben haben, daß Sie gelegentlich auf Ideen von uns im Kindschaftsrecht oder beim Strafrahmen zurückgreifen.
Auch das, was jetzt beim Zwangsvollstreckungsrecht und beim Ordnungswidrigkeitenrecht auf den Weg gebracht wurde, könnte, sollte und müßte durchaus in dieser Kategorie genannt werden. Nun brauchen wir uns nichts vorzumachen. In unserem Beruf gilt der Satz plagiare necesse est. Warum auch nicht? Es wäre natürlich gut, wenn wir über das hinaus, worauf wir uns vernünftig verständigen können, ein bißchen schneller vorankämen. Dann fiele es mir noch leichter, Sie zu loben; dann würde ich zum Beispiel auch noch deutlich erwähnen, daß ich es gut finde, daß dieses bescheuerte Gesetzesvorhaben zu dem Thema „Soldaten sind Mörder" nicht kommt. Da hat sich wirklich auch Vernunft durchgesetzt.
- Herr Geis, nehmen Sie mir bitte nicht schon wieder jede Illusion.
Ich möchte ja so gerne auch an die Vernunft in Ihren Kreisen glauben.
Es wäre dann natürlich auch ganz gut, wenn man sich noch auf andere Dinge verständigen könnte. Die Flexibilisierung und Ausweitung des Sanktionensystems ist mittlerweile so weit vorangeschritten, daß man dazu keine Kommission mehr einzusetzen braucht. Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie die Kommission für ganz andere Dinge einsetzen würden, die dann einen gesamtstaatlichen Impuls zur Justizreform geben und auch den Ländern zusätzliche Entlastung bringen könnten, zum Beispiel die Angleichung der unterschiedlichen Verfahrungsordnungen oder das Projekt, das wir gemeinsam unternehmen sollten und dem ein vernünftiger Mensch nicht
widersprechen kann, die Eingangsgerichte zur Hauptsache der Gerichtsbarkeit zu machen.
Das würde natürlich nach sich ziehen, daß die vernünftigsten, besten und erfahrendsten Richter und vor allen Dingen die Richter mit der größten sozialen Kompetenz in diesen Bereichen sitzen. Das hat dann auch wieder Auswirkungen vom Dienstrecht bis hin zum Besoldungsrecht. Hierfür brauchen wir eine Kommission, weil wir spätestens in der nächsten Legislaturperiode, in der es andere Mehrheiten geben wird, wie wir wissen, entscheidend weiterkommen müssen.
Meine Damen und Herren, ich würde den Justizminister noch gerne wegen anderer Dinge loben. Manche Interviews, die Sie geben, gefallen mir sehr und finden auch meine Sympathie. In der Praxis sähe ich gerne noch ein wenig mehr Durchsetzungsvermögen hier im Haus und auch sonst.
Fangen wir beim Sexualstrafrecht an. Sie wissen, ich teile die Auffassung, daß hier vieles in der Praxis im argen liegt. Je mehr man hereinschaut, um so schlimmer ist es. Ich finde es auch gut und darf es ausdrücklich sagen, daß wir Ihre Unterstützung bei der Ermittlung von mehr Zahlenmaterial bekommen haben. In diesem Bereich wird noch mehr erforderlich sein. Aber warum zum Teufel muß man mitmachen, wenn im Bereich der Sicherungsverwahrung Gesetze in die falsche Richtung geändert werden? Das verstehe ich einfach deswegen nicht, weil das kein Kind besser schützen wird,
sondern lediglich dazu führen wird, daß hier wahrscheinlich, Herr Geis, die falschen Täter und nicht die, die Sie und ich einsperren möchten, zu Lasten des Steuerzahlers länger im Gefängnis sitzen.
Wir haben in der Anhörung von Montag relativ lange darüber geredet und werden es auch fortsetzen. Sie haben das gleiche Ziel wie ich, nämlich die Kinder mehr zu schützen. Lassen Sie uns doch um Gottes willen prüfen, wo die Mängel wirklich liegen, und sie beheben und nicht ständig diesem Pawlowschen Reflex gehorchen, neue Gesetze machen zu wollen, um einfach etwas vorzeigen zu können.
Auch der gute Herr Kanther hat heute so getan, als hätte er es jetzt verstanden. Warum sollte man dann in der Frage des Sexualstrafrechts nicht konsequent sein?
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Herr Bundesjustizminister, ich hätte gerne ihre Unterstützung für ein paar andere Dinge. Sie haben Europa erwähnt. In der Tat muß es darum gehen, daß wir in kürzester Zeit sozialstaatliche, demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse, kurz, einen gemeinsamen europäischen Rechtsraum bekommen, wie wir ihn uns - ich sage es jetzt einmal - gemeinsam vorstellen. Dazu gehört nicht nur das Projekt „Gemeinsame europäische Bürgerrechte", das wir dringend wollen; dazu gehört auch die Verbesserung des Rechtsschutzes. Dazu gehört freilich auch eine klar verbesserte Zusammenarbeit zur Bekämpfung der über die Grenzen hinausgehenden Kriminalität, sei sie nun organisiert oder nicht.
Dazu gehört auch, daß Europol seine Tätigkeit aufnehmen kann. Aber warum - ich wiederhole: warum - muß das mit einem Immunitätsprotokoll in Zusammenhang gebracht werden, das jedem unserer rechtsstaatlichen Grundsätze ins Gesicht schlägt? Ich verstehe gar nicht, warum man die Amtstätigkeiten - Worte, Taten und auch Schriftlichkeiten - der Europol-Beamten „von jeglicher Gerichtsbarkeit" ausnehmen muß. Wo sind wir denn eigentlich? Sind wir wirklich der Meinung, sind Sie wirklich der Meinung, wir sollten in der Schaffung des europäischen Rechtsraumes wieder da anfangen, wo wir vor hundert Jahren waren, und alles das, was wir schon erkämpft hatten, noch einmal erkämpfen müssen? Ich bitte Sie: Das ist doch nicht allein ein sozialdemokratisches Projekt. Da müßten doch auch bei Ihnen sämtliche Warnlampen leuchten. Da müßten Sie doch mit uns zusammenarbeiten.
- Natürlich. Die sind zum Teil ganz vernünftig;
aber dies ist es nicht. - Gut, ich weiß jetzt nicht, was Sie meinen, Herr Kleinert.
Möglicherweise müssen wir noch mehr Begründungen dafür nennen, daß wir das nicht akzeptieren können. Das ist mir recht; das wissen Sie auch.
Ich habe noch eine letzte Bitte - für heute; natürlich werden in Zukunft noch weitere kommen. Wir haben vor mehreren Monaten für die Deserteure in einem, wie ich finde, ganz ordentlichen Aufeinanderzugehen eine gemeinsame Erklärung des Deutschen Bundestages beschlossen, die durchaus würdig war, bei allen Schwierigkeiten und Mängeln, die ich oder die andere darin noch haben sehen können. Erstens steht der Erlaß des Bundesfinanzministeriums noch aus; zweitens können wir die Form so noch nicht akzeptieren. Meine Bitte nicht nur an Sie, die Kollegen von der Union und der F.D.P., sondern auch an Sie, Herr Bundesjustizminister, obwohl Sie ressortmäßig nicht zuständig sind, ist, daß Sie mithelfen, daß wir dieses Kapitel der deutschen Geschichte auf eine
schnelle und auf eine würdige Weise zu Ende bringen.
Herzlichen Dank.