Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesminister Schmidt-Jortzig hat sich in den letzten Tagen ja ganz mutig gegen das „Herumschrödern" in der Innenpolitik stark gemacht. Herr Bundesminister, da, wo Sie gegen Populismus und für Besonnenheit bei der Kriminalpolitik eintreten, werden Sie auf die Unterstützung unserer Fraktion immer rechnen können. Als Schutzpatron für Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit oder gar als Garant für Liberalität in der Rechtspolitik sind Sie allerdings eine Fehlbesetzung.
Sie und Ihre Partei wurden schon viel zu oft beim vorsätzlichen „Mitkanthern" ertappt. Sie verdanken Ihr Amt - daran wollen wir uns doch erinnern - der endgültigen Wende der F.D.P. von einer schmalbrüstigen und kurzatmigen Rechtsstaatspartei zur rechten Staatspartei.
Bei allen Gesetzesverschärfungen und Maßnahmen zum Grundrechtsabbau war die F.D.P. mit dabei: bei der faktischen Abschaffung des Asylgrundrechtes, jetzt beim Großen Lauschangriff, bei der Einführung verdeckter Ermittler, bei der Ausdehnung und Verlängerung der Kronzeugenregelung und bei der Einführung der Hauptverhandlungshaft.
Auch Ihr rechtspolitisches Gesellenstück, die Strafrechtsreform, ist ein plattes und phantastisches Projekt der Verschärfung von Strafrahmen, statt die notwendige Harmonisierung als Chance zur Neujustierung der Strafrahmen - zwischen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Integrität auf der einen Seite und Eigentumsdelikte
Volker Beck
auf der anderen Seite - zu nutzen und das heutige System von Höchst- und Mindeststrafen dahin gehend zu reformieren, daß weniger oder kürzere Freiheitsstrafen in Deutschland verhängt werden müssen.
In dem Werk finden sich fragwürdige Regelungen wie die Neukriminalisierung der versuchten Körperverletzung. Vermißt werden dagegen Vorschläge zu einer Sanktionenrechtsreform, die weniger Freiheits-
und Ersatzfreiheitsstrafen ungleich macht, sowie Ideen zugunsten einer bürokratieärmeren und opferfreundlicheren Sanktionsform bei Kleinkriminalität.
Herr Minister, besonders putzig fand ich, daß Sie in Ihrem Interview heute in der SZ schon Ihre eigene Opposition geben. Sie machen sich stark gegen die Abschiebung straffälliger Ausländer, die hier geboren sind oder schon lange hier leben. Das unterstützen wir voll und ganz. Vor wenigen Wochen haben Sie aber erst ein Gesetz durch den Bundestag gepaukt, mit dem gerade dies zukünftig leichter möglich sein soll. Wenn Sie denn schon eine solche Initiative - im Gegensatz zu uns - für inhaltlich richtig halten, hätten Sie diese Initiative als Hebel nutzen müssen, um endlich ein neues Staatsbürgerschaftsrecht hier im Deutschen Bundestag durchzusetzen.
Bei Sonntagsreden zur Staatsbürgerschaft hören wir immer etwas von liberaler Rechtspolitik. Wenn es im Bundestag unter der Woche zur Sache geht, dann sind Sie bei der Abschiebung von Ausländern mit dabei. Wir bleiben dabei: Das Ausländerrecht ist kein Strafrecht, und Abschiebung ist keine akzeptable Nebenstrafe.
Zur Opposition zu Ihrer gescheiterten Kriminalpolitik besteht allerdings in der Tat Anlaß: Mehr als 40 Gesetze haben Sie hier seit 1991 durch den Bundestag gepaukt, mit denen Strafvorschriften ausgedehnt, Strafrahmen erhöht und Ermittlungsbefugnisse erweitert wurden.
Rechtsstaatliche Prinzipien und Bürgerrechte haben Schaden genommen, die Kriminalität ist nicht gesunken. Die kriminalpolitische Bilanz der Kohl-Regierung liest sich wie eine einzige Bankrotterklärung: 1 Million mehr Straftaten in den alten Ländern seit dem Antritt der konservativ-liberalen Bundesregierung. Die Zahl der jährlichen Drogentoten hat sich seitdem um 346 Prozent erhöht.
Ihr Setzen auf Repression statt Prävention, Ihr Wegschauen bei der Verbrechensvorbeugung hat gezeigt, daß Kriminalität so nicht zu bekämpfen ist. Mit Ihren Konzepten sind Sie am Ende, und um das zu verdecken, hat jetzt Ihr Kollege Kanther - ohne Ihre Kritik hervorzurufen Herr Minister - den großen Krieg gegen die Bagatellkriminalität ausgerufen.
Er hat den Ländern angeboten, den Bundesgrenzschutz im Kampf gegen Schwarzfahrer und Ladendiebe einzusetzen. Das stellt doch die Verhältnisse
auf den Kopf. Da kann man doch nicht mehr von Verhältnismäßigkeit der Mittel sprechen.
Das Prinzip, das Sie mit der Hauptverhandlungshaft eingeführt haben - die Kleinen hängt man, und die Großen läßt man laufen -, soll fortgeführt werden.
Herr Scholz hat in der Sommerpause einen interessanten Vorschlag gemacht - ich bedaure sehr, daß er jetzt nicht hier ist -: Er hat unseren Vorschlag übernommen, bei den Ladendieben in Zukunft die doppelte Schadenswiedergutmachung als Sanktion vorzusehen.
Das ist ein guter Vorschlag. Aber wenn Sie jetzt sagen, das soll nicht ohne zusätzliche Strafe gelten, dann wird es völlig absurd. Wer nicht den Mut hat, Schadenswiedergutmachung vor die Strafe zu stellen, den Rückzug des Strafrechts in diesem Bereich vorzunehmen, wenn der Schaden ausgeglichen ist, der kommt zu dem rechtspolitischen Ergebnis, daß der kleine Ladendieb schärfer bestraft wird als derjenige, der große Betrugsverbrechen und Steuerhinterziehungen begeht, weil dieser mit Freiheits- und Geldstrafe allein davonkommt.
Es ist modern geworden, New York zu zitieren. Kanthers sozialdemokratischer Background-Chor von Schröder über Voscherau, Scherf und Schmalstieg intoniert in diesen Tagen das Frank-SinatraLied „New York, New York": If we can make it there, we can make it everywhere.
- Dafür reicht die Redezeit nicht.
Nulltoleranz und „broken windows sind die Schlüsselbegriffe. Wir können aus New York lernen. Wenn Stadtviertel und Straßenzüge verwahrlosen, dürfen wir nicht wegschauen. Hier müssen wir sozialpolitisch und städtebaulich eingreifen und auch mit Polizeipräsenz reagieren. Aber allein auf die Polizei zu setzen, ist der Grundfehler in New York.
Stichwort „broken windows": Bei zerbrochenen Fensterscheiben bestellt man den Glaser und nicht den Polizisten, weil der Glaser das besser reparieren kann.
Ich möchte noch ein paar Fakten nennen. Es wird die Wundermär erzählt, wie toll es in New York geworden ist. Waigel hat im „Focus" gesagt, New York sei die sicherste Stadt auf dieser Welt. Na, danke für Obst, kann ich da nur sagen.
In New York sind im letzten Jahr so viele Menschen umgebracht worden wie in der ganzen Bundesrepublik. Stellen Sie sich das einmal vor: In einer Stadt mit 7,3 Millionen Einwohnern wurden so viele
Volker Beck
Menschen ermordet wie in unserem Land mit 81 bis 82 Millionen Menschen. Das ist eine zehnmal höhere Kriminalitätsbelastung. Das kann doch wohl nicht Ausgangspunkt unserer Überlegungen und Vorbild für unsere Kriminalpolitik sein.
In anderen amerikanischen Städten, in denen eine andere Strategie verfolgt wurde, zum Beispiel in Los Angeles, haben wir gute Ergebnisse bei der Kriminalitätssenkung und der Senkung der Mordrate.