Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Haushaltsdebatten zu den Einzelplänen Justiz und Bundesverfassungsgericht stehen immer im Spannungsfeld von Gerechtigkeit und Geld.
Dabei steht es auch einer Haushaltsdebatte gut an, die zentrale Bedeutung des Rechtsstaats zu betonen. Unser Rechtsstaat verkörpert das Wesen der Bundesrepublik Deutschland, ist Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens, auch unseres wirtschaftlichen Wohlstands und hat uns nach 1945 wieder zu Ansehen in der Welt verholfen. Dies kann man nicht oft genug betonen.
Seine jüngste Bewährungsprobe hat dieser unser Rechtsstaat bravourös mit dem erstinstanzlichen Abschluß des Berliner Politbüroprozesses bestanden. Dieses Verfahren und die dort verkündeten Urteile haben unzweifelhaft deutlich gemacht, daß auch die Repräsentanten eines Staates sich nicht nach Belieben über Menschen- und Bürgerrechte hinwegsetzen können. Auch die von einem Unrechtsstaat zur Durchsetzung und Erhaltung seiner Macht geschaffenen „Gesetze" oder „Erlasse" sind kein Freibrief dafür, elementare rechtsstaatliche Grundsätze zu mißachten.
Der Politbüroprozeß hat den Rechtsstaat gestärkt, weil, für jedermann erkennbar, der berühmt-berüchtigte Satz „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen" sich gerade nicht bewahrheitet hat. Weiter war der Prozeß auch kein Schauprozeß, im Gegenteil: Eine Show daraus zu machen hat allein der mitangeklagte Krenz versucht. Schließlich war er auch kein Ausdruck von „Siegerjustiz", sondern ein Sieg der Justiz und des Rechtsstaates, und er hat gerade auch im Osten Deutschlands, Herr Heuer, etwa in meinem sächsischen Wahlkreis, große Zustimmung gefunden.
Die Revision gegen die Urteile im Berliner Politbüroprozeß wird nächstes Jahr vor dem 5. Strafsenat des BGH in Leipzig verhandelt werden. Dies ist von politisch und psychologisch großer Bedeutung, wird doch durch den Sitz von Bundeseinrichtungen auch im Osten Deutschlands augenfällig dokumentiert, daß dieser Landesteil gleichwertig dazugehört.
In der Tat, Herr Minister, hat die Justiz vor exakt einer Woche in Leipzig ein denkwürdiges gesamtdeutsches Ereignis begangen. Mit dem nach Leipzig verlegten 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die erste oberste Bundeseinrichtung ihre Arbeit in den östlichen Bundesländern außerhalb Berlins aufgenommen. Sieben Jahre nach der Einheit ist zwar etwas spät, aber immerhin nicht zu spät, die erste von 16 Empfehlungen der Föderalismuskommission umgesetzt worden. Vergleicht man das einmal mit dem, was in dieser Zeit in den Ländern geleistet worden ist - dort sind ganze Landesverwaltungen errichtet worden -, dann ist der Bund leider nicht der Schnellste gewesen. Aber Ihrem Haus, Herr Minister,
gebührt hier das Verdienst, gesamtdeutscher Vorreiter zu sein. Sie haben das alte Sprichwort „Die Mühlen der Justiz mahlen langsam" Lügen gestraft. Dazu herzlichen Glückwunsch Ihnen und Ihrer Vorgängerin.
Mehr als unpassend - da schließe ich mich den Ausführungen meines Kollegen Weißgerber an - haben viele Gäste des Festaktes vor einer Woche und auch ich persönlich es empfunden, daß der BGH-Präsident und der Generalbundesanwalt ausgerechnet anläßlich dieses gesamtdeutschen Festaktes die Beschlüsse der Föderalismuskommission heftig kritisierten, insbesondere die vielleicht erst in Jahren zur Debatte stehende Einrichtung eines zweiten BGH-Senats in Leipzig.
Nicht nur unter Juristen gilt der Grundsatz: Pacta sunt servanda. Wir erinnern uns alle: In der Föderalismuskommission ist hart gerungen worden, ob der BGH in Karlsruhe bleibt oder an den Standort Leipzig, wo das Reichsgericht seinen Sitz hatte, zurückkehrt.
Ein Kompromiß ist zugunsten von Karlsruhe als Hauptsitz gefunden worden. Unverzichtbarer Teil dieses Kompromisses ist aber die Klausel, daß neue BGH-Senate in Leipzig errichtet werden. Alle Beteiligten wissen seit 1992, daß es nach der Jahrtausendwende vielleicht mal einen zweiten oder dritten Senat in Leipzig geben wird.
Es kann nicht angehen, aus einem mühsam errungenen Kompromiß den Teil, der einem nicht schmeckt, herauszubrechen. Wer das wie der BGH-Präsident versucht, der gefährdet den ganzen Kompromiß und eröffnet die Sitzfrage erneut; denn dann wird die Grundsatzfrage wieder aufgeworfen. Die Beschlüsse der Föderalismuskommission gelten zur Gänze, Herr Minister.
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang - auch da schließe ich mich dem Kollegen Weißgerber an -, daß wir endlich den Streit um die ehemalige Reichsgerichtsbibliothek beendet haben. 75 000 zum Teil äußerst kostbare Bücher aus der Zeit vor 1800 kehren nach Leipzig zurück. Der Teil aus der Zeit nach 1800, von dem die BGH-Richter meinen, daß sie ihn bei der täglichen Arbeit brauchen, verbleibt in Karlsruhe. Ich glaube, das ist ein vernünftiger Kompromiß, Herr von Stetten, den Sie mittragen können.
In der Haushaltsdebatte müssen die verantwortlichen Politiker dem Steuerzahler aber natürlich auch Rechenschaft über die Effizienz und die Kosten der Justiz ablegen. Es ist ähnlich wie bei der Gesundheit: Auch diese ist nach dem Volksmund unbezahlbar. Dennoch muß der Kollege Seehofer gelegentlich darauf achten, daß sie nicht tatsächlich unbezahlbar wird.
Hier vertritt die Koalition das Konzept des schlanken Staates.
Manfred Kolbe
- Sie, Herr Kollege Fischer, personifizieren geradezu die Verschlankung. Sie sind wirklich ein augenfälliges Beispiel dafür.
Die Gründe dafür liegen nicht nur in der gegebenen Enge der öffentlichen Haushalte, sondern auch in dem Bedarf einer grundlegenden Erneuerung im Hinblick auf vielfältige Verkrustungen und Effizienzmängel.
Derzeit häufen sich in Deutschland aber leider die Klagen über zu komplizierte Gesetze, zu lang andauernde Verfahren und zu hohe Personalkosten.
Wir haben in Deutschland heute knapp 85 000 zugelassene Rechtsanwälte. Das sind 10 000 mehr als bei der Haushaltsdebatte zum Bundeshaushalt 1996, also vor zwei Jahren. Das sage ich nur, um die Entwicklung plastisch vorzuführen. Wir haben 20 600 Richter, 5 000 Staatsanwälte und 12 500 Rechtspfleger.
Ein vergleichbarer Industriestaat wie Japan kommt bei einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen Einwohnern mit 14 000 Rechtsanwälten, 2 800 Richtern und 1 200 Staatsanwälten aus.
Personalmehrungen sind da nicht mehr möglich. Die Verfahren sind kritisch und kreativ zu überprüfen.
Ich meine, daß die erste Instanz grundsätzlich die einzige Tatsacheninstanz sein sollte. Jeder angehende Jurist, Herr Kleinert, wundert sich schon im Studium
- auch jeder, der das Studium abgeschlossen hat -, warum es bei Mord nur eine Tatsacheninstanz gibt, während ein Zivilrechtsstreit über 2 000 DM, der unzweifelhaft ein geringeres Gewicht hat als ein Mordprozeß, zwei Tatsacheninstanzen hat. Dieser Wertungswiderspruch muß nicht sein. Ich glaube, wir können auch in Zivilverfahren grundsätzlich mit einer Tatsacheninstanz auskommen. Das Rechtsmittelverfahren könnte sich dann grundsätzlich auf die rechtliche Würdigung beschränken.
Auch bei der Besetzung der Spruchkörper sollten wir kreativ sein. Das Einzelrichterprinzip ist auszubauen. Kollegialgerichte könnten in bestimmten Fällen auch mit lediglich zwei Berufsrichtern auskommen. Herr Kleinert, Sie kennen ja die aus dem Studium und der Praxis bekannte Figur des sogenannten „Beischläfers", der nicht in allen Spruchkörpern vertreten sein muß.
- Der ist nur den Juristen bekannt, Herr Fischer, da können Sie ausnahmsweise einmal nicht mitreden.
Schließlich ist auch ein Zusammenhang zwischen der steigenden Verfahrensflut und der ebenfalls steigenden Anwaltsdichte nicht zu leugnen. Obwohl hier natürlich die Berufsfreiheit des Art. 12 GG zu beachten ist, darf auch dieses Thema nicht tabuisiert werden.
Ich darf mich bei der folgenden Frage noch einmal dem Kollegen Weißgerber anschließen - es ist erfreulich, daß es soviel parteipolitische Übereinstimmung gibt -:
Auch die Zahlungsmoral ist in der Tat ein echtes Problem, insbesondere im Osten des Landes. Viele kleine und mittlere Betriebe verzweifeln daran. Hier müssen wir etwas tun, um zu einer Effizienzsteigerung zu kommen.
Es besteht also Handlungsbedarf. Lassen Sie uns aber zunächst einmal die Einzelpläne 07 und 19 beraten.
Danke schön.