Rede von
Prof. Dr.
Edzard
Schmidt-Jortzig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es wird zwar behauptet, Haushaltsberatungen seien dieser Tage nicht unbedingt vergnügungsteuerpflichtig. Das mag zutreffen, wenn man den Blick auf die in der Tat schwierige Haushaltslage richtet. Aber es trifft überhaupt nicht zu, wenn man die Leistungsbilanz der Bundesregierung betrachtet, jedenfalls im Bereich der Rechtspolitik.
Gerade im Bereich der Rechtspolitik - darüber wollen wir in dieser schönen Isolierung hier sprechen, obwohl die Fußballübertragung begonnen hat - hat die Koalition nämlich eine Vielzahl von Reformen auf den Weg oder sogar schon ans Ziel gebracht. Ich will nur die Kindschaftsrechtsreform, die umfassende Strafrechtsreform sowie die Reformen im Handels- und Transportrecht herausgreifen. Mit diesen Arbeiten bieten wir in der Rechtspolitik dem Bürger das, was er eigentlich erwartet, nämlich Lösungen statt Blockade.
Eine gute Gesetzgebungsarbeit alleine genügt aber nicht. Darauf hinzuweisen ist gerade in diesen Tagen der lauten Töne ganz angebracht. Ein Rechtsstaat kann seine friedensstiftende Funktion nur erfüllen, wenn er auch im Alltag der Bürger präsent ist.
Nicht ein abstraktes Gedankengebäude, nicht eine noch so gerechte Rechtsordnung, nicht eine ausgewogene gesetzliche Regelung allein machen einen Rechtsstaat aus. Erst die konsequente Anwendung dieser Rechtsordnung im Einzelfall schafft Vertrauen.
Ich will dies zunächst am Beispiel der Kriminalitätsbekämpfung verdeutlichen. Verbrecher fängt man bekanntlich nicht mit tosenden Worten in
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Pressekonferenzen, Verbrecher fängt man auch nicht, jedenfalls nicht nur, mit Gesetzen, sondern Verbrecher fängt man mit Polizisten, mit Staatsanwälten, Richtern und allem übrigen Personal und deren Anstrengungen in diesem Bereich. Aber nach dieser Überzeugung muß dann auch gehandelt werden. Dafür ist nach unserer föderativen Ordnung nun einmal die Länderebene zuständig.
Hier bestehen Defizite - soweit ich das am Bildschirm mitbekommen habe, hat dieser Punkt auch in der Debatte zum Innenressort eine wesentliche Rolle gespielt -, wenn ich bedenke, daß zum Beispiel Niedersachsen - woher jetzt so laute Töne kommen - bundesweit die geringste Polizeidichte hat, in Hamburg im letzten Jahr 200 Polizeistellen gestrichen worden sind und allseits Richterstellen abgebaut werden. Ich denke, man muß hier an die praktischen Umsetzungsdefizite erinnern, bevor man die ganz große Gesetzgebung, die möglichst weit von der Basis entfernt sein soll - deshalb läßt sich so gut nach Bonn verweisen - in den Vordergrund stellt.
Lassen Sie mich drei Projekte bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität herausgreifen. Bei der akustischen Wohnraumüberwachung - früher mal ganz vulgär „großer Lauschangriff" geheißen - haben wir nach zähen Verhandlungen eine Einigung erzielt. Jetzt kommt es darauf an, den gefundenen Kompromiß ins Gesetzblatt zu bringen.
Wir haben zweitens in diesen Verhandlungen auch einen Kompromiß bei der Geldwäschebekämpfung erzielt. Ohne eine Umkehr der Beweislast wird der Zugriff auf verdächtiges Vermögen erleichtert.
Die dritte Maßnahme, nämlich die verbesserte Korruptionsbekämpfung, ist bereits Gesetz, steht schon im Gesetzblatt.
Meine Damen und Herren, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität allein reicht aber nicht aus. Das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat muß sich im Alltag bilden und bewähren. Ein ganz wesentliches Element in diesem Prozeß ist, daß die Sanktionen, die der Staat für Normverletzungen androht und auswirft, von den Bürgern als gerecht und ausgewogen empfunden werden. Mein Gesetzentwurf zur Strafrahmenharmonisierung trägt dem Rechnung.
Zeitgleich hat die Koalition schon im März das gemeinsam erarbeitete Gesetzespaket zur Bekämpfung der Sexualdelikte gegen Kinder in den Bundestag eingebracht. Ich komme darauf aus gegebenem Anlaß zu sprechen. Der an mich gerichtete Vorwurf, dieses Paket zu behindern, ist also nicht nur falsch adressiert, er ist auch in der Sache völlig an den Fakten vorbeigehend, ja abenteuerlich, kommt er doch aus dem Freistaat,
auf dessen Drängen der Gesetzentwurf nämlich beim
einzig wirksamen Therapiezwang verwässert wurde
und über den Bundesrat noch weiter zu verwässern
versucht wird. Ich sage das hier in aller Gelassenheit, aber auch Deutlichkeit.
Aber nicht nur im materiellen Strafrecht, auch im Strafprozeßrecht hat die Koalition gehandelt. Die Hauptverhandlungshaft
baut das beschleunigte Verfahren zu einem wirksamen Instrument gegen die Alltagskriminalität aus. Jetzt müßte es nur noch stärker von den Ländern genutzt werden.
Wenn ich es richtig höre, wollen das ja nun alle Länder tun. Jedenfalls ist es schon merkwürdig, daß etwa gerade in Niedersachsen nur ein Bruchteil der Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt wird wie in Nachbarländern. Wenn Sie sich umsehen, wer dort in der Nachbarschaft die Regierungen stellt, ist das ganz bemerkenswert. Die dortige Justizministerin hatte ja schon immer ideologische Bedenken gegen dieses Verfahren, freilich - so muß ich nun annehmen - ohne Abstimmung mit Ihrem Landesherrn.
Zur Kriminalitätsbekämpfung bedarf es auch einer Überarbeitung des strafrechtlichen Sanktionensystems.
Die Handlungsmöglichkeiten für die Gerichte müssen erweitert werden, um flexibler auf den Unrechtsgehalt der jeweiligen Tat reagieren zu können und auch um dem Täter flexibler und angemessener begegnen zu können. Hier hat - das will ich ausdrücklich anerkennen und erwähnen - auch die SPD-Fraktion schon interessante, wichtige und maßgebende Anstöße geliefert. Das ist das Schöne in unserem Bereich, liebe Frau Kollegin Däubler-Gmelin: daß wir uns in vielen Dingen einig sind.
- In Maßen dort, wo es angemessen ist, gerne.
Diese Reform, meine Damen und Herren, soll noch in dieser Legislaturperiode begonnen werden, indem wir dazu eine Kommission zur Aufarbeitung und Diskussion des Komplexes einsetzen. Danach kann zügig mit einem Gesetzentwurf seitens der Regierung aufgewartet werden.
Zum Vollzugsdefizit habe ich schon gesprochen. Ich will nur noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, nämlich auf den, der jetzt sehr in die Diskussion geraten ist - wie ich glaube, zu Unrecht. Bundestag und Bundesrat haben schon 1994 mit überwältigender Mehrheit die Reform des Insolvenzrechts beschlossen. Diese Reform soll zum einen denjenigen eine Chance geben, die hoffnungslos überschuldet sind. Sie wird es aber vor allem gerade bei mittelständischen Unternehmen ermöglichen, von einer konkursmäßigen Abwicklung abzusehen und die lei-
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stungs- wie überlebensfähigen Teile eines Betriebes zu retten.
Man sollte angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt meinen, daß sich niemand gegen die Sanierung von Unternehmen und die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dieser Form sperrt. Aber weit gefehlt! Nachdem die Reform auf Drängen der Länder überhaupt erst zum 1. Januar 1999 in Kraft treten soll, fordern jetzt viele trotz der Lage auf dem Arbeitsmarkt sogar eine weitere Verschiebung.
Sie tun dies, um die erforderlichen Stellen in der Justiz einzusparen, und sie tun dies, obwohl die von mir durchgesetzten, auf den Weg gebrachten und noch geplanten Maßnahmen eine deutliche Entlastung der Justiz bewirken.
Ich will sie aufzählen: Die Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung ist am 1. Januar 1997 in Kraft getreten. Die Novelle des Ordnungswidrigkeitenrechts wird durch die Anhebung von Wertgrenzen oder die Reduzierung der Zahl der Richter beim OLG zu Entlastungen führen. Mit dem Kindesunterhaltsgesetz wird im Unterhaltsrecht der prozessuale Aufwand durch die gesetzliche Dynamisierung des Regelunterhalts und die auf Antrag mögliche Dynamisierung des individuellen Unterhalts reduziert.
Auch die Novelle des Schiedsgerichtsverfahrens wird die Justiz entlasten. Natürlich sind wir gern bereit, auf weitere angemessene Entlastungsmöglichkeiten für die Länder einzugehen und mit den Ländern darüber nachzudenken; denn kein Prozeß belastet die Justiz weniger als einer, der überhaupt nicht vor ihre Schranken gerät. In. diesem Sinne soll den Ländern durch eine Öffnungsklausel ermöglicht werden, dem Klageverfahren eine außergerichtliche Streitschlichtung in Nachbarschaftsstreitigkeiten und in Bagatellsachen vorzuschalten.
Außerdem hätte ich keine Bedenken, bestimmte Aufgaben aus der Justiz auszugliedern. Auch dieses Stichwort soll hier fallen, selbst wenn Einzelheiten hierzu noch umstritten sind. Natürlich denkt man da an die Handelsregister,
die statt von den Gerichten auch von den Industrie- und Handelskammern geführt werden könnten. Darüber werden wir zu sprechen haben. Dem Wunsch des Justizministers aus Baden-Württemberg, dies in seinem Land experimentell einzuführen, stehe ich auch deswegen offen gegenüber,
weil die für die Insolvenzrechtsreform benötigten Rechtspfleger gerade im Registerwesen freigesetzt werden könnten.
Außerdem wird mit der zweiten Zwangsvollstrekkungsnovelle beabsichtigt, die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen auf die Gerichtsvollzieher zu übertragen. Auch dadurch werden Rechtspfleger entlastet.
Selbst wenn die Insolvenzrechtsreform indes einige zusätzliche Stellen erfordern sollte, so werden die verhältnismäßig geringen Mehrausgaben im Justizhaushalt sicherlich bei weitem durch die Einsparungen im Sozialhaushalt aufgewogen, wenn eben auf diesem Wege betriebliche Arbeitsplätze erhalten werden können.
Aber nicht nur um der Arbeitsplätze willen muß die Insolvenzrechtsreform pünktlich in Kraft treten. Die Wirtschaft, namentlich die Banken haben sich bereits auf die Reform eingestellt. Einmal beschlossene Reformen sind umzusetzen, weil gerade die Wirtschaft - Wirtschaftsstrukturen ebenso wie die wirtschaftenden Personen - Planungssicherheit durch verläßliche Rahmenbedingungen benötigt.
Meine Damen und Herren, das gilt auch und gerade für den Euro, auf den ich als letzten Sachpunkt noch zu sprechen kommen möchte, selbst wenn Sie vielleicht etwas überrascht sind, daß das beim Bereich Justiz zur Sprache kommt. Um meinen Beitrag und den des Bundesjustizministeriums dazu zu leisten, daß von Anfang an mit der neuen Währung vertrauensvoll gearbeitet werden kann, haben wir die Federführung für die Euro-Begleitgesetzgebung übernommen.
Es gilt, für die Übergangszeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2001, in der noch keine EuroMünzen und -Banknoten zur Verfügung stehen, die Hemmnisse für eine erfolgreiche Einführung des Euro zu beseitigen. So soll zum Beispiel das Gesellschaftsrecht für den Euro geöffnet werden, damit bestehende Aktiengesellschaften und GmbHs ihr Kapital schon auf Euro umstellen und neue Gesellschaften auf Euro-Basis gegründet werden können. Eine Öffnung des Bilanzrechts soll vor allem den europaweit tätigen Unternehmen die Aufstellung ihrer Jahresabschlüsse in Euro ermöglichen. Den Gesetzentwurf werden wir im übrigen noch in diesem Monat dem Bundeskabinett vorlegen können.
Solche Leistungen erfordern - damit schließe ich den Kreis zum Haushalt - genügend Personal. Sie werden mich als alles andere denn als Anhänger Parkinsonscher Apparate kennengelernt haben. Ich gebe auch offen zu, daß die Stellenkürzungen zu manch sinnvoller Verschlankung geführt haben. Wir haben dies im Bundesministerium der Justiz zu einer ganz hilfreichen Umorganisation genutzt. In meinem Haus sind aber angesichts der Menge der Gesetzentwürfe - bitte gestatten Sie mir, daß ich das zum
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Schluß doch erwähne -, der Vielzahl der Anfragen und der Präzision der Arbeit, die von uns erwartet wird, die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Ich bitte also den Haushaltssouverän, das Parlament, um Unterstützung für mein Anliegen, in künftigen Haushaltsjahren Kürzungen im Personalhaushalt kleinerer Häuser, wie etwa des Bundesministeriums der Justiz, stärker zu hinterfragen.
Insgesamt, meine Damen und Herren, bitte ich Sie jetzt, 1997, um Zustimmung für die Einzelpläne 07 und 19.
Herzlichen Dank.