Rede von
Angelika
Beer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Die Kabinettsvorlage über den Jahreshaushalt 1998 ist nur noch als paradox zu bezeichnen.
Paradox, weil die Diskussion über Milliardenlöcher im Bundeshaushalt, zunehmende Arbeitslosigkeit und Aufkündigungen des Solidarvertrages schlichtweg nicht mit einem Verteidigungshaushalt vereinbar sind, der im Vergleich zu den anderen Titeln überproportional ansteigt und nach NATO-Kriterien runde 60 Milliarden DM verschlingen wird. Paradox, weil eine offensichtlich in allen Bereichen handlungsunfähige Regierung glaubt, im militärischen Bereich durch eine weitere Aufrüstung noch Handlungsfähigkeit vortäuschen zu können.
Herr Rühe, wie erklären Sie älteren Menschen, die in der Apotheke stehen und auf einmal 13 Mark für ein Medikament bezahlen sollen, daß die Investitionen ins Militär auf 24 Prozent angehoben werden und die militärischen Beschaffungen um 19 Prozent ansteigen? Wie verträgt sich das sympathieträchtige Bild des Oder-Einsatzes der Bundeswehr mit der Anschaffung von Waffensystemen, die eben diese Bundeswehr in die Lage versetzen, nach Bedarf weltweit militärisch zu agieren?
Da geht es nicht urn humanitäre Hilfe, wie die mit 11 Millionen DM finanzierten Werbespots versprechen, sondern um Elitekampfeinheiten. Es ist richtig - Sie haben es vorhin erwähnt -: Die Grünen weigern sich, morgen einen Showlauf für das Kommando Spezialkräfte vor den Medien unter dem Motto: „Retten und evakuieren die Elitetruppe, die Speerspitze der Krisenreaktionseinheiten", in der Öffentlichkeit zu legitimieren. Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf das Kommando Spezialkräfte.
Wie rechtfertigen Sie gegenüber den Menschen, die in mehr als 63 Ländern der Welt von dem Minentod bedroht sind, die Weiterentwicklung ihrer HighTech-Minen, um diese Massenvernichtungswaffe zu perfektionieren, während der Haushaltsansatz für humanitäre Minenräumung zu einer Makulatur gerät?
Wie können Sie eigentlich die Beschleunigung der Rückkehr der Flüchtlinge nach Bosnien betreiben, während sich Ihre Bundesregierung weigert, lächerliche 20 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, um Bosnien zu entminen?
Ihr Kollege Austermann hat in den letzten Tagen sehr viel sinnvollere Ausführungen getätigt als heute. Er betonte nämlich, daß die Nettokreditaufnahme unbedingt eingehalten werden muß und deshalb alle möglichen Einsparpotentiale ausgenutzt werden müssen. Herr Kollege Austermann, es kommt selten vor, aber in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu.
Die Grünen wollen erstens die Einsparpotentiale im Verteidigungsbereich ausnutzen und auf Wahnsinnsprojekte wie den Eurofighter verzichten. Darüber hinaus wollen wir abrüsten. Wir sagen ganz klar: Wer abrüsten will, muß die Wehrpflicht abschaffen. Wir verweigern ferner die Zustimmung zu fahrlässigen Beschaffungsplanungen im Rüstungsbereich, die durch Verpflichtungsermächtigungen in Milliardenhöhe eine Belastung nicht nur dieses Parlaments, dieser Gesellschaft heute, sondern zukünftiger Generationen festlegen und festzurren.
Es geht nicht nur um die 850 Millionen DM für den Eurofighter als Einstiegskosten. Es geht insgesamt um zirka 40 Milliarden DM für diesen Industrievogel, der weder sicherheitspolitisch noch politisch bei uns hier zu verantworten ist.
Der Erfolg, Herr Verteidigungsminister Rühe, den Sie hier vertreten, der Anstieg der Rüstungsausgaben, in Zeiten größter Finanznot ist für die Menschen in unserer Republik ein Desaster. Sie verhindern nicht nur langfristig die Konsolidierung der Staatsfinanzen, sondern Sie führen Deutschland in eine Außenpolitik, die sich mehr auf das militärische als auf das politische Standbein konzentrieren soll.
Es bleibt eigentlich nur ein Trost: Durch Ihre Starrsinnigkeit, an einer 340 000-Mann-Armee festzuhalten, eine Zweiklassenarmee aufzubauen, weil nur noch die Krisenreaktionskräfte ausgerüstet werden und die Landesverteidigungskräfte zum Ersatzteillager verkommen, haben Sie Ihre Hausaufgabe als Verteidigungsminister nicht erfüllt. Das macht uns zuversichtlich. Es gibt keine Planungssicherung für die Bundeswehr. Ihr Konstrukt ist so rissig, wie die Deiche im Oderbruch es waren.
Wir wollen eine andere Politik. Wir wollen abrüsten. Wir wollen zivile Konfliktprävention unterstützen. Die Weigerung der Bundesregierung, selbst zivile Friedensdienste in Bosnien auch nur anschubzufinanzieren, macht deutlich, daß sie in den politischen Bereichen unterhalb der militärischen Schwelle schlichtwegblind ist.
Angelika Beer
Ich will das ernste Thema „Rechtsradikalismus in der Bundeswehr" ansprechen. Manifestieren Sie nicht grundsätzliche Fehlentscheidungen! Lenken Sie nicht vom eigentlichen Problem ab! Zu sagen: „Es sind alles nur Einzelfälle", reicht nicht aus. Was ist ein Einzelfall? Dresden, Hammelburg, Detmold - eine Indizienkette, die zeigt, daß es im Gebälk der Bundeswehr kracht und daß sich Rechtsradikalismus längst breitgemacht hat.
Die innere Führung hat versagt, Kollege.
Die Zahlen, die gestern bekanntgeworden sind, beweisen, daß über Jahre das Problem von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr verharmlost und verschwiegen wurde.
Wir sind gegen Ihre Vorschläge, die mit dem Datenschutz nicht vereinbar sind und vom eigentlichen Problem ablenken. Die Zurückweisung, die Bundeswehr sei eine Wehrpflichtarmee und damit Spiegel der Gesellschaft, versucht, davon abzulenken, was Ihr Kollege Glos heute morgen hier noch einmal explizit ausgeführt hat: Eine Regierung, die Ausländerfeindlichkeit schürt und zum Regierungsprogramm erklärt, ist verantwortlich für eine Gesellschaft, in der Rechtsradikalismus und Neofaschismus neuen Raum bekommen.
Das Echo dessen haben Sie in der Tat in der Bundeswehr zu ertragen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Sie als Verteidigungsminister dagegen vorgehen.
Herr Verteidigungsminister, Sie haben den Strukturwandel verschlafen. Ziehen Sie jetzt wenigstens die richtigen Konsequenzen! Manifestieren Sie nicht grundsätzliche Fehlentscheidungen durch panikartige Rüstungsbeschaffungsverträge, sondern fangen Sie an, die Hardthöhe abzuwickeln! Wir sind nicht bereit, Ihre Lasten im nächsten Jahr zu übernehmen.
Vielen Dank.