Rede von
Dr.
Christoph
Zöpel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihrer nachdenklichen Eingangsfrage, Herr Außenminister, nach dem Stellenwert internationaler Politik kann ich nur beipflichten. Mein Eindruck ist, daß gerade bevölkerungsreiche und wirtschaftsstarke Staaten ihrer politischen Verantwortung als Teile der internationalen Gemeinschaft immer weniger gerecht werden. Nicht an allem auf dieser Welt ist das politische System schuld, sogar für immer weniger. Aber gerade dafür trägt das jeweils nationale politische System eine erhebliche Verantwortung.
Wenn man das so sagt - vor allem hier heute mittag -, kommt man fast ins Nachdenken und fragt sich: Was ist Außenpolitik eigentlich noch, Herr Außenminister, in einer global vernetzten Welt, in der Unternehmensentscheidungen, Finanzströme und vor allem Informationen in einer Weise global vernetzt und international sind, wie wir es täglich diskutieren? Wir kommen dann ganz schnell zu bestimmten Schlagworten. Die gängigste Vokabel, wenn wir in globalen ökonomischen Dimensionen denken, lautet „Standort". Manchmal gibt es Tendenzen, daß Außenpolitik zum Handlanger internationaler Standortkonkurrenz werden könnte.
- Auch darüber wage ich nachzudenken. Aber, Herr Kollege Haussmann, ich gehe jetzt einmal einen Schritt zurück. Es ist immer gut, wenn man, bevor man sich um internationale Politik kümmert, auch andere Erfahrungen hat. Als ich mich um die Städte in Deutschland kümmerte, habe ich gelernt: Zuviel lokale Standortkonkurrenz ist Kirchturmsdenken. Ich übertrage das auf die internationale Politik: Zuviel Außenpolitik zugunsten des Standorts ist provinziell.
Damit käme man zu der Frage, was zu tun ist. Die Antwort ist sehr deutlich: Wir brauchen internationale Politik. Außenpolitik muß sich in ihrem Selbstverständnis hin zu internationaler Politik verändern. Sie braucht dazu den Rahmen der UNO. Hier sind wir an einem wichtigen Punkt. Die Funktionsfähigkeit der UNO ist derzeit durch Meinungsverschiedenheiten mit der wirtschaftsstärksten - und bevölkerungsreichen - Nation, mit den Vereinigten Staaten, beeinträchtigt. Das hat mehr mit der Rolle des Kongresses zu tun als mit der Rolle der Regierung in den Vereinigten Staaten.
Ich komme damit zu der Frage: Wird es nicht die wichtigste Aufgabe der europäischen Parlamente sein, hier in einen intensiveren Dialog mit dem amerikanischen Parlament einzutreten?
Wir Sozialdemokraten wollen das gerne mit den Demokraten tun. Ich hoffe, Sie von CDU und CSU haben bei den Republikanern genausoviel Erfolg.
Daß die UNO funktioniert, wäre die erste Voraussetzung für eine Weltinnenpolitik, die dann internationale Regeln beachten muß. Ich nenne die beiden wichtigsten: Achtung der Menschenrechte und Verpflichtung auf die Nachhaltigkeit. Man kann über die weltweite Wirkung der Medien viel diskutieren. Ein positives Ereignis ist, daß es der UNO gelungen ist, weltweit diese Vokabel, Sustainability oder Nachhaltigkeit, zu einem Leitgedanken von Politik zu machen.
Ich halte die Achtung von Menschenrechten und Sustainability angesichts der Globalisierung für die beiden wichtigsten Aufgaben.
Ich halte aber an Weltinnenpolitik fest. Diese fängt zu Hause an. Was wir, so glaube ich, am wenigsten merken, ist, daß, sosehr Außenpolitik zu internationaler Politik und Weltinnenpolitik wird, umgekehrt Innenpolitik automatisch immer mehr internationale Politik wird. Es ist eine provinzielle Kurzsichtigkeit, wenn überhaupt noch Innenpolitik in Deutschland gemacht wird, ohne daß ihre internationalen Wirkungen reflektiert werden.
Dr. Christoph Zöpel
Ich will das an einem Auseinandersetzungsfeld verdeutlichen, das wir aktuell haben und das viele besonders bewegt: die Frage der inneren Sicherheit. Dazu kann man sich viele internationale Gedanken machen. Ich glaube, man kann über die Medien viel lernen, was man gegen Gewalt in Städten tun könnte, zum Beispiel aus New York. Da muß man aufpassen; aber ich glaube, man kann von New York lernen, was man gegen Gewalt in großen Städten tun kann. Andererseits: Ob man tatsächlich, wie man das im Bundesrat - provinziell? -
diskutiert hat, internationalen Verbrechertums mit nationalen Maßnahmen Herr werden könnte, da habe ich meine Zweifel. Da hilft vermutlich nur internationale Kriminalitätsbekämpfung. Das muß man in diesem Zusammenhang sehen.
- Ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, das Chaostage mit internationalem Verbrechen verwechselt, zeigt, daß mein Vorwurf der Provinzialität hier voll trifft.
Der andere Fall ist die Abschiebung. Also, über Algerien mitfühlende Worte finden, Herr Bundesaußenminister - die ich Ihnen voll abnehme -, aber sich nicht mit dem Bundesinnenminister einigen, daß in diesen Wochen niemand nach Algerien abgeschoben werden kann, das verletzt Menschenrechte schon bei uns.
Ich halte Bemühungen um die Abschiebung von Algeriern in diesen Wochen für eine Menschenrechtsverletzung durch die daran beteiligten deutschen Abschieber. - Das zur Menschenrechtspolitik.
- Ich sprach von deutschen Abschiebern.
Mit diesem Stichwort komme ich zu dem Punkt, daß diese global vernetzte Welt natürlich gegliedert bleibt. Sie ist gegliedert in Weltreligionen. Das wurde uns am meisten bewußt, als ein Wissenschaftler, der gute Samuel Huntington, die Konflikte zwischen den Weltregionen beschrieben hat. Wenn der Krieg zur Sprache kommt, ist das seit Heraklit immer besonders interessant. Die Antwort von zivilisierten, bevölkerungsreichen, wirtschaftsstarken Ländern kann aber nur sein: Wir wollen nicht den Krieg zwischen Regionen, sondern wir müssen die größte europäische Erfahrung in der internationalen Politik auch in die Beziehungen zu unseren regionalen Nachbarn einbringen, nämlich die Politik gemeinsamer Sicherheit und Zusammenarbeit. Das gilt vorrangig gegenüber der Region im Nahen und Mittleren Osten.
Der Konflikt, der im Augenblick akut ist, ist von Ihnen angesprochen worden. Jeder Tote im Nahen und Mittleren Osten, der nicht hätte sterben müssen, wenn alle friedfertiger wären, ist zu bedauern. Das sage ich an dieser Stelle. Ich gehe jetzt aber einen Schritt weiter: Europa ist bei diesem Konflikt kein Beobachter, sondern Europa ist wegen der regionalen Nachbarschaft in globaler Dimension und inzwischen auch durch unser großes wirtschaftliches Engagement involviert. Ich meine, Frau Albright verdient - wie Sie dargestellt haben, Herr Außenminister - alle Unterstützung; ich teile das. Die europäischen Initiativen müssen weitergehen, über das erfolgreiche Wirken von Herrn Moratinos hinaus. Ich halte es für richtig, darüber nachzudenken, daß auch geeignete europäische Institutionen bei der Terrorismusbekämpfung helfen. Ich halte auch einen Dialog mit Israel darüber, ob sich Israel aus dem Südlibanon zurückziehen kann und wer statt dessen unter den Blauhelmen der UNO dort Hilfe leistet, für berechtigt. Wir müssen auch darauf hinweisen, daß Wirtschaftshilfe keinen Sinn hat, wenn durch - offenkundig wirkungslose - Strafaktionen der Effekt dieser Hilfe außer Kraft gesetzt wird.
Das gehört zu dieser regionalen Nachbarschaft, in die wir alle Staaten dieser Region einbeziehen sollten, ich sage bewußt: alle.
Der vielleicht am wenigsten erfolgreiche Teil Ihrer Außenpolitik, Herr Minister, ist nun einmal die Teilhabe am kritischen Dialog mit dem Iran. Das hat nicht gut gewirkt; das wissen wir alle. Ich meine, es macht auch keinen Sinn mehr, zu einzelnen Staaten dieser Region besondere Beziehungen aufzubauen. Statt dessen sollten wir - bei allen Schwierigkeiten - daran arbeiten, ein regionales Beziehungsgeflecht aufzubauen, niemanden auszuschließen und niemanden zu bevorzugen. Das macht in Einzelfällen Schwierigkeiten. Aber jegliche Politik des leeren Stuhls - weil irgendein anderer teilnimmt, die Araber weggehen, weil Israel da ist; Großbritannien weggeht, weil Libyen da ist - sollten wir vermeiden. Das gilt für alle Staaten. Wir sollten uns daranmachen, dieses Geflecht - alle Staaten reden über alles, und jeder bleibt da - aufzubauen. Nur das kann helfen. Alles andere war bisher nicht besonders erfolgversprechend.