Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der FAZ ist heute zu lesen:
Deutschland ist zur Zeit mit sich selbst beschäftigt. Die Perspektive verengt sich zunehmend auf die Kontroversen im Inneren, und der Blick über die nationalen Grenzen hinaus fällt schwer ...
Daran ist etwas Richtiges. Es darf aber natürlich nicht richtig sein. Bei all den Problemen, die wir im Innern haben, müssen wir wahrhaftig daran denken, daß außen- und sicherheitspolitische Fragen für dieses Land wichtig sind und von ihnen ganz entscheidend abhängt, wie es hier im Innern weitergeht.
Anfang des Jahres standen wir vor nicht ganz einfachen außenpolitischen Weichenstellungen. Vor uns lagen drei große Konferenzen: der Europäische Rat, die NATO-Gipfelkonferenz und der Weltwirtschaftsgipfel, in Amsterdam, Madrid und Denver. Heute können wir wirklich sagen, daß wir die Hauptziele erreicht haben. Die Tür für ein modernes, ungeteiltes Europa mit einer gemeinsamen Währung und gemeinsamer Sicherheitspolitik nach innen und nach außen ist geöffnet worden. Dies ist ganz unbestreitbar auch ein Erfolg dieser Bundesregierung.
Unsere Partner schauen auf uns, bauen auf Deutschland als Lokomotive für Europa und als Kraft für weltweite Stabilität. Deshalb ist es so enorm wichtig, daß wir Kurs halten. Wir werden das insbesondere bei den beiden jetzt anstehenden Weichenstellungen für das moderne Europa: bei der zügigen Erweiterung und Öffnung von EU und NATO und bei der Einführung eines stabilen Euro zum 1. Januar 1999. Bonn und Paris, Gott sei Dank nach wie vor Motor dieser europäischen Integration, halten - es ist
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
ganz wichtig, dies zu betonen - ohne Wenn und Aber am Zeitplan wie auch an den Konvergenzkriterien für den Euro fest, weil dieser Euro gut für Europa ist, weil er für ganz Europa, für unsere Arbeitsplätze, für unsere Exporte und auch - bitte nicht vergessen - für unsere Glaubwürdigkeit in Europa und in der übrigen Welt wichtig ist.
Deshalb ist die Verschiebungsdiskussion falsch; sie ist - ich sage es so deutlich und klar - verantwortungslos und gefährlich, sogar sehr gefährlich.
Wir machen hier keine Laborversuche, sondern wir müssen uns in bezug auf den Euro auch von außen her messen lassen. Wenn Sie sich ansehen, wie die Kurse weltweit auf ganz bestimmte Erklärungen reagieren, und wenn Sie sich im Ausland umhören - ich höre es als Ihr Außenminister tagtäglich -, stellen Sie fest, daß wir sehr genau beobachtet werden, ob wir in der Lage sind, diesen Euro nun zu bringen oder nicht. Die Ansehensfrage sollte deshalb bitte nicht beiseite gekehrt werden.
Der Euro wird pünktlich zum 1. Januar 1999- ich wiederhole es noch einmal, obwohl es mittlerweile als abgedroschen gilt - unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Stabilitätskriterien kommen.
Das zweite große Vorhaben, das wir in Europa haben, die Erweiterung, wird der Europäische Rat auf der Basis der Vorschläge der Kommission - Agenda 2000 - im Dezember in Luxemburg entscheiden. Die Verhandlungen werden zunächst - wie von der Kornmission vorgeschlagen - nur mit einigen mittel- und osteuropäischen Ländern und mit Zypern beginnen. Aber - das ist von zentraler Wichtigkeit - die Tür bleibt für alle anderen offen. Wichtig ist auch, daß der Vorschlag, ein baltisches Land, nämlich Estland, mit in die erste Kandidatengruppe aufzunehmen, ein Signal über dieses Land hinaus ist. Alle drei baltischen Staaten gehören zu uns. Sie können auch auf uns zählen.
Mein neuer türkischer Kollege wird am Freitag erstmals nach Bonn kommen. Auch die Türkei, unser traditioneller Partner und Freund, ein strategisch wichtiger Partner an der Schnittstelle zu Nahost, zum Kaukasus und zu Zentralasien - sehr oft vergessen -, muß weiter an Europa herangeführt werden, über die jetzige Zollunion hinaus. Aber wir müssen unseren türkischen Freunden deutlich und klar sagen, daß es auf absehbare Zeit wohl nicht möglich sein wird, sie zum Vollmitglied in der Europäischen Union zu machen, und zwar einfach deshalb, weil der Weg nach Europa zwingend über den Schutz der Menschenrechte, eine rechtsstaatliche Lösung der Kurdenfrage, die Beilegung des türkisch-griechischen Streits und eine Verhandlungslösung des Zypernproblems führen muß.
Zum Nahen Osten: Der neuerliche schreckliche Bombenanschlag in Tel Aviv hat uns allen grausam vor Augen geführt: Der Nahostfriedensprozeß hängt im Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes an einem seidenen Faden. Ich bin sehr dankbar dafür - ich habe versucht, darauf hinzuwirken -, daß Madeleine Albright ihre Reise nicht abgesagt hat, sondern heute ihren Besuch in der Region beginnt. Die festgefahrenen Friedensverhandlungen müssen wieder in Gang kommen; dazu gibt es keine Alternative. Wir wollen als Europäer durch den Botschafter Moratinos, der sich - im positiven Sinne - stärker eingeschaltet hat - das sage ich ganz offen -, als ich es ursprünglich vorhergesehen hatte, weiter helfen. Ich habe gerade in den letzten Tagen mit dem Außenminister der Palästinenser gesprochen, die natürlich in einer verzweifelten Lage sind. Die Abschottung, aus Sicherheitsgründen von Israel vorgenommen, treibt den schrecklichen Zirkelschluß von Gewalt und Gegengewalt hoffentlich nicht weiter voran. Beide Seiten sind jetzt aufgefordert, guten Willen zu zeigen. Ich glaube, wir sollten uns in diesem Deutschen Bundestag einig sein: Die Rechnung der Terroristen darf nicht aufgehen. Es war ganz typisch, daß dieser Terroranschlag im Vorfeld der angekündigten Reise von Madeleine Albright erfolgte. Sie sollte unterbunden werden; das war Sinn und Zweck der ganzen Sache. Die Palästinenser und Arafat müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um dem Terrorismus Einhalt zu gebieten. Mit aller Vorsicht, weil wir Deutschen - auch da sind wir uns einig, wie ich weiß - hier keine geeigneten Ratgeber sind, sage ich - ich glaube, daß das in Israel verstanden wird -: Ein Moratorium in der Siedlungsfrage, in der Frage Ha Homa, wäre sehr hilfreich.
Ich füge hinzu - auch da herrscht Einigkeit hier im Deutschen Bundestag; ich sage das, weil da in den letzten Tagen alle möglichen Äußerungen gemacht worden sind -: Alle Regierungen in der Nachkriegszeit waren sich darin einig, daß die Sicherheitsfragen Israels für uns ein besonders sensibles Problem sind und wir uns darin Israel in besonderer Weise verbunden fühlen.
Das heißt nicht, daß wir eine unausgewogene Nahostpolitik machen. Im Gegenteil: Gerade weil wir uns bei der Abstimmung über die beiden Resolutionen enthalten haben, weil sie total unausgewogen waren, sage ich: Wir alle - ich als deutscher Außenminister, Sie als Abgeordnete - können erhobenen Hauptes in sämtliche arabischen Länder reisen, einschließlich der palästinensischen Gebiete. Denn es gibt praktisch keinen Ruf nach Unterstützung, der nicht erfüllt wird; das gilt bilateral wie multilateral. Ich habe dem Außenminister der Palästinenser am vergangenen Freitag zugesagt, daß wir ihn wegen seiner Budgetlücke von 80 Millionen DM am kommenden Montag im Rat und auch gegenüber der Kommission unterstützen werden.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Algerien: Hier in Deutschland fast vergessen, Terror mit traurigem Höhepunkt. Wir können relativ wenig tun.
Deshalb möchte ich Sie bitten, mich dabei zu unterstützen, wenn ich alle religiösen, gesellschaftlichen und politischen Kräfte aufrufe, den Weg der nationalen Versöhnung zu gehen und der Gewalt und dem Terror jetzt ein Ende zu setzen. Auch das algerische Volk hat ein Recht darauf, in Frieden zu leben.
Meine Damen und Herren, ich habe in der vorvergangenen Woche den Herrn Bundespräsidenten nach Moskau begleitet. Die NATO-Rußland-Grundakte und die Entscheidung des NATO-Gipfels von Madrid, in einer ersten Öffnungsrunde Polen, Ungarn und die Tschechische Republik als neue Mitglieder aufzunehmen, markieren wirklich einen Meilenstein auf dem Weg zur Errichtung einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur. Europas Trennung wird im Einvernehmen mit Rußland überwunden; Europas neue Sicherheit wird im Zusammenwirken mit Rußland gewährleistet. Das ist von historischer Bedeutung. Präsident Boris Jelzin hat in dem Gespräch, das der Bundespräsident und ich zusammen mit ihm hatten, einen Satz gesagt, den ich nicht so schnell vergessen werde. Er hat erklärt, die Beziehungen Rußlands zu Deutschland seien „die vorrangigsten unter den vorrangigen" . Wer hätte sich das vor zehn Jahren träumen lassen? Die Beziehungen haben sich auf eine Art und Weise entwickelt, für die wir etwas getan haben und auf die wir gemeinsam stolz sein können.
Zu Bosnien: Was sich in diesen Tagen dort abspielt, ist äußerst kritisch und zeigt, daß wir wahrscheinlich an einem Wendepunkt sind. Der Verweigerungsfront in Pale steht jetzt ein innenpolitischer Gegner in Banja Luka gegenüber. Ich habe Präsident Milosevic in den letzten Tagen massiv aufgefordert, sich in den Machtkampf zwischen Pale und Banja Luka hinter die gewählte Präsidentin Plavsic zu stellen, die unsere Ansprechpartnerin ist, solange sie den Dayton-Prozeß unterstützt, ihn implementiert und umsetzt, und sich nicht hinter die Hauptgegner des Friedens, Karadzic und seine Helfershelfer, zu stellen. Die Hetzkampagnen der von Karadzic gesteuerten Medien sind unerträglich und müssen - notfalls auch mit Gewalt - unterbunden werden. Das Mandat der SFOR erlaubt dies. Das ist auch schon geschehen; wir sollten das unterstützen.
Am kommenden Wochenende sind in Bosnien die Kommunalwahlen. Sie wissen, wie die kroatische Seite reagiert hat. Ich war gestern zusammen mit dem britischen Außenminister Cook in Hamburg. Wir haben der kroatischen Seite deutlich und klar erklärt, daß der vorgesehene Boykott nicht hinnehmbar ist.
Es bleibt dabei: Wer den Frieden und die Rückkehr der Flüchtlinge blockiert - das ist natürlich für uns nach wie vor eine ganz zentrale und wichtige Frage -, bekommt keine Wiederaufbauhilfe.
Umgekehrt müssen wir den Gemeinden helfen, die konstruktiv mitmachen. Das ist - hoffentlich - mit der Hilfe des Kollegen Schlee, dem ich für sein Engagement, seinen Einsatz und seine Bereitschaft danke, auch in der Republik Srpska zumindest in Einzelfällen möglich. Immerhin sind 60 Prozent der Flüchtlinge, die noch in der Bundesrepublik sind, aus der Republik Srpska.
Rugova war vor zwei Tagen bei mir und sagte: Bitte den Kosovo nicht vergessen. Auch in diesem Punkt müssen wir natürlich Milosevic auf die Füße treten, und zwar mächtig.
Menschenrechte bleiben für uns Kernstück unseres politischen Selbstverständnisses. Sie alle wissen, daß es da keinen Königsweg gibt. Aber: Wer die Menschenrechte mit Füßen tritt - leider Gottes findet das noch viel zu häufig auf dieser Welt statt -, der soll nicht ruhig schlafen können. Deshalb möchte ich mich gern - ich hoffe, daß Sie mich dabei unterstützen - für eine möglichst baldige Errichtung eines effektiven internationalen Strafgerichtshofs einsetzen.
Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich noch ein Wort zum Iran sagen. Wir hatten - und wünschen uns dies wieder - zu diesem 70-Millionen-Volk in strategisch wichtiger Lage enge und freundliche Beziehungen. Der neue Außenminister, den ich aus verschiedenen Begegnungen in New York, wo er bisher Botschafter war, kenne, hat mit seinen Äußerungen zum Thema „Terrorismus, Vertrauensbildung und regionaler Frieden" ganz zweifellos einen neuen Ton angeschlagen. Wir begrüßen diesen Schritt; er hat die Hand ausgestreckt, die wir vorsichtig ergreifen wollen.
Ich hoffe, daß sich in New York am Rande der VN-Generalversammlung eine Möglichkeit zu einem Gespräch der EU-Troika mit ihm ergibt. Die beste Voraussetzung wäre natürlich, wenn die EU-Botschafter zurückkehren könnten. Das wird nicht geschehen unter Diskriminierung des deutschen Botschafters. Wir werden nicht als letzte zurückgehen. Die europäische Solidarität steht. Dafür bedanke ich mich nachdrücklich und ausdrücklich.
Die ausgestreckte Hand wird nicht um jeden Preis angenommen. Wir erwarten, daß der Iran positive Zeichen setzt und sich völkerrechtskonform verhält. Wir erwarten auch, daß im Prozeß gegen den Schriftsteller Sarkuhi nach Recht und Gesetz verfahren wird. Der Ball liegt eindeutig im iranischen Feld. Nicht wir haben „Mykonos" zu vertreten, sondern die iranische Seite. Deshalb können wir mit Ruhe
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
und Gelassenheit dem entgegensehen, was da kommt. Ich sage nochmals: Wir sollten die ausgestreckte Hand ergreifen.
Was wir uns in Europa vorgenommen haben, ist eine Herkules-Arbeit, insbesondere deshalb, weil die Länder, die jetzt ihre Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft beantragt haben, über Jahrzehnte kommunistische, diktatorische Regime hatten und keine Marktwirtschaft, sondern eine Kommandowirtschaft. Das wird eine gigantische Anstrengung werden, weil völlig anders strukturierte Länder in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden sollen. Wir werden und müssen das schaffen.
Ich möchte, wenn Sie erlauben, zum Schluß etwas tun, was vielleicht unüblich ist. Aber ich tue es einmal, weil ich gemerkt habe, daß gerade in letzter Zeit Haushaltsfragen, sprich: Stellenabbau und weniger Mittel, im Auswärtigen Dienst dazu geführt haben, daß meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gerade im letzten Jahr für dieses Land hochmotiviert geschlagen haben, ein bißchen Unterstützung brauchen. Wir sollten stolz auf sie sein.
Ich danke den Haushältern und dem Parlament dafür, daß immerhin das, was wir benötigen, bereitgestellt wurde. Hellen Sie uns noch ein bißchen mehr! Denn wir können Deutschland - unser Land, Ihr Land - nach außen nur würdig und so vertreten, wie Sie es alle wünschen und wie wir es unserem Volk schuldig sind, wenn wir die notwendige Unterstützung des Parlaments haben.
Vielen Dank.