Rede von
Andrea
Lederer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Gerhardt, Sie haben ein Plakat der PDS in Hamburg angesprochen. Ich will dazu etwas sagen.
- Noch sind wir nicht soweit, daß Sie mir vorschreiben, was ich sage. Sie müssen sich schon anhören, was ich Ihnen dazu zu sagen habe.
Erstens hoffe ich, daß wir uns zumindest mit der F.D.P. in der Frage einig sind, daß es richtig ist, daß das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß das Tucholsky-Zitat benutzt werden darf, und zwar straffrei.
Zweitens füge ich hinzu, daß das Plakat in Hamburg politisch falsch und töricht ist und daß das überhaupt nicht die Politik der PDS ist.
Wir würden das normalerweise auf einem Plakat weder zitieren noch - und das schon gar nicht - mit dem Einsatz der Bundeswehr im Oderbruch in Zusammenhang bringen.
Ich glaube, so deutlich hat sich hier noch nie jemand von einem Plakat seiner eigenen Partei distanziert, wie ich das in diesem Augenblick getan habe. Das könnten Sie, nebenbei gesagt, durchaus einmal würdigen.
Aber wir haben das auch praktisch bewiesen, und zwar dadurch, daß gerade die Mitglieder der PDS, eine Vielzahl von Sozialistinnen und Sozialisten, im Oderbruch aktiv bei der Hilfe waren, als es darum ging, die Schäden zu beseitigen.
Das ist die einzige Gruppe, die in der Sondersitzung sowohl den Einsatz der Soldaten als auch den Einsatz anderer Bürgerinnen und Bürger diesbezüglich gewürdigt und zugleich von ihren Einkommen 30 000 DM gespendet hat, um dort Schäden zu beseitigen. Unser Aufruf an die anderen Fraktionen, sich daran zu beteiligen, ist verhallt. Wenn es um schöne Worte geht, dann stehen Sie vorne. Aber wenn es ans
eigene Portemonnaie geht, dann weichen Sie zurück. Das ist unsere Erfahrung aus diesem Aufruf.
- Nein, das war ja nicht „vorschreiben", das war eine Bitte. Das war eine Bitte, Frau Matthäus-Maier. Sie hätten sich an der Aktion beteiligen können. Daß Sie das nicht müssen, das weiß ich.
Jetzt geht es hier aber eigentlich um den Haushalt. Deshalb sage ich Ihnen dazu folgendes: Herr Gerhardt, Ihre ganze Rede wäre sehr viel glaubwürdiger gewesen, wenn Sie in den vergangenen Monaten einen Schritt gegangen wären, den Sie nicht gegangen sind. Der Kanzler bittet Sie seit ewigen Zeiten, Mitglied des Bundeskabinetts zu werden. Auch Herrn Sohns bittet er seit ewigen Zeiten, in das Kabinett einzutreten. Wenn die Regierung so großartig wäre, wie Sie sie hier dargestellt haben, dann wären Sie diesen Schritt längst gegangen. Sie gehen ihn nicht, weil sie wissen, daß Ihr Ruf Schaden nimmt, wenn Sie in diese Regierung eintreten. Das ist Ihr Motiv, und das zeigt, was Sie in Wirklichkeit von dieser Bundesregierung halten.
In einer Haushaltspolitik zeigen sich die unterschiedlichen sozialen und natürlich auch politischen Ziele einer Koalition bzw. einer Partei im Vergleich zur Opposition. Aber was man von jeder Regierung verlangen kann - ganz egal, ob sie eine gerechte oder ungerechte Politik macht, ob sie unseren Vorstellungen entspricht oder nicht -, ist, daß sie wenigstens das Handwerkszeug beherrscht. Tatsache ist doch eines: Sie haben sich bei den Ausgaben - das wissen wir heute - um mindestens 20 Milliarden DM verschätzt. Sie haben sich bei der Neuverschuldung um mindestens 20 Milliarden DM verschätzt. Das heißt, Sie sind ja nicht einmal mehr in der Lage, Ihre Politik handwerklich sauber rüberzubringen. Sie können keinen Haushalt mehr aufstellen, der auch nur einigermaßen seriös ist. Das ist der Zeitpunkt, in dem Sie ehrlicherweise bekennen müßten, daß Sie in jeder Hinsicht überfordert seien, was Sie aber nicht tun.
Ich nenne nur ein Beispiel für den Haushalt 1997. Ich nehme an, daß sich die SPD noch gut daran erinnern wird, daß die Bundesregierung im Entwurf zunächst ernsthaft vorgesehen hatte, überhaupt keine Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit zu zahlen. Nur durch Druck der Opposition gelang es, in den Haushalt wenigstens 4,5 Milliarden DM aufzunehmen. Tatsächlich wurden es 15 Milliarden DM.
Eine Regierung, die ernsthaft glaubt, keine Mark für die Bundesanstalt für Arbeit zu benötigen, um dann 15 Milliarden DM zu bezahlen, beweist, daß sie nicht einmal mehr ihr Handwerkszeug beherrscht.
Dr. Gregor Gysi
Sie ist einfach am Ende. Sie ist nicht mehr in der Lage, eine solide Finanzpolitik zu machen.
Jetzt planen Sie im Ernst für 1998 lediglich eine Neuverschuldung von 57,8 Milliarden DM. Sie wissen doch schon heute, daß diese Zahl nicht stimmen wird. Wann legen Sie denn wenigstens einmal einen ehrlichen Haushalt vor, statt sich ein Jahr lang mit Tricks über Bundesbank-Goldreserven, Erbsen, Erdöl und ähnliches hinüberretten zu wollen? Das ist das mindeste, was eine Regierung leisten muß, wozu Sie aber nicht in der Lage sind.
Wahr ist allerdings nicht, daß es keine Nutznießerinnen und Nutznießer Ihrer Politik gäbe. Die gibt es. Das sind die großen Konzerne, das sind die Banken. Deren Gewinne schnellen in die Höhe. Das sind auch die Großaktionäre, denn bei jeder Meldung über weitere Entlassungen in Konzernen steigt der Wert der Aktien. Das ist die Realität.
Sie haben einmal gesagt: Wenn es der Wirtschaft gutgeht, werden Arbeitsplätze geschaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, desto besser geht es zumindest bestimmten Teilen der Wirtschaft. Das ist das eigentliche Problem, mit dem wir es hier zu tun haben.
Jetzt werde ich Ihnen einmal etwas zur Steuerbelastung sagen: Es gibt eine hochinteressante Untersuchung der Universität Mannheim zur Entwicklung der Steuerbelastung von 1989 bis 1994. Dies sollten Sie sich wirklich anhören: In dieser Zeit sank bei 30 untersuchten DAX-Unternehmen die Steuerbelastung von 54,5 auf 31,4 Prozent, ohne daß Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ganz im Gegenteil.
Dabei muß man wissen, daß in dieser Zeit, von 1989 bis 1994, Daimler-Benz gar keine Steuern gezahlt hat, Mannesmann gar keine Steuern gezahlt hat und die Metallgesellschaft keine Steuern gezahlt hat, und zwar auf Grund von erheblichen Spekulationsverlusten. Die Allianz-Versicherung hat 1,4 Prozent Steuern gezahlt, Continental 0,2 Prozent, Degussa 6,0 Prozent, Lufthansa 8,0 Prozent und Siemens 6,9 Prozent.
Rechtlich lag die Steuerbelastung in dieser Zeit bei 71 Prozent. Aber real wurde das gezahlt, was ich hier gesagt habe. Deshalb hören Sie auf, mit theoretisch denkbaren Steuern zu operieren. Sagen Sie der Bevölkerung endlich, welche Steuern tatsächlich gezahlt werden. Die liegen auf der Ebene, die ich Ihnen genannt habe.
Von den rechtlich zulässigen Steuern wurden von den Unternehmen in den letzten Jahren höchstens 50 Prozent gezahlt. Alles andere fiel unter den Tisch. Aber es muß jemand zahlen. Es zahlen die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ehrlich Steuern zahlen müssen. Es zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber nicht die großen Konzerne, nicht die großen Versicherungen und nicht die
Banken. Das ist das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben.
Deshalb sage ich Ihnen: Das Schlimme an Ihrer Steuerreform ist, daß Sie genau diese Politik fortsetzen wollen, weiter dort Entlastungen wollen, wo schon heute kaum Steuern gezahlt werden. Wer soll das bezahlen? - Wieder dieselben Gruppen: Die kleinen und mittelständischen Unternehmer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und diejenigen, die auf Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosenunterstützung angewiesen sind. Diesen Weg können wir einfach nicht mitgehen. Hier ist die eigentliche Kurskorrektur erforderlich.
Das sage ich Ihnen, Herr Glos, auch in aller Deutlichkeit: Wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, wir hätten weniger Probleme auf dem Arbeitsmarkt, wenn wir weniger Ausländerinnen und Ausländer hätten, dann schüren Sie hier ganz gefährliche Ängste. Das wird Auswirkungen haben, die höchstgefährlicher Natur sind. Auch wissen Sie, daß es nicht stimmt. Wir brauchen keine Entsolidarisierung unten in der Gesellschaft, sondern wir müssen Reichtum begrenzen, wenn wir Armut wirksam bekämpfen wollen. Einen anderen Weg wird es nicht geben.
Das Operieren mit Zahlen halte ich überhaupt für inhuman und gefährlich. Wo soll denn das enden? Wir haben sehr viele prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen Frauen beschäftigt sind. Wann kommt der Tag, an dem Sie sagen, wir haben zu viele Frauen? Wir haben Rentenprobleme. Wann kommt der Tag, an dem Sie sagen, wir haben zu viele ältere Menschen? Das ist eine Einstellung, die sich dieser Bundestag gerade bei der Geschichte Deutschlands wirklich nicht leisten kann. Hier wünsche ich mir entschiedenen Protest.
Dann kommt in dieser Situation die Bundesregierung und sagt, wir müssen jetzt die Spitzensteuersätze senken. Wer zahlt denn hier überhaupt noch die Spitzensätze bei der Einkommensteuer? Wem wollen Sie denn da zusätzliche Geschenke machen? Hören Sie doch auf mit der längst widerlegten These, daß, wenn diese Steuern gesenkt werden, Arbeitsplätze geschaffen würden. Die Gewinne liegen doch schon auf Spitzenhöhen. Die Aktienkurse haben Spitzenhöhen erreicht. Es gibt immer mehr Einkommensmillionäre. Wir haben auch eine wachsende Zahl von Vermögensmilliardären in der Bundesrepublik Deutschland. Auf dem Arbeitsmarkt hat uns das nichts genützt. Sie haben nur Reichtum befördert und dadurch Armut ausgeweitet. Das kann unmöglich die Politik von Sozialistinnen und Sozialisten sein. Deshalb werden wir diesen Weg nicht mitgehen.
Ich sage Ihnen auch etwas, das für mich auch ein Problem bei der SPD darstellt: Wann reformieren wir endlich die Lohnnebenkosten, um eine neue Bemessungsgrundlage zu finden, nämlich die Wertschöpfung der Unternehmen? Das wäre viel flexibler. Es gäbe weniger Entlassungen. Die Abgaben würden
Dr. Gregor Gysi
flexibler auf veränderte Bedingungen des Unternehmens reagieren. Der andere, von Ihnen vorgeschlagene Weg, die Erhöhung der indirekten Steuern, um Beiträge zu senken, heißt doch immer, daß Millionen Menschen, die gar nichts mit den Beiträgen zu tun haben, die auch nichts mit den Lohnnebenkosten zu tun haben, das alles mitbezahlen. Es beträfe die Kinder, die Schülerinnen und Schüler, die Studentinnen und Studenten, die Frauen in den prekären Arbeitsverhältnissen, die Wehrpflichtigen, die Rentnerinnen und Rentner; sie alle müßten die erhöhte Mehrwertsteuer auch bezahlen. Deshalb glaube ich, daß das der falsche Weg zur Senkung von Kosten in der Wirtschaft wäre.
Dann wird immer mit großem Stolz darauf verwiesen, daß die Exportwirtschaft boomt. Das stimmt; daran hat auch der Herr Bundeskanzler durchaus seinen persönlichen Anteil; ich denke da zum Beispiel an China und andere Länder. Das Problem ist nur eines, Herr Bundeskanzler: Nur 20 Prozent unserer Arbeitsplätze hängen an der Exportwirtschaft, 80 Prozent hängen an der Binnenwirtschaft. Da frage ich Sie: Was tun Sie für die Binnenwirtschaft? Nichts! Die Kaufkraft ist ständig rückläufig. So kann sich eine Binnenwirtschaft nicht entwickeln. Das ist doch völlig eindeutig. Wenn Sie dann noch unter falschen Bedingungen den Euro einführen, dann bedeutet das das Aus für viele kleine und mittelständische Unternehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind. Das ist die Realität, mit der wir es zu tun haben.
Natürlich brauchen wir Projekte, die auch finanzierbar sein müßten. Die Arbeitslosigkeit ist das Hauptproblem. Gestern haben wir gehört, daß sie in den alten Bundesländern 10 Prozent, in den neuen Bundesländern aber 18 Prozent beträgt, Herr Bundeskanzler. Sie haben den Menschen dort einmal blühende Landschaften versprochen. Sie haben den Aufschwung Ost versprochen. Diese Plakate sieht man in den neuen Bundesländern nirgendwo mehr. Sie haben sie schamvoll zurückgezogen. Sie beschneiden dort Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das ist nicht das Gelbe vom Ei. Mir ist der erste Arbeitsmarkt auch lieber als der zweite. Aber er hilft doch wenigstens. Man kann doch nicht den zweiten beseitigen, wenn man am ersten nichts oder höchstens Rückläufiges bewegt. Das ist nicht nur, aber vor allem die Situation in den neuen Bundesländern.
Wie sieht es überhaupt mit Ihrer Politik bei der deutschen Einheit aus? Wo sind wir da angelangt? Die wirtschaftliche Entwicklung verlangsamt sich dort. Der Abstand zu den alten Bundesländern wird ja nicht etwa langsam geringer, sondern er wird größer. Die Löhne bleiben zurück. Die Preise steigen. Erklären Sie doch einmal den Menschen, die zum Beispiel Grundbesitz in den neuen Bundesländern haben, wie sie die Wasser- und Abwasseranschlußkosten, die Straßenbaugebühren noch bezahlen sollen, die sämtlich höher als in den alten Bundesländern liegen. Sie können das einfach nicht finanzieren. Aber es wird so weitergemacht und auf diesem Weg
nach „Rückgabe vor Entschädigung" die zweite kalte Enteignung organisiert.
Die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse steigt an. Darin liegt auch noch ein kleiner Akt der Demütigung; das muß ich Ihnen einfach einmal sagen. Ich habe ja überhaupt etwas gegen diese prekären Arbeitsverhältnisse, weil ich der Meinung bin, daß wir eine soziale Absicherung, eine Rentenabsicherung und vieles andere mehr brauchen. In diesem Bereich arbeiten überwiegend Frauen, in Deutschland insgesamt 6 Millionen. Aber jetzt passiert folgendes: Im Westen bekommt die Frau in einer solchen Situation für die gleiche Arbeit in der gleichen Zeit 610 DM. Alle kennen das auch nur als 610-DM-Job. Im Osten bekommt sie aber nur 520 DM, 90 DM weniger, bei gleichen Preisen. Erklären Sie doch einmal einer Verkäuferin in den neuen Bundesländern, weshalb sie bei einem so niedrigen Lohnniveau, wo es nur noch um die Größenordnung von Armut geht, noch einmal um 90 DM gedemütigt werden muß und ihr gesagt werden muß, daß sie 90 DM weniger wert ist. Das ist unerträglich, und das hat mit Einheitspolitik nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun.
Dann komme ich zum Problem der Ausbildungsplätze. 150 000 fehlen in diesem Jahr. Jetzt machen sich alle Sorgen. Jetzt sagt das Kabinett: Wir vergeben öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen, die ausbilden - zumindest wenn das Angebot mit dem eines anderen Unternehmens, das nicht ausbildet, gleichwertig ist; das ist natürlich schon eine kleine Komplikation. Es ruft dann dazu auf, die Länder mögen das genauso machen. Nun frage ich Sie: Warum erst jetzt? Warum diese eine kleine Maßnahme nicht schon vor Monaten, als das alles absehbar war? Jetzt nützt das den 150 000 gar nichts mehr.
Aber das eigentliche Problem ist doch ein anderes. 150 000 Ausbildungsplätze fehlen - in einem Land, das über 5 Billionen DM Geldvermögen verfügt, in einem Land, in dem Reichtum permanent zunimmt. Es fehlt nicht an Geld, wir müssen es anders einnehmen und anders verteilen.
Dazu würde gehören, über die Bundesanstalt für Arbeit diese 150 000 Ausbildungsplätze sofort zur Verfügung zu stellen. Wer das nicht leistet, eine Regierung, die das nicht macht, trotz dieses Geldvermögens nicht macht, versündigt sich an der nächsten Generation. Das werden Schäden sein, die kaum noch reparabel sein werden.
Sie reden hier immer so gerne und so viel von Kriminalität. Aber ich sage Ihnen: Wer Ausbildungsplatzmangel, wer Massenarbeitslosigkeit, wer soziale Ungerechtigkeit organisiert, der organisiert in Wirklichkeit Kriminalität. Da hilft es uns gar nichts, wenn wir, wenn man schon organisierte Kriminalität bekämpfen will, über den großen Lauschangriff in Ihren Wohnungen mithören dürfen; denn da werden Sie auch nichts Intelligenteres sagen als hier.
Dr. Gregor Gysi
Aber ich sage Ihnen auch: Es ist immer der falsche Weg, Kriminalität zu benutzen, um Grundrechte einzuschränken. Man bekämpft Kriminalität, um Grundrechte zu bewahren. Deshalb können wir diesen Weg nicht mitgehen, der hier vorgeschlagen worden ist.
Lassen Sie mich zum Schluß in diesem Zusammenhang etwas zur Europäischen Währungsunion sagen. Sehen Sie, das Problem ist, daß wieder ein Verzicht auf Politik vorliegt. Wie müßte eine europäische Integration aussehen? Sie müßte in einem politischen Prozeß die Harmonisierung der Steuern erreichen, in einem politischen Prozeß die Angleichung der Löhne, die Angleichung ökologischer und sozialer Standards und auch juristischer Standards. Das schafft diese Regierung nicht. Das ist schwer; das gebe ich zu. Aber statt dessen wollen Sie eine einheitliche Währung einführen und über den Markt ohne Politik die Angleichung erzwingen, und zwar nach unten, das heißt mit mehr Massenarbeitslosigkeit, mit Abbau von sozialen Standards, mit immer mehr Pleiten von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Dazu können wir doch nicht auch noch ja sagen.
Herr Fischer, das ist kein Internationalismus. Das ist das Gegenteil davon, weil Nationalisten diese negativen Ergebnisse nutzen werden, um den Nationalismus zu schüren. Genau das wollen wir verhindern.
Wissen Sie, wenn Herr Gerhardt sagt, wir sollten hier nie wieder Verantwortung haben, dann muß ich ihm sagen: Wir haben sie längst. Erstens liegt das an dem Mißverständnis, daß Sie immer denken: Opposition hat keine Verantwortung. Zweitens stellen wir eine Vielzahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, und nirgendwo, wo wir sie stellen, sind Katastrophen die Folge gewesen. Ich glaube, mit solchen Argumenten sollten Sie etwas vorsichtiger umgehen. Im Gegenteil: Wir machen da eine ziemlich bürgernahe Politik, die sich bewährt und die auch zunehmend Akzeptanz findet.
Herr Glos, Ihnen will ich noch eines sagen: Wenn wir hier um Glaubwürdigkeit im Parlament ringen, dann können wir nicht gemeinsam verurteilen, wie Paparazzi vorgehen, wenn Sie hier Eheprobleme von Politikern im Wahlkampf zum Gegenstand von Bundestagsdebatten machen. Das ist unerhört. Das ist nicht unsere Aufgabe.
Lassen Sie die Probleme dort, wo sie hingehören, und führen Sie sie nicht in den Bundestag ein. Das sage ich bei allen Differenzen, die ich mit Herrn Schröder habe. Aber das geht nicht; das will ich so deutlich hier verkünden.
Diese Bundesregierung ist angetreten mit dem Ziel, die deutsche Einheit zu vollenden. Davon sind wir heute weiter entfernt als 1990. Sie ist angetreten, die europäische Integration zu vollenden. In diesem Bereich gibt es heute mehr Ängste und mehr Mißverständnisse als noch vor vielen Jahren. Sie ist angetreten, Arbeitslosigkeit abzubauen. Der Bundeskanzler hat gesagt, er wolle die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrhundertwende halbieren. Davon kann heute überhaupt keine Rede mehr sein. Sie führen immer noch das Wort von der sozialen Gerechtigkeit im Munde. Davon kann schon überhaupt keine Rede mehr sein.
Nein, es geht nicht allein um einen Regierungswechsel. Wir brauchen wirklich einen sehr grundlegenden Politikwechsel mit völlig neuen Ansätzen in der Steuerpolitik, in der ökologischen Politik und in der Sozialpolitik. Das geht mit diesem Kabinett nicht mehr. Ein Kanzler, der nicht einmal mehr die Kraft hat, Minister auszuwechseln, hat schon gar nicht mehr die Kraft, die Politik zu wechseln, was dringend erforderlich wäre. Deshalb sage ich noch einmal: Hören Sie lieber freiwillig auf, bevor Sie sich die Niederlage im nächsten September organisieren! Es wäre der leichtere Weg für uns alle.
Sie sind verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Sie haben schon viel Schaden angerichtet. Aber Sie könnten ihn minimieren, wenn Sie wenigstens schnell aufhören und den Weg für wirkliche gesellschaftliche Veränderungen und für eine wirklich andere Politik frei machen. Dafür wäre es dringend erforderlich, daß wir wählen.
Wenn Sie bis zum nächsten Jahr warten, dann heißt das, daß wir uns weiter durchwursteln, daß der Haushalt nicht stimmt, daß wir wieder einen Nachtragshaushalt bekommen, daß wir neue Tricks erleben, daß die Arbeitslosigkeit und die soziale Ungerechtigkeit wachsen werden. Diese verlorene Zeit wird so schnell nicht aufzuholen sein. Wenn Sie einen Rest von Gewissen verspüren, müßten Sie dies akzeptieren und sagen: Es ist höchste Zeit für einen Neuanfang in dieser Gesellschaft.