Rede von
Dr.
Wolfgang
Gerhardt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Parteien, wie die hier im Parlament vertretenen, haben sicher unterschiedliche Vorstellungen über die Ziele von Politik,. auch über die nächsten Schritte.
Aber ich möchte Ihnen, Herr Scharping, für die F.D.P. einmal sehr persönlich sagen: Es ist unerträglich, es entspricht weder den Leistungen Ihrer Partei und Ihrer Vorgänger noch den Leistungen, die meine Partei für die Bundesrepublik Deutschland erbracht hat, wenn Sie uns mit dem Wort Klientelpartei diffamieren.
Sie hätten keinen Bundeskanzler Willy Brandt gehabt ohne diese F.D.P., die hier sitzt.
Sie hätten keinen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten ohne diese Partei, die hier sitzt. Sie hätten keinen Bundeskanzler Helmut Schmidt gehabt ohne die F.D.P., die hier sitzt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Parteien so miteinander umgehen, daß sie meinen, eine andere Partei, die anderer Meinung ist als sie, für entbehrlich halten und in die Ecke stellen zu können, leisten sie keinen Beitrag zur Vielfalt der politischen Strömungen in einer Demokratie.
Wir haben in verschiedenen Abschnitten der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Leistungen vollbracht. Meine Partei hat manchmal Sonntag abends vor dem Fernseher gesessen, um zu sehen, ob es sie am Montag noch gibt, während Sie schon bei zehn verlorenen Mandaten große Probleme hatten.
Meine Partei hat in einem entscheidenden Abschnitt der Bundesrepublik Deutschland mit Einsatz ihrer ganzen Existenz dafür gekämpft, daß dieses Land mit Konrad Adenauer gegen Widerstände in die Westbindung eintrat. Meine Partei hat beinahe unter Verlust der Anwesenheit im Bundestag dafür gekämpft, daß wir mit Ihrem und unserem Bundeskanzler Willy Brandt auf die osteuropäischen Nachbarn zugegangen sind.
Wir haben unter Einsatz unserer Existenz 1983 dafür gestritten, daß eine Kurskorrektur durchgeführt werden konnte, weil sie notwendig war. Wenn Sie heute vortragen, eine Kurskorrektur sei notwendig, dann frage ich Sie, wo denn die reformbereite deutsche SPD ist. Nach Tony Blair wird doch in Deutschland gefahndet.
Nein, wenn man die Regierung übernehmen will, muß man deutlicher und präziser sagen, was man machen will. Was Sie nicht gemacht haben, was aber bitter notwendig wäre, will ich Ihnen jetzt nennen. Jeder in Deutschland weiß, daß die bürokratischen Apparate erstarrt sind, daß eine Reform des Dienstrechts notwendig ist, daß wir Privatisierungen brauchen. Ich frage: Wo ist denn Ihre Teilhabe am Privatisierungsprozeß? Wo ist Ihre Mithilfe beim Privatisierungsprozeß?
Herr Kollege Fischer, wenn Sie den Kollegen Rexrodt wegen der Reform des Energierechts kritisieren und auf die großen Unternehmen verweisen, dann sage ich: Sie haben es doch in der Hand, den größten Hauskonzern einer Landesregierung, das RWE, zu verändern. Warum tun Sie es denn nicht? Die Grünen sind doch an der Regierung in NRW beteiligt.
Es verhält sich doch nicht so, daß Sie als Opposition nur so auftreten könnten, als hätten Sie nirgendwo in Deutschland Verantwortung, nach dem Motto: Wir hätten für alles die Verantwortung, Sie wären für
Dr. Wolfgang Gerhardt
nichts verantwortlich. Ihre Glaubwürdigkeit muß auf den Prüfstand.
Nennen Sie mir eine Privatisierungsmaßnahme in Deutschland, die Sie unterstützt haben! Bei fast jeder Privatisierungsmaßnahme haben Sie sich im Prozeß der Umsetzung zur Klientelpartei der Besitzstandswahrer entwickelt und die Privatisierung verhindert.
Ich erinnere an die Postreform, wo Sie, statt die Märkte zu öffnen, nichts Besseres wissen, als ein Monopol eher noch zu verteidigen. Das beginnt bei der 100-Gramm-Briefsendung und reicht über das neue Porto von 1,10 DM bis hin zur Quersubventionierung der Frachtpost. Wo ist denn da, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr Reformeifer?
Herr Fischer, ich nenne die Rentenreform. Das wäre ja wunderbar. Wo sind Sie denn, wenn es um die Strukturreform geht, wenn Sie die Wahrheit sagen müssen?
Sie verhalten sich so, daß die Politik der Landesregierungen, an denen Sie beteiligt sind, bewirkt, daß es automatisch auf immer höhere Beitragszahlungen der jungen Generation im Erwerbsleben hinausläuft, weil Herr Dreßler und die gesamte Sozialdemokratische Partei nicht den Mut haben, der älteren Generation zu sagen, daß ein neuer Generationenvertrag geringere Zuwächse bedeutet.
Sie treten hier auf, als wären Sie die Reformer für die Bundesrepublik Deutschland. Nein, Sie sind in allen Bereichen, die verändert werden müssen, die stockkonservativste Opposition, die dieses Haus je erlebt hat.
Die Sozialdemokratische Partei ist bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme selbst in der Sozialistischen Internationale völlig isoliert. Tony Blair trägt Ihnen vor, daß die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden müßten, weil sie nach seiner Einsicht eher denen genutzt haben, die nicht einen Job annehmen wollten, und diejenigen benachteiligt haben, die einen Job gesucht haben.
Herr Scharping, was ist denn eigentlich gerecht und solidarisch? Ist eine Gesellschaft auf Dauer gerecht und solidarisch, die ihren Blick ausschließlich auf die Erhöhung von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe richtet, oder sind eine Gesellschaft und eine Politik nicht auch solidarisch, die diejenigen ermuntern und die Leistung derjenigen honorieren, die sich anstrengen, die mehr Leistung erbringen wollen und die einen Arbeitsplatz auch annehmen.
Ich finde, auch diese Personen müssen Gerechtigkeit erfahren; sie müssen angesprochen werden.
Herr Fischer und Herr Scharping, Sie wissen: Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist stranguliert. Es gibt die Tarifautonomie, aber gleichzeitig das Ausscheiden von vielen aus den Verbänden. Einigen Einzelgewerkschaften laufen die Mitglieder davon; in den neuen Ländern sieht man, wie Unternehmen in größerer Zahl aus den Arbeitgeberverbänden ausscheiden. Jeder weiß, daß der Flächentarif nicht mehr trägt. Keiner glaubt mehr, daß der metallverarbeitende Betrieb im Erzgebirge dasselbe zahlen kann wie Daimler-Benz im mittleren Neckarraum. Wann sprechen Sie denn dann einmal mit Ihren Gewerkschaften, die für Sie immer Kundgebungen veranstalten, und ermuntern sie, das etwas zu flexibilisieren? Ich habe erlebt, daß Sie sich immer an die Betonköpfe geklammert haben, wenn es um die Reform des Arbeitsmarktes und ähnliche Reformen geht.
Wo ist denn der große Befreiungsschlag beim Subventionsabbau geblieben? Sie, Herr Fischer, haben innerhalb weniger Stunden die Beschlußfassung der Grünen geändert, um drüben mit den Bergarbeitern auf die Barrikaden zu gehen. Wo war denn da Ihre Glaubwürdigkeit?
Wenn wir hier über die Tarifautonomie reden und sagen, die Flächentarife sollten reformiert werden, dann bezichtigt Herr Dreßler uns doch eines Anschlages auf die Tarifautonomie. Ich akzeptiere es nicht länger, daß bei uns über verschiedene Sachverhalte aus nahezu religiösen Gründen eine Veränderungssperre verhängt wird. Heilige Kühe gibt es genug. Industrienationen, die heilige Kühe beiseite geräumt haben, haben jedenfalls eine bessere Beschäftigungslage als die Bundesrepublik Deutschland.
Da mag diese Koalition ein Sommertheater veranstaltet haben, sie hat auch Fehler gemacht - aber der Wille, hier etwas zu verändern, ist auf der rechten Seite des Hauses größer als auf der linken Seite. Deshalb muß fortgeschritten werden.
Im übrigen gibt es auch aus Ihrem Bereich Kollegen, die das so sehen. Ich will jetzt einmal einen gewaltigen Neoliberalen zitieren: Helmut Schmidt. Er sagt in der „Wirtschaftswoche":
Wer nur die hohen Einkommen und Vermögen treffen will, muß sich fragen, ob er noch mehr Kapital- und Wohnungsverlagerungen nach Luxemburg, Monaco und anderswohin auslösen will.
Er sagt: Das bringt nichts.
Die „Wirtschaftswoche" fragt weiter: Wie hätten Sie es denn lieber?
Dr. Wolfgang Gerhardt
Da sagt dieser neoliberale Helmut Schmidt:
Mir wäre es lieber, wenn das gesamte deutsche
Sozialversicherungssystem generalüberholt würde.
- Jetzt kommt es.
Der Abstand der Sozialleistungen von den regulären unteren Einkommen muß wieder deutlicher werden.
Was haben wir von Ihrer Seite für Kübel von Schmutz ertragen müssen, als wir hier dasselbe vorgetragen haben.
Ich bin noch nicht fertig. Dieser Neoliberale äußert sich auch zu der Frage:
Was halten Sie von einem subventionierten zweiten Arbeitsmarkt, um die Arbeitslosenzahl zu senken?
Darauf sagt der Mann tatsächlich - so weit traute ich mich gar nicht -:
Nichts. Je mehr der Staat eingreift, desto mehr geht schief.
Da frage ich mich, warum Sie uns mit einem solchen Wortschwall so geißeln.
Ich komme zum Spitzensteuersatz und zur Steuerreform, Herr Kollege Scharping, und will jetzt wieder einige aus Ihrer Partei zitieren. Gerhard Schröder sagt:
Es ist vernünftig, wenn dieser für gewerbliche Einkommen unterhalb von 40 Prozent liegt.
Er fügt hinzu:
Ich bezweifle, ob es verfassungsmäßig ist, wenn der Spitzensteuersatz für Privatpersonen dann mehr als acht Punkte darüber liegt.
Darauf könnten wir uns schon morgen im Vermittlungsverfahren verständigen.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, Kurt Beck, erklärt:
Die Regierung ist uns schon ein gutes Stück entgegengekommen. Wenn die jetzt ein akzeptables Angebot machen, müssen wir zustimmen.
Sogar die brandenburgische Finanzministerin erklärt:
Diese Mischung, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht in Bausch und Bogen abzulehnen.
Rudolf Scharping erklärt im Deutschlandfunk am 24. Januar dieses Jahres:
Eine Festlegung des Spitzensteuersatzes scheint mir in der gegenwärtigen Situation nicht nötig. Es ist mir übrigens auch gleichgültig, ob der bei 38 oder 40 Prozent liegt.
Nur Ministerpräsident Lafontaine hält die Linie. Er sagt am 4. Februar dieses Jahres:
Der Spitzensteuersatz von 53 Prozent muß in der jetzigen Höhe bleiben, denn in der Verfassung steht, daß jeder nach Leistungsfähigkeit besteuert wird.
Am selben Tag sagt der Hamburger Bürgermeister Voscherau im „Stern":
Die SPD hat sich darauf festgelegt, daß sie die Senkung des Spitzensteuersatzes von jetzt 53 Prozent für möglich - ich füge für mich hinzu: für unausweichlich - hält.
Meine Damen und Herren, es mag sein, daß sich der Spitzensteuersatz toll eignet, um das alte gesellschaftliche Lied auf unten und oben, auf die unverdient Reichen, die unverdient Armen, zu singen. Da läßt sich viel mobilisieren. Wir wissen, daß in vielen politischen Konzepten der schlechte Charakterzug des Neides und der Mißgunst eine gewaltige Rolle spielt.
- Nein, ich schäme mich nicht. Er spielt eine Rolle. Sie spielen auf diesem Klavier, füge ich hinzu, und zwar sehr bewußt.
Deshalb reden wir jetzt einmal über Leistung. Wir werden keine Gesellschaft schaffen - jedenfalls ist jede Politik, die den Versuch gemacht hat, in Diktatur und Unterdrückung geendet -, die sich so organisiert, daß jeder, der mehr im Portemonnaie hat als ein anderer, das automatisch nur unter den besten Bedingungen, mit größtem Verdienst selbst erreicht hat. Genausowenig können Sie eine Gesellschaft mit staatlichen Befehlen und Unterdrückung organisieren, um Menschen vor Armut zu bewahren. Gerechtigkeit kann Politik nicht absolut organisieren.
Immer noch gibt es eigene Verantwortung in persönlicher Lebensführung von Menschen. Nicht immer ist die Gesellschaft schuld, wenn jemand in Schwierigkeiten kommt, und nicht jedermann hat unverdientermaßen etwas mehr als ein anderer. Ein Erfolg in persönlicher Lebensführung kann auch in Leistung, Verantwortungsbereitschaft und persönlichen Ausbildungsanstrengungen - begünstigt von Glück - begründet sein.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Wer eine solche Gesellschaft nicht will, der muß das hier sagen. Ich jedenfalls möchte auf weiteres in einer Gesellschaft leben, die diese Chancen bietet. Ich möchte sie auch Menschen erhalten. Ich möchte Menschen von einer verdienten D-Mark nicht mehr als 50 Pfennig abnehmen, weil ich einen Staat nicht als gerecht empfinden kann, der den Lohn der Leistungsfähigkeit der Menschen so besteuert.
Dafür gibt es keine Begründung.
Leistung ist nichts Unanständiges. Leistung ist nicht etwas, für das man die Leute bestrafen müßte. Leistung ist kein Begriff der Ellbogengesellschaft. Leistung ist eine zutiefst persönliche menschliche Anstrengung, die bei einem gerecht besteuernden Staat die Voraussetzungen dafür schafft, daß man Menschen in Not helfen kann. Aber niemand sollte glauben, daß man, wie Lincoln gesagt hat, Armen helfen kann, wenn man die Reichen ausmerzt. Diese Erkenntnis sollten Sie beherzigen.
Verlassen Sie also politische Konzeptionen, die nicht tragen.
In dieser Legislaturperiode haben wir gelernt, daß der Untergang des Abendlandes nahe bevorsteht. Können Sie sich an die große Reformfreude von SPD und Grünen erinnern, als wir die Ladenöffnungszeiten nur um 90 Minuten verlängern wollten?
Da wurde der Zusammenbruch der Gesellschaft beschworen. Können Sie sich erinnern, wie Sie blokkiert haben, als wir darüber gestritten haben, die Kohlesubventionen in zehn Jahren auf 5 Milliarden DM zurückzuführen? Können Sie sich an die Auseinandersetzungen erinnern, als diese Bundesregierung und die hier sitzende Mehrheit sich darangemacht hat, das Meister-BAföG einzuführen und das Kindergeld in Schritten zu erhöhen, die noch nie gegangen wurden?
Was waren das alles für Auseinandersetzungen! Nein, meine Damen und Herren, Sie vertreten in Ihren politischen Konzepten rückwärtsgewandte Strukturen.
Sie sind bei jenen, denen der Wandel Schwierigkeiten macht. Sie ermuntern sie aber auch nicht zum Wandel. Sie helfen ihnen nicht dabei. Sie leiten nicht über in neue Strukturen, sondern sitzen fest in Ihren
Traditionsverbänden, die keine Bewegung ausstrahlen.
Das ist die Situation der Opposition.
Das unterscheidet die jetzige Situation von allen anderen in der Bundesrepublik Deutschland, in denen sich eine Opposition darangemacht hat, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Als sich die Union damals, 1982/83, anschickte, Regierungsverantwortung zu übernehmen, vertrat die Union in den zentralen Fragen, die anstanden und die in der Fraktion der SPD von Helmut Schmidt nicht mehr gelöst werden konnten,
nämlich zum Beispiel bezüglich der Haushaltskonsolidierung, eine Position, mit der wir arbeiten konnten.
Welches Konzept hat denn diese vereinte Opposition, wenn sie ankündigt, sie wolle Verantwortung übernehmen? Das würde die rückwärtsgewandteste Regierungsveranstaltung, die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat,
verbunden mit Politik für Besitzstandswahrer, für Unbewegliche, für Strukturerhalt, für alte Industriestrukturen, gegen die, die einen neuen Aufbruch wagen wollen. Das einzige, was Sie hier tun, ist, Veränderungstheater ohne jeglichen wirklichen Reform-und Modernisierungswillen vorzuspielen.
Wenn Sie ernsthaft, ohne kabarettistische Einlagen mit Rückblick auf die Sommerpause,
die Fragen beantworten wollen, die die Bundesrepublik Deutschland heute entscheiden muß,
dann müssen Sie die Fragen beantworten, die andere führende Industrienationen beantwortet haben. Diese haben die Steuern gesenkt, die Staatsquote reduziert, den Arbeitsmarkt flexibilisiert, um mehr Beschäftigung zu ermöglichen. Alles das, was nicht neue Dynamik in die Wirtschaft bringt, ist für die Konsolidierung der Haushalte nichts nütze. Die Haushalte werden sklerotisch bleiben, wenn sich die Beschäftigungslage nicht ändert.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Beschäftigung schafft man bekanntlich aber nicht, indem man den Betrieben noch eine Umlage zumutet, lediglich einen Verschiebebahnhof bei den Lohnnebenkosten vorsieht und eine ökologische Steuerreform, die auf jeden Fall eine höhere Steuerbelastung darstellt, einführen will. Beschäftigung und Dynamik schaffen wir nur, wenn wir couragierte Steuersenkungspolitik betreiben und die sozialen Systeme reformieren.
Deutschland hat eine geringe Attraktivität, Herr Kollege Fischer, für ausländische Studierende, weil sich das deutsche Hochschulsystem, das alle Chancen hatte, diese freiwillig einzuführen, erst jetzt unter der gesetzgeberischen Voraussetzung entschließt, angelsächsische Abschlüsse anzubieten. Diese hätten die Universitäten längst einführen können.
Das deutsche Hochschulsystem hätte längst die Studienzeiten verkürzen können. Niemand hat die Professoren eines Fachbereichs daran gehindert, die Studierenden in zwölf Semestern zum Abschluß zu führen. Das wäre auch im Interesse der Studenten.
Was macht denn die Regierung unter Ihrer Beteiligung in Sachsen-Anhalt? Sie verlängert jetzt die Schulzeit auf 13 Jahre, obwohl man in zwölf Jahren zum Abitur hätte führen können. Sie führt flächendeckend Orientierungsstufen ein. Wo ist die Vielfalt im Schulsystem in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen? Sie sind doch die Vertreter der Einheitsschulformen. Bei uns sitzen die Vertreter der Vielfalt, der Elternentscheidung, des Wettbewerbs und der Systeme.
Wer ist denn eigentlich Anwalt der jungen Generation? Ist es derjenige, der sie erst nach 13 Jahren Schulzeit zum Abitur führen will? Ist es derjenige, der glaubt, es müßten noch mehr und noch längere Studiengänge absolviert werden, weil er annimmt, daß man um so reifer sei, je länger man ausgebildet wurde? Oder ist der der bessere Vertreter der jungen Generation, der hier offen sagt: Es ist besser, wenn die jungen Menschen früher in den Wettbewerb, den Beruf kommen, es ist besser, wenn es für die Kinder pädagogisch verantwortbare Leistungsfeststellungen in der Schule gibt, anstatt ihnen dauernd auszuweichen? Wer hilft denn der jungen Generation besser?
Ich habe heute aus Nordrhein-Westfalen gehört, man sollte auf Notengebungen in der Grundschule verzichten. Wes Geistes Kind sind denn Leute, die glauben, man könne Kinder ohne jede Leistungsbewertung in eine Gesellschaft entlassen? Das kann doch keine Grundlage einer Politik für die junge Generation sein.
Meine Damen und Herren, wir müssen die Globalisierung annehmen, ob sie Herrn Lafontaine gefällt oder nicht. Wir werden nicht nach dem Motto handeln können: Bitte, Tony Blair, erhöhe in Großbritannien die Steuern, damit wir Deutschen wettbewerbsfähiger für Investitionen sind. - Wir müssen schon bei uns selbst aufräumen.
Ich sage für alle, die anderer Meinung als ich oder die F.D.P.-Fraktion sind: Es ist ein Gebot politischer Führung, den Menschen in Deutschland, deren Ängste wir kennen, zu sagen, daß der Termin der Europäischen Währungsunion eingehalten werden muß, daß die Konvergenzfortschritte in Europa noch nie so eng beieinanderlagen, daß wir die Chance der Währungsunion nicht verpassen sollten.
Wir müssen ihnen sagen, daß der Euro eine wichtige Antwort für die Märkte ist, die vom Yen und dem nordamerikanischen Dollar dominiert werden, und für Deutschland als exportorientiertes Land eine wichtige Grundlage für die Beschäftigung ist.
Wir wissen, daß die Menschen in Deutschland zwei Hyperinflationen erlebt haben, und wir verstehen ihre Ängste. Wir müssen ihnen aber sagen, daß verantwortliche deutsche Politik nicht irritieren sollte. Wir müssen den Kurs beibehalten und den Vertrag einhalten, weil wir nach unserer tiefsten Überzeugung auf einer Stabilitätsinsel Deutschland nicht überleben, sondern nur mit unseren Nachbarn in einer Europäischen Währungsunion die Chance haben, den weltweiten Strukturwandel zu bestehen.
Es gibt immer Versuchungen, das zu vergessen, vor allem dann, wenn Wahlen unmittelbar vor der Tür stehen. Es wäre ein unermeßlicher Fehler deutscher Politik, wenn wir eine neue Eurodiskussion beginnen würden, nur weil in Bayern und in Hamburg gewählt wird. Herr Voscherau äußert sich übrigens auf einmal ganz anders, als das früher wahrnehmbar war.
Ich sage das deshalb, weil wir beginnen, unsere Nachbarn zu irritieren. Sie verstehen uns nicht und fragen, was mit den Deutschen los ist. Sie erwarten von der politischen Führungsklasse in Deutschland Standing, Vertragstreue und Berechenbarkeit. Das erkläre ich für die Freie Demokratische Partei.
Wer in Deutschland andere Gruppen wählen will, der soll das tun. Es muß in Deutschland aber klare, berechenbare Konturen auf diesem Kurs geben. Das betrifft nicht nur die Frage der Währungsunion. Ich sage das mit Dank an die Adresse des Bundesaußenministers.
Vielleicht haben viele geglaubt, nachdem der Warschauer Pakt und die NATO in einer veränderten Situation sind - jener hat sich aufgelöst, dieser steht vor Erweiterungen -, werde die Friedensdividende ausgezahlt, und die Welt sei am Ende der Geschichte angekommen. Daß die Welt nicht am Ende der Geschichte angekommen ist, wissen wir.
Wir haben auf dieser Welt Regime, in denen Familienclans herrschen, in denen nicht im entferntesten die Prinzipien einer aufgeklärten Gesellschaft das
Dr. Wolfgang Gerhardt
politische Gerüst tragen. Wir haben einige hundert Kilometer von unserer Grenze entfernt, in Rußland, immer noch eine Gesellschaft, bei der wir schauen: Wann hört der freie Fall auf? Wann konsolidiert sie sich? Wann kommt dieses Land wirklich nach Europa, auch in seinen inneren Strukturen?
Solange das so ist, empfiehlt sich jedenfalls die Kontinuität in einer Außenpolitik, die nicht einfach alles vergißt, was uns 50 Jahre Frieden gebracht hat, die die internationale Einbettung sieht - ich sage auch das -, inklusive der Bundeswehr. Die Bundeswehr ist eine Armee in einer Demokratie. Wir danken den Soldaten.
Bei dieser Gelegenheit weise ich darauf hin, daß die PDS in Hamburg ein Plakat aufgehängt hat, auf dem steht: „Soldaten" - das ist ganz groß und in Schwarz gedruckt - „benutzen bisweilen Schaufeln statt Gewehre und sind" - „sind" wieder groß gedruckt - „im militärischen Ernstfall staatlich ausgebildete Mörder".
Das ist aus „Der bewachte Kriegsschauplatz" von Kurt Tucholsky.
Dieses Zitat ist feige, weil man es selbst nicht zitiert. Es ist infam, und es ist unmenschlich gegenüber den Soldaten, die im Oderbruch den Menschen geholfen haben und die großen Respekt verdienen.
Wir sollten dieses Plakat den Menschen im Oderbruch zeigen,
damit diese begreifen, daß sie es nicht nur mit einer Partei zu tun haben, die den Alten freundlichst die Rentenanträge ausfüllt, sondern mit einer Partei, die niemals wieder in diesem Land Verantwortung haben sollte. Das muß klargemacht werden.
Es gibt an entscheidenden Abschnitten der deutschen Politik immer politische Kontroversen. Es gibt immer den Glauben: Die nächste Wahl gewinnen wir ganz bestimmt. Ich weiß es noch nicht.
- Herr Kollege Fischer, wenn Sie sich die Geschichte der Wahlen anschauen, dann sehen Sie, daß 1982 gesagt worden ist: Bei der März-Wahl 1983 ist Helmut Kohl ganz bestimmt weg und die F.D.P. sowieso. Es
ist dann anders ausgegangen. Dann gab es eine Wahl - -
- Da war er wieder weg. Ich glaube auch, die Sozialdemokraten hatten mehr das Gefühl, daß Helmut Kohl mit Saft und Kraft im Publikum steht, während Herr Vogel mehr mit Saft und Kraft in der Aktenlage beheimatet ist.
Dann kam eine Wahl, da habe ich gedacht: Jetzt wird es aber kritisch; denn da steht der Umverteiler Helmut Kohl als kalter Vertreter einer kapitalistischen Koalition gegen „versöhnen statt spalten" von Johannes Rau. Erinneren Sie sich, welchen Vorsprung Johannes Rau in Umfragen hatte? Kaum einholbar. Merkwürdigerweise ist die Wahl wieder anders ausgegangen.
Dann kam die Vereinigung. Da habe ich gelesen, jetzt liege es gar nicht mehr an Personen, sondern die Sozialstruktur der neuen Länder wie Sachsen - alte Industriegesellschaft - sei klar sozialdemokratisch dominiert. Willy Brandt brach nach Eisenach auf. Tausende waren auf dem Marktplatz. Das könne diese rheinische Koalition und Konstellation, die nur in der alten westdeutschen Bundesrepublik begünstigt sei, nie gewinnen. Komischerweise hat sie die Wahl gewonnen.
Hinterher sind wir alle schlauer. Jetzt kommen viele Ratschläge von denen, die sagen, was man damals alles hätte machen müssen. Herr Fischer, ich lasse mir ungerne Ratschläge geben, was man damals alles hätte tun müssen, und zwar von Ihrer Fraktion, die damals bedenkliche Schwierigkeiten mit der deutschen Einheit hatte.
Nun will ich noch einmal auf die letzte Bundestagswahl kommen. Da kamen sie dann zu dritt: die Troika. Nicht mehr einer kam, sondern sie kamen zu dritt. Da dachte ich: Jetzt wird Helmut Kohl überwältigt. Drei ist wirklich zuviel. - Er hat gewonnen.
Wir wissen nicht, wer das nächste Mal gewinnt. Zuversicht allein ist kein guter Ratgeber. Aber wir sind entschlossen, die Wahl zu bestreiten, weil wir davon überzeugt sind: Die besseren Konzepte für die Zukunft dieses Landes liegen hier. Dies müssen wir sagen.
Wir müssen die Konzepte beständig wiederholen. Wir dürfen in der Koalition keine Angst davor haben. Wir dürfen nicht zurückschrecken, wenn wir Gegnerschaft spüren. Eine Politik, die verändern will, hat es immer mit strukturell privilegierten Interessengruppen zu tun, die dagegen sind.
Die Opposition ist Anwalt strukturell privilegierter
Interessengruppen in festen Beschäftigungsverhält-
Dr. Wolfgang Gerhardt
nissen. Wir wollen Anwalt der Leute sein, die durch Veränderung 4,3 Millionen Arbeitslosen neue Chancen geben. Dafür lohnt es sich zu streiten.