Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß sich Deutschland in der Krise befindet, wird von niemandem mehr bestritten, in einer der schwersten Krisen seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland,
in einer Krise, die ein doppeltes Vorgehen notwendig
macht: Es handelt sich um die Notwendigkeit, die innere Einheit herzustellen, die Lasten gerecht zu verteilen und die Entwicklung in Ostdeutschland voranzubringen, so daß wir wirklich von einer Vereinigung sprechen können. Es handelt sich um die Notwendigkeit, die strukturellen Anpassungen, die über Jahre hinweg verschlafen und ausgesessen wurden, an die Bedingungen einer sich rapide verändernden Weltwirtschaft vorzunehmen.
Massenarbeitslosigkeit und Reformunfähigkeit kennzeichnen die gegenwärtige Situation. Die F.D.P. nickt dazu. Sie sind einer der Hauptverantwortlichen, denn Sie regieren dieses Land. Es ist nicht die Opposition, die dieses Land regiert. Bei aller Bedeutung, die Sie der Opposition zumessen, wollen wir das nicht vergessen.
4,5 Millionen ausgewiesene - real über 6 Millionen; Tendenz: eher ansteigend - Arbeitslose sind die bittere Realität. Ich frage Sie: Was geschieht in diesem Lande wirklich? Der Widerspruch zwischen Handlungsnotwendigkeit - das hat diese Debatte heute morgen wieder auf beschämende Art und Weise klargemacht - und Handlungsunfähigkeit seitens der Verantwortlichen, seitens der Regierung und der Koalition verstärkt sich. Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren - das habe ich mich heute morgen angesichts dieser Debatte und auch der Steuergespräche gefragt -, daß Sie dabei sind, eine substantielle, tiefgehende Krise das Vertrauens in die Funktionsweise unseres demokratischen Systems auszulösen, wenn Sie weiter so vorgehen?
Angesichts dieser deprimierenden Wirklichkeit, die hier von niemandem mehr bestritten wird, haben wir in den letzten Wochen ein Stück aus dem Bonner Tollhaus mit dem Titel „Steuergespräche" erlebt. Wenn die Sache nicht so ernst wäre, könnte man über das, was da passiert ist, fast ins Lachen geraten. Es gab de facto eine große Koalition: Ein gewaltiger Berg kreißte, und am Ende kam nicht einmal mehr ein fiepsendes Mäuschen heraus. Das war die Realität dieser Steuergespräche -
trotz des Schocks auf Grund der Arbeitslosenzahlen im Januar, trotz der Strukturkrise, in der wir stecken, und trotz einer dramatisch wachsenden strukturellen Verwerfung und Massenarbeitslosigkeit.
Heute erleben wir die Debatte über die Schuldfrage. Ich fürchte, daß wir jetzt bis zur Bundestagswahl auf Hintze-Niveau die Debatte erleben werden, wer schuld daran ist, daß in der Bundesrepublik Deutschland nichts vorangeht. Sie mögen die SPD in diesem Punkt kritisieren. Ich habe zwar nicht für die SPD zu sprechen, aber trotzdem frage ich - der Bundeskanzler ist nicht da - Herrn Schäuble: Glauben Sie denn allen Ernstes, daß eine Rechnung aufgehen kann, die die Steuerentlastung mit der Klientelpartei F.D.P. macht und die dann die aufgerissenen Löcher
Joseph Fischer
durch Steuerbelastungen und Steuererhöhungen mit der Oppositionspartei SPD stopft?
Daß diese Rechnung nicht aufgehen konnte, war mir von Anfang an klar.
Im Blick auf den Bundesfinanzminister muß man folgende Frage stellen: Will er eigentlich diese Steuerreform, für die er so lautstark kämpft? Wenn man nach dem Scheitern der Steuergespräche in die Union hineinhört, dann stellt man fest, daß viele hinter vorgehaltener Hand sagen: Dem Theo ist das gar nicht so unrecht, denn er weiß ganz genau, daß die Steuersenkungen, die er vorträgt, nicht gegenfinanziert sind.
Er weiß ganz genau, daß er eine Deckungslücke von 56 Milliarden DM nicht gegenfinanziert hat. Über den Vorwand „Die SPD ist schuld, daß die Steuerreform scheitert" landet er im Grunde genommen wieder da, wo er schon einmal im Zusammenhang mit dem Bareis-Gutachten und den darin formulierten Vorschlägen war: bei der Ablehnung eines von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens zur großen Steuerreform.
Meine Damen und Herren, wenn man sich Ihre große Steuerreform anschaut und die langen Litaneien, die Herr Waigel hier vorträgt, anhört, dann stellt man fest, daß Ihre Vorschläge über den entscheidenden Punkt nicht hinwegkommen und daher nichts nützen.
Wenn man sich Ihre Steuerreform anschaut, dann stellt man fest, daß sie erstens sozial ungerecht ist. Sie haben vor allen Dingen bei den hohen Einkommen - teilweise auch bei den unteren - eine Entlastung vorgesehen, aber die hohe Belastung, die Tarifnähe zwischen altem und neuem Tarif besteht vor allem im mittleren Bereich. Das Ganze wird erst zu einem Schuh unter dem Gesichtspunkt der sozialen Schieflage.
Wenn Sie Ihre Gegenfinanzierungsvorschläge zum Decken des Haushaltslochs von 56 Milliarden DM hinzunehmen, nämlich die Mehrwertsteuererhöhung, dann wird aus Ihrer Steuerentlastung, Herr Waigel, eine sozial ungerechte Steuerreform zu Lasten von abhängig Beschäftigten, zu Lasten von unteren und mittleren Einkommen, die über die Mehrwertsteuererhöhung, über die Abschöpfung von Massenkaufkraft die Zeche bezahlen sollen, damit Spitzensteuersätze auf die Einkommen der F.D.P.-Klientel und anderer gesenkt werden können. Das ist die Realität.
Ich möchte von Ihnen, Herr Waigel, da Sie schon so
schön mit Zahlen jongliert haben, heute einmal klipp
und klar wissen, was Sie jetzt beabsichtigen, um diese 56 Milliarden DM gegenzufinanzieren.
Sie sprechen von 82 Milliarden DM Steuerausfällen durch die Reform. Sie sagen, Sie haben durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage 38 Milliarden DM gegenfinanziert.
Damit fehlen 44 Milliarden DM. Hinzu kommt dann noch die Absenkung des Solidaritätszuschlags, so daß sich eine Lücke von insgesamt 56 Milliarden DM ergibt.
Ich sage Ihnen: Eine Steuerreform vorzulegen, bei der der entscheidende Punkt, nämlich die Aussage darüber, wie sie finanziert wird, offenbleibt, ist keine Steuerreform, sondern ein Prinzip Hoffnung. Wenn Sie sich zum Prinzip Hoffnung bekennen, dann rate ich den Bürgerinnen und Bürgern, dem kleinen Mann und der kleinen Frau, gut auf ihr Portemonnaie achtzugeben,
denn dieses Prinzip Hoffnung heißt bei Ihnen in Wirklichkeit Steuererhöhung. Wo kommen die fehlenden 56 Milliarden DM her? Wer soll bezahlen? - Das sollten Sie hier und heute einmal klipp und klar sagen.
In dem Gesetzentwurf, den Sie uns hier vorgelegt haben, ist das ja richtig süß. Der entscheidende Punkt kommt auf Seite 2 sozusagen verhuscht im Text vor. Da heißt es dann unter „B. Lösung":
Spürbare Nettoentlastung von Steuerbürgern und Unternehmen bei der Einkommensbesteuerung im Umfang von bis zu 30 Mrd. DM und teilweise Gegenfinanzierung durch Umschichtung innerhalb des Steuerrechts
und durch Verringerung des Anteils der leistungsfeindlichen direkten Steuern an den Steuereinnahmen zu Lasten der konsumabhängigen indirekten Steuern.
Mein lieber Herr Dr. Waigel, dann reden wir nicht mehr über Steuerentlastung, sondern über Steuererhöhungen. Dann kommen Sie hierher und sagen das auch dem deutschen Volk, daß Ihre Steuerreform an diesem Punkt auf Steuererhöhungen hinausläuft!
Nein, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: Wir reden hier in Wirklichkeit über Steuererhöhungen, die vor allem bei den unteren und mittleren Einkommen zu Buche schlagen werden. Das ist die
Joseph Fischer
ganze Wahrheit Ihrer Steuerreform, und insofern sollten Sie sich auch offen zu dem Umverteilungscharakter dieses Werkes bekennen.
Das hat nichts mit altertümlicher Klassenkampfrhetorik zu tun, sondern man muß nur eins und eins zusammenzählen - dabei kommt zwei heraus, nämlich Entlastung oben und Belastung unten, vor allem, wenn man Ihre Steuererhöhungsabsichten mit einbezieht.
Mich, Herr Waigel -
Hallo! -
Mich, Herr Waigel, würde heute klipp und klar Ihre Haltung zur Mehrwertsteuererhöhung interessieren. Sie als Mitglied der Bundesregierung haben jederzeit Rederecht. Wollen Sie eine Mehrwertsteuererhöhung? Wieviel Prozentpunkte soll diese betragen? Wann soll sie gegebenenfalls kommen?
Das ist das eine, damit diese Posse um die Mehrwertsteuer endlich beendet wird.
Als zweites würde mich die Beantwortung folgender Frage interessieren: Wollen Sie eine Erhöhung der Mineralölsteuer, um die jetzt aufreißenden neuen Löcher Ihres Haushaltes decken zu können? - Diesbezüglich hört man ja Unterschiedliches. Sie sprechen sich für die Erhöhung der Mineralölsteuer aus, Herr Stoiber spricht sich dagegen aus, der Bundeskanzler weist das zurück, nachdem er in der „Bild"-Zeitung mit einer mächtigen Schlagzeile konfrontiert wird, wonach er schon um das Dahinschwinden der Stimmen seiner Wählerinnen und Wähler fürchtet, obwohl ich sicher bin, daß ihr darüber gesprochen habt und diese Absicht verfolgt.
Der Bundestag ist das geeignete Forum, in dem Sie Klarheit schaffen können, Herr Bundesfinanzminister. Wie sieht es mit einer Mineralölsteuererhöhung aus? - Kommen Sie ans Rednerpult, sagen Sie klar Ihre Haltung, schenken Sie uns hier reinen Wein oder meinetwegen auch reines Mineralöl ein, vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern!
Machen Sie klar, welche Belastungen auf uns zukommen, und verstecken Sie sich nicht weiter hinter irgendwelchen nebulösen Formulierungen!
Wer was bezahlt, das ist die erste zentrale Frage, die erste Wahrheitsfrage, die man an dieses Reformwerk richten muß.
Die zweite wichtige Frage: Wann wird denn diese Steuerreform kommen? Der Termin ist keine Nebensächlichkeit. Ob sie 1998 oder 1999 kommt, scheint nur auf den ersten Blick eine Nebensächlichkeit zu sein; denn wir haben 1998 eine klitzekleine Kleinigkeit zu erledigen: Das deutsche Volk, der deutsche Souverän, hat einen neuen Bundestag zu wählen. Mit diesem Steuerreformkonzept, unterstützt von Helmut Kohl und Theo Waigel, für die Erhöhung der Mehrwertsteuer, für die Erhöhung der Mineralölsteuer, für eine höhere Belastung der unteren und mittleren Einkommen wird es ein schöner Wahlkampf. Da wird selbst Pfarrer Hintze mit seiner RoteSocken-Kampagne überfordert sein.
Ergo kommt man zu der Konsequenz, daß 1999 ja auch noch ein Jahr sei. Warum machen wir also die Erhöhung nicht 1999? Nun war die geniale Idee des Wirtschaftspolitikers Theo Waigel, es gebe einen Vorzieheffekt, wenn man die Unternehmensteuern vorher senke. Gestern lasen wir allerdings etwas anderes - so zumindest meldet es „Reuter":
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, hat Änderungen am Zeitplan der Koalition für die Senkung von Steuern und Sozialbeiträgen ins Gespräch gebracht. Ein Sprecher der Fraktion hat dies bestätigt.
Schäuble möchte alles zusammen 1999 verwirklichen, also nicht mehr den Unternehmensteil 1998 vorziehen:
Schäuble möchte insgesamt 1999 das ganze Reformwerk angehen. Schäuble begründet die Verschiebung der Steuersenkung für Unternehmen damit, daß bei der Expertenanhörung zu dem Gesetz die Hoffnungen auf erhebliche Effekte für die Wirtschaft nicht bestätigt worden seien.
Meine Damen und Herren, in dieser Meldung stekken zwei Nachrichten: Erstens ist die Hoffnung auf eine positive Wirkung auf die Wirtschaft durch das Reformwerk Waigels nicht gegeben. Das ist eine sehr wichtige Tatsache, die Herr Schäuble hier ausspricht. Dazu würde mich auch Ihre Haltung hier interessieren. Auch die Arbeitsplatzeffekte - das hat die Anhörung ebenfalls gezeigt - sind minimal. Daher können wir auch nicht davon reden, daß dieses Reformwerk ein energischer Ansatz sei, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Joseph Fischer
- Herr Kollege Schäuble, Sie hätten vorhin Zeit gehabt, direkt auf die Opposition zu antworten. Das hätte ich erwartet. Deswegen lasse ich die Zwischenfrage, obwohl ich sonst mit Ihnen gerne diskutiere, nicht zu. Ich bin mit der Debattenstruktur heute morgen nicht einverstanden.