Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn deine Sache zu schlecht ist, rufe die Partei zur Hilfe; ist die Partei zu schlecht, rufe die Sache zur Hilfe; sind beide zu schlecht, dann verwunde den Gegner.
Dies ist ein Ausspruch des Schatzkanzlers in Irland im 18. Jahrhundert gewesen. Er scheint schon damals den Kollegen Poß gekannt zu haben, sonst hätte er das nicht gesagt.
Er fährt dann fort:
Bist du im Unrecht, verwende allgemeine und mehrdeutige Ausdrücke und häufe Unterscheidungen und Unterteilungen ohne Ende.
Herr Kollege Poß, was, glauben Sie, denken die vielen Zuschauer auf der Tribüne, die vielen Zuschauer am Fernsehen und vor allen Dingen diejenigen, die die Bundesrepublik Deutschland etwas nüchtern und kritisch von außen betrachten, über diese Woche in Bonn?
Was, glauben Sie, denken diejenigen über die Bundesrepublik Deutschland, die nicht nur die Schreihälse dahinten hören, sondern die im Rahmen des internationalen Standortwettbewerbs in Deutschland oder in einem anderen Land auf dieser Welt
Friedrich Merz
Investitionsentscheidungen zu treffen, wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze zu ermöglichen haben?
Meine Damen und Herren, für die internationalen Investoren ist die Woche in Bonn nicht besonders attraktiv gewesen.
Ihr Beitrag, Herr Poß, hat dem leider auch nicht entgegengewirkt.
Nun lassen Sie uns, auch wenn der nächste Wahlkampf offensichtlich seine Schatten vorauswirft, hier als Parlamentarier, als Verantwortungsträger in der Bundesrepublik Deutschland die Frage stellen, welche Möglichkeiten wir haben, um den 4,5 oder 4,6 Millionen Arbeitslosen in Deutschland - auch von denen wird der eine oder andere heute morgen am Bildschirm sitzen und sich diese Debatte ansehen - eine Perspektive zu verschaffen, innerhalb der nächsten Monate in Deutschland wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Meine Damen und Herren, die Ausführungen darüber, wer durch die Steuerreform höher oder wer geringer belastet wird, hilft nicht weiter.
Herr Kollege Poß, ich zitiere aus einer Zeitung, die wirklich nicht in dem Verdacht steht, ein offizielles Organ der Bundesregierung oder dieser Koalition zu sein. Haben Sie eigentlich den „Spiegel" dieser Woche gelesen? Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß schon auf seinem Titelblatt eine Reihe von Staaten dieser Welt - wenn ich es richtig in Erinnerung habe, waren das Großbritannien, die Niederlande und die Vereinigten Staaten von Amerika - zitiert worden sind: „Alle schaffen Arbeitsplätze"? Darunter war eine Deutschlandfahne abgebildet, unter der stand: „Wir nicht." Ist Ihnen das eigentlich aufgefallen, Herr Poß?
- Herr Kollege Poß, auch dazu sage ich gleich noch etwas.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, Herr Kollege Poß: Ich habe Ihrer Rede die ganze Zeit zugehört. Jetzt lassen Sie uns doch wenigstens einmal den Versuch unternehmen, ein paar Argumente auszutauschen, die dazu dienen können, die schwierige Lage unseres Landes ein klein wenig mit Hoffnung zu versehen.
Hören Sie doch mit dieser unerträglichen Herumkrakeelerei auf! Das will doch in Deutschland keiner mehr hören. Die Menschen warten darauf, daß wir ihnen eine Perspektive geben. Wir sollten nicht in
einen Wettlauf eintreten, wer hier im Parlament am lautesten schreien kann.
Nun lassen Sie uns doch bitte einmal die Gelegenheit nutzen, nach geeigneten Wegen zu suchen.
Meine Damen und Herren, alle diese Staaten, die in der „Spiegel"-Titelgeschichte diese Woche zitiert worden sind - haben Sie das eigentlich gemerkt, oder haben Sie das heute morgen bewußt unerwähnt gelassen? -, haben die Angebotsbedingungen ihrer Volkswirtschaften verbessert.
Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß kein Industrieland dieser Welt, das sich in den letzten Jahren den Reformerfordernissen gestellt hat, allein von der Nachfrageseite her die Lösung gesucht hat? Fällt Ihnen eigentlich auf, daß Sie mittlerweile die einzigen auf der Welt sind, die zwar auf ihren Parteitagen noch die Internationale und „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" singen, aber sonst provinziell eine reine Nachfragepolitik fordern? Fällt es Ihnen eigentlich nicht auf, daß Sie selbst in der sozialdemokratischen Internationale keinen mehr finden, der diesen ökonomischen Weg mit Ihnen gehen will?
- Nein, Herr Kollege Poß, ich möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen.
Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland, wie in anderen Staaten auch, die Angebotsbedingungen unserer Volkswirtschaft verbessern. Das bedeutet, daß wir so wie die Holländer in der Lage sein müssen, die Lohnstückkosten zu senken - Holland hat sie gesenkt -,
daß wir so wie die Briten und Amerikaner in der Lage sein müssen, die Flexibilität der Arbeitsmärkte ein Stück zu erhöhen. Wir müssen wohl auch in der Lage sein, die Kosten der Arbeit zu senken.
Herr Poß, es hilft natürlich überhaupt nicht weiter, so wie Sie den Vorschlag zu machen, jetzt die Sozialbeiträge zu senken und dies alles mit einer ökologischen Steuerreform zu finanzieren. Einem Arbeitnehmer ist es relativ egal, warum seine Abgaben so hoch sind. Auch einem Arbeitgeber, der in Deutschland investieren will, ist es relativ egal, warum die Abgaben so hoch sind. Wenn sich die Summe der Abgaben
Friedrich Merz
nicht reduziert, dann wird es nicht zu neuen Investitionen in Deutschland kommen.
Deswegen verschließen wir uns nicht dem Weg, auch die Sozialbeiträge zu senken; aber eine reine Umfinanzierung zwischen Steuern und Sozialbeiträgen hilft uns überhaupt nicht weiter.
Lassen Sie mich mit einem Argument auseinandersetzen, das uns - ich gebe zu, auch in den eigenen Reihen - einige Schwierigkeiten macht bei dem Bestreben, die Steuersätze insgesamt senken zu wollen. Dem DGB ist eingefallen, zu der Steuerreform eine Stellungnahme abzugeben, die überschrieben war mit „Maßgeschneidert für Millionäre".
Meine Damen und Herren, jeder weiß doch, daß unser Steuersystem in Deutschland eben keine strikte Trennung vornimmt zwischen den reinen Unternehmenseinkünften und den Privateinkünften, sondern daß beide Bereiche zusammenwirken. Der überwiegende Teil der Unternehmen in Deutschland wird nach dem Einkommensteuergesetz besteuert, weil - der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen - der große Teil der Unternehmen eben Personengesellschaften sind. Weil es hier einen Zusammenhang gibt, können wir nicht einseitig die Steuersätze für Unternehmen senken und die Steuersätze für Privateinkommen davon unberührt lassen. Offensichtlich kennen Sie diesen Zusammenhang. Aber Sie machen sich Parolen zu eigen, um die Steuerreform insgesamt zu einer reinen Gerechtigkeitsdebatte verkommen zu lassen.
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen schon einmal etwas über den Zaun blicken und darauf achten, warum andere Staaten in der Lage gewesen sind, die Steuerbelastung ihrer Betriebe und ihrer Arbeitsplätze zu senken.
Herr Kollege Poß, Sie kommen ja wie ich aus Nordrhein-Westfalen. Ist Ihnen eigentlich völlig entgangen, daß Ihr bzw. unser Landeswirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen in den letzten Monaten zunehmend darüber klagt, daß Unternehmen ihren Sitz von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel in die Niederlande verlegen, weil sie dort auf bessere steuerliche Rahmenbedingungen stoßen?
Ist Ihnen eigentlich entgangen, daß mittlerweile eine zweistellige Zahl von Unternehmen pro Monat die Bundesrepublik Deutschland verläßt, weil sie in Holland bessere Bedingungen vorfinden als in Nordrhein-Westfalen? Entgeht Ihnen das alles? Wenn Ihnen das nicht entgeht, warum versuchen Sie nicht, darauf wenigstens in der Steuerpolitik eine Antwort zu geben?
Sie haben hier nun auch den Haushalt angesprochen. Richtig ist, daß wir in allen Gebietskörperschaften - bei Bund, Ländern und Gemeinden - große Schwierigkeiten mit dem Ausgleich unserer öffentlichen Kassen haben. Ist denn aber die rein fiskalische Betrachtung der öffentlichen Haushaltslage eine Antwort darauf, wie die Angebotsbedingungen für Arbeitsplätze in einer sich immer schneller verändernden Welt gestaltet werden müssen?
Ist das die einzige Antwort, die wir denjenigen geben können, die internationale Investitionsentscheidungen treffen? Glauben Sie, daß es irgend jemanden auf dieser Welt interessiert, wie wir unsere Haushalte in Deutschland ausgleichen, wenn er vor der Frage steht, ob er in Österreich, Holland, Großbritannien, USA oder Deutschland investieren soll? Ist das die einzige Antwort, die wir darauf geben können?
Wir werden uns hier wohl etwas mehr anstrengen müssen. Wenn Sie uns das schon nicht glauben, dann sage ich Ihnen folgendes: Ich habe beim Jahreswechsel noch einmal nachgelesen, wie das in anderen Staaten gemacht worden ist. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan, der mit der ersten großen Reform vor fast 20 Jahren angefangen hat, hat sich nicht etwa auf neuere Erkenntnisse dieser Zeit berufen, sondern auf einen Philosophen aus dem 14. Jahrhundert, der einmal gesagt hat
- nun hören Sie doch wenigstens einmal einen Augenblick zu -: Am Anfang einer Dynastie stehen niedrige Steuersätze und hohe Steuereinnahmen. Am Ende einer Dynastie stehen hohe Steuersätze und niedrige Steuereinnahmen.
- Ich habe mir gedacht, daß Sie jetzt mit dieser billigen Antwort kommen und glauben, daß wir uns am Ende einer Dynastie befinden. Darauf ist zu antworten: Erst einmal gibt es in einer Demokratie keine Dynastie, und zweitens sollten Sie akzeptieren, daß es einen ökonomischen Zusammenhang zwischen niedrigen Steuersätzen und hohen Steuereinnahmen gibt. Offensichtlich sind Sie aber zu diesen Fundamentalerkenntnissen überhaupt nicht mehr in der Lage.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin froh, daß die Gespräche, die auf der Ebene der Spitzen der Regierung und der Opposition stattgefunden haben, in dieser Woche beendet worden sind. Es tut dem Land nicht gut, wenn hinter verschlossenen Türen an den Parlamenten vorbei versucht wird, grundlegende Entscheidungen zu treffen. Es hat sich jetzt ausgegipfelt.
Jetzt können wir im Parlament ein ordnungsgemäßes Verfahren beginnen. Wir tun das mit dem heutigen Tag. Wir tun das verantwortungsbewußt und mit Lösungsvorschlägen, die ohne Zweifel verbesserungsfähig sind. Niemand von uns bildet sich ein, die letzte Weisheit gefunden zu haben.
Friedrich Merz
Aber wir tun das in der Verantwortung für die vielen Millionen, die in Deutschland Arbeit haben wollen und ihren Arbeitsplatz behalten wollen. Wir tun das vor allen Dingen in unserer parlamentarischen Verantwortung und in der Hoffnung, daß Sie, Herr Kollege Poß und andere, sich dieser Diskussion und Auseinandersetzung in den Gremien des Parlaments und auch hier im Deutschen Bundestag stellen.
Deutschland hat in dieser schwierigen Lage, in der wir uns befinden, mehr verdient als eine kleinkarierte Auseinandersetzung um die Frage, ob die Stelle hinter dem Komma stimmt.
Wir in der Bundesrepublik Deutschland brauchen jetzt trotz des beginnenden Bundestagswahlkampfes und angesichts einer sich drastisch verändernden ökonomischen Lage in einer globalisierten Welt ein paar Grundentscheidungen. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann glauben Sie es doch wenigstens Ökonomen wie Professor Dornbusch vom MIT in den USA, der die Industrienationen vor die Alternative gestellt hat,
entweder ein tatkräftiges Umbauprogramm anzugehen oder ein allmähliches Abgleiten in steinzeitliche Zustände zu riskieren.
Meine Damen und Herren, wir sind auch vor dem Hintergrund des beginnenden Bundestagswahlkampfes bereit, ein tatkräftiges Umbauprogramm zu beginnen. Die Steuerreform in den beiden Bereichen für 1998 und 1999 ist ein Teil davon. Wir sind zu dieser Auseinandersetzung bereit und fordern Sie auf, Ihre parlamentarische und auch Ihre staatsbürgerliche Verpflichtung wahrzunehmen.